
FretboardJunkie
Helpful & Friendly User
Moin!
Die Frage nach Sicherheit in der Rhythmik ist die zentrale Frage, derer man sich wohl erst bewusst wird, wenn man irgendwann merkt, dass es eines der Phänomene ist, die wie in die eigene DNA eingeprägt zu sein scheint.
Ich habe auch schon oft nach Videos, Tutorials und Lehrmaterial gesucht, die das Phänomen Timing im Allgemeinen und Pocket im speziellen ein für alle mal behandeln, aber da gibt es wirklich nicht viel. Irgendwann landete ich mal bei einer Doktorarbeit eines Jazzmusikers zum Thema Groove und Körpergefühl. Sehr interessant zwar, aber auch nicht wirklich helfend. Darüber hinaus fand ich kaum brauchbare Abhandlungen darüber, was Timing in der Musik eigentlich genau ist. Nur ewig dieselbe Leier, wie man sein Metronom verwendet und so weiter. Und wenn man sich mal theoretisch damit befassen will, was Timing denn genau ist, von Mikrotiming über Subdivisionen zum Puls, zu Takten bis hin zur Form und dem Formgefühl, tauchen plötzlich Abstraktionsschwierigkeiten auf, die ich als Softwareentwickler von systemanalytischer Seite betrachtet hochspannend finde, die einem aber in der konkreten Umsetzung nicht unbedingt weiterhelfen.
Wie kriegen wir es als Gitarristen also hin, so zu spielen, dass andere Musiker sich auf unseren Puls verlassen können? Dass wir "in the pocket" gelangen und dort bleiben? Dass letzlich 16tel wirklich 16tel und nicht etwas Annäherndes sind, das nur zufällig irgendwie in den Groove passt?
Damit, das Metronom aufzustellen und zu hoffen, dass es sich irgendwann von selbst einstellt, funktioniert meiner Erfahrung nach nicht oder nur begrenzt. Zumindest, wenn man nicht zu den Glücklichen gehört, die nicht daran arbeiten müssen. Und zumal es einen Unterschied gibt zwischen korrekt in Time und in-the-pocket und groovy. Mechanische Genauigkeit wird nicht unbedingt musikalisch richtig und wahr, sondern eben meistens einfach nur mechanisch. Vielmehr ist es so, dass wir im Microtime, also im Millisekundenbereich weit unterhalb eines 16tel Notenwertes durchaus menschlich ungenau sein dürfen. Ich sah gerade in den letzten Tagen ein Video auf dem Bernd Kiltz-Youtube-Channel, in dem er sich mit einem Produzenten über Studiotricks austauschte. Der sagte, dass man den Gitarrentrack oft um 20 ms nach hinten verschob, um künstlich ein Laid Back Feeling zu erzeugen (nie vergessen: der Drummer hat das Erbrecht darauf, vorne im Beat zu sein). Besser als es den Produzenten machen zu lassen ist es jedoch, selbst dazu in der Lage zu sein, sich hinter dem Beat zu platzieren. Klingt einfach, ist aber letztlich sauschwer, weil man sich dann hundertprozentig auf den Beat konzentrieren muss. Und dazu muss man erstmal seine spieltechnischen Hausaufgaben gemacht haben, darf sich live nicht aus der Ruhe bringen lassen und sollte wirklich alles hintereinander haben, was man gerade spielen muss. Dazu fällt mir ein Video ein, dass ich schon häufiger hier geteilt habe. Es ist von Bumblefoot und er nennt es die wichtigste Lehrstunde von allen. Bumblefoot ist ja ein sehr hinterwitziger Zeitgenosse, würde ich sagen, nachdem ich mich in den letzten Jahren oder Jahrzehnten immer wieder mit ihm beschäftigt habe. Er untertreibt aber nicht, denke ich. In diesem Video geht es darum zu zeigen, wie man es schafft, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, sich hinter dem Beat einzuordnen:
View: https://www.youtube.com/watch?v=nurMXLoR4oI
Wenn man es schafft, macht es etwas mit einem. Schwer zu beschreiben. Mir geht es so: Es ist, als täten sich innerlich zwei musikalische Layer gleichzeitig auf und es bildet sich eine Art innere Spannung, die sich sehr musikalisch anfühlt. Wie gesagt, schwer zu beschreiben und absolut subjektiv.
