Tonartencharakteristik ?

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Hallo Kollegenschaft,

es gibt ja unter Musikern und Musikbegeisterten kaum ein Thema, das wie Wogen so sehr hochgehen läßt, wie das der Stimmung bzw. Stimmungssysteme.

Nun liegt es mir fern, hier wieder eine Polemiklawine loszutreten. Ich hätte lediglich gerne eine Antwort auf diese Frage:

Gibt es hier irgendjemanden, der mir möglichst sachlich und in möglichst einfachen Worten erklären kann, wieso es so etwas wie Tonartencharakteristik in unserer (mittlerweile) üblichen gleichstufigen Stimmung geben soll? Nämlich eine Tonartencharakteristik, die über die spieltechnischen und instrumententechnischen Limiterungen und Besonderheiten der einzelnen Instrumente hinausgeht. Denn eine solche ist ist diesem Zusammenhang ja wohl immer gemeint.

Denn daß bestimmte Instrumente in bestimmten Tonarten klangliche oder spieltechnische Eigenschaften haben, die sie in anderen Tonarten nicht haben, leuchtet ein. Aber warum soll, ganz pauschal gesprochen, C-Dur „heiter“, „rein“ und „prächtig“ sein, warum soll B-Dur „erhaben, aber ohne Glanz“, und warum soll As-Dur „dumpf und schwarz“ sein?

Ich wäre für sachdienliche Hinweise sehr dankbar, weil ich für mich selbst dieses Phänomen noch nicht beobachtet habe und gerne versuchen würde, mich dem Thema zu nähern.

Thomas
 
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Ich finde folgenden Ansatz ganz interessant, auch wenn ich nicht sicher bin wie haltbar das ganze noch ist:

Über die Töne des Wassers:
http://dingler.culture.hu-berlin.de/article/pj214/ar214mi04_17

Wenn rauschendes Wasser die Töne C,E,G,F enthält könnte das der Grund sein warum wir C Dur und das nah verwandte F Dur als Ausgangspunkt für unseren Quintenzirkel gewählt haben und als "natürlicher" wahrnehmen als andere Tonarten.

F# Dur ist die am weitesten davon entfernte Tonart. Sie enthält alle 5 tonleiterfremden Töne von C und den selben Tritonus H-F. Deswegen wird diese in der Romantik oft quasi als "Traumwelt" verstanden. Alles andere ist zwischen diesen beiden Polen. Verschiedene Abstufungen von diesem Urklang aus dem Wasser sozusagen. :D

Ich denke das alles hat aber keine wirkliche Relevanz mehr, vor allem in der Praxis der Pop Musik. Wenn ein Gitarrist E-Dur mit Capo am 2. Bund spielt, hat das nichts mit dem oben beschriebenden Verständnis von F#-Dur zu tun. Aber in notierter Musik finde ich es schon komisch wenn ich die Vorzeichen von F# Dur in Verbindung mit banalen Quintbässen sehe. :rolleyes:
 
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Ich glaube auch, dass Tonartencharakteristika nur noch ein übriggebliebenes Relikt aus vergannen Zeiten ist. Es gibt zwar Leute die behaupten sie können auch bei gleichstufiger Stimmung alle Tonarten heraushören, nur kann ich das nicht nachvollziehen.
Ich höre sie nicht und kann wirklich nicht beurteilen ob es möglich ist.
Diese esotherische Metaebene ist ganz nett, aber wenn es niemand hört auch nicht von Bewandnis.
Wenn ich Tonarten wähle mach ich das auch eher an den Soloinstrumenten fest für die ich schreibe. Denn Klangcharakteristika der unterschiedlichen Register kann man hören.

Bin mal gespannt ob sich hier jemand noch wirklich fundiert zu diesem Thema äußern kann. Ist ne spannende Sache, aber in der Forschung nicht so prominent, als dass man viel Literatur finden würde.
 
Aber warum soll, ganz pauschal gesprochen, C-Dur „heiter“, „rein“ und „prächtig“ sein, warum soll B-Dur „erhaben, aber ohne Glanz“, und warum soll As-Dur „dumpf und schwarz“ sein?
Das, so denke ich, ist es mit Sicherheit nicht. Aber für mich ist jede Frrequenz einzig. Es gibt nur EIN A 440 Hertz. Ich erkenne dies sofort - instrumentenunabhängig. So hat z.B. A Dur einen besondern Klang, der sich für mich von Ab Dur klar unrerscheidet. Es sind für mich einzig und allein die verschieden hohen Frequenzen die die Tonarten unterscheiden.
 
