Musiker: Übermensch oder überflüssig

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Ich wollte mich mal mit den ambitionierteren unter euch über folgendes austauschen: Ich bin in einer Zeit augewachsen, als Musikern - ob erfolgreich oder nicht - noch eine gewisse Aura anhaftete. Da gab es kein Forum, in dem gefragt wurde ob Milch schlecht für die Stimme ist, oder ob Ernie Ball besser ist als Fender Saiten. Das war alles straighter und unverkrampfter.

Musiker zu sein bedeutete für mich einen Lebensweg der Freiheit zu wählen, der u.U. finanziell schwierig zu bestreiten ist, aber Selbstverwirklichung, Abenteuer und Anerkennung von den "richtigen" Leuten mit sich brachte.

Dann kamen die 2000er, das Internet stieg rasend schnell zum führenden Medium auf, machte mediale Inhalte zum wertlosen Allgemeingut, brachte Masse, Rationalität und Realismus über die Menschen. Keiner tut mehr was aus dem Bauch heraus. Produkte, die eigene Gesundheit... alles wird totgegoogelt... jede Information ist in allen erdenklichen Formen verfügbar, so dass der Mensch am Ende genauso wenig weiss wie vorher, aber noch dazu auch nichts mehr glaubt.

Die verkopfte, überflutete Internetgesellschaft ist übersättigt. Jeder Kinderzimmer-Musiker hat ein Myspace-Profil und nutzt die gleichen Tools wie Profis. Die Leute wissen nicht mehr wie sie filtern sollen und hören aus Übersättigung ganz weg - egal wer da kommt.

Im Musik-Business hat dies zur Folge, dass der Ton rauher wird und auch ehemalige Newcomer-Supporter nach und nach zum Mainstream überlaufen. Verbal, strategisch und praktisch wird Vorschlaghammer-Selektion betrieben. Im normalen Arbeitsleben laufen Leute schon zum Psychologen, wenn sie zweimal vom Chef kritisiert wurden, als Musiker musst du damit Leben, dass deine Arbeit permanent verhöhnt, ignoriert, missverstanden und beschimpft wird. Und dass du in starken Konkurrenz-Situationen steckst, qualitativ immer Bestleistungen abliefern musst - nur "gut" ist gleichbedeutend mit Scheisse. Entweder du bist Übermensch oder überflüssig. Die übersättigte Meute will deine ganze Seele in absolut perfekter Verpackung und das kostenlos. Dann bist du gerade gut genug.

Könnt und wollt ihr da noch mithalten? Was hilft euch ein dickes Fell aufzubauen? Ist es heutzutage im Sinne der persönlichen Entfaltung vielleicht sinnvoller Kreativität anders auszuleben? Oder hab' ich gar ein verfälschte Sicht auf die Dinge?
 
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Hochinteressantes Thema !!!!!

Ich wollte mich mal mit den ambitionierteren unter euch über folgendes austauschen: Ich bin in einer Zeit augewachsen, als Musikern - ob erfolgreich oder nicht - noch eine gewisse Aura anhaftete. Da gab es kein Forum, in dem gefragt wurde ob Milch schlecht für die Stimme ist, oder ob Ernie Ball besser ist als Fender Saiten. Das war alles straighter und unverkrampfter.
Musiker zu sein bedeutete für mich einen Lebensweg der Freiheit zu wählen, der u.U. finanziell schwierig zu bestreiten ist, aber Selbstverwirklichung, Abenteuer und Anerkennung von den "richtigen" Leuten mit sich brachte.

Ich weiß zwar nicht, wie alt Du bist. Ich bin 1982 geboren, werde jetzt am 12. Dezember 27, und zähle mich noch zu den "Jüngeren" in der Musikszene. Ich bin in meiner Jugend in den 90ern aufgewachsen, und meine bevorzugte Musik war weniger Rock, sondern vor allem die damals neu entstandenen Dance-Sachen, also z. B. Culture Beat, Snap, DJ Bobo oder Masterboy. Diese Platten kamen zwar auch alle von den großen Major-Labels wie Universal oder ZYX, aber im Vordergrund standen vor allem eingängige, einprägsame Melodien mit hohem Wiedererkennungswert. Das machte für mich viele Hits der 90er zu Klassikern.

Dann kamen die 2000er, das Internet stieg rasend schnell zum führenden Medium auf, machte mediale Inhalte zum wertlosen Allgemeingut, brachte Masse, Rationalität und Realismus über die Menschen. Keiner tut mehr was aus dem Bauch heraus. Produkte, die eigene Gesundheit... alles wird totgegoogelt... jede Information ist in allen erdenklichen Formen verfügbar, so dass der Mensch am Ende genauso wenig weiss wie vorher, aber noch dazu auch nichts mehr glaubt.

Das stelle ich auch immer mehr fest. Mein Vater ist Gymnasiallehrer und ein eher konservativer Typ. Er stempelt häufig Informationen, die seine Schüler zu einem Unterrrichtsthema aus dem Internet (z. B. Wikipedia) geladen haben, oft als "unglaubwürdige Quelle" ab.

Die verkopfte, überflutete Internetgesellschaft ist übersättigt. Jeder Kinderzimmer-Musiker hat ein Myspace-Profil und nutzt die gleichen Tools wie Profis. Die Leute wissen nicht mehr wie sie filtern sollen und hören aus Übersättigung ganz weg - egal wer da kommt.

Hochinteressante Erkenntnis!!!!! Ich stelle das selbe Phänomen nämlich auch immer mehr fest. Wenn ich z. B. heutzutage eine total unbekannte Platte im Webradio oder in der Disco spiele, sind die Leute oft "verwirrt". Die hören bei Unbekanntem meist von vornherein ganz weg. Die interessiert z. B. gar nicht, ob ich als DJ gut mixen kann oder nicht. Bei reinen Mainstream-Partys bin ich dazu übergegangen, einfach nur noch einen Laptop mit Winamp-Playlist aufzustellen. Hierfür habe ich ein recht überschaubares Repertoire (nur wenige 100 Songs), von denen ich weiß, dass das Mainstream-Publikum drauf abfährt. Neben einem Sammelsurium aus Hits der 60er bis 90er habe ich nur wenige Titel aus den Jahren 2000 bis heute dabei. Da gibt es nur eine Handvoll "Kracher" wie z. B. "Dragostea Din Tei" oder "Einen Stern, der deinen Namen trägt". Beim normalen Mainstream-Publikum ziehen diese Titel immer; auf Neues und Unbekanntes hat keiner so richtig Bock.

