Die große Mississippi-Flut 1927 und der Blues

gidarr
gidarr
Helpful & Friendly User
HFU
Zuletzt hier
11.12.24
Registriert
08.01.11
Beiträge
7.229
Kekse
109.176
Ort
Ostalb
Bereits im Sommer 1926 hatten die schweren Regenfälle im zentralen Becken des Mississippi begonnen, im September waren die Nebenflüsse des Flusses in Kansas und Iowa bis zur Kapazitätsgrenze angeschwollen. Im Frühling 1927 ließen warme Temperaturen und eine frühe Schneeschmelze in Kanada die Pegel ansteigen und weiterer Regen im Mittleren Westen drängte in das bereits gefüllte Flussbecken. Der Golf von Mexiko konnte die Wassermassen nicht mehr so schnell aufnehmen und dann, am 15. April 1927, einem Karfreitag wie gestern, begann es auch noch im Süden zu regnen. Am 16. April brach in Illinois der erste Damm. Das US Army Corps of Engineers hatte versichert, das Dammsystem würde halten. Um New Orleans zu schützen wurden am 29. April mit 30 Tonnen Dynamit Dämme gesprengt, was sich nachher als unnötig erwies, weil so viele andere Dämme schon gebrochen waren. Ab dem 1. Juli zog sich die Flut langsam zurück, da war der Fluss an manchen Stellen breiter als 100 Kilometer. Es dauerte zwei Monate, bis der Boden wieder trocken war.
Die Überschwemmung betraf die Bundesstaaten Arkansas, Illinois, Kentucky, Louisiana, Missouri, Mississippi und Tennessee, aber auch Kansas, Oklahoma und Texas hatten unter der Flut zu leiden. Am schlimmsten wurden Arkansas, Mississippi und Louisiana getroffen.Über 600.000 Menschen verloren alles, was sie besessen hatten, Hunderte starben. Der Gesamtschaden wird auf 1 Milliarde Dollar geschätzt, ein Drittel des damaligen US-Bundesetats.
Am meisten litt die Menschen mit dunkler Hautfarbe, die 75 Prozent der Bevölkerung bildeten und 95 Prozent der Arbeitskräfte in der zerstörten Landwirtschaft stellten. Als die Dämme schwächelten, wurden sie – teils unter Waffengewalt – gezwungen, diese zu verstärken. Sie arbeiteten im Dauerregen und die Arbeit wurde auch nicht unterbrochen, wenn ein schwarzer Arbeiter ins Wasser fiel. In der Nacht vom 20. auf den 21. April versuchten die Arbeiter am Greenville-Deich zu fliehen, als sie erkannten, dass der Deich brechen würde. Sie wurden mit vorgehaltener Waffe aufgehalten. Lokale Zeitungen berichteten, dass Tausende dort gearbeitet hätten, aber keine Leichen mehr gefunden werden konnten, als der Deich brach. Ihre Bewacher hatten keine Todesopfer zu beklagen. Auch die Aufräumarbeiten nach der Flut mussten die schwarzen Arbeiter erledigen, manchmal ohne Bezahlung. Bei den Hilfsprogrammen wurden die Weißen ebenfalls bevorzugt, auch in den über 150 Zeltlagern, die nach der Überschwemmung entstanden, lebten meist Menschen mit dunkler Hautfarbe. Oft durften sie diese Lager nicht verlassen und mussten für die Platagenbesitzer – die früheren Sklavenhalter – die Schäden beheben. In manchen Fällen überließ das Rote Kreuz diesen auch die Verteilung von Hilfslieferungen.
Kein Wunder, dass diese Zustände viele dunkelhäutige Menschen dazu veranlasste, sich bei erster Gelegenheit der “Great Migration” in die industrialisierten Nordstaaten anzuschließen. So kam auch der Blues aus dem Delta nach Chicago und wurde zum elektrifizierten Chicago-Blues.
Erst einmal kamen aber die Bluesmusiker ins Delta. Dank moderner Kommunikationsmittel wie Radio, aber auch Zeitungen für die schwarze Bevölkerung, sprachen sich die Katastrophe und ihre Auswirkungen im Rest des Landes herum. Dutzende Songs entstanden, die sich mit der Flut beschäftigten, meist von auswärtigen Musikern, die das Leiden ihrer Mitmenschen nachvollziehen konnten. Von einheimischen Musikern ist wenig bekannt, sie hätten auch keine Zeit oder Möglichkeit gehabt, Songs aufzunehmen. Nicht immer werden in den Stücken die Probleme direkt ausgesprochen, waren doch die meisten Labelbesitzer Weiße, die Botschaft kann man zwischen den Zeilen lesen.
Auch politisch hatte diese wohl größte zivile Katastrophe der USA Auswirkungen. Konnte der Republikaner Herbert Hoover 1928 bei seiner Wahl zum US-Präsidenten als damaliger Wirtschaftsminister noch von seinem Engagement bei der Flut profitieren, wurde er 1932 nicht wiedergewählt, auch weil inzwischen der Umgang mit der schwarzen Bevölkerung bekannt geworden war. Hatten die Schwarzen vorher wegen ihrer Einstellung gegen die Sklaverei meist die Republikaner gewählt, schwenkten sie jetzt zu den Demokraten um.


Der Blues und die Flut

Oft verbindet man den Backwater Blues von Bessie Smith mit der Mississippi-Flut, doch wurde dieser zwei Monate vor der eigentlichen Katastrophe geschrieben. Der Song wurde am 17. Februar 1927 aufgenommen und bezieht sich vermutlich auf eine Überschwemmung des Cumberland River in Nashville, Tennessee an Weihnachten 1926.

Bessie Smith - Backwater Blues



Am bekanntesten ist heute noch, dank einer Coverversion von Led Zeppelin, “ When the Levee Breaks” (Wenn der Deich bricht), aufgenommen am 18. Juni 1929 von Memphis Minnie und Kansas Joe McCoy.

Kansas Joe McCoy & Memphis Minnie When the Levee Breaks



Alice Pearson hatte die Flut selbst erlebt und nahm ihre Musik auf, nachdem sie das Lager in Greenville verlassen konnte.

Alice Pearson - Greenville Levee Blues



Barbecue Bob nahm im Juni 1927 seinen Mississippi Heavy Water Blues auf.

Barbecue Bob - Mississippi Heavy Water Blues




Noch mehr zum Nachlesen und Hören:

deutschlandfunkkultur.de: Katastrophe im April 1927 - Die Mississippi-Flut und ihre Lieder
pbs.org: Voices from the flood
npr.org: Singing the Blues about 1927's Delta Floods
newsounds.org: Soundcheck - Great Songs About The Great Flood
historydilemmas.com: Tent City Blues
Smithsonian Institution: The Great Mississippi River Flood of 1927 - Ain’t Got No Place to Go
OpenEditionJournals: Representing Environmental Emergency as Social Emergency: The Great Mississippi Flood of 1927 in Blues Songs from Louisiana and Mississippi Stéphanie DENÈVE
Wikipedia (deutsch)
Wikipedia (englisch)
Britannica.com (englisch)
 
Eigenschaft
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 14 Benutzer
:great:

Meine Lieblingsversion vom "Backwater Blues" stammt von Big Bill Broonzy:

 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Harter Tobak, gerade auch gesanglich :D, aber Charley Patton's "High Water Everywhere" darf nicht fehlen:
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Die Fassung von John Lee Hooker finde ich sehr eindrücklich.

Es gibt etliche Versionen - hier Solo mit akustischer Gitarre:


Der Text ist sehr einfach gehalten, Musik, Stimme und Atmosphäre überwiegen.

x-Riff
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben