Da war ja doch tatsächlich einmal jemand schneller als ich damit, den jährlichen ESC-Thread zu eröffnen!
Diesmal hat es ja noch länger gedauert als letztes Jahr, bis eine nennenswerte Anzahl an Beiträgen bekannt war. Im Januar wusste man noch so gut wie nichts. Aber hier ist jetzt der offizielle Recap aller Beiträge in alphabetischer Reihenfolge:
Von den ursprünglich 41 bestätigten Ländern sind zwei mehr oder weniger "spontan" doch nicht mehr dabei:
- Armenien hat die Teilnahme zurückgezogen, weil keine Resourcen zur Verfügung standen, bis zur Deadline Mitte März einen Beitrag einzureichen (wegen "objektiver" Gründe, heißt Corona & Bergkarabach)
- Weißrussland hatte mit der Band Galasy ZMesta einen Song mit dem Titel "Ya Nauchu Tebya (I'll Teach You)" eingereicht, der aufgrund politischen Subtexts gegen die EBU-Richtlinien verstieß. Die EBU bot dem Sender und der Band daraufhin die Möglichkeit, einen anderen Song einzureichen - der entsprach jedoch auch nicht den Regeln.
Interessant, diese Regelung jetzt endlich einmal in der Praxis angewandt zu sein. Seitdem Georgiens Beitrag 2009 ("We Don't Wanna Put In") abgelehnt wurde hat man das nicht mehr gesehen. Wenngleich es in der Zwischenzeit auch andere Songs mit eindeutigen Anspielungen gab (z.B. Armenien 2015, Ukraine 2016), waren die alle erlaubt worden.
Damit bleiben uns also für dieses Jahr die im obigen Video gezeigten 39 Länder. Einige haben wie immer ihre Songs im Vergleich zur ursprünglich ausgewählten Fassung "revamped". Insbesondere der ukrainische Beitrag ist kaum noch wiederzuerkennen im Vergleich zur Ursprungsversion.
Hier meine persönliche Top-Liste nach jetzigem Stand (kann sich noch ändern, wenn die Proben anfangen):
39. Lettland - Samanta Tina - The Moon is Rising
Fast genauso nervtötend schrill wie letztes Jahr. Aminata Savadogo (Lettland 2015) ist wieder einmal bei den Songschreibern involviert, mit deren Musikstil konnte ich mich noch nie anfreunden.
38. Malta - Destiny - Je Me Casse ("Ich hau ab")
Auch wenn die Stimme dieser Junior-ESC-Gewinnern zu einer der besten des Jahres gehören dürfte, der Song, die Message und generell die gesamte Aufmachung ist eindeutig bloß eine forcierte Kopie des israelischen Siegersongs "Toy" von 2018. Destiny wird als eine der Favoriten gehandelt, aber mMn ist diese Art Beitrag die letzte, von der wir noch mehr brauchen. Seit Toys Sieg stechen sich sowieso schon jedes Jahr mehrere Länder gegenseitig mit "female empowerment"-Songs aus - inklusive Deutschland selbst im Jahre 2019. Wie wir uns erinnern, endete das mit Bar Refaelis berühmten Worten "I'm sorry, Germany - zero points".
37. Russland - Manizha - Russian Woman
Und hier der dritte "female empowerment"-Song, diesmal mit einem ständigen Genrewechsel zwischen Rap-Parts und Hip hop.
36. Australien - Montaigne - Technicolour
Gefällt mir besser als der Song derselben Kandidatin von letztem Jahr, ist mir aber immer noch zu schrill und wirkt nach wie vor "neurotisch"
.
35. Polen - Rafał - The Ride
Autogetuned bis zum Geht-Nicht-Mehr und absolut beliebig.
34. Georgien - Tornike Kipiani - You
Letztes Jahr hat er die Rockröhre ausgepackt, dieses Jahr schickt er den ruhigsten Song des Jahrgangs... kann ab und zu mal nett sein, aber nur, wenn man wirklich dafür in Stimmung ist.
