[Preamp] Brunetti Mille CR Preamp

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Hallo Kolleginnen und Kollegen,

wie schon länger versprochen, bespreche ich nun auch den Brunetti-Preamp, den ich im Verlauf meiner Suche nach dem Heiligen Gral ein zweites Mal gekauft habe - diesmal allerdings nicht in der ursprünglichen, blauen Ausführung, sondern in der aktuellen Version als Mille CR, das steht für Custom Release. Das "!" am Ende des Namens ist dabei übrigens wegrationalisiert worden.

Dazu kommt noch ein kleine Modifikation am Preamp, die nach Anweisung von Marco Brunetti durchgeführt wurde. Dazu später mehr.

Der Mille CR ist ein gut ausgestatteter, relativ geradlinig aufgebauter Röhrenpreamp mit MIDI-Funktion.

Er sitzt in einem 19"-Gehäuse in klassischem Schwarz und nimmt 2 HE im Rack ein. Grundsätzlich ist er ein Quasi-4 Kanaler, mit drei Klangregelungen und Boost-Funktion.

Wie man immer mal wieder lesen kann, soll die Schaltung zurückgehen auf den berühmten Custom Audio CAE 3+-Preamp, der lange Zeit DAS Werkzeug in den Racks vieler Stars war, wie Steve Lukather und Kollegen. Die Ähnlichkeit der Schaltung kann ich nicht beurteilen, wohl aber, dass die Innereien sehr überzeugend aussehen und der Sound sehr vielseitig ist und in der Richtung sehr gut funktioniert.

Es sei mir gestattet, nochmal kurz die Vorgeschichte zu schildern: Ich bin ein alter Rack-Fan. Nachdem ich an Preamps viele Jahre einen Peavey Rockmaster, besagten E530 und einen Marshall JMP-1 benutzt hatte, wollte ich endlich mal in die "Boutique-Klasse" aufsteigen und schauen, ob da soundmäßig tatsächlich eine für mich spürbare Steigerung drin ist.

Was ich gesucht hatte, waren mindestens drei Kanäle, ein rauher Sound etwa in Richtung Hot Rod Marshall, also auch ordentlich Gain. Dazu sollte das Ganze nahtlos mit meinem BOSS GT-Pro zusammenarbeiten, also synchron und möglichst ohne Zusatzgeräte umgeschaltet werden können. Das GT-Pro hat ja Schaltbuchsen, und damit kann man rechnerisch ja schon mal 4 Kanäle verwalten. Hatte ich bisher auch getan, nämlich mit meinem ENGL E530. Zwei HE durften es schon sein, und am liebsten ein richtiges "Röhrengrab" mit 4,5 oder noch mehr Vorstufenröhren. Die Zeit schien mir günstig, denn 19"-Preamps sind derzeit nun nicht gerade angesagt und oft sehr günstig zu bekommen. In sofern hielt ich über längere Zeit die Augen auf und schaute mich auch nach in meiner Jugend unerreichbaren Pretiosen wie dem CAE 3+ SE, Mesa Triaxis oder Soldano um, stolperte dann aber über einen Brunetti Mille! und einen Groove Tubes Trio.

Ich hatte dann hier auch mal einen Thread aufgemacht, in dem ich gute Anregungen der Board-Kollegen bekam. Letztlich habe ich erst den Brunetti und dann auch noch den GT gekauft. Den Brunetti habe ich dann wieder verkauft, wobei die Ursache im Lead-Kanal lag, der zwar als solcher sehr gut klang, aber für härtere Rhythmus-Geschichten untenrum zu wenig "Pfund" hatte.

Den VHT Valvulator GP3 habe ich behalten, ebenso den Groove Tubes. Dennoch bedauerte ich den Abgang des Brunetti etwas, vor allem wegen des Clean-Kanals. Irgendwann stolperte ich dann über den aktuellen Mille Custom Release, und so kaufte ich den, in der Hoffnung, dass er mich auch im Lead-Kanal überzeugt.

