[Gitarre] Harley Benton R446 Super-Strat - weit mehr als erwartet

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Immer wieder bestelle ich mir beim großen T Instrumente der Hausmarke, quasi als Kompass um das unterste Preissegment von höherpreisigen Instrumenten abtrennen zu können. Gleich vorweg. Hier fällt das verdammt schwer.

Es ist ja nicht so, als hätte ich nicht genug Gitarren, eher zu viele, aber immer wieder werde ich nach dem einen oder anderen gefragt und trenne mich dann auch wieder davon. Mehrmals im Jahr werde ich auch um Rat gefragt, was man denn für die Kinder kaufen soll, oder ob ich das Setup oder kleinere Reparaturen machen kann, etc. So werde ich in der Regel meine Versuchsobjekte auch wieder los.
Da ich eigentlich immer für die Kids Gitarren ohne Trem empfehle, es bei mir auch selber nur selten zum Einsatz kommt, aber viele ST-Typen im unteren Preissegment mit angeboten werden, kam mir ein B-Ware Angebot (wenn ich mich recht erinnere um die €120,-) der R446 gerade recht. Das war im Frühjahr 2023.

Also ohne Vorfreude bestellt und drei Tage (ja nach Österreich dauerts etwas länger) später war sie da. Wie immer mit anstandsloser Vollständigkeit und gut verpackt.

Der Erste Eindruck, als ich sie aus der Folie zog war: Mist. Jetzt weiß ich, warum sie so billig ist. Am Headstock war der rote Klarlack abgeplatzt und darunter die silber-Metallic Lackierung zu sehen. Gut, ich habe deutlich weniger bezahlt, so wenig, dass mich auch ein unlackierter Bausatz nicht geschreckt hätte, aber schade wars trotzdem.

Als sie dann am Setuptisch lag, betrachtete ich sie sehr, sehr genau. Keine weiteren Lackfehler, eigentlich sehr ordentliches Setup, passgenaue Halstasche, robuste und bequeme Brücke ohne kratzend herausstehende Madenschrauben. Die Mechaniken kannte ich ja schon, sie sind zuverlässig und eigentlich Mittelklasse, der Sattel ist super an- und eingepasst, also mit zu Saitenstärke und Radius passenden Kerben versehen und äußerst niedrig. Da habe ich sie gleich gestimmt und trocken angespielt, in Erwartung hier erste Probleme zu bemerken. Denkste: Sie klingt trocken drahtig und kernig, ich fand keine Deadspots, der flache Sattel bietet ein einfaches Spielerlebnis. Oft haben Anfänger hier ja Probleme mit offenen Akkorden, wenn sie wegen eines hohen Sattels viel Kraft brauchen. Nicht so hier.
Einzig auf der tiefen E-Saite passte irgendwas nicht, das klang schräg. Das Stimmgerät bestätigte die Wahrnehmung: Wenn das E offen richtig ist, ist das G am dritten Bund 4ct zu hoch, das A am 5. Bund um 5ct, danach relativiert sich das ganze wieder bis zum 12. Bund. Seltsam, dachte ich mir und machte mal die Saiten ab.

Der Hals hat annähernd das Wizard Gio Profil, nennt sich hier Slim, hat aber nichts mit Slim-Taper zu tun, also ein Flitzefingerhals, ist matt lackiert und wird von einem sehr dunklen, eleganten, feinen mit weißem Binding eingefassten Griffbrett mit Offset-Dots und flachem, zum Halsprofil passendem 400mm Radius geziert, die angenehm dimensionierten 24 Jumbobünde sind allesamt, auch in höchsten Lagen, sauber abgerundet worden ohne Binding oder Griffbrett sichtbar in Mitleidenschaft zu ziehen.
Das untere kurze Horn hat an der Rückseite eine extra Fräsung um der Griffhand das letzte Bisschen Freiheit zu bieten, das man braucht um locker bis zum 24. Bund zu spielen. Die Korpusform ist bequem und sieht schnittig aus.

Ab Werk ist ein 10-46 Satz drauf. Ich habe mich erstmal für 9-46 entschieden. Beim Aufziehen der Saiten fällt auf, wie gut die Korpusbohrungen mit der Brückenposition zusammenpassen, kein nerviges Gefädel, wie bei manch anderen.