33. Rumänien - Roxen - Amnesia
Die Amnesie betrifft im Text hier nur die "Selbstliebe". Sie übernimmt von Billie Eilish vor allem den Look - musikalisch eifert ihr eher ein anderer Beitrag nach.
32. Ukraine - Go_A - Shum ("Lärm")
Die ursprüngliche Version gefiel mir sehr gut, war zwar sehr repetitiv, aber damit ähnlich eingängig wie der Beitrag desselben Landes aus dem Jahr 2007: "Sieben, sieben, alulu, eins, zwei, drei, Tanzen!"
("Dancing lasha tumbai", welchen die hier genannte Band, Go_A, übrigens auch kürzlich gecovert haben. Offenbar war ihnen die stilistische Verwandtschaft selbst aufgefallen.) Jetzt jedoch wurde der Song so stark abgewandelt, dass alle ursprünglichen Hooklines mMn verschwunden sind.
31. Österreich - Vincent Bueno - Amen
Wie auch schon letztes Jahr finde ich, dass Vincents Performance irgendwie aufgesetzt und forciert wirkt... ich kann irgendwie keine emotionale Verbindung dazu aufbauen.
30. Belgien - Hooverphonic - The Wrong Place
Die Band hat ihre junge Sängerin von letztem Jahr gegen ihre ehemalige Sängerin ausgetauscht. Vielleicht liegt es an den Grimassen, die die neue "alte" Dame im Video zieht, aber irgendwie ist mir alles an dem Song unsympathisch. Dass die Band letztes Jahr als einzige nicht bei der gemeinsamen Coverversion von "Love Shine a Light" im Rahmen der bemitleidenswerten ESC-Ersatz "Eurovision: Shine a Light" mitgemacht hat, finde ich zwar einerseits ein nettes Aufbegehren gegen das Gesülze, was ich letztes Jahr bei dieser Ersatz-Show unerträglich fand. Andererseits kann es natürlich auch den Eindruck erwecken, dass man sich für etwas Besseres hält.
29. Schweden - Tusse - Voices
Schweden hatte dieses Jahr einige interessante Songs in seinem Vorentscheid Melodifestivalen, wenn auch nicht unbedingt potentielle Gewinner. Dieser Song hier hingegen ist weder das eine noch das andere. An das vorherige "A Million Voices", das für Russland 2015 hinter Schweden den zweiten Platz gemacht hat, wird man dieses Mal wohl kaum herankommen. Es sei denn, die Juries stimmen mal wieder aus Langeweile en-masse für Schweden, weil ihnen sonst nichts anderes einfällt...
Die Fernsehzuschauer hat Schweden in den letzten paar Jahren jedenfalls nicht mehr in allzu großer Zahl für sich gewinnen können.
28. Niederlande - Jeangu Macrooy - Birth of a New Age
Diesmal hat der aus Suriname stammende Jeangu einige Zeilen im daher stammenden Kreol Sranantongo eingebaut. Leider klingt die am häufigsten wiederholte Zeile "Yu no man broko mi" ("Du kannst mich nicht brechen") für internationale Zuschauer in erster Linie wie "You know my broccoli". Damit hat der Song seinen Stempel bereits verpasst bekommen. Aber mit Nordmazedoniens "Dona, Dona, Dona" von 2016, das von den Fans zu "Donut, Donut, Donut" abgewandelt wurde (bis die Sängerin am Ende selbst zu einer Pressekonferenz die entsprechenden Teigwaren mitbrachte), ist er da in guter Gesellschaft. ^^
27. Kroatien - Albina Grčić - Tick-Tock
Auch, wenn die letztjährige armenische Teilnehmerin Athena Manoukian bzw. ihr Land als ganzes jetzt nicht mehr dabei ist, den ganzen Glamour hat Albina übernommen - und der Mimik nach zu urteilen auch die ganze Eitelkeit.
