Ein Akkordeon kennenlernen / auf Herz und Nieren überprüfen

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Balgstopp
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Wie geht ihr denn vor, wenn ihr ein neues / anderes / interessantes Instrument in die Finger bekommt, eines, mit dem ihr euch richtig auseinandersetzen / das ihr überprüfen und mit dem ihr nicht nur einmal auf einer wilden Party "Rosamunde" spielen möchtet?
Fangt ihr mit einzelnen Tönen an, von leise nach laut, um die Ansprache und Nebengeräusche zu prüfen, steigert ihr dann mit Harmonien und endet ihr mit ganzen Stücken, Stücken, die ihr vielleicht immer zum Zweck des Akkordeonkennenlernens benutzt? Oder greift ihr euch das Teil, holzt doch einfach nur "Rosamunde" und gut ist?
 
Eigenschaft
 
Ich glaube, das Instrument sagt Dir, wie gut es geprüft werden möchte ;-)

Es ist wie mit Menschen - bei einem weißt Du sofort, mit dem komme ich nicht klar - weitere Gespräche erübrigen sich.

Bei den meisten gibt es Dinge die gut sind und Dinge die unangenehm sind. Die Unangenehmen Dinge fallen meist sofort auf, während die Vorzüge entdeckt werden wollen.
Das macht es aber auch nötig, sich eine Weile mit dem Instrument zu beschäftigen um sich darüber klar zu werden, ob man sich selbst den Nachteilen anpassen kann und ob es vielleicht möglich ist, die Nachteile zu beseitigen. (Einzelne schlechte Töne oder Registeranordnung z.B.)

Es kommt auch darauf an, was man am Ende damit spielen will und wird genau diese Musik darauf probieren müssen. Bei Rosamunde wird Dir sicher nicht gleich bewußt, dass das Gerät vielleicht viel Luft zieht, oder dass die Knopfstellung und der Hub so ist, dass Du bei weit geöffnetem Balg abrutscht oder nicht mehr an bestimmte Register gelangst.
Also, je detaillierter und angepasster Du testest umso besser.

Schwierig ist nur, Vor und Nachteile richtig zu beurteilen, denn man kann manchmal nicht sofort wissen, womit man auf lange Sicht vielleicht klar kommt und womit nicht und ob ein Vorzug die anderen Nachteile aufwiegt.

Wenn ein Gerät alles sofort kann, merkst Du das auch sofort und brauchst nicht lange überlegen.
 
Ich denke, dass sich ein Probespielen auf zwei bereiche ersteckt: zum einen der reine technische zum anderen der emotionale.

Wie gehe ich vor, ich schildere das mal anhand von Beispielen?
letztes Jahr habe ich meinem Bestand 3 ältere Morinos eine Imperator und eine Gola einverleibt.
Bei den Morinos ist das einfach. Die bewegen sich im Preissegment so um die 2 k€ . Ich wollte unbedingt eine rote M haben, die habe ich gefunden, probegespielt, für gut befunden und mitgenommen.

Die Imperator V S ist zwar ziemlcih runter, Rost auf den Stimmzungen und fand für kleines Geld den Weg in meinen Kofferraum. Das Instrument ist mir seiner Quintmixtur einfach ein Exot der recht selten mal auf dem Markt auftaucht, wollte ich einfach haben.

Dann ist mir 'zufällig' eine IV N von 1966 über den Weg gelaufen, die Historie des Instruments kannte ich schon, von einem ehemaligen Dirigenten unseres Orchesters... blabla.
Die ist mittlerweile mein Liebling fürs Orchester geworden.
Ein ganz wichtiger Punkt ist, wie sich das Instrument vorm Bauch anfühlt. Bei manchen habe ich das Gefühl, das Instrument verschmilzt regelrecht mit mir, bei anderen habe ich das Gefühl, ich habe einen Betonmischer vorm Bauch.