Im Musik-Business hat dies zur Folge, dass der Ton rauher wird und auch ehemalige Newcomer-Supporter nach und nach zum Mainstream überlaufen. Verbal, strategisch und praktisch wird Vorschlaghammer-Selektion betrieben. Im normalen Arbeitsleben laufen Leute schon zum Psychologen, wenn sie zweimal vom Chef kritisiert wurden, als Musiker musst du damit Leben, dass deine Arbeit permanent verhöhnt, ignoriert, missverstanden und beschimpft wird.

Auf meiner eigenen Homepage habe ich einige Dance-Tracks, die ich selber produziert habe, als kostenlose und legale MP3-Downloads bereitgestellt - LINK HIER. Egal wo ich diese Titel schon promotet habe, überall gab es nur Beschimpfungen. Zugegeben - es ist nicht unbedingt Musik der anspruchsvollen Sorte, aber auch in meiner Plattensammlung befindet sich viel Primitives: Ballermann-Mucke, Trashpop, Eurodance, Schlager, Volksmusik... solche Sachen gefallen mir, und stoße in Musikforen fast nur auf Ablehnung.

Und dass du in starken Konkurrenz-Situationen steckst, qualitativ immer Bestleistungen abliefern musst - nur "gut" ist gleichbedeutend mit Scheisse. Entweder du bist Übermensch oder überflüssig. Die übersättigte Meute will deine ganze Seele in absolut perfekter Verpackung und das kostenlos. Dann bist du gerade gut genug.

Genau das fällt mir auch auf. Außerdem wird zunehmend kritisiert, wenn ein Song "nicht absolut professionell" produziert ist. Im Rückblick stellt man dabei fest, dass es früher auch anders funktionierte: "Who Is Elvis" von Interactive hingegen klingt unter heutigen Gesichtspunkten absolut billig produziert. Trotzdem war's damals auch ein Hit! Ich vertrete nach wie vor die Meinung, dass es nicht unbedingt immer ein Riesen-Aufwand sein muss, damit es gute Musik ist. Selbst mit einer einfachen Blockflöte kann man schöne Musik machen!

Könnt und wollt ihr da noch mithalten? Was hilft euch ein dickes Fell aufzubauen? Ist es heutzutage im Sinne der persönlichen Entfaltung vielleicht sinnvoller Kreativität anders auszuleben? Oder hab' ich gar ein verfälschte Sicht auf die Dinge?

Also ich habe da genau dieselbe Sicht auf die Dinge wie Du; so verfälscht kann sie also meiner Meinung nach nicht sein :) Ich bin dazu übergegangen, fast nur noch für ein kleines, nicht-kommerzielles Webradio zu arbeiten (siehe meine Signatur), und ein Radioprogramm nur für eine kleine Handvoll Hörer zu gestalten, die noch an was Neuem, Unbekanntem interessiert sind. Vielleicht hast Du ja mal Lust, reinzuhören.

DJ Nameless
 
Kreativität anders ausleben? Wieso? Selbstverwirklichung hat doch nichts mit dem Erfolg zu tun, Abenteuer haste immer noch, und die Anerkennung der RICHTIGEN Leute auch. Aber der Markt ist übersättigt, das stimmt. Die Leute haben halt dazugelernt, etliche Alben die früher als Meisterwerke durchgegagen wären gehen heute jedem am arsch vorbei. Es gibt sooo viele gute Musiker und es ist heutzutage extrem schwer von musik allein überhaupt leben zu können. aber was willste machen?? denke letztendlich setzt sich qualität und kreativität durch ... aber im übrigen kann ich mir nicht vorstellen dass es früher sooo viel anders war...nur weil die kiddies ihre myspace-seiten haben spielen sie noch net besser ...und mit dem beschimpft, verhöhnt usw. das hatten doch selbst die leute die heute groß im geschäft sind einmal...glaube nicht dass das leben als musiker (wenn man nicht grad mit unglaublichem talent, glück usw gesegnet war) früher leichter war...aber man machts ja auch nicht wegen erfolg oder so ner scheiße, jedenfalls ich nicht, das ist für mich ne absolute herzenssache, ich brauch musik, wenn ich nicht jeden tag gitarre spielen könnte würd ich krepieren ^^ also sehs vllt nicht so ernst dat alles
 
Ich weiß nicht, wie alt du bist Dave, es freut mich jedenfalls, wenn du für dich einen Weg gefunden hast, deine Musik in einem befriedigendem Ausmaß ausleben zu können, ohne davon abhängig zu sein.

Ich für meinen Teil bin jetzt 20 Jahre alt, studiere Rechtswissenschaften, beschäftige mich seit drei Jahren aktiv mit Musik. Angetrieben von meinem Wunsch nach eigenen Liedern, von den Ideen in mir, kann ich inzwischen ein paar Instrumente etwas spielen, hab auch schon Songs geschrieben, welche in meinem Bekanntenkreis positives Feedback fanden, und bilde mich auch musiktheoretisch stetig fort.

Ich weiß nicht, ob es früher anders war, aber heutzutage ist es für mich undenkbar, mein Leben auf Musik zu stützen. Wenn es nicht um die Existenz ginge, ich könnte es Tag und Nacht machen - durchgehend, immer nur weiter daran arbeiten, verschiedene Songs komponieren, viel lesen darüber, Neues probieren, Klavier/Gitarre/Mundharmonika/E-Bass/wasauchimmer spielen... dass ein Verschleiß auftreten würde aufgrund von Übersättigung ist für mich kaum vorstellbar, habe ich so gut wie nie erlebt.

Aber es geht dummerweise schon um meine Existenz. Noch wohne ich zuhause, noch habe ich nur Studium und mein Hobby, ersteres lastet zwar auch sehr aus, aber es lässt sich noch halbwegs vereinbaren. Aber sobald es darum geht, dass ich die eigene Wohnung bezahle, da muss ich dann Geld verdienen - und in der Musikbranche Geld zu verdienen ist verdammt schwer. Einerseits gibt es nicht mehr so viel wie früher zu holen - meine Gesangslehrerin, deren Ehemann am Konservatorium Wien lehrt, hat mir erzählt, dass jedem Neuanfänger klar gemacht wird, dass man allein als klassischer Musiker kaum seine Familie ernähren kann. Auch sonst schaut es in der Musik mager aus - es werden nur jene finanziell unterstützt, welche viel Glück und ausreichend Können haben.

