Induktionsschleife / Hörunterstützung - welche Möglichkeiten gibt es?

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Neelix2014
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Hallo zusammen,

mein Vater ist ehrenamtlicher Helfer bei uns im Kulturzentrum und wurde gestern von einer Dame angesprochen, warum es denn nicht möglich ist, dass ihr hörgeschädigter Mann im Saal auch etwas hören könnte. Das wäre ja nur ein kleines Kästchen auf der Bühne. Die Frage hat mein Vater jetzt an mich weitergereicht, da er (und die Damen im Kulturzentrum da keine Ahnung von haben).

Jetzt kenne ich für Theatersäle & Co, wenn es was gutes sein soll, nur die Lösung über eine Induktionsschleife und wahlweise passende Empfänger bzw. Hörgeräte, die den Modus "T" unterstützen. Die müsste aber fest installiert werden. Und der Saal wurde erst letztes Jahr komplett neu gemacht. Jetzt wieder alles aufreißen um einen Draht in Wand oder Boden zu verlegen, macht keinen Sinn.

Ich weiß nicht, was die Dame für eine Lösung meint, aber mit "kleinem Kästchen" kommt mir nur die klassische Heimlösung mit Bluetooth in Kopf. Die macht ja in einem Saal keinen Sinn, und wäre auch zu störanfällig bzw. könnte selbst zur Störquelle werden.

Kennt sich da hier jemand aus?
 
Die Induktionsschleife war die ideale Lösung, als fast alle Hörgeräte die Möglichkeit hatten, auf T-Modus umzuschalten. Gerade moderne Geräte verzichten darauf. Das sollte man überlegen. Ich habe selbst keine Erfahrungen, aber vor vielen Jahren Bereiche von Auditorien mit Induktionsschleifen barrierefrei gemacht. Da bin ich allerdings raus. Es soll Möglichkeiten geben, das eigene Smartphone in die Kette einzubinden. Aber da müssen andere helfen.
 
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Hi Neelix!

Na dann mal herzlichen Glückwünsch zum Öffnen der "Büchse der Pandora". :tongue: Das Ganze ist nämlich im Jahr 2025 alles andere als trivial.
"Hörunterstützung 101: Was Sie nie wissen wollten, als Betreiber aber wissen sollten." (Das meine ich im Übrigen ganz wörtlich - es gibt durchaus gesetzliche Anforderungen hinsichtlich Barrierefreiheit in öffentlich Einrichtungen.)

Das "kleine Kästchen" kommt vielleicht je nach Lösung tatsächlich ungefähr hin, vielleicht wurde der Dame auch derartiges mal vom Technikpersonal einer Kulturstätte gezeigt; die Infrastruktur dahinter ist aber meist durchaus "ein wenig" weitläufiger. Aber mal von vorne...

Es gibt verschiedenste Lösungsansätze.

1. Die altbekannte Variante, die seit langen Jahren (allerdings auch mit einer gewissen Evolution bei der genutzten Technik) verbaut wird, ist die sogenannte induktive Hörunterstützung.
Hier macht man sich die Technik zu Nutze, die du bereits genannt hast. Es werden im Boden (kann auch an der Decke sein, wird aber seltenst praktiziert - aus gutem Grund, dazu gleich mehr) entsprechende Leiter verlegt, die in Verbindung mit einem passenden Verstärker ein (verhältnismäßig) starkes Magnetfeld aufbauen. Kleine Spannung (nahezu Kurzschlussbetrieb des Verstärkers), vergleichsweise hoher Strom. Normalerweise möchte man "Störstrahlung" ja eher vermeiden, hier wird sie bewusst genutzt. Dieses Feld lässt sich über mobile Empfänger (an die dann wieder Kopfhörer angeschlossen werden können) oder in den Hörgeräten eingebaute "Telefonspulen" empfangen. Mit sogenannten "Phase Shifted Arrays" (zwei überlappende Schleifen, die vom Verstärker mit 90° Phasenversatz getrieben werden) lässt sich die zu "beschallende" Fläche so eng eingrenzen, dass selbst mehrere nebeneinanderliegende Räume mit derartigen Anlagen ausgestattet werden können, ohne dass ein "overspill" entsteht. Zumindest in horizontaler Richtung ist damit auch eine hohe Abhörsicherheit z.B. bei Konferenzräumen gegeben. Vertikal sieht das u.U. anders aus - Funfact: Da gab es wohl tatsächlich schon Fälle, wo jemand einen Stock tiefer "an der Decke geklebt ist" und brisantes mitgeschnitten hat...