Nach zwei Saiten waren mir schon die Mechaniken zu mühsam. Nicht, dass sie schlecht wären, aber ich hatte mir mal vor Jahren einen Haufen HB Locking Mechaniken auf Lager gelegt (5 pro Farbe) und da waren noch schwarze übrig, die ich dann auch sofort verbaut habe (Plug&Play, Sache von 10 Minuten). Dann auch gleich die Gurtpins gegen Lockings getauscht, da ich schon oft genug Cuts in meine Gitarren gehaut habe, weil beim Abstellen oder aus dem Ständer nehmen, der Gurt runtergerutscht ist. Die Dinger kosten € 7,- und sind ihr Geld mehr als Wert. Schaller ist auch nur teurer...

So, also mit den neuen Klemm-Mechaniken die Saiten drauf, gedehnt, Hals etwas nachgestellt (geht butterweich und präzise), Brücke noch nen Tick runter, gestimmt und verblüfft über eine Ibanez-typische niedrige Saitenlage. Gleich Feinabstimmung und Intonation und ich war hier echt begeistert. Die Bünde sind hervorragend abgerichtet. Da schnarrt nix, das geht auf 1,2-1,6mm runter, also noch weiter als bei meinen "geplekten". Ich habe nur eine Gitarre mit einer derartigen Saitenlage.
Also weg vom Tisch ran an den Amp, nochmal nachgestimmt und wieder über die E-Saite geärgert. Das kann doch nicht sein. Forum befragt, verschieden starke E-Saiten von 42-60 probiert, Earvana rausgekramt, runtergefeilt, montiert. Besser. Jetzt hat sie maximal 2ct Abweichung, aber einen cremefarbenen Sattel. ÄRGER und ab an die Wand damit.

Nach drei Wochen habe ich sie mir nochmal vorgenommen. Bünde nachgemessen, nochmal zerlegt. Hals abgeschraubt, wieder angeschraubt, wieder von der Passgenauigkeit begeistert, Earvana wieder rausgenommen und nochmal den Originalsattel probiert. Der passt von der Saitenlage auch einfach besser und optisch sowieso. Frisches Setup mit 10-52 auf D# gestimmt und: 1ct Abweichung am 3. Bund, 1-2ct am 5. Bund. Also alles bestens. Ich kann mir das nur so erklären, dass wohl der Hals doch nicht genau montiert war, oder der Sattel? Ich weiß es nicht und werde es wohl nie erfahren.

Jetzt endlich wirklich an den Amp. Zuerst Clean am Peavy Classic 30, meiner liebsten Interpretation von Tweed-Amp. Die Artec Ceramic Humbucker erinnern schon optisch an die "Plastikdeckel V7/V8" von Ibanez und dieser Eindruck bleibt auch am Amp bestehen. Sind die Vorbilder schon durchaus brauchbar, sind diese Interpretationen naja, etwas dem Preis entsprechender. Die Halsposition zeigt sich bassstark aber etwas träge und wenig obertonreich, die Bridge-Position ist das, was man erwartet, Mitten und Höhen mit einem Hauch von Fundament, die goldene Mitte klingt wie bei den meisten dann clean sehr glockig. Ich habe dann den Neck- um 2mm, den Bridge-Pickup um einen Millimeter runtergedreht und damit öffnet sich das Klangbild, speziell am Hals deutlich. Der Peavey ist nicht unbedingt ein Gain-Monster, aber er hat seine Tweed-Gene, wunderbar für (Semi-)Hollows, Teles, Strats, aber nein, hier passt diese Gitarre nicht so recht dazu, verzerrt wirds wenig artikuliert und fast unangenehm klirrig. Also weiter zum Gigmaster 15. Hier wirkt sie clean fast so steril wie mit aktiven Pickups, glasklar, allerdings auch langweilig und trocken. Im Zerrkanal dann entfaltet sie ihre Talente. So macht das Spass. Von dreckigem Rock bis Hairmetal geht da eigentlich alles auf Bridgeposition am Neck lässt sich gut solieren, die Mittelstellung hat allerdings keine Daseinsberechtigung.

Klong. Ich bin mit dem Cliptuner an die Box gestoßen und siehe da, das nächste Cut im roten Klarlack. Der ist offensichtlich extrem anfällig. Naja.