Es gibt nur EIN A 440 Hertz. Ich erkenne dies sofort - instrumentenunabhängig. So hat z.B. A Dur einen besondern Klang, der sich für mich von Ab Dur klar unrerscheidet. Es sind für mich einzig und allein die verschieden hohen Frequenzen die die Tonarten unterscheiden.

Das hängt aber dann für Dich, wenn ich das richtig verstanden habe, eher mit der (Grund-)Ton-HÖHE zusammen, und weniger mit irgendeiner besonderen Klang-QUALITÄT einer Tonart.
Oder ?
 
Wenn man - wie gefordert - alle instrumentenspezifischen Eigenheiten der Tonarten ausklammert und auch von einer gleichstufigen Stimmung ausgeht - dann kann ich CUDO II nur beipflichten: Es geht allerdings nur um die verinnerlichte Tonhöhe verschiedener Frequenzen.
Manche haben das absolute Gehör, manche eine verdammt gute und lange zurückreichende Erinnerung an einen Referenzton.

Ich bestreite aber vehement, daß den Bezeichnungen verschiedener Tonarten spezielle Charakteristika zugeordnet werden können.
Was wir physikalisch hören, sind definitiv nur Frequenzen und der Zusammenhang zwischen diesem Gehörten und der Bezeichnung der Tonart steht und fällt mit dem Kammerton, genau gesagt: der Frequenz des Kammertons.

Wenn man bedenkt, daß man in früheren Zeiten durchaus z. B. auf 415 Hz gestimmt hat, dann müßten wir das damals "strahlende D-Dur" heute als "liebliches, zärtliches, verzweifeltes, ... Es-Dur" empfinden. :gruebel:

Alles hätte sich also verschoben - genau wie im Horoskop der Frühlingspunkt längst nicht mehr wie vor 2000 Jahren im Widder, sondern mittlerweile in den Fischen liegt und somit die Eigenschaften der Sternzeichen sich ebenfalls untereinander verschoben haben müßten, wenn sie tatsächlich vom Stand der Sterne abhingen.
Das soll jetzt nicht polemisch sein, sondern nur eine Parallele aufzeigen (tatsächlicher Stand der Sterne/gehörte Frequenzen zu nicht fest zugeordneten (!) Sternzeichen/Tonarten-Bezeichnungen) und die Diskrepanz zwischen keinesfalls eindeutiger Bezeichnung und meßbarer Physik herausstellen.

Viele Grüße
Torsten
 
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Das Thema beschäftigt mich auch schon lange. Anstatt alles aufzuzählen, was mir dazu durch Kopf und Hände ging, empfehle ich einen Artikel von der UNI Köln, der die ganzen kontroversen Aspekte interessant zusammenfasst.

"Zur Entstehung der Tonartencharakteristik im 18. Jahrhundert"
Autor: Wolfgang Auhagen

http://www.uni-koeln.de/phil-fak/muwi/fricke/089auhagen.pdf
 
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In meinem Aufsatz "Das Geheimnis der schwarzen Tasten" findet sich zu diesem Thema ein Kapitel. Ich komme wie die Vorredner zu dem Schluss, dass abgesehen von instrumentenbedingten Unterschieden die kompositorische Verwendung der Tonarten den Charakter definiert, die Tonarten in der gleichstufigen Stimmung also keine Charakteristik per se haben bzw. haben können.
Im gleichnamigen Thread zu diesem Aufsatz findet sich eine umfängliche Diskussion über ebendieses Thema. Interessant ein Hinweis auf die Antike, Beitrag #112, ein Dialog aus Platons "Politeia": trotz des damals deutlich unterschiedlichen Charakters der Tonarten war man sich auch dort nicht einig, welchen Charakter denn nun die einzelnen Tonarten ausdrücken.
Vor Einführung der wohltemperierten Stimmungen waren nur wenige Tonarten praktisch verwendbar. Bei diesen war es übersichtlich, sich auf eine Art Charakter-Kanon zu verständigen, wie ihn Mattheson beschrieb. Zumal sich bei den mitteltönigen und auch wohltemperierten Stimmungen die Tonarten durchaus noch unterschieden.
Die traditionsverhafteten Komponisten beschränkten sich auch später noch auf diese wenigen Tonarten, weil es lange Zeit keine einheitliche Stimmung gab. In der Romantik dann konnte man gemeinhin die gleichstufige Stimmung voraussetzen. Prompt bevorzugten die Komponisten die Tonarten mit vielen Kreuzen und B's. Was dazu führt, dass man mit diesen Tonarten die Charaktere der Romantik verbindet. Ein Aspekt für die vermehrte Verwendung dieser Tonarten in der Romantik könnte sein, dass es vom Fingersatz gesehen einfacher ist, auf dem Klavier die h-Dur-Tonleiter zu spielen als z.B. C-Dur. Wahrscheinlicher wird jedoch sein, dass man sich bewusst von den traditionellen Tonarten abkehren wollte.
 
