Maugein - Besuch bei der Akkordeonmanufaktur Juli 2024

cantulia
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Maugein – Besuch bei der Akkordeonmanufaktur Juli 2024

In Frankreich sind noch zwei Akkordeonhersteller aktiv, zum einen Cavagnolo bei Lyon – zum anderen Maugein in Tulle.

Cavagnolo deren Wurzeln in Vercelli, Italien, liegen beschäftigt sich heutzutage schwerpunktmäßig mit dem Umbau und der Herstellung von elektronischen Akkordeons.

Maugein existiert seit 1919 und ist seit jeher in Tulle, im Corrèze, ansässig. Gegründet von dem Klavierstimmer Jean Maugein, welcher in der Akkordeonmanufaktur Dedenis die Technik, den Aufbau und Bau von Akkordeons kennenlernte. 1919 entschied er sich selbstständig mit der Reparatur und dem Bau von Akkordeons zu machen und holte schnell seine Brüder mit ins „Boot“ als die Auftragslage wuchs. Daher firmiert die Firma seitdem unter Maugein Frères. Die Geschichte der Firma ist auf ihrer Homepage beschrieben. Wie alle Akkordeonhersteller unserer Zeit kämpfen sie mit Problemen überleben zu können. Vor wenigen Jahren konnten sie nur aufgrund der Hilfe des, originär aus Tulle stammenden, bekannten Fußballsspielers Laurent Koscielny den Weiterbetrieb sicherstellen.

Einmal im Jahr organisiert man in Tulle ein Akkordeon-Wochenende mit zahlreichen Konzerten und Veranstaltungen, die sogenannten „nuits de nacre“ (Nächte des Perlmutt). Leider findet exakt zu immer demselben Termin ein mir wichtiges Ententreffen (Citroen-2CV), nur für alte Enten mit 6V Elektrik, statt bei dem ich auch musikalisch eingebunden bin, also nicht „fehlen“ kann und möchte.



Das ärgerlichste ist daß es nicht „weit“ von Tulle entfernt in der Auvergne stattfindet, aber zweiteilen kann ich mich nicht.

Für dieses Jahr hatte ich mir aber fest vorgenommen, da ich länger auf Tour sein wollte, die Manufaktur und das vor wenigen Monaten eröffnete neue Akkordoen Museum, „ Cité de l’Accordéon“, in Tulle zu besuchen.

Auf dem Ententreffen ergab sich dann im Gespräch mit meinem Querflötisten-Freund daß auch er die Manufaktur Maugein in ein paar Tagen besuchen will. Er regelte das mit der Besichtigung für uns. Mittwoch 10h:



Im Showroom gab’s unter den neuen ausgestellten Maugein Akkordeons nur ein einziges mit Klaviatur….das mußte ich natürlich anspielen. In Frankreich werden zu ca. 90 % Knopfakkordeons gespielt.



Man möge bitte die nicht perfekten Photos zu entschuldigen, ich benutze eine zwar gute aber schon zwanzig Jahre alte Digilux 2 welche bei schlechten Lichtbedingungen ihre Schwächen hat.

Die Führung begann in der Holzabteilung







Weiter ging es in die Mechanik-Abteilung

Alle Bestandteile der Mechanik werden vor Ort selbst hergestellt, bis vor wenigen Jahren stellten sie auch ihre eigenen Stimmplatten her. Daher auch die Schulungstafeln mit den Stimmplatten und –zungen. Doch leider ist eine der dafür benötigten Maschinen so verschlissen daß sie nun italienische Stimmplatten von Artigiana montieren. Die Maschine um die Stimmzungen zu schleifen befindet sich im Akkordeon-Museum.