Schwieriger war es bei einer VN auch von 1966.
Koffer auf: Instrument sieht gut aus.
Wie sieht der Kaliko auf der Unterseite und Rückseite aus? Das gibt einen guten Hinweis, wie viel das Instrument gespielt wurde. Die Stellen über den Balgecken rubbeln als erstes ab.
Gibt es Hinweise, dass das Instrument mal unsanft zu Boden gekommen ist? Risse o.ä. Das wäre schlecht.
Wie sieht denn der Koffer aus? Am Koffer kann mann viel ablesen, was mit dem Instrument gemacht wurde.
Diese Begutachtung war bei der V N äußerst positiv.
Die Riemen geben auch noch einen hübschen Aufschluss. Dazu sollte man aber ein wenig Bescheid wissen, wann welche Arten von Riemen eingesetzt wurden.
Dann schaue ich mir auch noch die Seite an, auf die viele Instrumente abgestellt werden, obwohl das so nie vorgesehen war. Ich kann das verflixt noch mal gar nicht leiden, wenn die Instrumente auf der Seite so völlig verkratzt sind.

Jetzt ran an das Akki und spielen. ich spiele immer erst mal munter drauflos, um zu sehen, wie das Teil denn überhaupt reagiert, Ich spiele aber nie ganze Titel sonndern quer durchs Programm immer nur so 20 sec. Sequenzen. In Verbindung mit der Preisvorstellung des Verkäufers zeigt sich dann schon meist, ob ich das Instrument haben will oder nicht.
Dabei ist mir an dem Instrument dann schon aufgefallen, dass der Bass völllig lahmt.
Danach kommt der Test über alle Register und alle Tasten im Diskant auf Zug und Druck. Meist findet sich dabei ein hängender Ton, der sich dann schon mal preismindernd auswirkt ;-)
Dabei dann noch mal auf das Stimmgerät schauen, wie denn die Grundstimmung ist, dazu reicht es dann 3-5 Einzeltöne zu prüfen, der Rest sagt einem dann das Ohr.
Wenn das Instrument dann immer noch gefällt, kommt die Zange zum Einsatz und der Blick ins Innere wird fällig.
Das war bei dem Instrument ein jungfräulicher völlig ursprünglicher Zustand. Die Lederventile alle völlig intakt - und das von 1966 - wow.
Kein Rost auf den Stimmzungen, auch unter den Ventilen.
Bei der Preisverhandlung kommt mir dann meine Flohmarkterfahrung zugute und die Kiste war mir.

Völlig anders lief es mit der Gola:
Ich hatte mir letztes Jahr schon 3 andere angeschaut, die aber alle durchgefallen waren.
Schlimm bei der Suche war, dass ich ja schon eine alte Gola besessen hatte und auch die von maxito gut kenne, die meiner ehemaligen exakt glich.
Ich hatte also schon eine genaue Vorstellung, was es für ein Instrument sein sollte.
Eine aus den 80ern ist durchgefallen, weil mir der Klang und die Klaviatur absolut nicht gefallen haben.
Eine aus den 90ern hatte im Bass so einen komischen Druckpunkt, das ging gar nicht. Ich weiss nicht, was Hohner da gebaut hat.
Weitere 2 haben mir vor allem wegen der Höhe des Preises und des Klaviatur nicht gefallen.

Das nächste Instrument wurde mir erst mal vorgespielt. Da wusste ich schon, das ist meine. Der Klang dieser Kiste war einfach genau das, was ich haben wollte
Selbst drauf spielen, war dann nur noch die Bestätigung: die will ich haben.
Die Optische Begutachtung war dann aber eine ziemliche Enttäuschung. Mit dem Instrument wurde sehr unpfleglich umgegangen. Einige Reparaturen, der Blick ins Innere offenbarte eine Generalüberholung und eine Tieferstimmung wurde aber alles gut gemacht.

Das hat mir alles nicht gefallen, aber der Klang ist ein Traum und wie sich das Instrument spielt auch. insgesamt hat es so rund 3 Stunden gedauert bis ich mich entschlossen habe das Instrument zu erwerben, mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wohl wissend, dass solche Instrumente nur selten auf den Markt kommen.