Und bei diesem Können spießt es sich für mich ein zweites Mal - denn ich spiele erst seit zwei Jahren Klavier, Gitarre erst seit einem Jahr, und auch wenn einige meinen, dass ich hinsichtlich des ersten Instrumentes ein Talent sei, so ist die Konkurrenz, welche bereits länger spielen, eindeutig stärker. Einzige Hoffnung wäre bei mir somit meine Kreativität - diese ist zwar auch recht ausgeprägt, aber sogar wenn ich Spitzensongs schreibe, gehört nochmal viel Glück dazu, dass etwas davon finanziell verwertbar ist.

Damit ist die Musikerkarriere für mich momentan aussichtslos. Sollte sich herausstellen, dass ich doch mehr drauf habe, als ich momentan glaube (denn ich würde nicht so weit gehen zu sagen, ich sei ein 'Übermensch'), dann wäre meine Entscheidung nochmal zu überdenken. Aber so bleibt für mich, der ich wohl oberer Durchschnitt bin in mancher Hinsicht, keine andere Wahl als das Studium der Rechtswissenschaften.
 
Axel S.
  • Gelöscht von Xytras
  • Grund: OT und Beleidigung...
Das ganze richtet sich nur an Leute die nichts ausser Musik in Ihrem Leben machen möchten.
Deine Hypothese sehe ich folgendermaßen. Wenn du es nicht akzeptierst dass du vor 5 Leute zum Nulltarif jede Nacht 20 Jahre zu spielen bereit bist, und dann aufgrund deiner Authentizität irgendwann größ raus kommst bist du ein Weichei ("Übermensch").
Nun, wenn dass dein Way of Life ist - sehr gerne. Ich sehe nichts verwerfliches daran das ganze auch aus realistischer und kommerzieller Sicht zu sehen. Ich bin zwar kein Profimusiker aber auf so ein Leben hätte ich auch keinen Bock - und dass macht mich ganz sicher nicht zum "Überflüssigen" ...
Irgendwie erinnert mich das an einen Kunmpel von mir - Philosoph. Wenn jemand einen normalen Job hat und nicht nach "der Wahrheit strebt", dann ist das nichts wert. Naja ... wenn ich in der Südsee mit meiner Süssen am Strand liege sehe ich das ganz anders :D (sonst auch ;) ) ...

Es hat nichts damit zu tun in seinem Leben den Weg des geringsten Wiederstandes zu gehen und sich deswegen "zu verkaufen", sondern zu erkennen was man eigentlich wirklich will und nicht aus irgendwelchen Idealen so zu handeln wie man meint, dass man den Idealen konform wird aber gerade dann gegen seinen eigentlichen Willen lebt.
Ich weiss, meine Antwort bezieht sich nur auf einen von mehreren Aspekten deines Postings ...

LG - Captain-P
 
Ich kann nur ein bisschen aus der "Konsumentenperspektive" beitragen. Zwar stehe ich mit meiner Band auch auf der Bühne, das ist aber eher ein ambitioniertes Hobby und kein Profi-Projekt. Klar spüren wir, wie schwer die Location-Suche ist, wie schwer es gerade mit eigenem Material ist, etwas Begeisterung zu erzeugen - aber das ist kein Vergleich mit einer Profi-Perspektive. Trotzdem - zu ein paar Aspekten habe ich eine Meinung und wie immer habe ich vor meinem Post auch ein wenig nachgedacht.

Ich bin - und war es immer - sehr aktiver Musik-Konsument, sowohl auf der Plattenkauf- als auch auf der Konzerte-Seite. In meinem kurzen Leben (Jahrgang 1974) habe ich auch festgestellt, dass die "Konkurrenz" einfach härter geworden ist. Ich erinnere mich an meine ersten Konzerte (z.B. Nena...), die von der Soundqualität her so schlecht waren, dass sie eigentlich ziemlich unspaßig waren. Heute klingt jede Garagenband selbst mit einer Behringer-PA besser, und wenn sie ihre PODs richtig einstellen, klingen sie praktisch so wie ihre Vorbilder/"Originale".

Das gilt für das gesamte Equipment - für wenige hundert Euros kann man sich ein Instrument in brauchbarer (nicht guter - aber eben wirklich gar nicht mal so schlechter) Qualität kaufen, "kostenlos" wirklich gutes Lehrmaterial besorgen (entweder auf wirklich gut gemachten Lehr-Seiten im Netz oder eben illegale Tabs) und das - so man will - auch noch ziemlich profimäßig aufpeppen und jedermann verfügbar machen.

An sich finde ich das total toll - ich trauere nicht den Zeiten hinterher, als im meinem Musikladen meiner Kleinstadt so rund fünf billige Wandergitarren rumstanden und ich als Linkshänder nie eine Chance hatte, mal ein Instrument zu spielen, bevor ich es kaufen und wochenlang auf meine Bestellung warten musste. Insofern fehlt mir jegliche Nostalgie - heute ist's einfach einfacher.

Und JA, diese "immer und überall" Verfügbarkeit von Musik in hoher Qualität macht's sicherlich nicht einfacher für die performenden ambitionierten Musiker: Das Grund-Niveau ist recht hoch, es ist verdammt schwer, sich von der Masse abzuheben und im Gedächtnis zu bleiben. Und der Stellenwert von Musik hat für viele Leute vielleicht etwas gelitten - man muss nicht mehr, wie mein Vater früher, mit einem alten Radio lange suchen, bis man einen ausländischen Rock'n'Roll-Sender findet, sondern tippt bei Last.fm "James Brown" etc. in die Leiste und wird mit unendlich viel guter kostenloser Musik versorgt.

Aber: Mein Cousin (so 16) entdeckt gerade die Stones und Beatles und ist total begeistert, die kleine Schwester meiner Freundin (naja klein - 25 Jahre) hört die alten Metallica-Scheiben, einige mir bekannte "Internet-Kiddies" diskutieren über Hendrix-Bootlegs und bei einem Konzert der japanischen Funk-Band "Osaka Monorail" hier in München diese Woche (an einem Mittwoch) war die Hütte voll, die Stimmung verdammt gut, das Publikum bunt gemischt von Alter, Background und Style her - aber alle waren gerne bereit, die 26 EUR Eintritt zu zahlen und auch mal ne CD mitzunehmen. Gleiches gilt für ein Konzert von "Hellsongs", das ich dieses Jahr besucht habe - buntes Publikum aus Akustik-Lovern, offenen Metal-Fans und "irgendwelchen" Leuten. Dann die ganze Mittelalternative Szene - seien es nun Schandmaul, In Extremo, Corvus Corax oder auch Fiddlers Green, alle bedienen ein gewisses Publikum und sind in ihrer Nische verdammt erfolgreich. Haben aber auch alle klein angefangen.