Vorteile: Bewährte Technik, für größere Zuhörerschaft problemlos geeignet, weil quasi "analoges One-To-Many" - den Verstärker interessiert es nicht, ob er ein oder eintausend Hörgeräte bespaßen muss. Rein von den Materialkosten her eine günstige Technik (Verlegung ist natürlich ein Thema), verlässlich und fürs Hauspersonal leicht "durchschaubar", dementsprechend wartungsarm und -freundlich. Jeder, der ein passendes Hörgerät hat, kann direkt "einsteigen", es müssen also keine Zusatzgeräte vom Betreiber vorgehalten werden, die irgendwer ausgeben und wieder einsammeln muss.
Nachteile: Nur bei Neubauten oder Sanierungen im großen Stil sinnvoll, da die Kupferleiter für optimale Homogenität sehr großflächig im Boden verlegt werden müssen - heißt de facto: Bodenbelag einmal neu bitte...
Es soll wohl schon Räumlichkeiten gegeben haben, wo das nachträglich an der Decke verlegt wurde. Aber man muss sich einfach bewusst sein, dass die Feldstärke mit der Entfernung exponentiell abnimmt. Irgendwann macht es dann vom SNR her einfach keinen Spaß mehr, gerade wenn v.a. im Altbau u.U. andere "Störsender" im Raum sind wie Leuchtstofflampen, Halogentrafos, ...
Außerdem ist die Übertragungsqualität nicht wirklich breitbandig, es kommt recht schnell zum HF-Rolloff - allerdings ist für die angedachte Anwendung ein Frequenzspektrum oberhalb von 8k ja selten ein wirkliches Kriterum.
Wie vom Vorredner angemerkt, werden die Geräte mit integrierter Telefonspule aber immer weniger, sodass der Vorteil "schalt' dein Hörgerät um und schon funktionierts" bald dahin sein wird.

2. Die Funk- oder Infrarot-Variante. Man kann sich zum Beispiel klassischer InEar-Strecken bedienen. Also 19"-Sender, da dran eine Richt- oder Rundstrahlantenne und entsprechende Beltpacks für die Zuhörer. Auch das ist "One-To-Many ohne Handshake o.ä.", also wird die Zahl der versorgbaren Zuhörer nur durch die Anzahl der vorgehaltenen Beltpacks begrenzt.

Vorteil: Je nach gewähltem Fabrikat noch einigermaßen günstig realisierbar. Es gibt ja auch bei den günstigen Fabrikaten wie z.B. LD Systems MEI1000 die Beltpacks einzeln.
Nachteile: Das Signal steht am Empfänger an der 3,5mm Klinkenbuchse an. Von dort muss es irgendwie ins Ohr. Also entweder mit Ohrstöpseln, oder mit einer Umhängeschlaufe, die eben quasi eine "Mini-Induktionslösung" vglb. Variante 1 bildet. Der Betreuungsaufwand seitens des Betreibers ist nicht zu unterschätzen. Die Geräte müssen ausgegeben und eingesammelt werden, die Akkus müssen geladen sein, bei Ausgabe von Ohrhören oder OnEar-Hörern kommt das Thema Hygiene / Reinigung mit dazu. Die Kosten erhöhen sich mit der geplanten Anzahl möglicher potentiell versorgbarer Zuhörer, weil für jeden ein entsprechendes Set bereitgehalten werden muss.

Als Pendant zur Funk-Lösung gibt es auch Infrarot-Lösungen. Habe ich in großen Multifunktionshallen / Konferenzräumen schon gesehen. Zum Beispiel Bosch Integrus. Hier können dann auch mehrere Kanäle bereitgestellt werden z.B. für Dolmetscheranwendungen. Der Preis ist da aber eine ganz andere Hausnummer.