Es werden kaum Instrumente auf Vorrat gefertigt da gerade der Vorteil der kleinen Manufaktur darin besteht flexibel auf Kundenwünsche einzugehen. Bestimmte, zum lackiert werden gedachte Rohgehäuse in gängigen Größen, werden meist ein paar auf Vorrat gefertigt. Gehäuse werden nur noch lackiert oder das Holz roh belassen, dann natürlich besondere Hölzer verwandt. Die Gehäuse werden schon länger nicht mehr mit Zelluloid überzogen, mit den heutigen Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen wäre das nicht mehr möglich. Auf Italien angesprochen lächelte man und meinte ja da würde man noch mit den Händen im Aceton arbeiten. Für die zu lackierenden Gehäuse wird ausschließlich Multiplex (wasserfest verleimtes Sperrholz) verwandt um arbeiten des Holzes zu unterbinden.




Blick in die Mechanik-Abteilung













Bei in Frankreich hergestellten Instrumenten, bzw. Instrumenten welche für den französischen Markt in Italien hergestellt werden, werden die Stimmplatten nicht wie im Rest der Welt üblich gewachst, sondern genagelt. Zwischen den Stimmplatten und dem Stimmstock wird eine Dichtung aus Leder bzw. Kork montiert um für Dichtheit zu sorgen. Man versuchte natürlich dieses Alleinstellungsmerkmal als besonders vorteilhaft hervorzuheben, war nicht so ganz schlüssig aber ist halt Tradition in Frankreich. Cavagnolo befestigt die Stimmplatten mittlerweile mit Schrauben so daß Maugein der einzige Verbleibende ist welcher standartmäßig nagelt, sie haben auch Niemanden der Wachsen kann…

Vielleicht sollte ich mich bewerbenJ.

Auch die Bälge werden nicht fremd hergestellt, Balgabteilung







Relikte aus vergangenen Zeiten verstauben neben dem Stimmtisch im Flur




An der Wand im Rahmen der Hammer der ehemaligen Mitarbeiterin Hortense die in 37 Jahren rund 11.250.000 Nägel damit zum Befestigen der Stimmplatten eingeschlagen hat. Gut sichtbar an welcher Stelle des Stieles der Daumen lag.


Zurück im Showroom, die Harmonikas


Und noch historische Akkordeons im Showroom








Ein Blick auf das alte Fabrikgebäude in besseren Zeiten



Und nun auf’s aktuelle Gebäude im Industriegebiet



Ein unbenutztes originales Pappaufstellschild aus den vermutlich 30igern fand sich auch noch



Nach einem Kaffee und einem ausführlichen Tratsch mit einem Maugein Mitarbeiter in dessen Mittagspause der an der Technik und dem Klang meines Cantulia Instrumentes mit dem Diskantklappenverdeck interessiert war ging die Tour weiter in Richtung Innenstadt zur Cité de l’Accordéon

 
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Im Vergleich zu dem, was ich bei einigen Manufakturen in Castelfidardo gesehen habe, sieht es bei Maugein in Frankreich beinahe wie industrielle Großserienfertigung aus.
 
Auf dem vierten Bild erkennt man die Stimmplatten auf Leder genagelt
 
ja danke, dass hatte ich auch entdeckt, wenn man das bild aber vergrössert, wird es leider sehr unscharf und es ist nicht mehr viel zu erkennen. deshalb hatte ich die hoffnung auf eine bessere aufnahme
 
Liebe Musikerboarder,

vielen Dank für die vielen "gefällt mir".
Die Besichtigung in der Manufaktur bestand aus einer Gruppe von ca. 10 Personen. Darunter war ich warscheinlich der Einzige der Akkordeon spielen konnte und zudem von der Technik etwas verstand, der Einzige der einige Fragen stellte bzw. auch Gegenargumente an die Frau brachte, d.h. im Rahmen dieser Führung die für "Plüschöhrchen" abgestimmt war konnte ich nicht wirklich großartig Diskussionen anfangen über die Einzelheiten der Produktion. Das hätte den Fluß der Führung als auch das Interesse der Anderen überfordert. Letztlich habe ich schon ein paar Punkte mit der Guide diskutiert und meinen "Senf" dazu gegeben. Dazu kommt daß man uns beim Anmelden versprochen hatte daß der Feinstimmer uns führen würde, letztlich war es aber leider die einzige Person in der Firma welche nicht handwerklich dort tätig ist sondern sich um die Verwaltung etc kümmert. Sie war zwar durchaus mit dem Aufbau und der Produktion ihrer Akkordeons vertraut und hatte auch einiges technisches Wissen doch tiefergehende Diskussionen waren leider nicht möglich.

