Stellst du das Mikro aber deutlich weiter weg von der Schallquelle, sagen wir ans andere Ende der Halle, so treffen Original und Nachhall mehr oder weniger zeitgleich beim Mikro ein.
Das ist nicht der Fall. Der Direktschall kommt immer zuerst an und der Nachhall später. Was auch logisch ist, da der Hall durch die Reflexionen entsteht und diese immer mehr oder weniger große "Umwege" machen, bis sie ebenfalls am Ohr der Zuhörers bzw. am Mikrofon ankommen.
Es ist genau dieser zeitliche Unterschied zwischen Direktschall ("1. Wellenfront") und dem Eintreffen der 1. Reflexion, der die Wahrnehmung der Raumgröße im Gehirn hervorruft. Je größer diese Zeitdifferenz ist, desto größer ist der Raum.
Das spannende dabei ist, dass unser Hörzentrum diese Information auch dazu nutzt, in einem halligen Raum einen sinnvollen Hörgenuss auch dann zu gewährleisten, wenn man weit weg sitzt und der Klang eigentlich nur noch Matsch und Brei ist. "Matsch" deshalb, weil außerhalb des Hallradius die Reflexionen einen höheren Pegel haben als der Direktschall.* Das Gehör erkennt aber die 1. Wellenfront obwohl sie leiser ist als der Nachhall, unterscheidet diesen vom Direktschall (ohne ihn eigentlich auszublenden) und hört daher die Schallquelle klarer als sie z.B. ein Mikrofon am selben entfernten Ort wahrnimmt. Bei der Wiedergabe eines solcherart entfernt aufgenommenen Mitschnitts klingt diese daher tatsächlich verwaschen und matschig, weil dieser psychoakustische Effekt bei der Reproduktion über Lautsprecher nicht mehr bzw. nur unzureichend funktioniert, da jetzt der Direktschall und der Hall aus derselben Richtung kommt, nämlich aus der Richtung der Lautsprecher. Wenn der Direktschall dann zu leise ist gegenüber dem Nachhall, dann kann das Gehirn die oben beschriebene Trennung nicht mehr so gut vornehmen.**
Innerhalb des Hallradius überwiegt stets der Direktschall gegenüber dem Nachhall im Pegel, so dass der am Mikrofon eintreffende Nachhall eine immer geringere Rolle spielt, je näher es zur Schallquelle positioniert ist. Wenn man ganz nah ran geht mit dem Mikro ist man manchmal sehr verwundert, wie trocken eine Aufnahme in einer sehr halligen Kirche klingen kann.
So funktioniert das Predelay beim Reverb: der zeitliche Abstand zwischen 1. Wellenfront und 1. Reflexion kann damit eingestellt und somit eine unterschiedliche Raumgröße simuliert werden.
Das Kanal-Delay beim Mixer (oder in der DAW) verzögert hingegen das Signal
an sich. Damit kann man z.B., wie
@Mfk0815 beschreibt, verschiedene Mikrofone zeitlich aneinander (genauer: auf ein Bezugsmikrofonsignal) hin angleichen.
Beides kann aber den
realen Abstand des Mikros zur Schallquelle nicht simulieren oder nachträglich ändern (bzw. nur bedingt, siehe unten). Wie hier auch schon beschrieben wurde, nimmt das Mikro einen umso größeren Raumanteil mit auf, je weiter es von der Schallquelle entfernt ist. Der Raumanteil lässt sich nachträglich nicht vom Direktsignal trennen.
Was aber durchaus geht: Ein trockenes, direktes Signal, das aus einer relativ geringen Entfernung aufgenommen wurde (oder auch entfernter, wenn der Raum sehr reflexionsarm ist) nachträglich zur Zumischen von Hall so klingen zu lassen, als ob aus einer größeren Entfernung aufgenommen wurde. Dazu dient der Reverb, und da kann auch dessen Predelay zum Einsatz kommen.
Aber es geht nur in diese Richtung, näher heran geht nicht, da man den Raumanteil nachträglich nicht mehr heraus bekommt. Mit Kompression kann man aber in so einem Fall trotzdem den Klang etwas weiter nach vorne holen.
Es gibt dazu auch noch eine Möglichkeit, die ich aber als "Griff in die Trickkiste" bezeichnen würde: Das Signal, das am weitesten vorne stehen soll, wird als Zeit-Referenz der Zeit "0" gesetzt. Wenn man dann alle anderen Spuren per Kanal-Delay zeitlich hinter diese Spur anordnet, also verzögert, kann man den Effekt der "1. Wellenfront" nutzen und das Referenz-Signal kommt psychoakustisch weiter nach vorne. Wenn dieses aber in sich sehr verhallt ist, dann wird dieser Effekt nur unzureichend funktionieren.
Man muss das im Einzelfall bei Bedarf testen, mit etwas Glück und Geschick kann man so ein Signal nach vorne holen.
Im Zweifel also mit dem Mikro näher heran gehen und möglichst wenig Raum mit aufnehmen, mit solchen Signalen kann man am besten nachträglich manipulativ arbeiten.
Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass nicht ein zu dichtes heran-Gehen je nach Instrument dessen Klang nicht mehr unverfälscht einfängt. Das hat mit den Abstrahl-Charakteristiken der unterschiedlichen Frequenzbereiche der Instrumente zu tun. Eine Geige oder ein Cello z.B. klingt erst in einer bestimmten Entfernung sozusagen "original". Das kann aber je nach Genre mehr oder weniger relevant oder sogar irrelevant sein. Bei einer "Klassik"-Aufnahme wird man mehr Abstand einhalten (und einen sehr guten Raum aussuchen) müssen als bei der Aufnahme einer "Rock-Geige". Letztere kommt sowieso besser mit Clip-Mikro.
*) Der Hallradius ist per Definition genau der Abstand zur Schallquelle, wo Direktschall und Hall/Reflexionen den gleichen Pegel haben.
**) Bei Aufnahmen mit Kunstkopf, die über Kopfhörer abgehört werden, funktioniert der Effekt bei der Wiedergabe noch am besten.