Und hey, selbst bei den kleinen Gigs meiner "ambitionierten Amateur-Band" kommen zwischen 50 und 150 Leute und zahlen einen kleinen Eintritt - und das sind beileibe nicht nur Freunde, sondern eben oft das musikinteressierte "Stammpublikum" des Ladens, in dem wir auftreten. Klar - wir haben auch schon Konzerte gehabt, bei denen mehr Leute auf der Bühne standen als im Publikum... aber das ist dann doch eher die Ausnahme.

Will sagen: Es gibt auch heute verdammt viel "gutes" Publikum. Es mag schwer sein, dies zu finden - weil sich die Stile und Interessen immer weiter individuell aufsplitten. Und natürlich ist es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten (und die Musikindustrie trifft es ja gleich in mehrfacher Hinsicht - Downloads, Wirtschaftskrise, etc.) so, dass der Ton härter wird. Das gilt aber nicht nur für Musiker, sondern auch für Leute wie mich, die sich in der ganz normalen Arbeitswelt rumtreiben. Und der "long way to the top" wurde immer nur von wenigen beschritten...

Man darf auch nicht vergessen, dass schon verdammt viel da war. Um beim Beispiel oben zu bleiben: Was so Bands wie die Beatles alles gemacht haben, war in ihrer Zeit absolut bahnbrechend und neu... aber "neu" geht eben nur einmal. Wenn ich heute was "neu" mache, dann muss das schon so extrem "anders" sein, dass naturgemäß nur noch wenige Leute das irgendwie toll finden werden.

Meine Grundüberzeugung: Für gute "handgemachte" Musik wird es immer ein Publikum geben, weil die Hör-Erfahrung von "echt" gespielten Instrumenten, die von Musikern mit Feeling mit guten Songs bedient werden, immer wieder aufs Neue ein Erlebnis ist. Auch darum sind Unplugged-Alben und -Touren so erfolgreich.

Und JA, die Konkurrenz ist hart und der Ton ist rauh - das trifft aber eben nicht nur Musiker, sondern jeden arbeitenden Menschen.
 
1.: ich glaube, du über-idealisierst die Zeit deiner Jugend. Das ist nichts schlimmes, sondern ganz normal, aber ich glaube dass auch damals nicht alles besser war. Raider hieß zwar wahrscheinlich noch nicht Twix, aber klebrig war's trotzdem, falls Du verstehst, was ich meine.

2.: es war in den 60ern und 70ern sicher auch noch leichter, musikalisch innovativ zu sein und spannende Musik für viele Menschen zu machen, da damals die "technologisierung" der musikmachenden Szene noch nicht so weit fortgeschritten war - es konnte sich eben nicht jeder jeden Amp mit jedem Sound am Rechner zaubern, sondern man war auf wirkliche "Spiel"-Technische Innovation und Kreativität angewiesen. Heute, wo dieser technische Aspekt wegfällt, wissen 90% der Gitarristen nicht einmal mehr wie eine Röhre funktioniert und ihre Bands klingen zu 90% eben nur wie der Abklatsch ihrer Vorbilder. Wirklich originelles wie zu der Zeit, als die Musiker "noch eine Gemeinschaft" waren und es einfach nur ausreichte, Musiker zu sein um Frauen, Ruhm und Drogen ab zu greifen, hört man einfach nur noch selten. Und wenn doch, stellt sich meist der Erfolg auch irgendwann ein (s. z.B. Volbeat, die ihren völlig eigenen Stil gefunden haben und sich durch unzählige Auftritte und starke Alben etabliert haben).

3.: Ich glaube, man neigt auch dazu, das Musikerdasein von früher zu Idealisieren. Wenn man aber mal genauer aufpasst, dann stellt man fest, dass Motörhead bei ihrem ersten gig im Odeon als Supportband auch z.B. keinen Soundcheck bekommen haben oder dass sie auf die Veröffentlichung ihres ersten Albums mehrere Jahre warten mussten.... Es war auch damals nicht alles Gold, was glänzte, aber die Zeit hat den ganzen Ballast weggespült und jetzt sind einfach noch die Perlen übrig, an die wir zurückdenken und die unser Bild dieser Zeit prägen...

4.: trotzdem stimme ich Dir uneingeschränkt zu, dass durch das überall vorhandene (halb-)Wissen echtes Wissen immer weniger geschätzt wird und immer schwieriger zu erkennen ist... :)
 
Hab seit langem nichts mehr so interessantes bzw. so interessante ansichten gelesen.

Popstars z.b.
Da saß ich gestern wiedermal und grübelte, wieso musik so ein krasses konsumprodukt ist.
Es wird gesagt "talent", es wird gesagt "star", aber ist man guter musiker wenn man "singen" kann, und darauf hingedrillt wird emotionen herauszupressen? Was ist musik, wenn ich (höchstwarscheinlich) nur "singen" kann, jedoch songs von anderen leuten lediglich interpretiere und vorgesetzt bekomme?

Heutzutage sieht es in meinen augen so aus:
Gute musik wird in dieser gesellschaft dann als gut aufgenommen, akzeptiert und verkauft, wenn es ins momentane konsumschema passt, denn die meisten kopieren (wovon ein großteil auf die fresse fliegt) und das ist einfach einfach.

So gibt es zur zeit z.b. soviele mädels mit gitarre und "schönen stimmchen", wo sich vielleicht ein oder zwei langfristig halten werden (katy perry? :p ), jedoch meistens der sinn (kreative entfaltung?) der musik total verloren geht - die meisten wollen nur ein stück kuchen in den mund geschoben bekommen, und kriegen dies auch. Die metal/deatchcore-welle ist ein weiteres bsp.

Weiterschweifendes denken macht einen im schlimmsten fall nur depressiv, wenn du eben nicht teil dieser oberflächlichkeit sein willst. Was bleibt noch über?
Realistisch sein und einfach machen, wie und was man will.

Letztendlich war ich zufrieden, als die glotze aus war...
 