26. Aserbaidschan - Samira Efendi - Mata Hari
Statt Cleopatra verkörpert Efendi diesmal eine historische Figur aus dem Gastgeberland. Nun ja, wenn man bedenkt, woher die historische Mata Hari ihrerseits ihren Künstlernamen entlehnt hat, ergibt jetzt immerhin die buddhistische Symbolik, die Efendi auch im letztjährigen Beitrag verwendet hatte, ein klein wenig mehr Sinn. Auch, wenn der künstlich tief-gesungene Part, wie auch jetzt wieder einer dabei ist, diesmal nicht mehr ein buddhistischer Gesang ist, sondern tatsächlich erstmals eine Zeile auf Aserbaidschanisch.
25. Serbien - Hurricane - Loco Loco
Mehr noch als mit dem dem letztjährigen Musikvideo legen Hurricane es diesmal offenbar darauf an, beim Zuschauer epileptische Anfälle auszulösen, so schnell, wie hier die Kameras wechseln... und vielleicht auch auf den Barbara Dex Award, bei den schrillen und wenig zueinander passenden Outfits.
24. Israel - Eden Alene - Set Me Free
Manchen Songs merkt man schon am Titel an, dass sie im Home Office im Lockdown geschrieben wurden...
23. UK - James Newman - Embers
Die Briten trauen sich für ihre Verhältnisse nochmal relativ weit aus ihrem Versteck. Mich erinnert der Song auf positive Weise an den 2008er britischen Funk/Disco-Beitrag "Even if" von Andy Abraham. Allerdings hat der trotz seiner Qualitäten nur einen geteilten letzten Platz belegt.
22. Norwegen - TIX - Fallen Angel
TIX, bürgerlich Andreas Haukeland, ist u.a. verantwortlich für die Melodie des Ava Max-Songs "Sweet But Psycho" und hat mit Flo Rida zusammengearbeitet, der dieses Jahr bei San Marino aushilft (s. unten). Sein Alter Ego für die Bühne hat er aufgrund seines Tourette-Syndroms so genannt. Seine große Popularität innerhalb des Landes hat ihn den norwegischen Vorentscheid, wo u.a. auch Avantasia-Standardgast Jørn Lande vertreten war, sogar noch vor den Fan-Favoriten KEiiNO (Norwegen 2019) gewinnen lassen. Stellt euch vor, Gewitter im Kopf würde seit Jahren Musik machen und mit seiner aktuellen Bekanntheit im deutschen Vorentscheid aufkreuzen (bloß dass TIX keine Koprolalie hat). Es wäre nicht das erste Mal, dass große innerländische Popularität einem Kandidaten gegen jedes Verständnis der Leute außerhalb seiner Fanbase zum Sieg in einem Vorentscheid verhilft - allerdings auch nicht das erste Mal, wenn sich diese Popularität dann nicht auf die internationale Bühne übertragen lässt: Bilal Hassani (Frankreich 2019) und unsere eigene Jamie-Lee (Deutschland 2016) etwa.
21. Moldawien - Natalia Gordienko - Sugar
2006 im Bikini über die ESC-Bühne in Athen getänzelt, letztes Jahr etwas zugeknöpfter im schwarzen Kleid eine Power-Ballade über das Gefangensein in einer unglücklichen Beziehung probiert, und jetzt wieder ein bisschen mehr zurück zu ersterem. Für den verführerischen Subtext des Liedes ist das Video aber doch in deutlich zu schrillen Farben gehalten. Und ob bei der Überversorgung mit dem titelgebenden Nahrungsmittel beim Zuschauer jetzt fleischliche Gelüste ausgelöst werden, oder doch eher Diabetes, das ist wohl auch noch nicht ganz klar.
20. Spanien - Blas Cantó - Voy a quedarme ("Ich werde bleiben")
Der Name stimmt jetzt: Blas sang
... schon letztes Jahr für Spanien. Diesmal zieht er gesanglich etwas mehr vom Leder, sodass er sich mit seinen Kopfstimmen-Fähigkeiten eigentlich nicht hinter dem deutlich mehr gehypten Schweizer Kandidaten verstecken müsste. Leider macht der Song hier zwar nichts falsch, aber auch irgendwie nicht genug "richtig", um hervorzustechen.