Bei einer Morino dauert das so maximal eine Stunde.
Bei der Gola hat dann sicherlich die emotionale Komponente den Ausschlag gegeben, bei den Morinos ist es eher die technische.

Auf jeden Fall ist für mich ein neues (altes) Akki zu besichtigen und evtl. zu kaufen immer ein extrem schönes Erlebnis.

Viele Grüße
Morigol
 
Wenn es darum geht, ein interessantes Instrument einfach nur kennenzulernen (z.B. auf einem Akko-Treffen das Instrument eines anderen Treffen-Teilnehmers), dann fange ich nicht an zu testen, sondern spiele drauflos. Nicht gerade "Rosamunde", die spiele ich nämlich sonst auch nicht :D, sondern einfach Stücke, auf die ich gerade Lust habe.

Wenn es darum geht, ein Instrument zu testen, weil ich es möglicherweise kaufen möchte, müsste ich es theoretisch nicht mal anspielen. Bis jetzt habe ich nämlich jedem (Gebrauchtinstrument) auf den ersten Blick angesehen, "ja das ist es" oder "nein, das ist es nicht". Natürlich habe ich mich dann nicht darauf verlassen, sondern ausgiebig probiert. Wie Du oben beschrieben hast, angefangen bei Einzeltönen bis hin zu Läufen und Stücken. Aber letztlich hat sich bei mir der erste Eindruck jedes Mal bestätigt. Das ist besonders frustrierend, wenn du 150 Kilometer gefahren bist, um dir dein Trauminstrument anzusehen und nach dem ersten Blick schon weißt, eigentlich müsste ich es gar nicht in die Hand nehmen ... so war es aber doch: die Chemie zwischen uns stimmte einfach nicht :weep: (Beim Autokauf war es übrigens bis jetzt auch immer so.)
Als ich den Kauf eines Neuinstruments in Betracht zog, war es übrigens anders: dort probierte ich viele Instrumente hin und her, ohne gefühlsmäßig zu einem eindeutigen ja oder nein zu kommen. Aber letztlich fand ich dann doch noch das richtige Gebrauchte, so dass ich doch nichts Neues kaufen musste :D

Ein Instrument testen zu müssen um für einen anderen Spieler eine Kaufempfehlung abzugeben, ist mir bis jetzt noch nicht passiert.

Gruß,
INge
 
Hallo zusammen,

ich habe mir gerade mal noch meinen Artikel von oben durchgelesen, das hilft so eigentlich nicht recht weiter. Von daher hier nochmal meine Vorgehensweise als 'Stichpunktliste':

- Grobes optisches Begutachten von:
- Oberfläche auf Kratzer, Dellen, Risse.
- Wurde das Instrument auf der Unterseite abgestellt und ist deshalb dort verkratzt.
- Wie sieht der Kaliko unten und hinten aus. Die ersten Abnutzungserecheinungen zeigen sich an den Enden der Steifen über den Balgecken.

Das geht ganz schnell und findet nebenbei statt, während ich das Instrument anlege, und evtl. die Riemen für mich einstelle.
- Munteres DraufLosSpielen von kürzeren Sequenzen in verschiedenen Registern. Es geht an der Stelle nicht darum, ein Konzert zu geben, sondern das Instrument zu testen.
Dabei achten auf:
- Klang
- Stimmung
- Leichtgängigkeit der Registerschaltung
- 'Klebefilze'
- Allgemeine Auffälligkeiten
- Dabei alles beachten, was man in seinem bisherigen AkkordeonerLeben an Erfahrung gesammelt hat.
- Ist das Instrument für mich, Prüfen, ob mir das Instrument vor den Bauch passt und wie cih mich mit dem Instrument 'fühle' passt es, oder fühlt es sich eher wie ein fremdkörper an.
Wie 'breit' ist das Instrument. Komme ich mit der linken Hand bequem an die Bassknöpfe, gibt es da irgendetwas, was irgendwo am Arm unangenehm drückt.
- Prüfen der Stimmung mit Stimmgerät
- ich habe da meist meinen alten Korg mit, für's Handy gibts aber kostenlose Apps, die reichen für den Zweck.
- Es reicht meist, so 5 Einzeltöne zu prüfen um sich einen Eindruck über die Gesamtstimmung zu verschaffen. Die Gesamtstimmung muss das Ohr erkennen.
- Prüfen aller Töne im Diskant : chromatisch hoch und runter auf Zug und Druck in den einchörigen Registern und im Tremolo.
- Prüfen der Dichtigkeit auf Zug und Druck. Das muss man im Gefühl haben was dicht ist und was nicht, eine 100% Dichtigkeit gibt es nur bei Marmeladengläsern nicht bei Akkordeons
- Wie läuft der Balg? Bei manchen instrumenten spürt man richtig, dass der Balg irgendwie 'Sperrig' ist und irgendwie nicht richtig 'mitspielt'. Im Idealfall spürt man vom Balg eigetnlich nichts. Das ist bei Markenfabrikaten weniger der Fall. Das kenne ich hauptsächlich von BilligKisten.
- die in #1 gestellten Fragen finden alle hierbei statt, ohne jedoch ein genaues Schema zu haben, fällt mir etwas auf, suche in der Ecke natürlich weiter.