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Musik ist seit der Erfindung der "Pop"musik schon immer Konsumgut gewesen (in dem Rahmen wie mein Vorposter es beschreibt zumindest). Die ewigen Noerglereien ueber Popstars, DSDS usw und das gleichzeitige Herbeiwuenschen der "guten alten Zeit" gehen mir langsam ein wenig auf die Nerven. :(
Viele vergessen naemlich immer, dass es damals genauso Castingbands gab, oder Leute die "einfach nur so" Musik hoerten. Ebenso gab es damals wie heute unglaublich viele Bands, ob schlecht ob gut sei dahingestellt. Nur fehlte damals nur das Medium "Internet" um es eben jedem zugaenglich zu machen. Wie Xytras schon sagte, manche idealisieren die "gute alte Zeit" ein wenig und blenden dabei das negative aus, nur das Positive bleibt im Hirn gespeichert (was ja auch menschlich ist :).
Ebenso wurden damals wie heute musikalische Trends gesetzt, wie z.B. oben genannte Metalcorewelle usw. gab es damals eben die Beat, Hardrock usw. Welle. Das ist doch nichts neues dass sich Bands untereinander lustig kopieren etc. "Oberflaechlich" war ein guter Teil der Musik schon immer. Was mich genauso nervt - mit welchem Recht sprechen hier Menschen anderen Leuten ihre Musikalitaet oder gar Kreativitaetsausuebung ab? Seit wann ist es fuer das "Gutsein" von Musik ausschlaggebend, ob sie sich langfristig halten oder nicht?

Der Punkt der mich allerdings auch etwas stoert ist, dass die Musiker meist konservativ sind, niemals ueber ihre kleinen Genregrenzen herrausgehen usw. Dies wird nicht unbedingt vereinfacht durch Guitar Pro und aehnlichen Unsinn, jeder liest sich einfach die Tabs seiner Lieblingsband durch bis er sie ungefaehr beherrscht, macht 'nen neuen Tab auf, schreibt ein "eigenes" Lied was im Prinzip nix anderes als das gleiche Lied seiner Lieblingsband, mit den selben Versatzstuecken nur etwas mit "eigener Note" dazu ist. Ich mit meinen erst 21 Lenzen zaehle eigentlich auch in diese "Guitar Pro" Gesellschaft, allerdings finde ich es raeudig und vollkommen unmusikalisch ein Lied in Zahlen auf einem Bildschirm einzugeben. Zusammen mit den ganzen VSTI, virtuellen Gitarrenamps hat man damit die ultimative Faulheit fuer angehende Musiker ermoeglicht. :D Wie gesagt, war schon immer so, nur die Moeglichkeiten werden immer mehr.

Das Problem vieler die die "heutige Musik" nicht moegen/verstehen ist auch, dass sie sich nicht mit Selbiger beschaeftigen und stattdessen auf die "Charts" schimpfen. Ganz ehrlich - die Charts interessiert doch keine Sau mehr. Das ist wirklich nur das an Musik, was ganz ganz weit oben an der Oberflaeche schwimmt. Durch Websiten wie besagtes last.fm usw. lassen sich so schnell soviele gute und vor allem auch neue Bands finden, dass ich es nicht verstehen kann wenn jemand sagt heute gaebe es keine Innovationen mehr, nur noch Castingbands usw.

Und zurueck zur Eingangsfrage - ob du "ueberfluessig" oder "Uebermensch" mit deiner Musik bist kannst letztendlich nur du dir selbst beantworten. Je nachdem wie man die Sache betrachtet, kann man seine Vorteile draus ziehen. Ich selbst bin schon total froh, dass es sowas großartiges wie Musik ueberhaupt gibt und ich sie erschaffen kann. Alleine das macht mich fuer mich selbst schon zum angesprochenen "Uebermenschen". Und imo ist das auch das Wichtigste an der Musik, jeder kann seine eigenen Gefuehle und Emotionen mit Lied XY verbinden, der Musiker selbst kann es als Ventil fuer wiederrum seine Gedanken usw. nutzen. Jedes Lied was geschrieben wird wird von jedem anders interpretiert, gehoert. Darum gibt es auch keine "schlechte Musik" - solange es jemanden gefaellt ist das doch einfach toll. Letztendlich - wenn man sich schon Gedanken macht ob das eigene "Schaffen" bzw "Musiker sein" nicht ueberfluessig sei hat man imo etwas an der Musik nicht verstanden.
 
Kann schon sein, dass es früher leichter war, sich mit Musik seinen Lebensunterhalt zu verdienen und berühmt zu werden.
Es gab halt nicht so viele Musiker. Wie auch? Für halbwegs brauchbare Instrumente und einer hörbaren Gesangsanlage muss eine "alte Oma" lange für stricken.
Mit so einer Anlage würde einem heute jede drittklassige Amateurband auslachen.

Da hat sich viel getan und für Anfänger ist es nicht schwer und vor allem relativ kostengünstig, brauchbare Instrumente und Equipment zu kaufen. Da weine ich "der guten alten Zeit" keine Träne nach.

Allerdings hat das auch den Drang zum Perfektionismus erhöht. Konnte man früher noch mit einem miserablen aufgenommenen Cassettenrekorder-Mitschnitt Auftritte ergattern, benötigt man heute schon eine halbwegs professionell gemischte CD bzw. einen mp3-File um überhaupt gehört zu werden.

Das mit der Übersättigung kann ich auch unterschreiben. Man wird wirklich mit Musik zugemüllt. Und nur die Quote zählt, daher läuft über den Radiosendern überall die selbe "Einheitsmusik".

Das Argument, es gäbe keine "gute" Musik mehr, dass gerade viele in meinem Alter (über 40) bringen ist völliger Quatsch. Es gibt noch genug innovative und handwerklich grandiose Bands, man muss nur länger danach suchen.

Massenuntaugliche Musik wird in Nischen verbannt. Sendungen wie Rockpalast, Ohne Filter, Live aus dem Alabama wären heutzutage undenkbar.
Wohl schon aus dem Grund, dass damals dort total unterschiedliche Musik hintereinander gespielt wurde ( z. B. Iron Maiden nach Neil Young) und heutzutage schon Fans von Musikgenres, die sich für Aussenstehende kaum unterscheiden, verfeindet sind.
Viel von diesem gegenseitigen Verunglimpfen wird auch noch von den Medien angeschürt.
 
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Den Rockpalast gibt es immernoch. ;)
Das sich "Anhaenger" verschiedener Musikgenres untereinander kappeln ist auch kein Ding der Neuzeit, das gibt es schon seit den 50er,60er Jahren. Einen Drang zu Perfektionismus kann ich auch nicht wirklich erkennen, ich finde es im Gegenteil sympathischer wenn eine Band auch mal im rumpeligen Proberaum abgemischt wird, eben weil da ein eigener Charakter innewohnt. Dies machen nicht wenige Bands, daher kann ich nicht verstehen wo unbedingt ueberall eine "perfekt" gemischte CD verlangt wird.
 
