Geschichte des Akkordeons: Ein unnötiges amerikanische Patent für einen Bariton-Bass von Giulietti?

Akkordeonengel
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Guten Tag,

Ich habe ein sehr interessantes und wertvolles historisches Dokument gelesen. Es geht um das amerikanische Patent von Julio Giulietti von 1964 (Originaltext in diesem Link sowie im Anhang). Da ich die Gründe dafür nicht verstehe, habe ich diesen Thread erstellt. Also:

Giulietti behauptet in seinem Patent von 1964, er wolle das Gewicht des Instruments verringern, indem er die Unabhängigkeit von Standard- und Bariton-Bässen aufheben wolle. Er wird dies tun, indem er separate Stimmstocken für Standardbässe entfernt (Abb 1, rote Farbe „Fig 3“ ) und verwendet Stimmplatten von Stimmstocken nicht nur für Baritonbass sondern auch auch für Standardbass (Abb 1 unten). Zu diesem Zweck ist auch die Bassmechanik angepasst, die für Standard- und Baritonbässe gemeinsam ist (Abb 2).
ABb 1.jpg Abb 2.jpg

Mein vorhandenes Wissen:
Venanzio Morino (wie auch andere Italiener und Deutsche) baut schon seit ca. 1933 vollständige und gründlich zweckmäßige Kombi-Systeme von MII und MIII (Modelle 5055 und 5555). Wenn man sich ihrem Stimmstocken ansieht, dann ist klar, dass diese immer von beiden Systemen (MII und MIII) verwendet werden. O.T.-Bemerkung: MII war in diesem Fall eine Doppelreihe mit einer Tonumfang von 41 Tönen…):
Abb 3.jpgAbb 4.jpg

Die gleiche Situation ist in den ersten tollen berühmten Baritoninstrumenten Artiste (ab 1951 ! ) und Morino VI M (ab 1954 ! ). Wie zu sehen ist, haben diese Instrumente im Bass-Halbkorpus vier Stimmstocke mit insgesamt 116 Stimmplatten, die gemainsam sowohl für MII als auch in MIII (58 Knöpfe) konsistent verwendet werden. In diesem Instrument gibt es kein Stimmstock, der ausschließlich nur für MII-Bass verwendet wird:
Abb 5.jpg

Meine Fragen:
Wenn es schon ein bewährtes Prinzip für die Verwendung eines Kombisystems gab, warum patentierte Giulietti es dann im 1964 (1967) wieder?
Wirklich baute (Giulietti?) seine frühere Instrumente mit strikt getrennten Stimmstocken und Bassmechanik für MIII und MII?
Wenn ja, hat jemand ein solches Instrument gesehen?

Hmm, für mich ist es eine unbekannte, aber sehr spannende Geschichte meines beliebten Instruments... :)

Gruß, Vladimir
 
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Hallo!
Wenn ja, hat jemand ein solches Instrument gesehen?
Alles, was ich tun musste, um Antworten auf meine Fragen zu erhalten, war zu warten und mir die Webanzeigen anzusehen (bitte hier und hier):

Also, altes System:
Alte Anordnung.jpg
Wirklich baute (Giulietti?) seine frühere Instrumente mit strikt getrennten Stimmstocken und Bassmechanik für MIII und MII?
Nein, nur die größte Stimmplatten für Grundbass und Beibass waren räumlich strikt getrennt (auf getrennten Resonatoren). Die Stimmplatten für die höheren Töne des Akkords befinden sich auf denselben Resonatoren (Stimmstocken) wie die Stimmplatten fürs Einzeltonbass-Manual:
Altes System.jpg
Das Instrument hat 55 Knöpfe für (zweichöriger) melodischen Bass. Hinweis: Die Stimmzungen haben zusätzlich zur Hauptniete eine zweite, kleinere Niete. Das habe ich noch nie zuvor gesehen:
Bass-Manuals.jpg Altes Instrument.jpg Diskant Stimmzungen.jpg

Zum Vergleich: ein neueres ("patentiertes“) System:
Neue Anordnung.jpg
Das Instrument hat 52 Knöpfe für (zweichöriger) melodischen Bass.
Neues Instrument.jpg Neues System.jpg

Aus Sicht der heutigen Konverter ist es nur eine schöne Geschichte der alten goldenen Tage.

Liebe Grüße, Vladimir
 
Wie zu sehen ist, haben diese Instrumente im Bass-Halbkorpus vier Stimmstocke mit insgesamt 116 Stimmplatten, die gemainsam sowohl für MII als auch in MIII (58 Knöpfe) konsistent verwendet werden. In diesem Instrument gibt es kein Stimmstock, der ausschließlich nur für MII-Bass verwendet wird:
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Gruß, Vladimir
hier möchte ich noch etwas ergänzen:
Die VI M hat noch einen Stimmstock, den man eben NICHT sieht.
Er kommt zum Vorschein, wenn man den im Bild oberen Stimmstock ausbaut.
Darin sind 12 tiefe (riesige) Sätze mit 32 und 16 Fuß Stimmplatten, die sich den gleichen Luftschacht teilen (also ist 32- Fuß in der tiefsten Oktave nicht separat spielbar) Sie sind um 180 Grad versetzt.
Es gibt den tiefsten 16-Fuß also doppelt.
Und noch eine Oktave irgendwo mittig ist doppelt besetzt, denn diese klingt nur bei einem einchörigen Register und nicht oktaviert in dem anderen. Und auch nicht bei der Akkordkopplung im Stradella.