Dann sah ich vor ein paar Wochen ein kleines Tutorial von Cory Wong. Den als Rhythmusmonster zu bezeichnen wäre wohl noch untertrieben. Er brachte eine fundamentale Rhythmusübung, die ich aber schon kenne, seit ich in den 1980er Jahren Unterricht bei einem Jazzgitarristen hatte. Sie hilft, die Vorstellung für die Subdivisionen zu entwickeln, ist auch sehr effektiv und eher ein Mindfuck als eine technische Schwierigkeit:
View: https://www.youtube.com/watch?v=yOTGNW7-E4U
Abschließend noch ein weiteres Video zum Thema Anschlagshand und Pocket. Hierbei geht es darum, wie man ganz konkret mit Alternate Picking es schafft, rhythmische Konsistenz zu entwickeln. Also die Anschlagshand zu "unfucken". Der zentrale Gedanke hierbei ist, dass man eine Balance finden muss zwischen der spieltechnischen Notwendigkeit, möglichst kleine Bewegungen der Anschlagshand auszuführen und dem Körpergefühl, das bei größeren Pendelbewegungen ein besseres Groovegefühl mit sich bringt. Ich würde sogar soweit gehen, dass ich der Pendelbewegung und dem damit verbundenem Groovegefühl eine höhere Priorität einräume als jeder technischen Kapriole, einfach, weil mich Timing und Groove mittlerweile mehr interessieren, als wilde Technik. Das ist vielleicht eine Art natürlicher Reifeprozess, der sich dann ergibt, wenn man viel mit anderen Musikern spielt.
View: https://www.youtube.com/watch?v=FhpMZUg67ag
Zum letzten Video noch eine Anmerkung (ok, seine Nasenfixierung im Popup nervt etwas... aber was soll's). Ich sah vor einigen Monaten ein älteres Video von Tim Pierce, der auch darüber philosophierte, wie wichtig in seiner oder der Studiowelt das Timing ist, um überhaupt ernst genommen zu werden. Und er sprach ebenfalls von der Anschlagshand als Motor und "keep the motor running" bedeute, dass man damit, also mit Priorität auf der simplen Pendelbewegung der Anschlagshand, seine Rhythmusgitarre abliefert. Aber soweit ich es sehen kann, verfolgt er das nicht unbedingt beim Solieren. Da liegt der Schwerpunkt etwas anders, ich würde sagen, eher auf sauberem Spiel ohne Nebengeräusche. Es ist ja klar, wenn man größere Pendelbewegungen macht, dann ist schwer, einzelne Saiten beim Singlenote-Spiel zu treffen. Ich würde aber trotzdem daran arbeiten, auch bei kleinen Licks und bei Einzelnoten den Motor am Laufen zu halten. Hierfür achte ich darauf, die Unterarmstütze auf dem Gitarrenkorpus im Auge zu behalten, zu lockern, teilweise nehme ich sogar den Unterarm herunter und spiele ohne jede Stütze und bekomme so eine Bewegungsfreiheit für das Pendeln und verringe damit Spannung in der Anschlagshand. Dies habe ich mir bei meinem Gitarrenkumpel abgeschaut, der ist eigentlich klassischer Violinist und die spielen ihr filigranes Zeug ja ebenfalls ohne Stütze der Bogenhand.
Ebenso achte ich auf Lockerheit der Greifhand. Und natürlich sollte man auch die Nebengeräusche im Griff haben. Also ist es am Ende ein Balanceakt zwischen spieltechnischen Notwendigkeiten (erfordert kleine, sehr kontrollierte Bewegungsabläufe), dem Körpergefühl (funktioniert besser mit ausladenderen Bewegungen) und der Musik selbst (welches Tempo ist in diesem Zusammenhang eine zentrale Frage). Auch hier ist es für mich so, dass etwas passiert auf der musikalisch-mentalen Ebene, wenn es gut ausbalanciert ist. Auch hier: schwer zu beschreiben, am ehesten würde ich sagen, es ist ein echtes, körpergestütztes Groovegefühl, das sich auch im musikalischen Output niederschlagen dürfte.