Das ist der ganz normale Prozess der Technologisierung. Das betrifft aber nicht nur die Musik und damit bist nicht nur du als Musiker betroffen, das betrifft jeden.
Wenn du heute ins Flugzeug steigst denkst du doch auch nicht, dass der Pilot eine echte Herausforderung meistert und dass das Flugzeug, wie es in der Luft fliegt, ein Wunder der Technik ist. Du bist einfach daran gewöhnt.
Das gleiche kannst man mit dutzenden Branchen weiterspinnen, bei denen der Wert anscheinend verfallen ist und es schon zum alltäglichem gehört.
 
Man sollte da jetzt aber nicht in Heulkrämpfe ausbrechen. Auf der einen Seite mag es früher einfacher gewesen zu sein, wenn man den Einstieg geschafft hatte, relativ schnell seinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Auf der anderen Seite finde ich es aber auch gut, dass heutzutage diese erste Schwelle nahezu weggefallen ist. Der Einstieg ist einfacher denn je mit erschwinglichem Equipment, dem Internet als Lehrmeister und Promotionsmöglichkeiten via MySpace & Co.
Das resultiert natürlich auf den ersten Blick in einer Überflutung von Newcomer-Bands und Künstlern, derer man als Hörer nicht Herr werden kann. Aber auf den zweiten Blick eröffnet sich so den Leuten eine größere Bandbreite an Musikangeboten und -stilen, damit wirklich jeder Geschmack zufrieden gestellt werden kann. So hoch sich die Wellen der medialen Flut mittlerweile aufgetürmt haben mögen, so schnell wächst doch auch das Vermögen der neuen Generationen, die Sachen aus diesem Überangebot herauszufiltern, die sie interessieren. Junge Leute können heutzutage meiner Meinung nach mit viel mehr Informationen gleichzeitig umgehen und orientieren sich auch musikalisch in mehrere Richtungen gleichzeitig. Zwar gibt es noch "die Metaller", "die Rocker" oder "die Goths", aber ich würde mal behaupten, dass die große Mehrheit durchaus auch mit unterschiedlichen Genres zu begeistern ist.

Kurzum, ich seh das alles nicht so eng und glaube daran, dass diejenigen Künstler, die gehört werden sollten, auch gehört werden.
 
Hallo David.

Da hast du ein interessantes Thema angeschnitten.
Grundsätzlich stimme ich dir zu. Es gab früher mehr Möglichkeiten, bekannt zu werden.
Es gab mehr Auftrittsmöglichkeiten, die insbesondere von Städten und Gemeinden angeboten wurden, auch die Gagen stimmten einigermaßen. Jetzt ist der Output an Musik viel größer, es gibt mehr Bands, mehr Möglichkeiten sich (im Internet) zu präsentieren. Während der Kuchen mit den Jahren immer kleiner wurde, wuchs auf der anderen Seite die Zahl der Esser (Musiker, Bands). Deine Aussage jedoch bezüglich der zum Psychologen rennenden Angestellten nach 2maliger Kritik durch den Chef sehe ich anders. Ich war 17 Jahre im Angestelltenverhältnis und habe erlebt, wie die Ansprüche immer mehr wuchsen und meinen Kollegen und mir immer mehr die Haut abgezogen wurde. Heute kriege ich diese Dinge nur noch durch meine Saxophonschüler mit (ich gründete 2003 eine Ich AG als Saxophonlehrer). Man verlangt heute vom Arbeitnehmer seine Seele. Wochenende? Quatsch! Telefonkonferenzen am Wochenende, Überstunden en masse, und das alles abgegolten mit dem normalen Gehalt. Das System "Email" tat sein übriges. Alle Profilsüchtigen schicken ihren Mist selbst noch als Durchdruck an das Pissoir (falls das Pissoir eine Emailadresse im Unternehmen hat). Das Ergebnis: Um effektiv arbeiten zu können, muss man quer lesen und von vorn herein das wichtigste herausfiltern. Vorgesetzte wurden früher mal nach emotionaler Intelligenz eingestellt, heute nur noch nach der Dicke der Hornhaut auf dem Ellenbogen...
Im Fernsehen stehen die Kochdeppen am Herd und propagieren "nur frische Zutaten für die Mahlzeit". Doch wann soll man eigentlich noch kochen???? Der Zeitfaktor hat einen immens hohen Stellenwert bekommen.
Das Ergebnis ist ein Mangel an direkter Kommunikation, viele Leute nutzen Emails, um Probleme auf dem schriftlichen Wege zu umschiffen, anstatt den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und mit dem Gegenüber auf direktem Wege eine Lösung zu suchen.

Ich persönlich spiele in einer Jazzband, verdiene aber meinen Salär mit Unterricht. Somit bin ich diesem Gigdruck nicht ausgesetzt. Produktionen? Davon kann ich nur träumen. Und wie ich damit generell umgehe? Ich zieh mein Ding durch, frage ab und zu andere Leute, was sie dazu meinen. Doch auch da merke ich, dass die anderen nicht generell der gleichen Meinung sind. Da sagt der eine: "Sagt die Songs an und macht keine Witze", der andere "ihr müsst Show machen und das Publikum unterhalten". Letztendlich gibt es nur eine Lösung. Irgendwie hast du ein Grundgefühl im Bauch, resultierend aus Erfahrung, logischer Analyse und ähnlichen Beispielen. Und dem musst du folgen. Hast du dabei Probleme, dein Geld zu verdienen, kannst du nur den kommerziellen Weg einschlagen. Dann musst du trennen zwischen Geld verdienen und Musik (für dich selbst) machen.

Gruß
Andre
 
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Dann kamen die 2000er, das Internet stieg rasend schnell zum führenden Medium auf, machte mediale Inhalte zum wertlosen Allgemeingut, brachte Masse, Rationalität und Realismus über die Menschen. Keiner tut mehr was aus dem Bauch heraus. Produkte, die eigene Gesundheit... alles wird totgegoogelt... jede Information ist in allen erdenklichen Formen verfügbar, so dass der Mensch am Ende genauso wenig weiss wie vorher, aber noch dazu auch nichts mehr glaubt.
Die verkopfte, überflutete Internetgesellschaft ist übersättigt. Jeder Kinderzimmer-Musiker hat ein Myspace-Profil und nutzt die gleichen Tools wie Profis. Die Leute wissen nicht mehr wie sie filtern sollen und hören aus Übersättigung ganz weg - egal wer da kommt.