Als Folge klingen die beiden einchörigen Register - in gleicher Tonhöhe gespielt- ziemlich unterschiedlich.
Das tiefe Register klingt eher wie höhengefiltert, sanft, flötig
Das hohe Register klingt dagegen brilliant, obertonreich.

Insgesamt merkt man aber deutlich gewisse Timbreveränderungen, wenn man in bestimmte Oktavübergänge kommt.
Von daher ist bei diesem Instrument bei einchörigem M3 Spiel die Registerwahl klanglich relevant.
 
Die VI M hat noch einen Stimmstock, den man eben NICHT sieht.
Er kommt zum Vorschein, wenn man den im Bild oberen Stimmstock ausbaut.
Wirklich? Basierend auf dem Foto von @maxito nahm ich an, dass es sich um einen einzelnen großen Resonator handelte, mit der Kontraoktave in der Ober-Etage und der großen Oktave darunter:
1657701293369.png
Quelle: https://www.musiker-board.de/thread...nen-erfahrungen-meinungen.657849/post-8221753

Habe ich Dich richtig verstanden? Sind beide Stimmstock-Etagen trennbar?

VG, VLadimir
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich mache später noch ein Foto von dem getarnten Doppelstimmstock.
Der sichtbare und der versenkte sind unabhängig voneinander. Der Versengte hat fest gekoppelt 32‘ 16‘ in der tiefsten Oktave. E bis D#
Der sichtbare obendrauf hat die 12 tiefsten Töne im 16‘ - quasi die selben Töne wie im gekoppelten, aber separat schaltbar. Es gibt also separate versetzte Lufteinlässe, die auch standardmäßig registriert sind.
Da der einzige tiefste 32‘ fest mit einem 16‘ verbaut ist (der nicht sichtbare), kann man jedoch bei der VIM niemals die tiefste Oktave in 32‘ alleine spielen.

Bei dem Foto sieht man: die geschlossenen Lufteinlässen beziehen sich auf den sichtbaren Stimmstock.
Die offenen zeigen die Öffnung zum NICHT sichtbaren versengten.
Man sieht auch schön, dass der sich zweiteilt und noch drinsteckt :) das heißt man schaut quasi IN den versenkten Stimmstock rein.

PS: die Bezeichnung 32‘ und 16‘ ist jetzt ggf nicht korrekt, soll nur verdeutlichen, dass unterschiedliche Oktaven klingen
 
Zuletzt bearbeitet:
Wirklich? Basierend auf dem Foto von @maxito nahm ich an, dass es sich um einen einzelnen großen Resonator handelte, mit der Kontraoktave in der Ober-Etage und der großen Oktave darunter:
ja und nein!

Es hat schon jede Stimmplatte ihre eigene Kanzelle. Nur laufen die Kanzellen nicht komplett getrennt bis zur Tonklappe, sondern im unteren Bereich fehlt dann das trennende Brett und die Kanzellenräume laufen dann zusammen bis zur Tonklappe /Planfüllung weiter.

Ob das 32´, 16´oder sonstwelche Füße sind, das ist mir ehrlich gesagt egal ... es sind auf jeden Fall die tiefste Oktave des Grundbasses und die tiefste Oktave des Beibasses, die so auf dem Stimmstock angebracht sind. Somit spielt man auf der tiefsten Oktave bei der Morino VIM im Melodiebass immer zusammen mit dem zweiten Chor , der ja eine Oktave höher notiert ist.

Dieses Konstruktionsprinzip findet sich fast identisch auch bei den alten Melodiebassgolas - nur mit dem Unterschied, das dort dann tatsächlich noch ein Schieber im Stimmstock eingebaut ist, so das sich die Chöre bei der Gola auch tatsächlich einzeln schalten lassen... Vom sonstigen Generalaufbau jedoch praktisch identisch.
 
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Hallo, zum Glück habe ich die Kiste geöffnet und meine verzerrte Erinnerung kann korrigiert werden :)

Also:
Meine VIM hat bei besagtem Stimmstock EINEN riesen DOPPELTEN Stimmstock, der in zwei "Etagen" gebaut ist. Es gibt EINEN Luftstom für beide. Die Luft kommt zuerst zu der zweittiefsten Oktave (das ist die die man rausragen sieht) und zieht dann an einem potentiellen Registerschieber vorbei zu der innen liegenden (verborgenen) tiefsten Oktave. Der Registerschieber liegt INNEN mitten im Stimmstock in einer entsprechend dünnen Aussparung und kann den Zugang zur tiefsten Oktave sperren.
Damit die tiefste Oktave aber klingen kann, muss die Luft über die zweittiefste Oktave weiterziehen. Der ganze doppelte Stimmstock ist an einem Stück Holz gefertigt.
 

