Klassiker der Woche: Wenn Musik plötzlich wie Fussball klingt
Die Nati ist im Achtelfinale, die Schweiz jubiliert. Jetzt ist die Zeit gekommen für den sinfonischen Kommentator Günther Koch!
Wie würde es tönen, wenn diese Spieler Musiker wären? (Video: Youtube)
«Und da, eine rüde Attacke des Paukers! »
Moment mal, die Stimme kennt man doch von anderswo. Sie gehört Günther Koch, der hier für einmal das Genre wechselt: Statt eines Fussballspiels kommentiert er den ersten Satz aus Beethovens 5. Sinfonie. Den Stil allerdings, den behält er bei.
«Heikle Situation für den Beethoven, er muss die Tonart wechseln, dazu gehört viel Fingerspitzengefühl...»
Die
Musik zur Moderation spielt das SWR-Sinfonie-Orchester unter Michael Gielen, jeder kennt sie, und doch hört man sie hier, soweit man sie überhaupt hört unter dem Kommentar, für einmal anders. Wie agonistisch dieser Satz ist, wie klar sich darin die Spielzüge und Teamkonstellationen, die heissen Phasen und die Übergangsmomente aufzeigen lassen, das zeigt sich hier weit anschaulicher als in musikwissenschaftlichen Analysen, auch wenn diese inhaltlich letztlich zu denselben Ergebnissen kommen.
«Jetzt verflacht die Musik ein bisschen, da wird klein-klein gespielt.»
Geschrieben wurde der Kommentar vor acht Jahren von Jochen Hubmacher, geboren 1977, ausgebildet als Schlagzeuger, Redaktor und Moderator beim Südwestfunk. Und, so darf man vermuten, Fussballfan: Den Slang der Sportreporter jedenfalls beherrscht er perfekt. Und er weiss ihn so sinnig auf die Musik zu übertragen, dass er seinen zweiten Rang beim Axel-Springer-Preis, den ihm dieses Experiment eingebracht hat, wirklich mehr als verdient hat.
«Das zweite Thema kann dem Druck des ersten nicht standhalten.»
Was hat Musik mit Sport zu tun? Vielleicht mehr, als man gemeinhin denken würde. Zwar brauchts für eine Beethoven-Sinfonie deutlich mehr Spieler als für ein Fussballspiel, der Trainer alias Dirigent steht mittendrin, die Schiedsrichter alias Kritiker pfeifen erst im Nachhinein. Und während im Stadion die Fans singen und schreien und jubeln, machen sie im Konzertsaal keinen Mucks. Aber hier wie dort geht es um Teamarbeit, um Rhythmus, um Kommunikation ohne Worte, um blitzschnelle Reaktionen.
«Wunderbar, wie er die Töne laufen lässt!»
Der Hauptunterschied zwischen den Sparten ist dagegen nein, nicht das Tenü. Frack oder Leibchen, das sind Äusserlichkeiten. Es ist die Tatsache, dass in einer Sinfonie der Verlauf vorgegeben ist und dass dieser Verlauf «zu nichts Zählbarem» führt, wie der Reporter einmal sagt. Es gibt keine Tore zu vermelden, auch keine grundsätzlichen Überraschungen. Die Flötistin weiss, wann sie zu übernehmen hat, wer ihr den Ball zuspielt, wem sie ihn abzugeben hat. Darum haben Musikkritiker auch einen anderen Job als Sportreporter: Sie haben keinen Spielstand zu vermelden, keine Tore zu zählen. Sie müssen hören, wie das alte Spiel neu interpretiert wird. Und ob das, fern aller «objektiver» Kriterien, Sinn macht.
«Gielen hält das Tempo!»
Ob Beethoven Fussball gemocht hätte? Als das Spiel erfunden wurde, war er längst tot, und über sonstige sportliche Interessen seinerseits ist nichts bekannt. Ob Moderator Günther Koch Musik mag? Fast würde man es vermuten, jedenfalls erfüllt er seine ungewöhnliche Aufgabe mit Hingabe. Und führt dabei ganz nebenbei vor, dass auch das Sportreportertum viel mit Tempo, Rhythmik, Übergängen und Stimmungswechseln zu tun hat.
«So schön kann Musik sein!»
Und so lustig und klug ein Matchbericht über eine Sinfonie.
(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
(Erstellt: 26.06.2014, 16:47 Uhr)