Ich danke Euch allen für Eure Antworten.

"Leider" decken sich diese mehr oder weniger mit meinen Ansichten ... ich hatte ja gehofft, man könnte hier einen Verfechter der Tonartencharakteristik hervorlocken und dessen Argumente kennenlernen.

Da dies offenbar nicht geschieht, betrachte ich die Angelegenheit als beendet ... will aber natürlich keinen davon abhalten, hier noch seine Meinung kundzutun.

LG - Thomas
 
...ich hatte ja gehofft, man könnte hier einen Verfechter der Tonartencharakteristik hervorlocken und dessen Argumente kennenlernen.
Wenn ich ich mich richtig erinnere, ist der Pianist Stefan Mickisch davon überzeugt und demonstrierte das auch schon bei seinen bemerkenswerten Auftritten. Mir ist derlei Esoterik nicht zugänglich, so gern ich Vorträge von Mickisch sowohl wegen seines Scharfsinns wie wegen seines enormen Unterhaltungswerts mag.
http://www.mickisch.de
 
Noch ein Nachtrag: gerade sah ich ein Porträt der koreanischen Pianistin und Sängerin Younee.
http://www.younee.com/
Im Interview beschrieb sie ihre synästhetische Klangwahrnehmung und wie sich Töne und Tonarten für sie farbig darstellen. Diese Wahrnehmung von Musik mache es schwierig für sie, Stücke transponiert zu spielen.

Für Franz Schubert scheint Tonartencharakteristik ebenfalls eine Rolle gespielt zu haben. In einer TV-Sendung zu seiner unvollendeten Sinfonie in h-Moll wurde ein entsprechender Zusammenhang hergestellt.
 
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Habe für viele Monate den ersten Satz der Mondscheinsonate gespielt. Als ich irgendwann ein Stück von Chopin gehört habe,
hat es mich direkt an die Mondscheinsonate erinnert. Habe mir dann die Noten zu dem Stück von Chopin gesucht. Es stand auch in Cis-Moll.

Ich denke man kann schon so etwas wie ein vorrübergehendes Tonhöhengedächtnis/Tonartengedächtnis ausbilden, allerdings in nur sehr beschränktem Maße und nur zeitweise.
Wenn man eben Stücke jeden Tag über viele Monate spielt und es einen fast schon "nervt."
Aber, ob ich jetzt direkt Charaktereigenschaften in den Tonarten sehen könnte, wüsste ich nicht.

Tatsächlich besitzen wir auch alle genetisch die Veranlagung für dieses Tonhöhengedächtnis,
kann aber nur damit es "dauerhaft" bleibt im frühkindlichen Alter ausgebildet
und trainiert werden und vorallem da,
wo die Sprachmelodie für die Verständigung sehr wichtig ist, wie in einigen asiatischen Ländern.

Aber ich weiß ja nicht, woher du diese Charaktereigenschaften hast, Turko, aber Mozart und Beethoven haben sich ja beide auch zu den Charakteristiken verschiedener Tonarten geäußert und
versucht sie zu beschreiben. Fakt ist: beide, sowohl Mozart, als auch Beethoven, hatten ein absolutes Tonhöhengedächtnis.
Das ist wichtig, denn, was diese Menschen hören ist denke ich mal für relativ Hörer entweder ziemlich schwer und nur teilweise zu hören oder überhaupt nicht.
Einige bilden ja auch die Gabe Synästhesie aus (= ein Sinneseindruck ruft mehrere Empfindungen hervor).

