Tontechnik: Handwerk oder nicht - und dazu passender Spruch?

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Zwei Dinge beschäftigen mich gerade (okay - zwei Dinge mehr als sonst):

Zum einen: Haltet Ihr die Arbeit als Tontechniker (nicht VT) für ein Handwerk oder eher für das, was man einen "freien Beruf" nennt, wo es also um das Erbringen einer Geistesleitung geht, wie z.B. Arzt, Anwalt, Berater? Und warum?

Ich halte es für einen freien Beruf. Die Veranstaltungstechnik ist mMn ein Handwerk, aber die reine Arbeit als "Toni" ist ein freier Beruf, denke ich. Es geht ja nicht primär um das Herumwuchten von Equipment, sondern um das Erkennen von Situationen und Zusammenhängen sowie um das passende Einstellen von EQs, Dynamics und Effekten. Also eine Geistesleistung.


Zum anderen: Das Handwerk hat gerade eine ziemlich coole Plakatkampagne. Beispiele:
"Ich repariere keine Motoren. Ich bringe Herzen wieder zum Schlagen." (Mechaniker, Mechatroniker)
"Ich schneide keine Haare. Ich rette Dein nächstes Date." (Friseurin)
"Ich backe keine Brötchen. Ich arbeite am perfekten Morgen." (BäckerIn)

Was wäre Euer Spruch für die Tontechniker/Veranstaltungstechniker? Von mir aus auch für LJ/DJ?
Meiner wäre "Ich schraube nicht am Sound. Ich mache Euch zum Rockstar für eine Nacht."

Viele Grüße
Jo
 
Eigenschaft
 
Freie Berufe sind ausschließlich Berufe, die im Gesetz als solche benannt werden:
Wikipedia schrieb:
Als Freiberuf oder freier Beruf werden – im deutschen Recht – Tätigkeiten bezeichnet, die nicht der Gewerbeordnung unterliegen.
...
Die nicht gewerblichen Berufe werden abschließend in § 18 EStG aufgeführt. Diese Aufzählung ähnelt einem Katalog, wodurch die Bezeichnung der Katalogberufe entstand. Wer einen dieser Katalogberufe selbständig ausübt, bezieht Einkünfte aus selbständiger Arbeit und unterliegt weder der Gewerbeordnung noch der Gewerbesteuer (§ 2 GewStG).

Tontechniker ist wie der Veranstaltungstechniker ein gewerblicher Beruf, der nicht einer Handwerksordnung unterliegt – oder?

Im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Schöpfung und Werkleistung vergleichbar mit dem Schriftsetzer oder als Steigerung dem Drucker.
 
Oh, jetzt wirds interessant hier... Ich studiere inzwischen Berufsschullehramt für Medientechnik und BWL und muss mich mit solchen Fragen gelegentlich auch auseinandersetzen.

Es gibt ja verschiedene Sichtweisen auf die Fragestellung.

1. Freiberufler ja oder nein? Jein. Schafft man es, dem Finanzamt zu erklären, dass man als Tontechniker einer künstlerischen Tätigkeit nachgeht, kann das klappen. Ich kenne z. B. einen Lichtdesigner, der das geschafft hat.

2. Handwerker ja oder nein? Nein, selbst die Fachkraft VT und der entsprechende Meister wird von der IHK und nicht von der Handwerkskammer geprüft, also kein Handwerker. Andererseits ist es ein gewerblich-technischer Beruf und damit schon nah am Handwerk.

3. Die eigene Sicht der Dinge. Ich finde, jeder muss ein Selbstverständnis für die eigene Tätigkeit entwickeln. Wenn ich mich als Fachkraft VT als Künstler sehe und meine Kollegen/Chefs als "Malocher" entsteht da ein gehöriges Spannungsfeld. Wenn ich allerdings als freier Mitarbeiter eine Lichtshow konzipiere, Lichtinstallationen entwerfe oder sogar dramaturgisch tätig werde, dann sehe ich das unter dem künstlerisch gestalterischen Aspekt. Im Ton-Bereich ist für mich dieser Zwiespalt größer. Die Künstler stehen auf der Bühne, ich bin bloß der Vermittler zwischen Künstler und Publikum und Dienstleister für beide. Nicht ich gestalte die Show sondern die Akteure auf der Bühne (und der Licht-Mensch). Ich verändere die Signale von der Bühne ja nicht unter künstlerischen sondern unter technischen Gesichtspunkten mit dem Zweck, sie entsprechend aufzubereiten um für das Publikum ein wohlklingendes Ergebnis zu erreichen. Nutze ich Effekte, dann auch nur um die Wirkung der Darbietung zu unterstützen und nicht zu verändern (es sei denn, das ist gewollt).
Bei Studiotechnikern ist das vielleicht noch mal etwas anderes. Die sind näher am Gestaltungsprozess und können gestalterisch tätig werden...

Auf jeden Fall eine schöne Frage und ich freue mich auf die Diskussion.
 