3. Die WLAN-Lösung mit "BYOD"-Option (Bring you own device)
Das ist etwas, das relativ gängig ist. Und ich kann mir vorstellen, dass die Dame das mit dem "kleinen Kästchen" meinte. Wie funktioniert das Ganze? Es gibt einen Server, der das Audiosignal über Analogeingänge oder via Dante entgegennimmt. Dieses setzt er in einen digitalen Datenstrom um, der über eine entsprechende Netzwerkinfrastruktur verteilt wird. Die Zuhörer verbinden also ihr eigenes Smartphone mit einer WLAN-SSID (daher eben auch "bring your own device"), installieren eine entsprechende App und können den Stream damit abrufen. Das Smartphone agiert also quasi als "Gateway" für die persönliche Beschallung. Wie es dahinter weitergeht, obliegt dem User. Entweder eben per Klinke / USB-C raus zu eigenen Kopfhörern, oder per Bluetooth vom eigenen Smartphone zum eigenen Hörgerät.

Beispiele dafür: Sennheiser MobileConnect, ListenEverywhere / Listen WiFi, Williams AV Wavecast etc.

Vorteile: Bring you own device. Wer smartphonetechnisch fit ist, bekommt das als Zuhörer recht easy eingerichtet. Im Gegensatz zu allen vorgenannten Lösungen ist das die einzige, die funktioniert, wenn das Hörgerät als Schnittstelle Bluetooth besitzt und keine T-Spule. Übertragungsqualität rein vom Frequenzbereich sicher über jeden Zweifel erhaben, weil voll digital. Was ich halt tatsächlich nicht weiß: Was passiert, wenn im Raum hundert Leute ihr Bluetooth-Hörgerät an ihr Smartphone koppeln. Das funkt ja alles wild in der Gegend rum. Zusätzlich zu besagter WLAN-Infrastruktur, die sich letztlich in einem ähnlichen Frequenzbereich aufhält.
Wenn jemand kein entspreches Endgerät besitzt, besteht die Möglichkeit, entsprechende Empfänger / "abgespeckte" Smartphones im Kiosk-Modus ausgzugeben.
Nachteile: Dem Betreiber wird hier einiges an IT-KnowHow abverlangt, damit das verlässlich spielt. Wenn da tatsächlich 300 Leute kommen, die das nutzen wollen, ist es vorbei mit "ich stell da ne Fritzbox mit Standardsettings ins Eck und dann geht das schon". Da braucht es ein ausgefeiltes System mit mehreren Accesspoints inklusive Controller, leistungsfähigem DHCP-Management und pipapo. Und man bewegt sich in ein Territorium, wo man sich durchaus um das Thema IT-Sicherheit Gedanken machen muss. Ich merke das ja leider immer wieder, wenn ich ein x-beliebiges modernes Gerät in Betrieb nehme: Es geht in die Schädel der Entwickler ums Verrecken nicht rein, dass es tatsächlich im echten Leben abseits des Schreibtisches Anwendungen gibt, wo man drahtlose Konnektivität benötigt, aber diese nicht nutzen will, um im Internet rumzudaddeln. Findet das Gerät keine entsprechenden Server, kommt nach drei Sekunden die Meldung "Aaaaaber das WLAN hat ja gar keinen Internetzugang!!!!!1111einself!!! Wollen Sie wirklich damit verbunden bleiben??? Sind Sie SICHER?!?!?!?!" Manche quittieren dann direkt den Dienst. Oder stellen nach fünf Minuten fest: "Da ist ja ein BayernWLAN nebenan. Damit war ich schon mal verbunden, das hat viel besseren Empfang. UND INTERNET! Geil, dat nehm ick..." Also muss man besagten Internetzugriff fast wohl oder übel in irgendeiner wenigstens rudimentären Form bereitstellen. Da wünsche ich in gewissen Sälen, die von öffentlicher Hand verwaltet werden, schon mal recht viel Spaß...