Findest Du wirklich ? Ich habe eher den Eindruck, durch das Medium Internet werden Irrationalismus, Aberglaube, Verschwörungstheorien, Halbwissen, pseudowissenschaftliches und esoterisches Geschwurbel in jedes Wohn- und Kinderzimmer gebracht und von Menschen konsumiert, die überhaupt nicht rational sind, sondern kritisches Denken eher verlernt haben und bereitwillig jeden Sch... glauben.
Natürlich kann man das Internet als unerschöpfliche Wissensquelle nutzen - aber dazu muß man bestimmte Voraussetzungen mitbringen.

Im Musik-Business hat dies zur Folge, dass der Ton rauher wird und auch ehemalige Newcomer-Supporter nach und nach zum Mainstream überlaufen. Verbal, strategisch und praktisch wird Vorschlaghammer-Selektion betrieben. Im normalen Arbeitsleben laufen Leute schon zum Psychologen, wenn sie zweimal vom Chef kritisiert wurden, als Musiker musst du damit Leben, dass deine Arbeit permanent verhöhnt, ignoriert, missverstanden und beschimpft wird. Und dass du in starken Konkurrenz-Situationen steckst, qualitativ immer Bestleistungen abliefern musst - nur "gut" ist gleichbedeutend mit Scheisse. Entweder du bist Übermensch oder überflüssig. Die übersättigte Meute will deine ganze Seele in absolut perfekter Verpackung und das kostenlos. Dann bist du gerade gut genug.

Natürlich sind die Leute übersättigt, aber wer wäre das nicht angesichts der Flut an Bands, an Livekonzerten, Youtube-Videos, Myspace-Seiten ?
Als ich jung war (lang, lang ist´s her ;) ), gab es in dem Provinzstädtchen, in dem ich lebte, eine knappe Handvoll Bands, unter denen wir noch die innovativste waren. Wir waren nach heutigen Maßstäben nicht gut, brachten aber frischen Wind in die Szene und hatten im Vergleich zu heute nur sehr wenig Konkurrenz zu fürchten. Vielleicht haben wir nur deshalb Erfolg gehabt - wie gesagt, wirklich gut waren wir nicht.

Ich merke heute natürlich auch bei mir selber die Übersättigung. Ich höre nicht mehr so viel Musik wie früher und wenn, dann sehr selektiv. Bei vielen Sachen habe ich das Gefühl, das sei schon mal dagewesen, dann langweilt es mich schnell. Es hat vielleicht mit dem Älterwerden zu tun.
Es gibt schon sehr, sehr viele gute Musiker, die hervorragende Sachen in jedem Genre machen. Auf der anderen Seite findet sich aber auf Youtube und Myspace jede Menge dilettantischer Schrott, und ich persönlich habe weder die Zeit noch die Nerven, mir das alles anzuhören. Nicht alles, was jenseits des mainstreams daherkommt, muß gleichbedeutend mit "gut" sein - es gibt genügend unverstandene Künstler, die man früher als "verkrachte Existenzen" bezeichnet hat, die sich selbst maßlos überschätzen. Nur weil man als Kultur-Rebell daherkommt, ist man noch lange kein guter Musiker, Maler oder Dichter.

Andererseits habe ich das Gefühl, daß handgemachte Musik immer noch gut ankommt und angenommmen wird. Ein solches Livekonzert, bei dem authentische Gefühle rüberkommen, begeistert mich mehr als jedes Video und ich möchte da auch nicht auf bescheuerten Gästelisten stehen, sondern zahle gerne dafür.

Könnt und wollt ihr da noch mithalten? Was hilft euch ein dickes Fell aufzubauen? Ist es heutzutage im Sinne der persönlichen Entfaltung vielleicht sinnvoller Kreativität anders auszuleben? Oder hab' ich gar ein verfälschte Sicht auf die Dinge?

Ich kann als Musikerin bisher mithalten, arbeite aber in der Unterhaltungsbranche und gehöre daher nicht unbedingt zum Personenkreis, den Du ansprechen wolltest. Von Musik zu leben war aber nie leicht, ohne Taxifahren, Unterrichten oder Kommerzmucke spielen ging auch früher schon wenig bis nix !
 
Zuletzt bearbeitet:
Hach Bell, da hast du mir eine Menge Tipperei erspart. Danke schön :great:
 
Aus Konsumentensicht wollte ich keinen Moment früher gelebt haben.

Es wäre wirklich ein Albtraum mit den eingeschränkten Distributionswegen der 70er/80er Jahre leben müssen.
Als Musiker der Veröffentlicht ist es natürlich nicht leichter geworden wenn die Hürde für andere ebenfalls Musik zu veröffentlichen extrem gesenkt wurde.
Man muss nicht nur gegen die Kollegen beim anderen Label anstinken, sondern eben auch gegen die ganzen "Kinderzimmermukker", die leider dann doch nicht zu 100% so schlecht sind wie man sie gerne hätte. Sonst wären sie ja auch wohl kaum ein Problem für die "richtigen Profis".

Ich sag mal, nicht die Musik an sich wurde entwertet, diese hat meiner Meinung nach eine größere Bedeutung erlagt als je zuvor.
Aber das Werk des einzelnen Künstlers definitiv, denn es steht in einer viel größeren und höher qualitativen Auswahl. Und da kann ich gar nicht mal etwas Negatives dran finden. Vielleicht ist es die verkürzte Sicht eines Hobbymusikers und Musikkonsumenten, aber eine reiche Kulturlandschaft ist doch nicht nur schlecht, oder? ;)
 
Gern geschehen, LeGato ;)
Ich sehe, ihr sucht immer noch... wenn´s nicht so verdammt weit weg wäre.....
 
Ja Früher.....

zu früher kann ich leider nichts sagen weil das vor meiner Zeit war.....(bin ja nur lächerliche 18 Jahre alt)
Ich stimme zu dass das "Grundniveau" höher ist als früher....
Es ist wesentlich schwerer sich von der Masse abzuheben. Es muss immer ausgefallener und/oder extremer werden. Durch diese vereinfachten Möglichkeiten an brauchbares Lehrmaterial, Instrumente und Equipment zu kommen hab ich das Gefühl, dass dadurch manche Leute glauben es sei einfach Musiker zu werden und zu sein.

Sie stellen sich das so einfach vor: haha jetzt lern ich dies und jenes und dann werd ich....
Ich behaupte da gehört noch mehr dazu(nein wirklich???? -sarkasmuseinschub)
Musiker sein ist eine Lebenseinstellung, der Wille bestimmten Leuten etwas zu beweisen und dann die Anerkennung zu kassieren, etwas bewirken zu wollen, etwas zu schaffen.....oder die Welt zu verändern um jetzt himmelhoch zu übertreiben

die wirklichen Musiker/Künstler haben diesen Gedanken im Hinterkopf der sie juckt wenn sie in der Früh aufstehen und zum Instrument greifen lässt......
Das Problem ist, dass die "Echten" leider nur von diesem riesen Haufen von anderen überdeckt die Instrumente spielen(und das meist garnicht so schlecht)

Ich behaupte nicht so ein "echter" Musiker zu sein aber ich arbeite hart daran einer zu werden.....
 