19. Nordmazedonien - Vasil - Here I Stand
Und noch ein Song, der "geschrieben im Lockdown" schreit. Immerhin steht Vasil in seinem Video wirklich, im Gegensatz zur tschechischen Teilnehmerin von 2016, die in ihrem Song "I Stand" hauptsächlich lag...
18. Zypern - Elena Tsagrinou - El Diablo ("Der Teufel")
Seitdem sie 2018 mit "Fuego" den zweiten Platz belegt haben, versucht Zypern offenbar, das einfach so lange weiter zu machen, bis sie irgendwann gewinnen. Jetzt also auch wieder mit spanischem Titel. Mit einer schwachen Bad-Romance-Kopie wird das aber nicht gelingen. Insbesondere nicht mit einer, die zudem den wohl schwerfälligsten Übergang von Strophe zu Pre Chorus und Pre Chorus zum Refrain hat, den ich seit langer Zeit gehört habe: Der komplett stille Pre-Chorus passt musikalisch einfach nicht zum Rest. Und die zusätzlich darin eingeworfenen spanischen Wörter machen es eher noch mehr zum Fremdschämen.
17. Estland - Uku Suviste - The Lucky One
Uku hat tatsächlich Glück gehabt: Er zwar zwar der Teilnehmer von letztem Jahr, aber dadurch nicht automatisch für dieses Jahr gesetzt - er musste sich erst wieder ganz normal gegen alle anderen Kandidaten im estnischen Vorentscheid Eesti Laul durchsetzen. Den Song finde ich zwar stärker als letztes Jahr, aber das Musikvideo sieht aus wie aus einer kitschigen Seifenoper.
16. Island - Daði Freyr & Gagnamagnið - 10 Years
Letztes Jahr sang die Band mit dem als Top-Favorit gehandelten "Think About Things" über die kleine Tochter des Sängers, dieses Mal widmet er den Song seiner Frau. Trotz neuer kreativer Tanzmoves leider bei weitem nicht so eingängig wie letztes Jahr. Aber das war zu erwarten, wenn man letztes Mal Favorit war - da liegt die Messlatte einfach unerreichbar hoch.
15. Griechenland - Stefania - Last Dance
Einer von mehreren 80er-Jahre-Revivals dieses Jahr. Nun, wenn man seinen Tanz denn wahlweise auf dem Rücken eines fliegenden Pegasus ausführt (das wäre dann wohl voltigieren), oder aber zusammen mit Atlas, sodass dieser den Himmel nicht mehr auf seinen Schultern tragen kann, dann gibt beides in der Tat Grund zu der Annahme, dass das der letzte Tanz gewesen sein dürfte...
14. Schweiz - Gjon's Tears - Tout l'univers ("Das ganze Universum")
Wie auch letztes Jahr ist der albanisch-kosovarische Lookalike von Geography-Now-Moderator Paul Barbato einer der Top-Favoriten, nicht zuletzt aufgrund seiner Gesangsleistung. Im Musikvideo zieht er sich außerdem noch selbst aus den Trümmern eines Autos.
