Ich versuche eine Interpretation:
Ich hab sie fast immer leicht und überall
gefunden, die Worte, um die sie sich drehn,
die Städte, die Länder, die Erde, das All
die Menschen, die sich so verstehn
Das Lyrische Ich ist der schreibende Dichter (ich benutze mal durchgängig die männliche Form), der seine Worte beschreibt als die, die er fast immer leicht findet und um die es geht: um die sich die Welt, um die alles sich dreht. Ist es eine Aufzählung, in der die Menschen gleichgesetzt sind mit den vorher genannten Städten, Ländern, der Erde, dem All? Oder beginnt ein neuer Bezug, in der nur die Menschen gemeint sind, die sich so verstehen - also so, wie der Dichter die Worte auffasst: als Nabel der Welt. Also sind gemeint: die Menschen, die sich selbst als Nabel der Welt verstehen? Ich kann es nicht auflösen, nicht anhand des Textes, so weit.
Ich hab sie gefunden und wieder vergessen.
sie waren ein ewiges Leben nicht wert
oft klangen sie kllug und manchmal auch gut
doch selten so warm wie mein Herz und mein Blut
Die zweite Strophe zeigt die Überheblichkeit der ersten Strophe auf: die weltumfassenden Worte, waren so schnell vergessen wie gefunden - sie sind ein ewiges Leben nicht wert. Was ich übersetze mit: sind des Erinnerns und Bleibens nicht wert. Also: sie stellen keine bleibenden Werte dar - und obgleich sie klug klangen und manchmal auch gut waren, waren sie im Grunde nichts wert, denn sie waren selten so warm wie des Dichters Herz und dessen Blut.
Folgerichtiger Refrain:
so wahr wie mein Herz, so warm mein Blut
so wahr wie mein Herz, so warm mein Blut
Die dritte Strophe bestätigt die Vergänglichkeit des vorherigen wohlgefälligen Schaffens:
Verklungen das Lied , verweht seine Spur
vom Beifall zur Stille, von der Stille zum Schlaf
das Licht und die Schatten beim Schrillen der Uhr
Dein Leib an meinem - und die Stille noch immer wahr!
Allein wahr ist die persönliche Beziehung, die gelebte Liebe. Nachfolgender Refrain bestätigt, dass das, worum es geht, sich im Körper zeigt, im direkten Fühlen, im Menschen: wahr wie des Dichters Herz, warm wie sein Blut: das ist die Meßlatte, das ist der wahrhaftige Bezugspunkt.
Ich habe sie immer noch und überall
gefunden, die Worte, um die sie sich drehn
die Städte, die Länder, die Erde, das All
die Menschen, die sich so verstehn
Nach dem letzten Refrain setzt ein Prozess der Bewußtwerdung ein: Noch immer fällt es dem Dichter leicht, die Worte zu finden, welche die Welt umfassen und die Menschen, die das genau so verstehen oder die sich um sich selbst drehen - genau so wie die Welt. Aber was folgt aus dieser Erkenntnis, diesem neuen Bewußtsein?
Ich hab sie gefunden und wieder vergessen.
sie waren ein ewiges Leben nicht wert
oft klangen sie kllug und manchmal auch gut
doch selten so warm wie mein Herz und mein Blut
Eine direkte Wiederholung der zweiten Strophe. Was nicht darauf hindeutet, dass sich etwas geändert hätte. Es ist keine Konsequenz auf die Einsicht, dass die bisher so leicht gefundenen bedeutenden Worte verklingen, ohne Spur verwehen - es bleibt die gleiche rückwärtige Betrachtung auf das schon geschriebene Werk. Das nicht den Ansprüchen genügt, die als gefühlt dargestellt werden:
so wahr wie mein Herz, so warm mein Blut
so wahr wie mein Herz, so warm mein Blut
so wahr wie mein Herz, so warm mein Blut
so wahr wie mein Herz, so warm mein Blut
Was folgt daraus?
Dass der Dichter nicht ernst mit seinem Befund macht? Dass er von der Erkenntnis, dass das bisherige Werk keinen Bestand vor der Ewigkeit und vor sich hat, keinen Gebrauch macht, indem er künftig anders schreibt?
Ist es als offenes Ende zu sehen oder eher als Rückzug in das Private? In den Kosmos, in dem das Herz wahr und das Blut warm ist? Besteht dieser Gegensatz von dem geäußerten Wort als äußerlichem Wort und dem gefühlten und wahren, aber nicht als Werk nach Außen tretenden Wort auf ewig fort? Der Dichter findet keinen Weg, Worte zu finden, die warm und wahr wie sein Herz sind und dennoch nach Außen treten?
Also bleibt nur Resignation und Abschied? Oder ewiges Weitermachen, aber im Sinne des schon Gehabten und Geäußerten: mit Worten, um die sich alles dreht, die aber der Wind verweht und die ein eigenes, ewiges Leben nicht wert sind?
Die Kriterien liegen Innen - das Herz, das wahr ist, das Blut, das warm ist - und sind nur dem Dichter selbst ersichtlich. Wie also kann man von Außen feststellen, ob nicht auch der Refrain nicht der gleichen Linie folgt, auf der gleichen Ebene liegt wie die vorher benannten Worte, um die sich alles dreht und die dennoch äußerlich und vergänglich sind. Was bleibt, ist letztlich Innerlichkeit.
Denn woher soll jemand anderer wissen, welche Worte des Dichters äußerlich sind und welche wahr und warm wie dessen Herz?
Eine Empfindung läßt mich an Gedichte denken, in denen die Dichter auf ihr bisheriges Werk schauen, mit einem Blick auf das Begrenzte oder Begrenzende, mit einem Blick darauf, was eigentlich das wäre, um das es hätte gehen sollen. Ist es eine Art "Ich wollte wie Orpheus singen", mit einer nur zarteren Andeutung von dem, was Reinhard Mey im wahren Leben gewann?
x-Riff