Tach auch,
also ich würde die Rechtslage bei Beleidigen und den Rechtfertigungen, zB aufgrund der Kunstfreiheit, mal so zusammenfassen:
1. Strafrechtliche Rechtslage
Hier geht praktisch gesagt nur darum, ob der Staat (Staatsanwaltschaft, Strafrichter) die Beleidigung bestrafen muss. Ansprüche des Beleidigten (Schadensersatz, Schmerzensgeld, Unterlassung) haben damit nichts zu tun, dazu unter 2.
Bestraft werden kann nur, was vor der Tat in einem Strafgesetz als Tat mit Strafe bedroht wurde. Die Strafen für Ehrverletzungen sind in den §§ 185-188 Strafgesetzbuch geregelt.
1.1 Was wird geschützt?
Es wird die Ehre geschützt. Damit ist nicht das bei Geltungssüchtigen übersteigerte subjektive Ehrgefühl ("Ey alda, was gugst du so?") noch der "Ruf" einer Person gemeint, sondern eine objektive Personenwürde.
1.2 Wen kann man beleidigen?
Neben Menschen auch Personengemeinschaften und Verbände, Behörden. ZB Parteien, Gewerkschaften, IHK, Bundeswehr, nicht aber Kegelclub, Stammtischrunde. Auch nicht die Familie, es gibt nach unserem Rechtsverständnis keine "Familienehre", vgl. BGH JZ 51, 520.
Man kann einen Menschen übrigens auch unter einer Kollektivbezeichnung (zB "Berliner Abgeordnete", "Hamburger Polizei") beleidigen, wenn die die bezeichnete Gruppe zahlenmäßig überschaubar ist und aufgrund erkennbarer Merkmale deutlich aus der Allgemeinheit hervortritt.
1.3 Beleidigungen liegen erst vor, wenn sie "kundgetan" werden. Wann ist das so?
Sie muss an einen anderen gerichtet und zu dessen Kenntnisnahme bestimmt sein. Keine Beleidigung also, wenn mich mein Chef unbemerkt belauscht und so mein Selbstgespräch mithört, in dem ich ihn als bloodymotherfuckingcreepingjesus*** tituliere. Es war alles nicht "kundgetan", genauso wie im Tagebuch usw.
1.4 Welche Arten von Ehrverletzung unterscheidet das StGB?
1.4.1 Verleumdung
Liegt vor, wenn ich wider besseres Wissen (!) ehrenrührige (!) unwahre (!) Tatsachen (!)über jemanden verbreite. Wird - weil die Ehrverletzung sehr intrigant und mit einem Täuschungsaspekt begangen wird - meist am strengsten geahndet, bis 2 Jahre Haft.
1.4.2 Üble Nachrede
Wie Verleumdung, nur dass der Täter hier nicht wider besseres Wissen gehandelt hat (oder es jedenfalls nicht nachhweisbar war). Es genügt also, dass die ehrenrührigen Tatsachen sich nicht als wahr erweisen ließen. Wird- weil weniger intrigant - milder geahndet, bis 1 Jahr Haft.
1.4.3 Beleidigung
Ganz anders als oben: Hier wird ein ehrenrühriges Werturteil oder ein Meinen verbreitet, ein ehrabschneidendes Dafürhalten geäußert ("Der ist ein Arsch = ersichtlich nicht eine anatomische Tatsachenbehauptung, sondern ein Meinen).
1.5 Bedeutung der Wahrheit bei Beleidigung nach § 185 StGB?
Ist umstritten, im Ergebnis wird man sagen müssen, dass das Äußern der Wahrheit für sich allein keine Ehrenkränkung und keine Mißachtungskundgabe enthält. Etwas anderes gilt aber immer dann, wenn die Begleitumstände der Äußerung zusätzlich eine Ehrverletzung enthalten.
1.6 Ehrverletzungshandlung allein ist noch nicht strafbar, es muss rechtswidrig sein. Wann ist das so?
Dass ein Tun dem entspricht, was in einem Strafgesetz als Tun beschrieben ist, bedeutet noch nicht, dass das Tun strafbar ist. Das Tun muss vielmehr auch noch rechtswidrig sein (Beispiel: Wenn der Zahnarzt bohrt, dann entspricht sein Tun immer auch der Beschreibung in § 223 StGB, Körperverletzung. Es ist aber mit Zustimmung des Patienten nicht rechtswidrig, er will es ja - meistens).
Rechtswidrig ist das Tun nicht, wenn es gerechtfertigt ist. Hierfür gibt es Rechtfertigungsgründe. Auch bei Ehrverletzungen kommen solche in Betracht, der wichtigste ist die Meinungsfreiheit (Art. 5 I Grundgesetz GG) und die Kunstfreiheit (Art. 5 III GG).