13. San Marino - Senhit feat. Flo Rida - Adrenalina
Das kleine San Marino hat sich doch tatsächlich Flo Rider sichern können. Will nicht wissen, wie viel Geld da geflossen ist. Entsprechend ist San Marino erstmals unter den Favoriten und wird damit wahrscheinlich dieses Jahr den besten Platz seiner kurzen ESC-Geschichte landen. Senhit kennen einige vielleicht noch (abgesehen davon, dass sie wie viele andere letztes Jahr hätte teilnehmen sollen) von ihrer Teilnahme für San Marino in Düsseldorf vor genau 10 Jahren, als der ESC zuletzt in Deutschland war. Auch, wenn sie eigentlich aus Bologna stammt und ihre Eltern aus Eritrea. Aber eine Italienerin für San Marino antreten zu sehen ist immer noch näherliegend, als wenn es wie bereits zweimal geschehen ein türkischer Zahnarzt namens Serhat macht. ^^
12. Frankreich - Barbara Pravi - Voilà
Die letzten könnten die ersten sein: Vergangenes Jahr war der französische Teilnehmer Tom Leeb mit einer 08/15-Nummer aus Schweden stets ganz hinten in den Rankings zu sehen. Dieses Jahr hingegen war Frankreich das erste Land, das als Favorit gehandelt wurde. Offenbar hat auch die Grande Nation gemerkt, dass man am besten fährt, wenn man sich möglichst tief in alle positiven Klischees über das eigene Land hineinsetzt. Für die Italiener waren das 2015 etwa drei Tenöre, die über "Grande Amore" sangen. Jetzt musste eben ein Chanson im 6/8-Takt mit einem der wenigen französischen Worte her, das wirklich jeder kennt.
11. Portugal - The Black Mamba - Love is on My Side
Erstmals schickt Portugal einen Song komplett auf Englisch mit reichlich nasalem Twang. Beim erstmaligen Hören habe ich mich gefragt, warum der Sänger singt, er habe gehofft, eine Königin sein zu können (und nicht etwa ein König). Auch, wenn das nirgendwo weniger überraschend wäre als beim ESC, geht es jedoch offenbar in dem Song gar nicht um die Geschichte des Sängers selbst, sondern um die einer Dame aus dem horizontalen Gewerbe, die die Band in Amsterdam getroffen hatte.
10. Deutschland - Jendrik Sigwart - I Don't Feel Hate
To cringe or not to cringe... that is the question.
Aber immerhin traut sich der NDR diesmal etwas. Falls Jendrik doch wie viele andere deutsche Songs der letzten Jahre ganz hinten landen sollte, dann kann man ihm zumindest im Gegensatz zu jenen früheren Beiträgen nicht vorwerfen, er hätte nichts gewagt. Mit Unauffälligkeit hat noch niemand gepunktet. Aber umgekehrt ist es egal, wie viele Leute den eigenen Song hassen - schließlich kann niemand gegen einen bestimmten Song stimmen - solange dafür diejenigen, die ihn mögen, ihn umso stärker mögen. Schließlich muss man am Ende des Abends zumindest eine gewisse Anzahl Leute über die Schwelle schieben, für einen selbst den Telefonhörer anzuheben. Polarisierung ist bekanntlich gut beim ESC - selbst der Siegersong "Toy" hat mehr Dislikes als Likes. Was bei einem Titel wie diesem eine gewisse Ironie hat. Vor allem aber scheint Jendrik ein äußerst energetischer Live-Performer zu sein. Hoffen wir bloß, dass die Ukulele bei den ganzen Würfen nicht zu Bruch geht - schließlich hat Jendrik die ganzen Steinchen alle einzeln von Hand aufgeklebt...
09. Albanien - Anxhela Peristeri - Karma
Mitt-Dreißigerin bereut ihre Jugendsünden, unter denen sich offenbar etwas befindet, wofür Gott ihr wie sie glaubt nie vergeben wird ("Zoti nuk ma fal"). Ein angenehm frischer Wind - hätte nicht gedacht, so etwas neben den ganzen teilweise vor übertriebenem Selbstbewusstsein strotzenden "Empowerment"-Ladies beim ESC noch zu hören zu bekommen.
08. Italien - Måneskin - Zitti e buoni ("Ruhig und lieb")
Der ungewohnte Buchstabe im Bandnamen rührt daher, dass die Bassistin aus Dänemark stammt. Der Bandname ist das dänische Wort für "Mondschein". Wie für Italien üblich ein sehr wortreicher Text, der aber im Schutz der Muttersprache kein Blatt vor den Mund nimmt und dazu mit reichlich Schock-Rocker-Schminke aufgepeppt wird. Einer der wenigen Beiträge, die den erfrischenden Eindruck erwecken, dass es ihnen getrost am Allerwertesten vorbeigeht, wenn sie wem auf die Füße treten.