So sieht der Mille aus:

MilleCR_FRONT.jpg

Optisch also weniger exotisch als die blaue Ur-Version mit den riesigen Volume-Knöpfen. Dennoch hübsch und wertig verpackt, die Chickenhead-Potis sind super zu bedienen und abzulesen. und so sieht in meiem Rack aus:




Die Ausstattung:

Vorne gibts folgendes:
- Eingangsbuchse
- 3 Kanäle mit Gain, Volume und jeweils eigener 3-Band-Klangregelung, zu schalten über farbig beleuchtete Taster
- ein "Vierter Kanal", von dem erst mal nur ein zusätzliches Mastervolume zu sehen ist
- Zusätzliche "Bright" bzw. "Raw"-Kippschalter im Clean- bzw. Crunch-Kanal
- Ein beleuchteter Taster mit der Bezeichnung "Step Up" im Lead-Kanal
- Netzschalter! Ja, das muss man betonen, denn ich finde es doch etwas nervig, wenn der bei einem Rack-Gerät hinten sitzt - da kann man ihn sich eigentlich auch schenken.

Die Rückseite ist voller Anschlüsse, da ist so ziemlich alles geboten:

MilleCR_REAR.jpg

Was gleich auffällt ist das, was NICHT vorhanden ist, nämlich ein Anschluss für normale Fußschalter. Mich störts nicht, da so ein Teil wohl eh immer im MIDI-Verbund eingestzt werden dürfte. Also gibts:

- MIDI In/Thru, wobei der MIDI-In 7 Pole hat und 12 Volt Phantom-Power-Buchse für einen Footcontroller liefert.
- Standard-MIDI-Kabel mit 5 Polen können natürlich auch verwendet werden, wenn das Fußboard z.B. einen eigenen Stromanschluss hat wie das Behringer FCB1010.
- Zwei Paare mit Ausgangsbuchsen L/R, einmal "Flat", und einmal "Emulated". Zur Not kann man also hier auch direkt in die PA, ohne dass es unangenehm kratzt. Gar nicht mal schlecht abgestimmt. Bei Aufnahmen wird man wohl über Endstufe und Lautsprecher spielen oder eine hochwertige Emulation bemühen, also Torpedo Cab oder Software-IRs.
- Ein vielseitiger Effektweg mit Mono-Send und Stereo-Return, umschaltbar Serial/Parallel sowie im Pegel zwischen "Rack" und "Stomps". Praxisgerecht abgestimmter Pegel, wobei ich keine Pedale verwende.
- Zusätzlicher "Aux Input" - sehr nützlich, wenn man ein Rack mit einem Looper hat und alles von hinten verkabeln will.
- Kaltgerätebuchse und von außen zugänglicher Sicherungshalter

Konzept und Verarbeitung:

Da gibts nix zu mäkeln, was man in der Preisklasse aber auch erwarten kann. Ein stabiles, aber nicht überschweres Gehäuse aus Stahl, sahnig laufende Potis, alles fasst sich hochwertig an.

Ich bin kein Elektrotechniker, aber auch innen sieht hier alles sehr sauber und stabil aus, dicke Leiterplatten und -bahnen, ordentliches Netzteil, WIMA-Kondensatoren Made in Germany und große Potis, durchkontaktierte Lötstellen. Wie schon beim VHT erfreue ich mich an sechs (6!) Röhren vom Typ 12AX7/ECC83. Immer noch geil!!

Der Aufbau der Schaltung - soweit kann ich es noch beurteilen - ist um einiges straighter als bei der VHT-Vorstufe, und das trifft irgendwie auch auf den Sound zu.


Handhabung:

Der Mille CR ist ein klassischer Preamp mit in den Grundzügen klassischen Sounds, in der neuen Version aber noch etwas vielseitiger.