4. Jetzt ganz neu: Auracast Broadcast Audio
Mein zuständiger MiPro-Außendienstler hätte mich persönlich zum ausführlichen Fachvortrag auf der PLS eingeladen, ich habe es leider aus Termingründen nicht geschafft. Daher habe ich es mir nur in Kürze erklären lassen. Bei Auracast handelt es sich demnach um eine neue Technologie, die auf Bluetooth aufbaut und demnächst auch in alle entsprechenden Endgeräte von dem Herstellern aus implementiert werden soll (m.W.n. gibt es bzw. wird es dazu sogar entsprechende Verpflichtungen geben). Damit würde das Ganze im wesentlichen in die Kerbe von Lösung Nummer 3 hauen, allerdings fallen eine Menge Probleme weg. Da die klassische TCP/IP-Übertragung via WLAN ja auf einem kompletten Handshake inklusive aller Schikanen wie IP-Management & Co. basiert, ist der Betreuungsaufwand seitens des Betreibers wie beschrieben immens. Bei Auracast läuft das aber eben völlig anders - da wird der Stream einfach bereitgestellt, der Auracast-Sender "brüllt ihn quasi raus". Und wer will, hört eben zu - einfach so.

Deine Frage hat mich animiert, mir das Ganze demnächst noch mal detaillierter anzuschauen. Meines Erachtens könnte das wirklich der neue große Wurf werden, da es die Vorteile der digitalen Übertragung und BYOD-Mentalität nutzt, aber die entsprechenden Hürden nimmt, wenn es darum geht, die Endgeräte einfach und verlässlich mit dem entsprechenden Sender zu kombinieren und aber gleichzeitig auch den Verwaltungsaufwand für den Betreiber im Zaum zu halten, inklusive der rechtlichen Seite.


Generell muss man dann halt noch unabhängig dem Thema des Ausspielens des Audiosignales immer noch die Frage stellen, welcher Content denn heute auf der Bühne geliefert wird und wie der überhaupt erstmal in die Audioanlage rein kommt. Der Redner am Rednerpult mit Schwanenhalsmikro oder Kabarettist mit Headset ist da noch die harmloseste Anwendung. Da bekommt man i.d.R. ein sauberes Nutzsignal, wo "viel Redner" und "wenig anderes" drauf ist. Selbst wenn man es mit "Modell Bauchredner" zu tun hat, kann man das im Falle einer individuellen Hörunterstützung zumindest mit höherem Gain kompensieren, im Gegensatz zur Beschallung über Lautsprecher, wo dann Feedbacks vorprogrammiert sind. "Spannender" wird es dann schon z.B. bei Theaterstücken, wo man aus gutem Grund dann lieber oft gar keine Verstärkung verwendet, sofern das Budget nicht gerade 16 Headsets für sämtliche Akteure hergibt. Denn wenn die Mikrofonabnahme für die Mithöranlage so ausschaut, dass da irgendwo in fünf Metern Höhe am Bühnenportal stumpf 08/15 Nieren-Kondenser abgependelt sind, hat man neben dem Rascheln der Kostüme recht zuverlässig Lüftung, umfallende Getränkeflaschen und Erwins Heuschnupfen-Eskapaden in der achten Reihe drauf, das gesprochene Wort auf der Bühne hingegen in kaum verständlichem Maße.
 
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Bei den aktuellen Möglichkeiten weiß ich leider auch nicht bescheid. Ich weiß nur, dass ich damals beim Test und bei der Aussteuerung der eingebauten Induktionsschleife in meiner Stuttgarter Gemeinde vor vielen Jahren, kompetente Hilfe eines Hörgeräteakustikers bekommen habe.
Ich bin in einen Hörgeräteladen gegangen, habe lieb gefragt, ob mich da jemand unterstützen könnte und bin dann mit einem kompetenten Hörgeräteakustiker vor Ort durch den Raum und habe mir selbst ein Bild vom Klang machen können.
Die heutigen Hörgeräte unterstützen ja großteils schon Bluetooth. Geh einfach (so wie ich damals) in einen Laden und lass dich beraten, was da ein zeitgemäßer Sender wäre.
Unsere Induktionsschleife machte nach einiger Zeit keinen Sinn mehr, da die Hörgeräte das nicht mehr unterstützten.
Wir kauften damals einfache analoge Funkopfhörer, die wir verteilten. Das funktionierte auch.
Aber heute wäre sicherlich Bluetooth, oder das Streaming in eine passende App der bessere Weg.
 
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