1.6.1 Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB
Diese Norm erklärt bestimmte Ehrverletzungen für gerechtfertigt. Einfach mal reinlesen. Zum Verständnis: Die Norm ist eine Ausprägung von Art. 5 I GG (Meinungsfreiheit), man hat es sozusagen nochmal extra und konkreter zusammengeschrieben. Die Norm erklärt sich von selbst ganz gut. Lesen.
Was nicht (mehr) darunter fällt: Schmähkritik, wenn die Diffamierung Hauptzweck ist und nicht mehr ein Beitrag zur Auseinandersetzung vorliegt ("Soldaten sind potentielle Mörder" soll so ein Fall sein, übrigens ein Beispiel für Kollektivbezeichnung einer einzelnen Person, des Soldaten).
1.6.2 Art. 5 I GG, Meinungsfreiheit
Wie oben, aber ohne den eng gefaßten Anwendungsbereich, gilt viel weiter (in die Breite). Einzelfallkasuistik.
1.6.3 Art. 5 III Satz 1 GG, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit
Hier wohl das Hauptthema.
Wer mal in die Verfassung schaut, wird sich zunächst vielleicht wundern: Die Einschränkung aus Art. 5 II GG, dass nämlich jede Äußerung unter gewissen Schranken (inbesondere des Ehrschutzes) steht, gilt nur für Art. 5 I GG (Meinungsfreiheit), scheinbar nicht für Art. 5 III (Kunst- u. WissFreiheit). Steht so in der Verfassung, ist ja nicht irgend ein Text. Es ist aber anerkannt, dass auch die Kunstfreiheit (Wissenschaft lassen wir jetzt mal weg) nicht schrankenlos ist. Es hat auch hier eine Abwägung der Rechte auf Ehre und der Kunstfreiheit zu erfolgen.
1.6.3.1 Was ist Kunst?
Könnte man promovieren darüber. Ergebnis: Viel. Offener Kunstbegriff. Ganz weite Auslegung. Kunst ist gewollt, selbst wenn nur der Künstler sie versteht. Folge: Selbst ganz unstreitig hochrangige Persönlichkeitsrechte werden mit niveau-neutral zu beurteilenden Werken aus den "unteren und hinteren Regionen des erweiterten Kunstbegriffs" (Isensee AfP 93, 620) abgewogen. Man kann abspeichern: Die Rechtsprechung geht in der Anerkennung der Kunstfreiheitsgarantie verhältnismäßig weit, so zB hat das OLG Hamburg (NJW 84, 1131) es für gerechtfertigt gehalten, in einem Roman eine individuell voll erkennbare Person als "alte Ratte" und "miesen Kerl" zu bezeichnen, also vom Tun her eine klare tatbestandsmäßige Beleidigung nach § 185 StGB, aber durch Art. 5 III GG gerechtfertigt, daher nicht strafbar.
1.6.3.2 Wann ist es zuviel, trotz Kunstfreiheit?
Beispiele:
Darstellung eines Politikers als kopulierendes Schwein nicht mehr von Art. 5 III GG gedeckt (BVerfG NJW 88, 317).
Verriß eines Böll-Romans (steindummer, kenntnisloser und talentfreier Autor, z. T. pathologischer, z. T. ganz harmloser Knallkopf), BVerfG NJW 93, 1462.
Es wird also heikel, wenn auch im Gewande der Kunstfreiheit in den durch Art. 1 GG geschützten Kern menschlicher Ehre massiv eingegriffen wird.
Abschließend hierzu: Ich würde mir eigentlich keine Sorgen machen, sofern
- ich das Gefühl habe, ich mache Kunst. Anders zB, wenn ich jemanden böse niedermachen will und dies, vielleicht sogar das erste mal in meinem Leben, in die Gewandung holpernder Verse stecke;
- und die Ehrverletzung nicht untragbar ist, also wenn es wirklich untragbar ist, wenn ich es für mich selbst bei Vorliegen von Kunst selber nicht verkraften könnte.
2. Zivilrechtliche Situation
Es muss natürlich bei Ehrkränkungen nicht immer um Strafrecht gehen. Der Gekränkte kann auch nur eigene Ansprüche (nicht den des Staates auf Sanktion) geltend machen. Hier kommt in Betracht (nur Beispiele, nicht abschließend):
- Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, §§ 823 I, II BGB i. V. m. §§ 249 ff. BGB.
- Anspruch auf Unterlassung, § 1004 I BGB
- Anspruch auf Widerruf, Anspruch auf Gegendarstellung
- Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, wenn die Ehrverletzung im Wettbewerb erfolgte, wenn also der eine Hersteller eines koffeinhaltigen Erfrischungsgetränkes den zweiten großen Hersteller diffamiert
- Anspruch auf Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und Erstattung von Anwalts- und Rechtsverfolgungskosten.
Die Abwägungskriterien sind hier jedoch inhaltlich dieselben, wie oben. Nur die Folgen im Fall eines Verstoßes sind andere.
(Teilweise aus: Wessels/Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil/1, C. F. Müller, 1999).