Wie bei mir üblich, verwende ich die 4-Kabel-Methode, also ist der Signalverlauf :

Gitarre > Boss GT-Pro Front Input - Boss Send > Mille Input - Mille FX Send (auf Serial und Rack geschaltet) > Boss Return - Boss Main Out L/R > Peavey Classic 50/50 Input L/R

Warum nicht der eigentliche Ausgang? Ganz einfach, auf die Weise habe ich die Alternative, die Main Outs des GT-Pro wieder in die Sends des Mille zu leiten, die Endstufe aus dem Flat Out anzusteuern und die PA mit DI-Boxen über die "Emulated Outs". Die eingebauten Speaker-Sims des GT-Pro finde ich nicht ganz so toll, die werden erst richtig gut durch Hinzunahme des "Resonator"-Effekts. Das ist mir zuviel Gefrickel, und generell mag ich es für den Bandsound lieber, wenn auch bei vielen unterschiedlichen Sounds gewisse Konstanten bleiben, zB eben die Gitarrenboxen.

Ich habe keinerlei Probleme mit Brummschleifen oder erhöhtem Geräuschpegel. Auch den berüchtigen "Tone Suck" kann ich nicht feststellen, wobei ich - wenn ich nicht den Buffer aus der GP3 benutze, durch den ich auf die Idee gekommen bin - einen VHT Valvulator-Röhrenbuffer vor den Eingang des GT-Pro schalte.

(Kleiner Exkurs: Für meinen Eindruck hat sich dabei gezeigt, dass der öfter beklagte Verlust an Tonqualität viel weniger vom Anschluss des Preamps an das Effektgerät (und dem angeblich negativen Einfluss auf das Signal) herrührt als davon, dass die Gitarre nicht mehr direkt an einem klassisch analogen Input hängt. Erscheint mir auch irgendwie logischer, denn das Mini-Signal eines magnetischen Tinabnehmers ist viel empfindlicher für den Einfluss von Eingangsimpedanzen usw. als ein bereits hochverstärktes Signal aus der Vorstufe. Jedenfalls wirkt der Buffer zu meiner Freude auch Wunder zum "Anwärmen" der internen Modelling-Sounds.)

Die eigentliche Einstellung aller drei Kanäle ist im Grunde simpel. Eine BMT-Klangregelung kennt ja jeder, und die Reihenfolge beim Mille ist auch die meistbenutzte - von links nach rechts Bass / Middle / Treble. Die Ablesbarkeit ist auch einwandfrei, dank der Chickenhead-knöpfe und der weißen Beschriftung.

Die Kippschalter wählen dauerhafte Vorgaben aus, die man nicht per MIDI steuern kann; abgespeichert werden die Kanalumschaltung sowie die "Step Up"-Funktion, also alles, was über die Leuchttaster bedient wird. Generell ist die MIDI-Implementation recht simpel - MIDI CC-Befehle kennt der Mile nicht, und er empfängt immer im Omni-Mode.


So, und jetzt das wohl wichtigste - der Sound:


Der Soundcharakter des Mille CR zieht sich für mich im Vergleich zu vielen anderen Preamps und Amps nicht so sehr über alle Kanäle und Einstellungen. Am ehesten kann man sagen, dass er nicht für moderne Extremsounds konzipert wurde - seine Stärken liegen in der Reproduktion klassischer Ampsounds. Ich finde, er spielt sich dabei auch einfach angenehm.