Grüße Thomas
Die Frage nach Sicherheit in der Rhythmik ist die zentrale Frage, derer man sich wohl erst bewusst wird, wenn man irgendwann merkt, dass es eines der Phänomene ist, die wie in die eigene DNA eingeprägt zu sein scheint.
Ich habe auch schon oft nach Videos, Tutorials und Lehrmaterial gesucht, die das Phänomen Timing im Allgemeinen und Pocket im speziellen ein für alle mal behandeln, aber da gibt es wirklich nicht viel. Irgendwann landete ich mal bei einer Doktorarbeit eines Jazzmusikers zum Thema Groove und Körpergefühl. Sehr interessant zwar, aber auch nicht wirklich helfend. Darüber hinaus fand ich kaum brauchbare Abhandlungen darüber, was Timing in der Musik eigentlich genau ist. Nur ewig dieselbe Leier, wie man sein Metronom verwendet und so weiter. Und wenn man sich mal theoretisch damit befassen will, was Timing denn genau ist, von Mikrotiming über Subdivisionen zum Puls, zu Takten bis hin zur Form und dem Formgefühl, tauchen plötzlich Abstraktionsschwierigkeiten auf, die ich als Softwareentwickler von systemanalytischer Seite betrachtet hochspannend finde, die einem aber in der konkreten Umsetzung nicht unbedingt weiterhelfen.
Wie kriegen wir es als Gitarristen also hin, so zu spielen, dass andere Musiker sich auf unseren Puls verlassen können? Dass wir "in the pocket" gelangen und dort bleiben? Dass letzlich 16tel wirklich 16tel und nicht etwas Annäherndes sind, das nur zufällig irgendwie in den Groove passt?
Damit, das Metronom aufzustellen und zu hoffen, dass es sich irgendwann von selbst einstellt, funktioniert meiner Erfahrung nach nicht oder nur begrenzt. Zumindest, wenn man nicht zu den Glücklichen gehört, die nicht daran arbeiten müssen. Und zumal es einen Unterschied gibt zwischen korrekt in Time und in-the-pocket und groovy. Mechanische Genauigkeit wird nicht unbedingt musikalisch richtig und wahr, sondern eben meistens einfach nur mechanisch. Vielmehr ist es so, dass wir im Microtime, also im Millisekundenbereich weit unterhalb eines 16tel Notenwertes durchaus menschlich ungenau sein dürfen. Ich sah gerade in den letzten Tagen ein Video auf dem Bernd Kiltz-Youtube-Channel, in dem er sich mit einem Produzenten über Studiotricks austauschte. Der sagte, dass man den Gitarrentrack oft um 20 ms nach hinten verschob, um künstlich ein Laid Back Feeling zu erzeugen (nie vergessen: der Drummer hat das Erbrecht darauf, vorne im Beat zu sein). Besser als es den Produzenten machen zu lassen ist es jedoch, selbst dazu in der Lage zu sein, sich hinter dem Beat zu platzieren. Klingt einfach, ist aber letztlich sauschwer, weil man sich dann hundertprozentig auf den Beat konzentrieren muss. Und dazu muss man erstmal seine spieltechnischen Hausaufgaben gemacht haben, darf sich live nicht aus der Ruhe bringen lassen und sollte wirklich alles hintereinander haben, was man gerade spielen muss. Dazu fällt mir ein Video ein, dass ich schon häufiger hier geteilt habe. Es ist von Bumblefoot und er nennt es die wichtigste Lehrstunde von allen. Bumblefoot ist ja ein sehr hinterwitziger Zeitgenosse, würde ich sagen, nachdem ich mich in den letzten Jahren oder Jahrzehnten immer wieder mit ihm beschäftigt habe. Er untertreibt aber nicht, denke ich. In diesem Video geht es darum zu zeigen, wie man es schafft, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, sich hinter dem Beat einzuordnen:
View: https://www.youtube.com/watch?v=nurMXLoR4oI
Wenn man es schafft, macht es etwas mit einem. Schwer zu beschreiben. Mir geht es so: Es ist, als täten sich innerlich zwei musikalische Layer gleichzeitig auf und es bildet sich eine Art innere Spannung, die sich sehr musikalisch anfühlt. Wie gesagt, schwer zu beschreiben und absolut subjektiv.