Dann muss das Instrument seine 'inneren Werte' offenbaren.
Ich öffne ein Instrument am liebsten auf der Diskantseite
Die meisten Instrumente sind mit Balgnadeln zusammengesteckt, alte Morinos (M-Serie, Alte Atlantics und Imperator funktionieren anders, die haben einen Hebelverschluss, Hebel umlegen und diskantteil nach hinten wegklappen, beim Schließen kann es etwas fummelig werden.
Die Balgnadeln mit einer Zange herausziehen, welche Zange dafür geeignet ist, hängt vom Kopf der Nadel ab. Viele nehmen einfach eine Kombizange, was den Kopf verkratzt, was aber auch nciht sooooo schlimm ist, da die Nadeln für kleines Geld käuflich sind, falls man sich daran stört.

- Wie schaut das Instrument innen aus?
- Die Ventile sollten flach anliegen und nicht abstehen, abstehende Ventile kommen gerne bei älteren Instrumente an den Lederventilen vor, eine kleinere Lücke ist nicht weiter dramatisch, so bis 1-2 mm
- die Stimmzungen sollten blank und ohne jeglichen Ansatz von Rost sein.
- eine schlimme Stelle zum Rosten ist die Unterseite der Stimmzungen, das sieht man, indem man vorsichtig ein Ventil anhebt und in den Spalt schaut.
- wie ist es mit dem Wachs? Die Farbe sollte sich im goldbraunen Bereich bewegen. Wenn man mit dem Fingernagel sachte so 5 mm über das Wachs kratzt, sollte man hinterher den Eindruck sehen, der sich farblich nicht von der Umgebung unterscheidet. Ist die Stelle weiss, ist das Wachs am Aushärten. Da steht in näherer Zukunft eine Generalüberholung an. Wenn das Wachs gar bröckelt ist das Instrument akut sanierungsbedürftig.

- Jetzt wieder alles zusammenbauen
- Dazu den Diskantteil wieder aufsetzen und die Balgnadeln wieder einstecken. Aufpassen, bei manchen Instrumenten sind die verschieden lang.
- Falls eine Nadel nicht so einfach in ihr Loch rutschen will, keinesfalls mit dem berühmten 'BalgNagelHammer' nachhelfen, sondern mit einer flachen Stelle der Zange auf den Kopf drücken. So habe ich bisher noch jede Nadel wieder in ihr Loch bekommen.

-Jetzt noch mal das Instrument anspielen, ob alles ok ist undwie es sich den nach der Inspektion anhört und mit dem Verkäufer wegen all der gefundenen Mängel in Bazarkonforme Preisverhandlungen treten.

- und wen es möglich ist, das ganze in nicht nur einer Sitzung, sondern in mehreren und auch im Wechsel mit einem 'Referenzinstrument' das man gut kennt. Viele Aspekte eines unbekannten Instruments offenbaren sich erst nach mehr- bis vielstündigem Spiel.

Grüße und viel Spass
morigol
 
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