Der Clean Channel ist genial. Punkt. Mal abgesehen vom gitzernden, "fendrigen" Grundcharakter, der Strats einfach liebt, kann man ihn auch sehr differenziert in einen wunderbaren Crunch fahren. Da meine ich jetzt nicht den fetten Marshall-Crunch, sondern diesen Sound, der einen zum Bluesen einlädt oder Stadion-Riffs wie Bryan Adams`"It's Only Love" perfekt raushaut. Am liebsten hätte ich diesen Kanal mindestens zweimal, einfach weil er in sehr unterschiedlichen Einstellungen brilliert, und das findet man mMn doch sehr selten. Der Bright-Schalter ist effektiv, aber nicht schrill - ich hab ihn eigentlich immer an, weil er eben dieses schöne Glitzern in den Obertönen erzeugt. Toll, sowas in einem (Pre-)Amp zu finden, der verzerrt ansonsten eher dem "anderen" Lager zuzurechnen ist. Man kann diesen Kanal wie den ganzen Preamp mit anderen Röhren noch etwas hinbiegen - mit JJs wirds zB mittiger und fetter - und die Klangregelung ist nicht extrem zupackend, aber effektiv und sehr gut kontrollierbar. Alles in allem ein absolutes Highlight. Der Groove Tubes Trio hat auch einen tollen Clean-Kanal, aber der kann leider gar nicht anzerren. Der Mille schafft den Spagat. Vor allem geht ihm das dünne, plärrige ab, das viele Preamps haben. Hier klingts bei entsprechender Einstellung immer nach Amp, man könnte meinen, da spielt eine gut angeblasene Endstufe mit.

Der Crunch Channel ist hörbar an Marshalls orientiert, aber das in einer edlen, leicht geglätteten Version. Der "Brown Sound" ist voll da, aber die ganz rauhe Kante ist es halt nicht. Seine Stärke sehe ich persönlich eher im höheren Gain-Bereich, auch Leads kann man damit schon prima spielen. Der "Raw"-Schalter wird in der Bedienungsanleitung insbesondere für mehr Gain empfohlen, er fügt in den oberen Höhen noch mehr Obertöne hinzu. Crunch-Sounds im eigentlichen Sinne "knallen" nicht so wie im Clean-Kanal, die Dynamik ist nicht so gnadenlos direkt wie bei einem alten Plexi, der Sound machts einem etwas leichter - die Richtung heißt also eher Tuning-Marshall. Man sollte sich da auch nicht täuschen: die ganz klassischen Rocksounds sind ja gerade nicht mit dem nackten Amp entstanden. Stellt man den Crunch-Channel also mit weniger Gain ein, dreht die Höhen kräftig auf und schmeißt eine OD oder Distortion-Box davor, wirds schon authentisch. Die Klangregelung ist sehr gut abgestimmt und bewirkt schon mehr als bei alten Amps. Damit sollte eigentlich jeder seinen Sound finden, der grundsätzlich in diese Richtung will.

Und dann wäre da natürlich noch der/die Lead Channel(s). Benannt sind sie mit "Lead Plexi" und "Lead Modern". Der ursprüngliche Mille! hatte nur einen Kanal, den ich tendenziell zwischen beiden, aber etwas näher beim jetzigen Modern ansiedeln würde. Alles in allem gehe ich aber von einer grundsätzlichen Neukonzeption aus. Diese beiden unterscheiden sich jedenfalls auch ohne eigene Klangregelung sehr deutlich.

Der "Plexi"-Kanal hat für mich nicht wirklich viel von seinem Namensgeber. Er ist eher mittig und dunkel abgestimmt. Um ihn in gewohnte Gefilde zu steuern, muss man Bass und Mitten eher etwas zurücknehmen und mit Treble ordentlich Gas geben. Dann klingt das aber auch prima, und mit aktiviertem "Step Up" singt es wirklich herrlich. Trotz des Namens sehe ich die Stärke dieses Kanals eher bei fetten, melodischen Leads als beim Classic Rock oder gar Metal-Shredding.