Ich habe sie dann am nächsten Tag mit ins Büro genommen, wo ein Spark40 normalerweise mit meiner Gio RG gegen Konzentrationslücken hilft. Der Spark ist ja ein Modeller, also macht er erstmal das bestmögliche aus dem Input um das dann weiter zu verarbeiten. Hier kann man quasi alles simulieren, er braucht kaum Platz und klingt dank bassstarker Breitbänder nie topfig wie ein 1x6" oder 1x8" Combo. Ja, so macht das Spaß. Hier lädt man Presets für einen Song und dann klingt sie auch genauso, wie man es erwartet. Da gibts keine Präferenzen, die Pickups beweisen, dass sie die Saiten gut trennen können und von Beatles bis Rammstein passt das Klangbild. Auf der D-Saite im 16. Bund habe ich nun doch einen Punkt entdeckt, in dem das Sustain kürzer ist. Kein Deadspot, aber doch beim Solieren wahrnehmbar. Eine 1/12 Umdrehung der oberen Madenschraube an der Brücke später war das Behoben. Ob es an der Brücke oder der Saitenlage lag, weiß ich auch nicht, aber jetzt ist das Setup perfekt. Auch auf D passt die Saitenlage noch. Ab C#-Tuning müsste man an Halsstab und Brücke schrauben, brauch ich aber nicht.
Nach einigen Tagen, wo die Arbeit keine Konzentrationspausen zuließ, konnte ich mich dann dem Vergleich mit der RG hingeben.

Der Korpus der R446 ist nochmal ergonomischer (die Ibanez hat mehr Bellycut, die Harley dafür die Fräsung im Horn, die Hälse sind praktisch identisch, wobei die RG dickere Bünde drauf hat, was für mich aber kein Vorteil ist (ich mag sie Vintage oder Jahrzehnte alte Jumbos^^). Die R446 hängt auch mit Locking-Mechaniken stabiler am Gurt als die Ibanez, wiegt aber auch einen Tick mehr. Beim Sustain geht der Punkt klar an die R446, da kann eine Trem Gitarre nicht mit, beim Sound auch, die GRG170 hat dafür einen SC, aber nein, da klingt nichts besser, die Infinity Pickups von Ibanez sind auch echt nicht gut. Das Trem der Ibanez ist bei mir fixiert, von daher gleichstand beim Spielgefühl.
Auffällig ist, dass der Lack der GRG nach 6 Jahren und viel Anecken noch keine Schäden hat, nicht mal Kratzer vom Plek.

Inzwischen ist "später Hochsommer", auch wenn wir davon kaum was bemerkt haben. Die Gitarre ist noch immer im Büro, die GRG wurde meinem Neffen mit farblich zu Rocksmith passenden Saiten vererbt.


Das bedeutet eindeutig ein positives Fazit.

Die Lackierung am Headstock ist der erste, aber nach einem halben Jahr auch der einzige dauerhafte Kritikpunkt vom unerklärlichen aber gelösten E-Saitenproblem abgesehen.
Natürlich gibt es in (weit) höheren Preisklassen deutlich bessere Gitarren.
Aber die R446 ist äußerst solides, alltagstaugliches, leicht spielbares, gut brauchbares Instrument mit, ganz besonders für den Preis, extrem hoher Verarbeitungsqualität, besonders bei der Bundierung - hier sind wir auf dem gleichen hohen Niveau wie Ibanez erst bei den HP RGs, und dem wirklich tadellos angepassten Sattel.

Es gibt nichts an der Elektrik zu kritisieren, nichts an den Hölzern, auch hier wurde das Beste draus gemacht (leichter Pappelkorpus so gut/eng mit dem Ahornhals verschraubt, dass die Einheit gut schwingt, wunderschönes Griffbrett). Die Auswahl der Tonabnehmer passt gut zum Instrument, die Hardware lässt, bis auf die kleinen Gurtpins nichts zu wünschen übrig.
Wenn man nicht gerade das Pech hat, wie ich, mit der E-Saite (das lässt mir keine Ruhe), kann man hier eine Gitarre kaufen, die ein Kind oder Jugendlicher viele Jahre spielen wird, ohne leicht was Besseres zu finden. Und wenn, dann war diese R446 keine große Investition im Vergleich zu anderen Ausgaben beim Hobby.
Würde ich unter den Gitarren aus meinem Fundus das nächstbeste Upgrade nach der R446 suchen, würden sich die Schecter C6 Pro, die Ibanez RG421HP (auch erst mit anderer Bridge) und die ESP H3 anbieten, da sind wir aber beim sechsfachen Preis. Alles dazwischen wäre wohl eine Veränderung aber keine Verbesserung. Der Ibanez Gio würde ich die R446 auf jeden Fall vorziehen und das ist wohl das größte Lob, das ich einer Einsteigergitarre aussprechen kann.