Ich wollte mich mal mit den ambitionierteren unter euch über folgendes austauschen: Ich bin in einer Zeit augewachsen, als Musikern - ob erfolgreich oder nicht - noch eine gewisse Aura anhaftete. Da gab es kein Forum, in dem gefragt wurde ob Milch schlecht für die Stimme ist, oder ob Ernie Ball besser ist als Fender Saiten. Das war alles straighter und unverkrampfter.
Das kenne ich auch. Ich komme aber auch aus einer Zeit, wo Internet nicht so ganz selbstverständlich war, und seine Entwicklung gut miterleben konnte. Mein Bild der Zeit war das der großen Label-Verträge zwischen Künstler und Plattenfirma, wo es echt um Knete ging. Ich denke deshalb reden wir mehr oder weniger von den gleichen Dingen. ;)
Musiker zu sein bedeutete für mich einen Lebensweg der Freiheit zu wählen, der u.U. finanziell schwierig zu bestreiten ist, aber Selbstverwirklichung, Abenteuer und Anerkennung von den "richtigen" Leuten mit sich brachte.
Dazu kann ich nichts sagen, denn ich mache Musik nur als Hobby, das ich aber andererseits wirklich sehr ernsthaftig ausführe.
Dann kamen die 2000er, das Internet stieg rasend schnell zum führenden Medium auf, machte mediale Inhalte zum wertlosen Allgemeingut, brachte Masse, Rationalität und Realismus über die Menschen. Keiner tut mehr was aus dem Bauch heraus. Produkte, die eigene Gesundheit... alles wird totgegoogelt... jede Information ist in allen erdenklichen Formen verfügbar, so dass der Mensch am Ende genauso wenig weiss wie vorher, aber noch dazu auch nichts mehr glaubt.
Es ist nicht so, dass niemand was glaubt, sondern eher so, dass jeder es meint, besser zu wissen. Halbgare Informationen verbreiteten sich auch schon - ohne Internet rasend schnell. Ansonsten stimme ich dir völlig zu. Das von dir beschriebene Phänomen hat allerdings auch seine gute Seiten.
Die verkopfte, überflutete Internetgesellschaft ist übersättigt. Jeder Kinderzimmer-Musiker hat ein Myspace-Profil und nutzt die gleichen Tools wie Profis. Die Leute wissen nicht mehr wie sie filtern sollen und hören aus Übersättigung ganz weg - egal wer da kommt.
Jein. "Die gleichen Tools wie Profis" - ja. Aber auch gleich so gekonnt? - Nein!
Jeder kann sein Profil erstellen, schon klar. Aber wertvoll ist der Inhalt und nicht die Aufmachung. Man kann noch so ein tolles MySpace-Profil haben, aber wenn der Inhalt mich nicht überzeugt, bleibt es für mich "probiert und nur versucht aber nicht geschafft". Hier darf man sich nicht allzu sehr blenden lassen.
Im Musik-Business hat dies zur Folge, dass der Ton rauher wird und auch ehemalige Newcomer-Supporter nach und nach zum Mainstream überlaufen. Verbal, strategisch und praktisch wird Vorschlaghammer-Selektion betrieben.
Ich nehme an, dass das nur bedingt mit dem Medium Internet zusammenhängt. Ich erlebe eine Zeit, wo auch jeder sich im Internet mal schnell ein paar Noten oder Tabs rausfischt, 100€ für Gitarre und Amp ausgibt und losprobt. Das ganze fördert das Musizieren und jeder will es können. Das hat natürlich auch zur Folge, dass die Konkurrenz nicht auf sich warten lässt. Das war aber schon immer so in allen Bereichen des Lebens. Genauso ist es bei der Musik auch, die gespielt wird. Es gibt soviele Facetten von Musik, dass ein Musikkritiker heute sich allenfalls auf ein Genre beschränken kann, wenn er was beurteilen will.
Im normalen Arbeitsleben laufen Leute schon zum Psychologen, wenn sie zweimal vom Chef kritisiert wurden, als Musiker musst du damit Leben, dass deine Arbeit permanent verhöhnt, ignoriert, missverstanden und beschimpft wird. Und dass du in starken Konkurrenz-Situationen steckst, qualitativ immer Bestleistungen abliefern musst - nur "gut" ist gleichbedeutend mit Scheisse. Entweder du bist Übermensch oder überflüssig. Die übersättigte Meute will deine ganze Seele in absolut perfekter Verpackung und das kostenlos. Dann bist du gerade gut genug.
Das sind oft die Jobs, die von Kultur und Kreativität leben. Hier ist es doch allgemein schon sehr schwierig sich zu behaupten. Es ist sogar so, dass hoch virtuose Musiker, die früher bei sehr bekannten Bands spielten heute gar keinen bis nur wenig Einfluss auf die nächste Generation hat, da der Geist der Musik sich komplett dreht.
Könnt und wollt ihr da noch mithalten? Was hilft euch ein dickes Fell aufzubauen? Ist es heutzutage im Sinne der persönlichen Entfaltung vielleicht sinnvoller Kreativität anders auszuleben? Oder hab' ich gar ein verfälschte Sicht auf die Dinge?
Ich glaube es gibt nur ein Ding wie man sich da durchschlagen kann: Musik als Hobby oder Gelegenheitsjob sehen. Das ist eine schwierige Erkenntnis, die innerlich als Musiker weh tut (mir auch, wenn ich ehrlich bin). Das kann schon dort anfangen, wo es mal cool war, unter 50 Leuten zu sein und beispielsweise der einzige zu sein, der Gitarre spielen kann und deshalb bei den Mädels ankommt. Heute finde ich in meinen Kreisen Musiker für Musiker. Die Auswahl ist riesig und es dreht sich nur noch um dieses Thema. Das wird alles halt zum Massengut, wo man sich nur noch schwierig behaupten kann. Genau die Situation kann man auf jede Schicht der Relevanz (auf Hinsicht von Finanzen) übertragen.

Da kommt man sich unter Umständen ganz sicher überflüssig vor. Ich muss sagen: Sehr interessantes Thema. Aber leider ist das Fazit echt traurig an zu sehen.

Grüße
 

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