"Lead Modern" ist schon eher für sowas geeignet. Hier ist ein deutlicher "Scoop" in den Mitten vorhanden, wobei der zusätzliche Master-Regler für diesen Bereich es einem ermöglicht, die Lautstärken abzustimmen. Die Höhen sind viel präsenter als beim "Lead Plexi", aber der Boost ist so weit oben angesiedelt, dass sie auch bei "Lead Modern" nicht zu ätzend werden, wenn man Treble stark aufdreht. Was wie gesagt naheliegt, wenn man den Charakter des ersten Lead-Kanals bedenkt. Die Abstimmung ist in sofern trotz der recht extremen Unterschiede aus meiner Sicht sehr gut gelungen, und ich muss mich nicht allzu sehr verbiegen, um für beide Versionen passende Einstellungen zu finden.

Das empfinde ich als ziemliches Kunststück. Liegt einem einer der beiden Lead-Kanäle generell nicht besonders, steht es einem natürlich frei, die Klangregelung kompromisslos auf diese einzustellen. Dann hat man wirklich alle Freiheiten.

Geblieben ist der Schwerpunkt der (Werks-)Abstimmung auf Lead-Sounds im eigentlichen Sinne. Durchsetzungsstark, singend, einfach schön zu spielen. Allerdings etwas schlank unten rum, wohl um jedem Matsch vorzubeugen. Der rechte Druck für Metal will so aber nicht entstehen. Braucht auch nicht jeder, denn der Crunch-Kanal liefert davon mehr als genug. Wer auf Medium-Gain-Sounds nicht viel Wert legt bzw. diese nicht braucht kann durchaus so agieren: Clean bleibt clean, und zwar richtig. Sehr transparent einzustellen, mit wenig Mitten zum Kompensieren der Lötbrener-HB in der Gitarre. Dann Crunch voll auf, Mitten zurück - Metal-Rhythmus. Bleiben vier (4!) Lead-Sounds, je zwei Gainstufen mit fettem bzw. bissigem Charakter.

Ich persönlich wollte allerdings lieber einen klassischen und dazu noch einen etwas modereneren Rhythmussound und vielseitigere Verwendungsmöglichkeiten. Hier kommt jetzt auch die kleine Modifikation ins Spiel. Bei mir wurden - entsprechend einer Empfehlung von Marco Brunetti selbst - zwei Kondensatoren im Lead-Kanal ersetzt durch solche mit etwas höherer Kapazität. Der eine saß im Kathoden-Bypass an einer Röhre, der andere war ein Koppel-Kondensator zur nächsten Stufe. Durch die Änderung wird das Gain ein wenig erhöht sowie vor allem mehr Bass durchgelassen.

An der Stelle eine lobende Erwähnung zum Service der Firma: Ich hab einfach mal (auf Englisch) eine Mail geschickt und nachgefragt, ob man den Lead-Kanälen vielleicht doch etwas mehr Bass und Gain verleihen kann. Marco Brunetti hat am gleichen Tag persönlich und sehr freundlich geantwortet. Obwohl in meiner Anfrage ja irgendwo ein Stück Kritik steckte, war er sehr hilfreich. Erst mal ist er durchgegangen, ob man vor einem Eingriff an der Einstellung oder beim Poweramp etwas ändern sollte. Die Bässe seien tatsächlich bewusst etwas gezügelt worden, um nicht zuviel Kompression zu bekommen und keinen Matsch zu riskieren. Er hat sich dann anhand meiner Antwort noch ein paar Gedanken gemacht und sich schon am nächsten Tag zurückgemeldet mit einem konkreten Vorschlag zu besagtem Mod.

Die jetzige Abstimmung finde ich doch ein ganzes Stück besser, einfach weil sie den Preamp vielseitiger macht. So sind jetzt auch heftige Palmmutes überzeugend möglich. Insbesondere "Modern Lead" hat dabei sehr gewonnen. Das Gain-Niveau empfinde ich nach wie vor nicht als extrem, aber für alles ausreichend, was ich damit anstellen will. Ich fahre es im Lead-Bereich auf etwa 2 bis 3 Uhr, fett, aber Rhythmus-tauglich - und mit "Step Up" kann echt niemand mehr meckern. Auf die Weise ist übrigens auch der besagte "Step" noch etwas deutlicher wahrnehmbar, als wenn man Gain schon auf voll einstellt.

