Andalusische Kadenz/Flamenco: Akkordfolgen und deren Deutung

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RMACD
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Mod-Anmerkung: Thema ausgelagert aus Was gilt als Trugschluss?/klaus111

Dominanten haben immer zwei Tendenzen sich aufzulösen; quintweise oder halbtonweise nach unten. Die erwartete Auflösung von Sekundärdominanten ist quintweise nach unten, die ihrer Substitute halbtonweise. Vertauscht man nun die beiden Auflösungsarten, entstehen Trugschlüsse.
(CUDO)

Wie ist es mit der Andalusischen Kadenz? Im bVII bVI V oder Im Vm/3 VIm/3 V ? Ist da die V als trugschlüssig anzusehen? Vom Höreindruck her würde ich sagen ja - man hat einen stabilen Akkord erreicht, der aber zugleich in (dom.) Spannung zum Im steht. Was sich widerspricht: Deshalb "trug".

bIIM gefolgt von Im?
und was ist mit rückwirkender Auflösung - z.B. bII (oder bIIM) gefolgt von bVI?

(Was die Frage beinhaltet, ob der Vorgänger die kleine Sept haben muss)
 
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(CUDO)

Wie ist es mit der Andalusischen Kadenz? Im bVII bVI V oder Im Vm/3 VIm/3 V ? Ist da die V als trugschlüssig anzusehen?

Hi,
so wie Du es aufgeschrieben hast erwartet man ja nach dem letzten Akkord (V) wieder die Im die ja dann für gewöhnlich auch kommt.
bVII und bVI haben SDM Qualität - danach V oder V7 und dann zur Im - das passt.



Vom Höreindruck her würde ich sagen ja - man hat einen stabilen Akkord erreicht, der aber zugleich in (dom.) Spannung zum Im steht. Was sich widerspricht: Deshalb "trug".
Ich verspüre beim Erreichen des V keinen Ruhepunkt. Die Im soll und wird danach folgen.

bIIM gefolgt von Im?
Das ist die reguläre Phrygische Kadenz.


und was ist mit rückwirkender Auflösung - z.B. bII (oder bIIM) gefolgt von bVI?

(Was die Frage beinhaltet, ob der Vorgänger die kleine Sept haben muss)
Das verstehe ich nicht.
 
Das ist die reguläre Phrygische Kadenz.

Aha, also die V nicht verdurt sondern als Vm. Aber "im Phrygischen" hat Vm keine leitereigene Quinte, da vermindert. Müsste man also statt mit Im mit IVm beginnen: IVm Im/3 bII Im. Die Basslinie fällt dann: 4 b3 b2 1. Wie ist es nun mit dem Übergang von bII auf Im ? Dominantisch mit der kleinen Sekunde nach unten?


Das verstehe ich nicht.

Meine Frage nach der kleinen Septime/großen Septime war so zu verstehen, dass bII7 als echter Tritonusvertreter der Dominante einen Leitton 7 aufweist -während bei bIIM die Septime direkt in den Grundton geführt werden kann, da Prime. Ob also bei dieser spannungsärmeren Auflösung trotzdem bIIM als dominantisch (zu Im) angesehen werden kann.
 
Ich möchte einige Aussagen kritisch kommentieren, bzw. ich würde sie lieber aus einer anderen Perspektive sehen.
Wie ist es mit der Andalusischen Kadenz? Im bVII bVI V oder Im Vm/3 VIm/3 V ? Ist da die V als trugschlüssig anzusehen? Vom Höreindruck her würde ich sagen ja - man hat einen stabilen Akkord erreicht, der aber zugleich in (dom.) Spannung zum Im steht. Was sich widerspricht: Deshalb "trug".
Du hast den Eindruck eines stabilen Akkords, was aber nicht sein dürfte, da es sich um eine Dominante handelt?

Der "Widerspruch" wäre ein "Trugschluss" im allgemeinen Sinne, aber nicht im harmonischen. Er ließe sich auflösen, indem man die Andalusische Kadenz (Flamenco-Kadenz) phrygisch deutet: iv – ♭III – ♭II – I.