07. Bulgarien - Victoria Georgiewa - Growing Up is Getting Old
Und hier kommt Billie Eilish-Klon Nummer 2. Wobei mir Victorias letztjähriger Song "Tears Getting Sober" deutlich besser gefiel als das, was ich bisher so von Billie zu hören bekommen habe. Der diesjährige Song ist noch weitaus ruhiger, aber von denen, die sie ihren Fans zur Auswahl gestellt hatte, war es derjenige, den ich emotional noch am ehesten ansprechend fand. Sie ist allerdings nicht die einzige in diesem Jahrgang, die laut Text nicht erwachsen werden will... und es gibt jemanden, der es mMn noch besser und deutlich "radikaler" rüberbringt.
Wie auch bei Island dürfte es für Victoria fast unmöglich gewesen sein, an ihren Top-Favoritenstatus von letztem Jahr noch einmal heranzukommen.
06. Tschechien - Benny Cristo - Omaga ("Oh my God")
Der angolanisch-stämmige Tscheche hingegen hat sich, nachdem er letztes Jahr aus seinem Song "Kemama" ("Okay, Mama") mehrere missglückte Revamps gebastelt hatte, diesmal etwas deutlich eingängigeres zusammengezimmert. Wenngleich man merkt, wie viele Künstler versuchen, ihr Rezept von letztem Jahr zu wiederholen, so profitieren davon natürlich insbesondere diejenigen mehr, bei denen letztes Jahr noch deutlich mehr Luft nach oben war.
05. Irland - Lesley Roy - Maps
Hier kommt einer der wenigen etwas schnelleren und nach jüngerer ESC-Tradition "trommel-intensiveren" Songs. Wie auch letztes Jahr scheint Lesleys Lieblingsnote mit Bezug zum Grundton des Refrains die große Terz zu sein, die dadurch tendenziell ein bisschen zu oft vorkommt. Aber im Vergleich zu den irischen Beiträgen der letzten Jahre ist das Rekord-Siegerland diesmal endlich wieder ein bisschen stärker im Rennen.
04. Slowenien - Ana Soklič - Amen
Seit Österreich einmal mit einem Gospel-Song die Juryabstimmung gewonnen hat, scheint das Genre wieder im Trend zu sein. Wenngleich die schwedischen Gospel-Damen der vergangenen beiden Jahre es diesmal nicht durch ihren Vorentscheid geschafft haben, Ana schafft das auch ganz alleine. Leider scheint die Fangemeinde ihre Gesangsfähigkeiten wie auch letztes Jahr nicht wirklich zu würdigen wissen... aber genau dafür sind die Juries am Abend der Show ja da.
03. Litauen - The Roop - Discoteque
Der Titel ist aus einem sich mir entziehenden Grund mit Absicht falsch geschrieben. The Roop, die letztes Jahr die innerdeutsche Ersatz-Abstimmung für den ESC gewonnen hatten (ich rede von der Live-Show in Hamburg mit Frau Schöneberger, nicht von Stefan Raabs "Free ESC"
), haben es von allen Teilnehmern dieses Jahr mMn am ehesten geschafft, den Hype, den sie vergangenes Jahr mit "On Fire" erzeugt hatten, erneut zu replizieren. Den Song finde ich zwar musikalisch nicht ganz so stark, textlich aber intelligenter, und die Tanzmoves sind dafür umso ausgeflippter. Vor allem passen sie aber diesmal inhaltlich besser zum Song ("Let's discoteque right at my home / It is okay to dance alone.") Also ja, auch hier hört man den Corona-Einfluss heraus... aber wenigstens nicht auf eine Weise, die es darauf anlegt, die Leute zu deprimieren, sondern eher im Gegenteil. Damit zählen The Roop wie auch letztes Jahr zu den Favoriten. Genau wie ihr baltischer Kollege Uku mussten sie sich trotz der Leistung des vergangenen Jahres noch einmal durch ihren Vorentscheid schlagen. Da Litauen als einziges baltisches Land noch nie gewonnen hat, wäre es ihnen mit dieser doppelten Leistung durchaus zu gönnen.