Dennoch ist und bleibt der Mille CR eher ein Feingeist als ein Rabauke. Ich würde ihn keinem empfehlen, der Death Metal machen will und/oder auf einen Rectifier steht. Auch ist er nicht so gnadenlos direkt, sondern eher etwas entgegenkommend und verzeihend. Meine VHT GP3 deckt die härteren bis hin zu Brutalo-Sounds ab (und interessanterweise sehr schöne Medium-Gain-Leadsounds der Fender-Richtung), von daher brauche ich das nicht nochmal.

Ach ja, Pedale: Hab ich fast keine, ich benutze aber durchaus mal die gemodelten aus meinem BOSS GT-Pro. Schon die nehmen alle Kanäle sehr gut an und bringen damit viele weitere Soundschattierungen, also gehe ich mal davon aus, dass auch analoge Pedale mit erfolg verwendet werden können. Es gibt ja Preamps, die klingen mit vorgeschalteten Pedalen gerne mal kratzig und unangenehm (der ENGL E530 erschien mir da zB recht wählerisch), das ist beim Brunetti überhaupt kein Problem.


Fazit:

Zum Schluss noch meine ganz und gar subjektive Einschätzung zum Einsatzgebiet:

Das Zuhause des Mille CR sehe ich in Classic Rock, Hard Rock, Top 40, Blues, Funk... alles, was nicht zu extrem ist, deckt er mit sehr hoher Qualität und großer Flexibilität ab. Dennoch behält er dabei eine Individualität im Sound, die mMn kein Modeller schafft. Wer ein bisschen empfänglich für solche Empfindungen ist, wird sich für die schiere Zahl der Röhrenstufen begeistern können und für das Handwerk, das trotz Platinen immer noch in sowas steckt. Ich mag einfach das Gefühl, dass hier einer drüber gegrübelt hat, Bauteile ausprobiert und alles wie ein Spitzenkoch abgestimmt und gewürzt hat, bis es seinen Ansprüchen genügte. Obwohl ich durchaus auch mal auf gemodelte Sounds zurückgreife, ist mir so ein altmodisches Röhrending immer noch sympathischer als eine noch so perfekte Abbildung davon.

Nur dass man mich nicht missversteht: der Brunetti ist auch technisch absolut auf der Höhe. Rauschen und Brummen sind kein Thema, auch bei hohem Gain und aufgedrehten Treble-Reglern. Ich persönlich habe in keiner Einstellung das Bedürfnis, das Noise Gate einzuschalten. Die Zusammenarbeit mit anderen Geräten gibt keinen Grund zur Beanstandung, alles in allem ein professionelles Teil mit dem gewissen Etwas. Auch der Service stimmt nach meiner Erfahrung.

Vielleicht nicht Hi-End-Boutique, aber ganz sicher auch kein seelenloses Massenprodukt.
Fragen und Kritik sind wie immer willkommen. Ich habe mir vorgenommen, noch ein paar weitere Reviews von 19" Preamps zu schreiben, und irgendwann kommt dann hoffentlich noch ein zusammenfassender Vergleich von allen.


Gruß an alle, bagotrix
 
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Wow, geiles Review. Nicht das ich mir irgendwann auch wieder Rackkomponenten zulege :D.
Bisschen OT: sind die Sounds des Boss GT Pro identisch mit dem GT 10?
Schaltungstechnisch scheint es ja identisch zu sein. Mir kommt es vor allem auf Reverb/ Delay/ Chorus Effekte an.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich hab mich nicht so intensiv mit dem GT-10 beschäftigt, aber die Effekte nehmen sich wohl nicht viel. Warum sollte man da auch das Rad neu erfinden, schließlich hat BOSS auf dem Gebiet einige Klassiker vorzuweisen. Der Fortschritt ist eher noch bei den gemodelten Amps und Zerrern zu finden, wobei die vor allem über Endstufe und Gitarrenbox auch beim GT-Pro wirklich gut klingen - wenn man sie richtig einstellt, und da gibts schon einige Kniffe, auf die man von sich aus nicht so leicht kommt.