Damit hätten wir es mit modaler Musik zu tun, die sich nicht mit den Gesetzmäßigkeiten der dur-moll-tonalen Musik vollständig erklären lassen kann.
Ich verspüre beim Erreichen des V keinen Ruhepunkt. Die Im soll und wird danach folgen.
Das kann ja bei bestimmter Musik unter der Verwendung dieser Kadenz so sein, doch im Flamenco ist es sehr häufig so, daß die vermeintliche V (in Wirklichkeit phrygische I) den Ruhepunkt darstellt, auf den die Musik immer wieder zustrebt.

Man höre sich folgendes Beispiel an: María Vargas _ Rito y Geografïa del cante Flamenco

M.E. keine Spur einer V, sondern der einer phrygischen I.

Schaut man sich eine Liste von Formen des Flamencos an, so sieht man, wie verbreitet hier der phygische Modus ist.

Wirft man einen Blick auf die verwendete phrygische Tonleiter, mit den häufigen Alterationen (in Klammern), so findet sich eine plausible Erklärung, warum die I als Dur und nicht als Moll-Akkord erscheint: Die I wird verdurt, klingt dadurch heller, kräftiger und ist m.E. vergleichbar mit dem Einsatz der Picardschen Terz im Barock.
E_Phrygisch.png

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/21/E_Phrygisch.png
"Absteigendes e-Phrygisch im Flamenco, häufige Alterationen sind in Klammern gesetzt"

Es fällt in der Tonleiter auch der "Leitton" (cave: absteigende Tonleiter) auf. Zusammen mit der ♭II gespielt erhalten wir einen Akkord, die die übermäßige Sext enthält und physiklisch gleich klingt wie ♭II7.
(In der Jazzharmonik würde man das als Tritonussubstitution bezeichnen, in der klassischen Harmonielehre als "übermäßigen Quintsextakkord", der u.a. von Haydn gerne eingesetzt wurde.)
Ich vermute die übermäßige Sext wird im Flamenco wohl auch auf diese Weise (mit der ♭II) eingesetzt, zumindest klingt es recht plausibel.

Hier eine Bestätigung des Phrygischen Modus durch den bekannten Flamenco-Gitarristen und -Komponisten Manolo Sanlúcar:
Based on the Phrygian scale, a typical cadence is formed, usually called “Andalusian cadence”. The chords for this cadence in E Phrygian are Am–G–F–E. According to guitarist Manolo Sanlúcar, in this flamenco Phrygian mode, E is the tonic, F would take the harmonic function of dominant, while Am and G assume the functions of subdominant and mediant respectively.
http://www.timenet.org/detail.html

Man sollte sich vor Augen halten, daß der Flamenco mulitkulturellen Ursprungs ist, u.a. wird im Gesang Mikrotonalität (aus Arabien?) verwendet. Hier hat sich aus alten Zeiten noch einiges bis heute hinübergerettet und das passt nicht so leicht in das Erklärungsmodell der dur-moll-tonalen Musik.

Viele Grüße
Klaus

P.S.: Mit dem Thema "Trugschluss" im harmonischen Sinn hat die "Andalusische Kadenz" nichts zu tun. Falls das Thema vertieft wird, sollte der Aspekt ausgelagert werden.
 
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Das kann ja bei bestimmter Musik unter der Verwendung dieser Kadenz so sein, ...
Ich habe mich bei der Beantwortung seiner Frage ausschließlich von seinen Angaben "Im bVII bVI V oder Im Vm/3 VIm/3 V" leiten lassen.
Diese Progression mit absteigender Basslinie von Tonika bis Dominante kommt sehr häufig vor und hat mit Trugschluss nichts zu tun.

Auch wenn man wie Du, richtigerweise, IVm bIII bII Im für die Phrygische Kadenz schreibt ist das ebenso kein Trugschluss.
Wie Du richtig bemerktest handelt es sich hierbei um eine modale Kadenz und da kann die I auch schon mal eine "dominantische" Klangfarbe haben.
 
Wie Du richtig bemerktest handelt es sich hierbei um eine modale Kadenz und da kann die I auch schon mal eine "dominantische" Klangfarbe haben.