Wenn mich jetzt zum Beispiel C-Dur an Gelb erinnert und wir wissen, dass Gelb die hellste Farbe im Farbkreis ist, dann könnte man schnell zu den Eigenschaften hell, strahlend, blendend usw. kommen.
Erinnert mich zum Beispiel As-Dur an Blau, könnte ich auch Kälte und Dunkelheit dabei empfinden.
Bei Rot wärme usw.

Gruß
Tamara

(PS. mir ist erst jetzt gerade, nachdem ich das hier geschrieben habe, aufgefallen, dass Claus auch schon Synästhesie angesprochen hatte. Tut mir leid für die Wiederholung. :))
Und, was Maikk. mit dem Wasser schrieb, halte ich auch für möglich. Da kann man sicher auch andere Beispiele aus der Natur nehmen, zum Beispiel das Vogelgezwitscher ;)
Habe ich auch einmal mit einer Amsel ausprobiert. Also die Töne herausgehört. Es kam etwas Pentatonisches (glaube in F-Dur) heraus.
Also die Vorstellung von Natur beim Klang Pentatonik könnte auch aus der Richtung kommen...
 
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Die Mondscheinsonate steht in cis-Moll und Varianttonart h-Moll, weil die phrygische Sekunde für beide Tonarten als "gerader" Ton, jeweils d und c, zur Verfügung steht. Für den Komponisten mit absolutem Gehör bedeutet das: Die phrygische Sekunde wird nicht als Alteration gehört, sondern als von vornherein gegebener Ton, d.h. es klingt etwas weicher. Selbstverständlich wusste Beethoven, dass die phrygische Sekunde auch gleichstufig funktioniert. In C-Moll ist dann eben ein b vor dem d.

Beethoven muss so etwas wie eine fixe Tonart-Kodierung gehabt haben: Typisch ist der Grundton auf c, die Dominante auf g. Und zwar wörtlich genommen: Statt G oder gar G7 findet sich oft G1. Der Ton g "ist schon die ganze Dominante" - "mehr wird nicht geboten". Wenn ein Ton f auftaucht, dann findet sich ganz schnell auch ein f# (irgendwie stand Beethoven dem f skeptisch gegenüber....) , oder f wird gleich durch f# ersetzt. Wenn A-Moll die Tonart ist, dann ist sie entweder A-dorisch oder A-melodisch-moll. Auch da findet sich also ein f#. Diese Faustregeln erleichtern tatsächlich die harmonische Analyse.

Die Regel mit der ganztönigen phrygischen Sekunde ist bis in die heutige Zeit zu beobachten. Ein Beispiel : "Exit Music (For a film) " von Radiohead. "You keep me hanging on" von den Supremes beachtet sie auch.

"Die Mondscheinsonate, mehr als 200 Jahre alt, beschäftigt Komponisten und Songwriter bis in unsere Zeit" :D
 
Hallo zusammen,
nach so langer Diskussion möchte ich auch noch meinen Senf hinzugeben, hauptsächlich, weil ich mich als (beinahe glühender) "Verfechter der Tonartencharakteristik" ein wenig herausgefordert fühle...
So habe ich ganz eigene Klangvorstellungen von Tonarten entwickelt, die teilweise durch Farben, aber auch durch Formen u. A. beschrieben werden können. Ich bin also ein klassischer Synästhet. Ich möchte anmerken, dass sich meine Synästhesie seit meiner Beschäftigung mit Musik zeigt, also "angeboren" ist. Mein absolutes Gehör hingegen ist Übungssache, eine reine Merkaufgabe sozusagen.
Meine Erklärung für die Tonartencharakteristik beruht keineswegs auf irgendwelchen Studien oder anderen Forschungsergebnissen, aber mMn sind Tonarten für (eigentlich jeden) geübten Hörer unterschiedlich, weil man sie RÜCKWIRKEND mit einem Musikstück verknüpft. So ist h-Moll für mich untrennbar mit der Unvollendeten von Schubert verbunden, und mit der 6. von Tschaikowski. Es-Dur wiederum weckt Erinnerungen an die Eroica von Beethoven und "Wer hat dich, du schöner Wald" von Mendelssohn.
Und so erklärt sich eben für mich die Charakterzuweisung zu einer Tonart: Die unbewusste Erinnerung an ebenjene Werke lässt die Stimmung des Werkes auferstehen und gibt somit der Tonart eine "Gefühls-Stimmung".
Viele Grüße
Peter Trom
 
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