Ich bin und bleibe Rack-Fan. Alles gut geschützt, einmal verkabelt und gut ist. Und die Preise für gebrauchte Preamps ermöglichen einem oft eine Qualitätsstufe, die man sich bei einem Top oder Combo gar nicht leisten könnte - wegen des Trends, aber auch, weil man nicht gleich die sündteure Endstufe mitkaufen muss.

Gruß, bagotrix
 
Ich suche was, um meinen 1 kanaligen Marshall etwas flexibler zu machen. Ich denke, die Zerrsounds mit Effekten vom Marshall und die Cleansounds vom Boss zu bekommen. Das sollte doch durch den Preamploop des Boss machbar sein, oder?
 
Ich kann mich noch erinnern, als Racks in Mode kamen. Irgendwie ist das immer an mir vorbei gegangen. Nicht aus Ablehnung, ich blieb einfach bei Amps. Deine gut geschriebene Review macht neugierig und Lust sich damit zu beschäftigen, auch wenn der große Hype darum längst vergangen ist.
 
@Markusaldrich :
Ich fürchte, jetzt wirds etwas OT, vielleicht solltest Du dazu einen neuen Thread aufmachen. Aber grundsätzlich sollte das funktionieren, soweit Dein Einkanaler einen FX-Weg hat. Die Pegel bekommt man mit dem GT-Pro eigentlich sehr gut in den Griff, da man Send und Return im Pegel umschalten kann und auch genug Output zum Aufholen da ist, falls nötig.

Für alle Röhrenamps gilt jedoch das oben Gesagte: passive PUs verhalten sich etwas anders, wenn sie direkt am Input eines (Röhren-)amps hängen. Als bis jetzt anscheinend eher puristischer Spieler wirst Du ein vorgeschaltetes GT-Pro vermutlich als Einbuße wahrnehmen. Das kann man mit Vorschaltgeräten aber mMn gut kompeniseren, wie dem besagten Valvulator, einem Reußenzehn Daniel D. oder auch einem gut klingenden Transistor-Buffer wie dem EP Booster.

Wie gesagt, ich denke nicht, dass das an den Wandlern oder gar an der internen Signalbearbeitung liegt, die ist bei Roland/BOSS mMn nicht zu beanstanden. Meine Vermutung ist eher, dass die analoge Eingangsstufe eher ingenieursmäßig neutral als "Amp-like" konzipiert wurde.

Gruß, bagotrix
 
Ja sorry für das OT. Ich habe nur bei YT ein paar Videos des Mille CR angesehen ( gibt leider nicht viele). Die Sounds sind wirklich sehr klassisch klingen aber auch sehr gut und ausgewogen. Am besten fand ich einen Sound im Crunch Channel mit TS9 Dafoe. Das ist 80 er Rock Sound par excellence. Ich habe leider keinen Laden gefunden, die den Mille in Deutschland haben, schade, einen Test wäre er allemal wert.
 
Hi,

ein kleiner Nachtrag sei mir noch gestattet: das Innenleben von Röhrenpreamps ist doch immer wieder einen Blick wert, wie ich finde. Beim Mille CR sieht man die solide Verarbeitung und einen Aufbau, der weder unnötig weite Wege geht noch reparaturunfreundlich zusammengedrängt wirkt.

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Ich bin ja kein PTP-Romantiker, was auch damit zu tun hat, dass mein Soundgeschmack und vor allem mein Wunsch nach flexiblen Schaltmöglichkeiten und mehreren Kanälen in dieser Technik wohl nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu realisieren wäre. Aber das hier hat schon seine ganz eigene Ästhetik, wie ich finde.