Zum Nageln der Stimmplatten:
Ihr war bewußt daß bei Maugein als Einzigem noch die Stimmplatten generell genagelt werden und versuchte natürlich dies als Vorteil herauszustellen. Argumente waren zwei:
- Erstens, seien die Stimmplatten im Reparaturfalle ganz einfach herauszunehmen und wieder zu montieren.
- Zweitens würde das Wachs bei den Akkordeons anderer Hersteller altern.

Beide Argumente sind m.E. nicht so wirklich stichhaltig.

Gerade das herauslösen einer einzelnen Stimmplatte ist bei eingewachsten Stimmplatten einfach, genauso wie auch das folgende wieder-montieren.
Bei einer Nagelung kann ich ja nicht einfach die Nägel herausziehen und dann wieder dieselben Nägel hereindrücken und fertig ist es.
Als Nägel für die Stimmplattenbefestigung werden spezielle Nägel benutzt welche am Schaft profiliert sind damit diese gut im Holz sitzen. Diese Kerben sind so gestaltet daß eine Art verkrallen in einer Richtung, der Beanspruchten, entsteht. Das bedeutet daß wenn ich diese Nägel wieder herausziehe um die Stimmplatte zu lösen dann "raspel" ich mit dieser Profilierung das Holz ein wenig ab. Wenn der gleiche Nagel beim wiederbefestigen nicht mehr hält muß man etwas dickere Nägel benutzen. Das bedeutet daß natürlich jedes Mal der Stimmstock ein wenig darunter leidet und beliebig viele Übergrößen für die Nägel gibt es auch nicht. Die Auswahl ist sehr beschränkt. Zudem ist die Dicke der Nägel auch dadurch beschränkt daß die Kanzellentrennwände natürlich aufgrund der Baugröße möglichst dünn bemessen werden. Zusätzlich erhöht sich mit steigender Dicke der Nägel das Risiko die Kenzellentrennwände zu beschädigen so daß sie spleißen. Das Risiko ist gerenerell bei der Nagelung vorhanden.
Aus diesem Grund muß auch die Konstruktion und das Holz für Stimmstöcke welche zum "nageln" gedacht sind darauf abgestimmt sein. Maugein benutzt nur, wie auch auf einer Tafel auf einem Photo zu lesen, Erlenholz für seine Stimmstöcke wegen seinem geringen Gewicht als auch seiner hohen Dichte. Ich gehe auch davon aus daß die Kanzellentrennwände ein wenig stärker bemessen sein müssen. Ich weiß nicht ob das bei dem in Frankreich üblichen Knopfakkordeon weniger relevant für die Größe des Instrumentes ist.

Zum zweiten Argument daß das Wachs, von anderen Herstellern benutzt, altert und dann Probleme bringt. Da hat sie natürlich recht, aber von welchem Zeitrahmen sprechen wir hier? Das Wachs hält in der Regel mindestens 30 Jahre, es gibt Instrumente bei denen das 50 Jahre alte Wachs noch gut hält. Und was ist mit ausgetrockneten und geschrumpften Lederdichtungen bei genagelten Stimmplatten? Vielleicht ist der verwendete Korg da langlebiger?
Beim Nagel besteht zusätzlich das Risiko die Stimmplatten einseitig zu verspannen, zu verbiegen. Bei Qualitätsstimmplatten mit einem Luftspalt von 2-3/100 besteht das Risiko daß die Zungen dann leicht klemmen.
Das Nageln generell ist risikobehaftet da das Holz leicht spleißt, das muß absolut gekonnt sein. Gut in der Fabrik haben sie jemanden (Beispiel Hortense) der das warscheinlich perfekt kann aber wie ist das beim Raparateur. Beim Wachsen kann passieren daß man es nicht perfekt hinbekommt und nachbessern muß. Auch Ventile können mal Schaden nehmen, aber wenn man beim Nageln mal verrutscht und daneben schlägt ist die Stimmplatte und oder der Stimmstock hinüber - der Schaden groß.
Natürlich ist das halt auch eine französische Tradition, ein Alleinstellungsmerkmal. Sie sind stolz darauf und haben vor einigen Jahren das Prädikat "Entreprise du patrimoine vivant" erhalten (Fabrik des lebendigen Kulturgutes)