02. Finnland - Blind Channel - Dark Side
Endlich hat Finnland wieder zur Besinnung gefunden und macht das, was es am besten kann: Seit der True-Metal-Band Teräsbetoni 2008 hat man dergleichen nicht mehr aus dem Land mit der höchsten Pro-Kopf-Dichte an Metalbands gehört. Wenngleich die Band ihr eigenes Genre offenbar gar nicht als Metal, sondern als "Violent Pop" bezeichnet... aber das bestätigt die These eigentlich nur noch mehr, denn im Metal macht ja bekanntlich fast jede Band ihr eigenes Subgenre auf.
Von der Produktion gefällt mir der Song auch deutlich besser, weil der Sound düsterer ist und näher dran an dem, was ich auch im realen Leben hören würde. Viele andere Metal-Bands haben sich beim ESC bisher leider oft genötigt gesehen, etwas "vom Gas zu gehen" und die Produktion softer, künstlicher, überproduzierter oder auf irgendeine andere Weise massentauglicher zu machen. Wenngleich hier immer noch viele Metal-Klischees bedient werden, u.a. mit Bezug auf den Club 27, sodass man leicht wieder vergessen kann, dass Finnland momentan das statistisch glücklichste Land der Welt ist, ist es doch trotzdem erleichternd, endlich nochmal ein paar 7-saitige Gitarren beim ESC zu hören - und zeitgleich festzustellen, dass der Song auch bei der Kern-Fanbasis, die es sonst nicht so mit Gitarren hat, ziemlich gut anzukommen scheint.
01. Dänemark - Fyr og Flamme - Øve os på hinanden ("Üben wir aneinander")
Das wäre dann wohl mein "Guilty Pleasure" für dieses Jahr.
Auch, wenn ich eigentlich nichts daran "guilty" finde, denn Dänemark macht endlich noch einmal ESC so, wie man ihn sich klassischerweise vorstellt: In Landessprache (für Dänemark erstmalig seit den 90ern), mit Bigband, eigenwilligen Tanzmoves, etwas kitschig, bunt und thrashig, ohne pathetische, pseudo-philosophische oder versteckte gesellschaftspolitische Botschaft. Einfach nur drei Minuten harmloser Spaß mit eingängigem Gitarrenriff. Sie reihen sich natürlich in die Liste der 80er-Revival-Beiträge in diesem Jahr ein, womit sie ein bisschen den Eindruck machen, als wären sie die dänischen Walk the Moon. Leider scheint die Kern-Fanbasis die Darbietung eher albern zu finden, und die Juries werden wohl erst recht nicht dafür abstimmen. Also rechne ich damit, dass sie im Halbfinale rausfliegen. Aber naja - wie der Titel nahelegt: Man kann es ja zumindest versuchen.
Insgesamt finde ich es leider einen relativ schwachen Jahrgang, was u.a. damit zusammenhängen könnte, dass mehr Künstler denn je von letztem Jahr gesetzt waren und ihre Beiträge dadurch keinen meritokratischen Prozess mehr durchlaufen mussten. Zusätzlich aber haben leider auch selbst viele der Länder, die wie jedes Jahr ihren Vorentscheid abgehalten haben (Schweden, Norwegen, Dänemark, Portugal, Italien, Estland, Litauen etc.) teilweise eher mittelmäßige Songs ausgewählt. Insbesondere Schweden und Norwegen hätten mehrere deutlich bessere Optionen gehabt, aber am Ende kam dann doch nur der reichlich beliebig-klingende größte gemeinsame Nenner heraus.