Gruß, bagotrix
 
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noch reparaturunfreundlich

Da kriege ich immer einen Horror, wenn die Regler auf einer Platine sitzen ... die einzige Stelle die mir jetzt im Nachtrag am PreAmp mißfällt.

Gruß
Martin

P.S. schönes Review :great:
 
Prinzipiell gebe ich Dir Recht - eine freie Verdrahtung ist erstmal ein Highlight, wenn man in einen Amp reinschaut. Und dass man da nicht alles abschrauben muss, um mal eben was zu ändern, ist auch eine feine Sache.

Bei einem 3-4 Kanaler + Boost-Stufe mit 16 Potis wirds ohne Platine aber schon ein rechter Drahtverhau - da stellt sich für mich schon auch die Frage, ob das z.B. dem Nebengeräuschpegel zuträglich wäre.

Ich finde die Lösung hier eigentlich recht gut - die Potis sind auf eine zweite Platine ausgelagert, sodass die mechanische Belastung gering bleibt, und die ist über ausreichend lange Kabel flexibel mit der Hauptplatine verbunden. Reparaturen oder Modifikationen auf dieser können also erledigt werden, ohne die Potiknöpfe abzunehmen und deren Muttern zu lösen. Es müssen nur die 5 Schrauben gelöst werden, die die Platine am Boden befestigen, sowie die Muttern an rückwärtigen Buchsen und der kleine Kühlkörper rechts vorne. Dann kann man an die Hauptplatine auch von unten ran. Die Platine mit den Potis trägt wohl vornehmlich die Klangregelung; in dem Bereich sollten Defekte auch eher selten auftreten.

Man kann das sicher als Kompromiss betrachten, aber mit dem befindet sich Brunetti ja durchaus in guter Gesellschaft. Der CAE 3+SE, von dem das Gerät angeblich mal abgeleitet wurde, ist genauso aufgebaut. Das gleiche gilt für Preziosen wie den Egnater TOL ie4, Groove Tubes Trio, Bogner Fish, ENGL E570, Ernst The Rover und den Langner DCP-1.

Da sind ja nun einige darunter, die am obersten Ende der Preisskala angesiedelt sind. Von daher spricht aus meiner Sicht einiges dafür, dass sich diese Lösung nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen durchgesetzt hat, sondern eine Freiverkabelung nach Meinung der Designer auch technische Probleme aufwerfen würde - was ich zugegebenermaßen nicht beurteilen kann. Lösbar wäre sicher auch das irgendwie, man kann natürlich die Potis verschrauben und die meisten Bauteile gesondert auf einer Platine unterbringen. Der Soldano X-88 ist allerdings der einzige etwas bekanntere Mehrkanal-Preamp, der so aufgebaut ist und den ich auf die Schnelle gefunden habe. Wobei ich zugebe, dass es auf seine Art auch faszinierend ist, wie geradlinig und geradezu sparsam ein 3-Kanaler auch aufgebaut werden kann.

Was für mich aber auch zur Reparaturfreundlichkeit gehört, ist die Durchschaubarkeit der Schaltung; vor allem dann, wenn mal kein Schaltplan vorhanden ist. Mit einer Platine steht zumindest das "Gerüst", während bei einem gelösten Kabel in einer Freiverdrahtung erst mal gefahndet werden muss, wo es hingehört. Dann treten bei Röhrenamps anscheinend auch Erscheinungen wie Oszillieren auf, nur weil da ein korrekt angeschlossenes Kabel ein bisschen falsch liegt. Der Techniker muss also nicht nur Schaltungen kennen und vernünftig löten können, sondern möglichst ein tieferes Wissen über Röhrentechnik besitzen, das sicher nicht überall vorausgesetzt werden kann. Vielleicht kann dazu noch einer der Röhrentechnik-Spezis aus dem Board was sagen.

Gruß, bagotrix
 
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