Dann sah ich vor ein paar Wochen ein kleines Tutorial von Cory Wong. Den als Rhythmusmonster zu bezeichnen wäre wohl noch untertrieben. Er brachte eine fundamentale Rhythmusübung, die ich aber schon kenne, seit ich in den 1980er Jahren Unterricht bei einem Jazzgitarristen hatte. Sie hilft, die Vorstellung für die Subdivisionen zu entwickeln, ist auch sehr effektiv und eher ein Mindfuck als eine technische Schwierigkeit:
View: https://www.youtube.com/watch?v=yOTGNW7-E4U
Abschließend noch ein weiteres Video zum Thema Anschlagshand und Pocket. Hierbei geht es darum, wie man ganz konkret mit Alternate Picking es schafft, rhythmische Konsistenz zu entwickeln. Also die Anschlagshand zu "unfucken". Der zentrale Gedanke hierbei ist, dass man eine Balance finden muss zwischen der spieltechnischen Notwendigkeit, möglichst kleine Bewegungen der Anschlagshand auszuführen und dem Körpergefühl, das bei größeren Pendelbewegungen ein besseres Groovegefühl mit sich bringt. Ich würde sogar soweit gehen, dass ich der Pendelbewegung und dem damit verbundenem Groovegefühl eine höhere Priorität einräume als jeder technischen Kapriole, einfach, weil mich Timing und Groove mittlerweile mehr interessieren, als wilde Technik. Das ist vielleicht eine Art natürlicher Reifeprozess, der sich dann ergibt, wenn man viel mit anderen Musikern spielt.
View: https://www.youtube.com/watch?v=FhpMZUg67ag
Zum letzten Video noch eine Anmerkung (ok, seine Nasenfixierung im Popup nervt etwas... aber was soll's). Ich sah vor einigen Monaten ein älteres Video von Tim Pierce, der auch darüber philosophierte, wie wichtig in seiner oder der Studiowelt das Timing ist, um überhaupt ernst genommen zu werden. Und er sprach ebenfalls von der Anschlagshand als Motor und "keep the motor running" bedeute, dass man damit, also mit Priorität auf der simplen Pendelbewegung der Anschlagshand, seine Rhythmusgitarre abliefert. Aber soweit ich es sehen kann, verfolgt er das nicht unbedingt beim Solieren. Da liegt der Schwerpunkt etwas anders, ich würde sagen, eher auf sauberem Spiel ohne Nebengeräusche. Es ist ja klar, wenn man größere Pendelbewegungen macht, dann ist schwer, einzelne Saiten beim Singlenote-Spiel zu treffen. Ich würde aber trotzdem daran arbeiten, auch bei kleinen Licks und bei Einzelnoten den Motor am Laufen zu halten. Hierfür achte ich darauf, die Unterarmstütze auf dem Gitarrenkorpus im Auge zu behalten, zu lockern, teilweise nehme ich sogar den Unterarm herunter und spiele ohne jede Stütze und bekomme so eine Bewegungsfreiheit für das Pendeln und verringe damit Spannung in der Anschlagshand. Dies habe ich mir bei meinem Gitarrenkumpel abgeschaut, der ist eigentlich klassischer Violinist und die spielen ihr filigranes Zeug ja ebenfalls ohne Stütze der Bogenhand.
Ebenso achte ich auf Lockerheit der Greifhand. Und natürlich sollte man auch die Nebengeräusche im Griff haben. Also ist es am Ende ein Balanceakt zwischen spieltechnischen Notwendigkeiten (erfordert kleine, sehr kontrollierte Bewegungsabläufe), dem Körpergefühl (funktioniert besser mit ausladenderen Bewegungen) und der Musik selbst (welches Tempo ist in diesem Zusammenhang eine zentrale Frage). Auch hier ist es für mich so, dass etwas passiert auf der musikalisch-mentalen Ebene, wenn es gut ausbalanciert ist. Auch hier: schwer zu beschreiben, am ehesten würde ich sagen, es ist ein echtes, körpergestütztes Groovegefühl, das sich auch im musikalischen Output niederschlagen dürfte.
Grüße Thomas