Kontrapunkt für Videospielmusik

Da ich kein Kinogänger bin und auch sonst überhaupt nicht sonderlich viel Filme schaue, habe ich natürlich keinen sonderlich großen Überblick über Filmmusik im Allgemeinen. Die großen "Klassiker" wie Filmmusiken von Ennio Morricone, Hans Zimmer u.a., ja sogar ein paar Sachen von Erich Wolfgang Korngold sind mir natürlich bekannt.
Imitatorische Elemente gibt es im Arrangement immer wieder, aber spontan fällt mir so recht keine Nummer ein, die so richtigen Kontrapunkt zu bieten hätte, also mindestens eine längere Passage wie eine Fuge z.B.

Wer weiß was?
 
In den Rocky-Filmen gibt es Kontrapunktik, speziell in "Going the Distance":



In Rocky I kommt das Thema als Streicherfuge vor, da ist es noch strenger durchgeführt als in dem verlinkten Video. Ich hab die vor ~30 Jahren mal abgeschrieben (quasi als Notensatzübung mit meinem damaligen ersten Notensatzprogramm "The Note Processor" 😁), vielleicht finde ich die noch. Das Video ist aus Rocky II.

Für den Thread hier ist es vielleicht wichtiger oder interessanter, was Kontrapunktik in Film- oder Videospielmusik überhaupt zu suchen hat bzw. was Kontrapunktik beitragen kann. Immerhin zieht Kontrapunktik durch die mehrfachen Themeneinsätze und die Imitationen die Aufmerksamkeit auf sich - und wenn Musik im Hintergrund bleiben soll, ist zuviel Aufmerksamkeit auf die Musik in der Regel unerwünscht.

Trotzdem funktioniert Kontrapunktik in der Rocky-Filmmusik, ich finde, sie leistet einen wesentlichen Beitrag, um die Geschichte zu erzählen. In der verlinkten Szene bildet die Kontrapunktik die vielfache Mühe und Qual ab, die der Held auf sich nehmen muss, um den Auftrag seiner Frau ("Win!") zu erfüllen. Verschiedene Trainingseinheiten werden durch Themeneinsätze abgebildet, wobei die Polyphonie sich immer mehr zur Homophonie wandelt, und im Moment des Traningserfolgs auch der Triumph in Tönen hörbar wird. Der Held muss leiden und sein Kreuz tragen (bei 1:26). Es wird viel geschlagen, der Groove in Bass+Drums und den Streichern verbindet sich mit den Trainings- und Boxhieben. Vor dem Schlussakkord trommelt Rocky seinen eigenen Wirbel am Speedball (der aufgehängte Boxsack). Das ist natürlich testosterongesteuerte Kompositionstechnik, aber für so einen Film (Rock II 1979!) absolut auf der Höhe der Zeit.

Schön finde ich ja immer so Details, dass z.B. der Röhrenglockenschlag beim Musikeinsatz auch eine direkte Glocken-Entsprechung am Ende der Szene hat: das Glockenspiel, wenn Rockys Sohn gezeigt wird. Selbst das Glockenspiel spielt ein paar Töne des Hauptmotivs, womit der Sohn einen klaren Auftrag in die Wiege gelegt bekommt.

Auf dem Level müsste musikalische Dramaturgie in einem Game funktionieren, dann würde ich vielleicht auch noch zum Gamer werden 😁
 
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Obwohl es ein alter Thread ist ...

Videospielmusik komponieren ... nur bei Kontrapunkt
Interessanter Ansatz :giggle: ... was wurde daraus?

Ich weiss nicht genau wie man vorgehen soll bei dem ganzen Unterfangen, ich hab einfach mal angefangen Spezies Kontrapunkt zu lernen aber bin schnell an nem Punkt gelangt wo ich 3 Bücher und 1 Youtube Playlist ständig gegenlesen musste um auch ja keine Fehler zu machen - ist das normal? :ROFLMAO: Fühlt sich bisschen nach Overkill und verschwendeter Zeit an also hab ichs erstmal gelassen.

Die Grundlage legte ein gewisser Fux in seinem Werk "Gradus ad Parnassum": Die Stufen/der Aufstieg zum Parnass-Gipfel.

Direkte oder indirekte Schüler von Fux waren etwa Bach, Hayden, Mozart, wenn ich da nichts durcheinanderbringe.

"Parnass" ist ein ca. 2450m hoher Gipfel in Griechenland, mit schöner Aussicht, mit Delphi gelegen am Fuße und allerlei mythischer Nähe zur Kunst und Musen.

Und ja: Jene Schüler haben sicher bei aller Begabung auch etwas Zeit (Jahre) gebraucht, zwei- und vielstimming Note-gegen-Note zu setzen :cool:

By the way, findest du das notwendig sich mit Schenkers Theorien auseinanderzusetzen in meinem Fall?
Ich denke am klarsten wird es aus Schenkers letzem Werk "Der freie Satz/Free composition", bearbeitet und ergänzt durch Ernst Oster, der dabei leider verstarb:

Schenkers Ansatz dreht sich im Kern darum, Musik, bestehende oder entstehende, mit den Ohren o.g. Meister zu hören. Es wird sehr schnell klar, dass jene ein musisches Ziel klar vor Ohren hatten. Das nachzuvollziehen oder umgekehrt einfließen zu lassen, ist meiner Ansicht nach ein großer Verdienst von Schenker und Oster.

Ganz kurz, es geht um Struktur, vorwärts (Komposition) wir rückwärts (Analyse) :
  • Hintergrund: kondensiert/komprimiert
  • Mittelgrund: kontrapunktorisch, klanglich wichtigste Strukturen (Verziehrungen i.w.Sinne)
  • Vordergrund: das konkrete ausgearbeitete vielstimmige Musikstück

Zur Ausgangsfrage:

Man braucht nur einen einfachen Test zu machen, und etwa ein kurzes Stück zu nehmen, das man gut kennt und spielen kann.

Variante 1: So wie gehabt ... vermutlich werden sich Takte notenmäßig i.W. wiederholen und entsprechend gleich klingen.

Variante 2: Man arbeitet die u.g. Progression (Ursatz) stimmenmäßig ein, wobei die gleich klingenden Takte/Passagen/Noten bewusst in der äußeren Stimme eingearbeitet bzw. verändert werden. Klingt es jetzt anders? Scheint die Musik nun ein Ziel zu haben? Ich denke, schon. Hat es etwas Magisches? Vielleicht :cool:

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