Hiermit widerrufe also ich meine langjährige Aussage: "Unter 250 Euro bekommt man keine wirklich brauchbare E-Gitarre und wenns schon billig sein muss, nehmt eine Gio von Ibanez". Nein. nehmt ruhig eine R446 und am besten einen ordentlichen kleinen Modelling Amp mit Breitbänder dazu.


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Das bedeutet eindeutig ein positives Fazit.
, die ein Kind oder Jugendlicher viele Jahre spielen wird,
hmm, wenn man bedenkt welche Aktionen du hier beschreibst, finde ich nicht, daß man sowas einem Kind, Jugendlichen oder Anfänger überhaupt empfehlen kann. Eigentlich brauchen solche Menschen ein Gitarre, die sie einstöpseln und dann damit munter loslegen können, mM..
Trotzdem ein interessantes review.
 
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Cnc- Verarbeitung macht vieles möglich. Auch wenn es vielleicht so mancher Handwerker nicht hören mag: die Präzision ist nicht zu übertreffen. Allerdings ist damit bei weitem nicht die Kuh vom Eis. Die verwendeten Materialien und letztlich die Fertigung/die Montage entscheiden über Flop oder top. Zuletzt muss dann auch noch ein Fachmann die Einstellungen vornehmen. Die Bespielbarkeit heutiger Gitarren ist teilweise atemberaubend. Wenn ich da so an die 70er denke...🤮. Und dann ist da noch die Sache mit dem Sound. Modeler helfen und werden immer bezahlbarer. So kann man gut voran kommen auf dem Weg zum Rockstar. Nur eines wird nicht anders - üben muss man.
 
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hmm, wenn man bedenkt welche Aktionen du hier beschreibst, finde ich nicht, daß man sowas einem Kind, Jugendlichen oder Anfänger überhaupt empfehlen kann. Eigentlich brauchen solche Menschen ein Gitarre, die sie einstöpseln und dann damit munter loslegen können, mM..
Trotzdem ein interessantes review.

Was ich im Review nicht erwähnt habe (schlicht nach dem Kürzen vergessen, obwohl wie man sieht relevant), ist dass ich inzwischen noch drei weitere R446 hier hatte (2 x blau und 1 x grün, alle drei kein B-Stock), die die Probleme nicht hatten und die grüne kam - in der ärgsten Sommerhitze - sogar fast perfekt gestimmt bei meiner Nichte an.

Die drei machen viel Freude. Ich weiss nur nicht, ob dort der Lack auch so filigran ist, noch habe ich nichts negatives gehört.

Ich wollte das Review über das Exemplar schreiben, das ich hier behalten habe, wo die Probleme eben dazu gehören.

Klar sind 4 jetzt auch nicht representativ, aber bei drei tadellosen ich gehe doch davon aus, dass die Sache mit der E-Saite ein einmaliger Ausrutscher war, der vielleicht nicht reklamiert, oder auch vom Erstkäufer verursacht war. Weiters war der Aufwand in Summe geringer, als bei einer mies eingestellt gelieferten Trem-Gitarre (Squier Strats, Gio RGs, auch schon bei PAcificas erlebt,...) Saitenlage und Federspannung korrekt und ordentlich einzustellen, so dass man lange Freude an einem stimmstabilen Tremolo hat. Mechaniken und Gurtpins sind meine Komfort-Wünsche, die haben nix mit der Qualität der Gitarre zu tun, speziell die Tuner sind hundertmal besser als z.B. bei Squier CVs.

Und ja, die maschinelle Fertigung erlaubt heute wirklich gute Instrumente. Hier wurden jedenfalls sehr ordentliche Teile sehr ordentlich zusammengebaut. Ich bin wie gesagt von den Hölzern sehr positiv überrascht ebenso von der Endverarbeitung speziell was die Bundierung angeht.
 
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Schönes Review ich habe die HB R-446 nun auch schon schon eine Weile im Einsatz und spiele sie immer wieder gerne sie ist neben der Richwood Tele meine Lieblingsgitarre mit fester Brücke. Im Übungsraum steht auch noch eine Ibanez GRG140-SB und im Vergleich dazu gefallen mir vor allem die Artec PUs der HB weitaus besser als die IBZ-Infinity bei der Bespielbarkeit des Necks sind beide recht ähnlich ich komme mit jedem gut klar.
 
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Eigentlich brauchen solche Menschen ein Gitarre, die sie einstöpseln und dann damit munter loslegen können, mM..

Das stimmt, aber vor 30 Jahren gab es das auch bei den teuren Marken nicht immer, bzw. wurde erst nach dem Kauf vom Händler richtig eingestellt. Also von daher hat der TE durchaus recht 😉
 

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