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Hallo,

Ich mache später noch ein Foto von dem getarnten Doppelstimmstock.
Super! Danke für die Mühe! Eine solche Konstruktion ist wirklich beeindruckend. Außerdem ist mir aufgefallen, dass dieser große "zweistufige" Resonator (im Vergleich zu Giuliettis "einstufige" Konstruktion) beim VIM viel stärker in den Resonanzboden eingelassen ist, wobei die große Stimmplatten nach innen ausgerichtet sind. Dem Balg-Falten gegenüber steht die leere Holzwand des hinteren Teils den Stimmkanzellen. Daher musste Morino im Gegensatz zu Giulietti keine zusätzlichen "Schutzstreifen" (sichtbar auf beiden Giuliettis Instrumenten oben) verwenden, falls die Ventile durch die Falten des Balgs beschädigt werden könnten. Ja, man kann argumentieren, dass die VIM breiter aufgestellt ist. Allerdings habe ich solche Schutzstreifen auch bei Golas - die deutlich "schlanker" sind - noch nie gesehen. Hohner hatte hier eindeutig ein besseres Design. :great:

Gruß, Vladimir
 
Hallo,


Super! Danke für die Mühe! Eine solche Konstruktion ist wirklich beeindruckend. Außerdem ist mir aufgefallen, dass dieser große "zweistufige" Resonator (im Vergleich zu Giuliettis "einstufige" Konstruktion) beim VIM viel stärker in den Resonanzboden eingelassen ist, wobei die große Stimmplatten nach innen ausgerichtet sind. Dem Balg-Falten gegenüber steht die leere Holzwand des hinteren Teils den Stimmkanzellen. Daher musste Morino im Gegensatz zu Giulietti keine zusätzlichen "Schutzstreifen" (sichtbar auf beiden Giuliettis Instrumenten oben) verwenden, falls die Ventile durch die Falten des Balgs beschädigt werden könnten. Ja, man kann argumentieren, dass die VIM breiter aufgestellt ist. Allerdings habe ich solche Schutzstreifen auch bei Golas - die deutlich "schlanker" sind - noch nie gesehen. Hohner hatte hier eindeutig ein besseres Design. :great:

Gruß, Vladimir
Ja, die Dicken Stimmstöcke haben quasi ein eigenes umschlossenes Fach und sind rundum geschützt. Bei Maxitos Bild sieht man das auch schön. Er hat bloß den großen Stimmstock daneben gestellt. Dann sieht man nicht, dass er doppelt konstruiert ist. Ich weiß jedenfalls noch, wie ich die Dinger anfangs gesucht habe und auch erstmal checken musste, dass man dafür den Balg komplett mittels vier Hebel abnehmen kann/muss.
 
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hast du den angekokelt?
Meiner Meinung nach hat es an ein namenloses westslowakisches Mitglied angepasst: versengte oder versenkte, mir ist es alles egal. :D:engel:
Die Fotos von @maxito und @Malineck sind wunderschön und haben einen super Aussagewert. :hat: :great:

Viele Grüße, Vladimir
 
enn es schon ein bewährtes Prinzip für die Verwendung eines Kombisystems gab, warum patentierte Giulietti es dann im 1
Nein, nur die größte Stimmplatten für Grundbass und Beibass waren räumlich strikt getrennt (auf getrennten Resonatoren). Die Stimmplatten für die höheren Töne des Akkords befinden sich auf denselben Resonatoren (Stimmstocken) wie die Stimmplatten fürs Einzeltonbass-Manual:

Auch wenn es vielleicht etwas off-Topic war den Exkurs auf die Morino VIM abzulenken, ist es viellicht dennoch hilfreich um rauszubekommen, warum bei der Giullietti die tiefen Baritonbaässe doppelt eingebaut waren.

Bei der Morino VI M sind die beiden tiefsten Oktafen auf einem Stimmstock in Langkanzellenbauweise aufgebebaut - das macht beim Standardbassspiel einen richtigen Wumms im Bass - da wirken dies Stimmzungen richtig kräftig.

Wie Malineck schon erwähnte und was ich bestätigen kann - wenn man jetzt aber Melodiebass spielt und spielt eine Tonfolge die von den normalen Stimmsöcken auf Töne kommt die auf den Langkanzellen liegen, dann gibt das vom Toncharakter einen ganz anderen Klang. Und das kann mitunter als klanglicher Bruch empfunden werden.

Wenn man aber die tiefsten Töne ebenso auf "normalen" Stimmstöcken aufbaut, dann ergibt das klanglich einen ähnlichen Charakter und man kann über die gesamten Töne spielen, ohne dass es einen klanglichen Bruch gibt. Ich könnte mir vorstellen, dass das den Erbauern dieser Giullietti so wichtig war, dass diese hierfür extra nochmal extra Stimmplatten auf einem extra Stimmstock eingebaut hatten.
 
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