Vom technischen- akustischem Standpunkt aus ist es schwierig zu entscheiden was vorteilhafter ist, wirkliche wissenschaftliche Studien dazu gibt es m.W. nicht dazu. Es ist vorteilhaft wenn eine Stimmplatte möglichst innig mit dem Stimmstock verbunden ist, dies erkennt man auch an den Problemen welche sich ergeben wenn das Wachs nicht mehr richtig hält. In diesem Sinne wäre eine Verbindung welche nicht nur die Stimmplatte in Position hält sondern zudem auch noch anpresst sinnvoll. Daher wären Schrauben m.E. durchaus eine gute Sache, man kann sie gefühlvoll anziehen und sie sind, bei richtiger Handhabung, viele Mal selbst in Holz raus- und reinschraubbar. Man könnte sogar einen entsprechend eingestellten Drehmomentschraubendreher benutzen. Aber auch Schrauben benötigen dickere Trennwände als es für's Einwachsen nötig ist, geht also unter Umständen zu lasten der Baugröße. Möglicherweise wird durch das erstarrte und zusammengezogene Wachs auch die Stimmplatte gegen den Stimmstock gepresst?
Anfang des Jahres war ich in Paris und habe mit einem bekannten franzöischen HIM genau über dieses Thema diskutiert (Anlass waren die ehemals genagelten Stimmplatten meine Bertone Locatelli Instrumentes) und auch er (obwohl Franzose) vertrat die Ansicht daß das Einwachsen in jedem Fall von ihm bevorzugt würde.

Beispiel einer Nagelung auf Leder




Hier das Beispiel einer Nagelung und seiner Folgen. Das abgeplatze Holzstück konnte man einfach so abnehmen


Mehr dazu gibt es demnächst im Bertone-Locatelli Bericht, dort geht es dann um die Restaurierung der Stimmstöcke (ehedem genagelt) und der Stimmung.

Danke für Euer Interesse,
Roland
 
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Salut,
soeben erreicht mich eine Rundmail daß die Fa. Maugein ihre Manufaktur geschlossen und die Produktion von Akkordeons eingestellt hat.
Somit war dieser Rundgang im Thread hier wirklich eine letzte Chance Einblicke in die Produktion zu erlangen. Taurig aber absehbar.
Hier ein kurzes Video von Maugein anlässlich der Schließung:


View: https://www.youtube.com/watch?v=xD7VfSURUJE

und hier ein Artikel:


Liebe Grüße,
Roland
 
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Hallo,

die Fa. Maugein ihre Manufaktur geschlossen und die Produktion von Akkordeons eingestellt hat.

Es sind traurige Nachrichten, aber andererseits ist ein Unternehmen doch keine Person, kein Mensch. Wenn ein Mensch stirbt, kann er nicht wiederbelebt werden. Bei einer Marke kam es in der Geschichte oft vor, dass sie nach einer Pause wiederbelebt und Instrumente neu hergestellt wurden. Die Franzosen können in Zukunft mMn. problemlos zur Marke Maugein zurückkehren. Es wird von den Besonderheiten der Umstände abhängen.

Gleichzeitig möchte ich mich bei @cantulia für seine tollen Beiträge bedanken, die für mich immer lehrreich und interessant sind. (y)

Herzliche Grüße, Vladimir
 
Nur mit selber basteln bekommst Du noch ein MAUGEIN–Akko;
viel Spass dabei und schönen Sonntag wünscht Euch Paul Frager.
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