Ich denke, wichtig ist das Auge des Betrachters bzw. die Ohren des Hörers oder genauer, welche Strukturen nach den Ohren im Gehirn vorhanden sind. Findet sich da eine starke Dur-Moll-Prägung, so deutet man die Andalusische Kadenz so, daß sie damit kompatibel ist, in dem Fall in

Moll: i – ♭VII – ♭VI – V
statt
Phrygisch: iv – ♭III – ♭II – I

So ein Wechsel der Perspektive ist ja auch bei anderen Modi zu beobachten, z.B. Mixolydisch versus Dur:

Eine mixolydische Akkordfolge I - IV - ♭VII - IV - I könnte auch als V - I - IV - I - V (-I) gedeutet/missverstanden werden. Man wäre dann geneigt, nach V noch eine I dranzuhängen (Klammer), mit der der Song jedoch nicht abschliesst.
(unvermeidliches Beispiel: MICHEL POLNAREFF - LA POUPEE QUI FAIT NON)

Es gibt natürlich auch Beispiele für die Moll-Deutung der Andalusischen Kadenz, z.B.
Ray Charles - Hit The Road Jack (Original)

Hier wird im harmonischen Rhythmus die Moll-i betont und auf ihr endet der Song auch.
Wie ist es mit der Andalusischen Kadenz? Im bVII bVI V oder Im Vm/3 VIm/3 V ?
Diese beiden Akkordfolgen, die i.d.R. phrygisch umgedeutet werden sollten, wären für mich zwei harmonische Varianten des Flamenco.

Es wäre interessant, weitere Varianten herauszufinden.

Ein Beispiel lautet:
Am - G7 - Fmaj7 - E - F/E - G/E - E
Am - G6 - Fmaj7 - E - F/E - G/E - E
http://www.guitarchordsmagic.com/flamenco-guitar.html

Es gibt sicher noch interessantere Substutionen.

Ich habe zufällig auch festgestellt, daß man die Andalusische Kadenz auch plausibel mit H+ abschließen könnte, also
Am-G-F-E-H+ (hätte einen Touch von Tango)
Das ginge aber nicht, wenn man E als die V deuten würde.

Viele Grüße
Klaus
 
Ich habe zufällig auch festgestellt, daß man die Andalusische Kadenz auch plausibel mit H+ abschließen könnte, also
Am-G-F-E-H+ (hätte einen Touch von Tango)

Was ist mit H+ gemeint? H-Dur übermäßig, also statt fis ein g?
 
Ja, der übermäßige Akkord war gemeint. Ich denke, er passt harmonisch, weil er die Töne der o.g. Skala verwendet und daraus eine (weniger gebräuchliche und hier vorteilhafte) Dominante bildet. Stilistisch wäre es eine Vermischung von Flamenco und Tango. Letztere setzt als Abschlussakkord ja den Dominantseptakkord (zu Moll) auf schwerer Zeit ein, gefolgt von einer weniger betonten Auflösung zur Tonika.

Die o.g. Skala ist verwandt mit arabischen Modi, welche einen oberen Leitton (zum Grundton) haben (z.B. Hijaz-Modus).

Hijaz_scale.svg

Hijaz-Tonleiter aus: https://en.wikipedia.org/wiki/Arabic_maqam#Maqam_families

Durch die maurische (auch jüdische und zigane) Vergangenheit in Andalusien wurde offenbar die Entwicklung einer Harmonik mit der Dominanten ♭II begünstigt.
In der nordspanischen und außerspanische europäische Kultur dominierte eine auf der V7 (unterer Leitton) basierende Harmonik.

Im Flamenco kommen durchaus beide Harmonieprinzipien vor, z.B. in den Akkordfolgen:
Petenera_Serrano.png

Fandango.png

Interessant finde ich, daß hier die Kraft der ♭II-I-Harmonik stärker ist als die der (vermeintlichen) V7-I-Harmonik und im Flamenco-Zusammenhang die E als Tonka wahrgenommen wird, selbst wenn es sich um einen Dominantseptakkord handelt.

Viele Grüße
Klaus
 

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