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Ist ein Musiker in einer Coverband ein Kulturschaffender / Künster ??? ... klares NEIN ... dummerweise sieht dies unser Gesetzgeber anders :(

Ist ein Tontechniker, der den Sound der Band (besonders Effektstruktur, Soundstruktur, ...) entwickelt hat und live fährt, ein Künstler ??? ... klares JA ... ... dummerweise sieht dies unser Gesetzgeber anders :(

Wer dann noch ein bissl in die TV Welt schaut, der wird noch mehr mit dem Kopf schütteln, da ist der "Bewegtbildfotograf" auch kein Künstler mehr :ugly:
 
... Im Ton-Bereich ist für mich dieser Zwiespalt größer. Die Künstler stehen auf der Bühne, ich bin bloß der Vermittler zwischen Künstler und Publikum und Dienstleister für beide. Nicht ich gestalte die Show sondern die Akteure auf der Bühne (und der Licht-Mensch). Ich verändere die Signale von der Bühne ja nicht unter künstlerischen sondern unter technischen Gesichtspunkten mit dem Zweck, sie entsprechend aufzubereiten um für das Publikum ein wohlklingendes Ergebnis zu erreichen. Nutze ich Effekte, dann auch nur um die Wirkung der Darbietung zu unterstützen und nicht zu verändern (es sei denn, das ist gewollt).
Bei Studiotechnikern ist das vielleicht noch mal etwas anderes. Die sind näher am Gestaltungsprozess und können gestalterisch tätig werden...

Auf jeden Fall eine schöne Frage und ich freue mich auf die Diskussion.


Ich stimme Dir insofern zu, dass Künstler auf der Bühne stehe (hoffentlich), und dass der Tontechniker zwischen Band/Künstler und Publikum vermittelt. Dennoch denke ich, dass die Tätigkeit über ein rein technisches Umsetzen hinausgeht. Wenn zwei Tontechniker dieselbe Band mischen, kann sich das komplett unterschiedlich anhören - und beides kann gut sein. Will sagen, viele Wege führen nach Rom, und es ist geschmacksabhängig. "Lasse ich die Drums natürlich oder eher 'processed' klingen?" Mit dieser Entscheidung stelle ich die Weichen dafür, wie die Band heute Abend klingen wird.

Viele Grüße
Jo
 
Ich glaube, Du machst es Dir zu einfach mit dem Kunstbegriff, Jo. Tontechniker bin ich nicht, ich mache u.a. Gebrauchsgrafik. Übertragen auf diesen Bereich ist bei Dir der Aldi-Prospekt auch hohe Kunst. da hat sich auch einer Gedanken gemacht ob der Hintergrund rot oder grün wird.
 
Möglicherweise. Ich sehe die Rolle des Tontechnikers in Teilen vergleichbar der des Dirigenten bei einem klassischen Orchester während der Aufführung (!). Gut, ich gebe keine Anweisungen, wie was zu spielen ist, was ein Dirigent während der Proben zu einem Stück ja intensiv tut. Aber ich sorge dafür, dass bei der Aufführung ein bestimmter Klangeindruck entstehen kann. Natürlich kann man sagen, zu dem Zeitpunkt wedelt der Dirigent nur mit dem Stöckchen, aber wenn man sich mal die Aufnahme einer Karajan-Aufführung anhört und mit den Aufnahmen anderer (durchaus auch renommierter) Dirigenten vergleicht, da entstehen ganz andere Klangwelten und insbesondere eine "Durchsichtigkeit" im Orchesterklang, die Du anderswo einfach nicht zu hören bekommst. Für mich ist das eine Kunst und mehr als reines Handwerk. Jeder Künstler muss sein Handwerk beherrschen und darüberhinaus gehen. Und ich denke, das kann auch in unserem Metier gegeben sein.

Oder anders:
Konferenzbeschallung - Handwerk
Konzertbeschallung - möglicherweise Kunst
 
... die Rolle des Tontechnikers in Teilen vergleichbar der des Dirigenten bei einem klassischen Orchester während der Aufführung (!).
...und während der Tonaufnahmen.

Das ist aber der Tonmeister. Über die Anerkennung dessen künstlerischer Leistung im Sinne des Leistungsschutzrechtes diskutierte sehr intensiv der Verband deutscher Tonmeister (VDT), ich weiß allerdings nicht, ob inzwischen ein (und wenn ja, welches) Ergenis da vorliegt.
 
Tonmeister und Dirigenten sind Künstler. da sind wir uns einig. Der besondere Klang von Karajan stammt aber auch nicht vom wundervollen Stöckchenschwingen bei der Aufführung, sondern von der Monate langen Arbeit mit dem Orchester vorher. Vergleichbar mit dem Tonmeister bei einer Studioproduktion.

Das ist doch beim Tontechniker wirklich anders. Das ein Instrument mehr so oder mehr so klingt, ist doch noch keine Kunst. Das ist vergleichbar mit der Wahl der Hintergrundfarbe (die ja durchaus einiges am Gesamteindruck des Betrachters ausmacht!). Wenn Dein Klangereignis Kunst sein soll, dann muss diese Klangzusammenstellung so individuell und einzigartig sein, dass es ein eigenes Werk darstellt und eine eigene künstlerische Aussage ist.

Wenn Du also ein Band mischt, dann muss sie bei Dir ganz anders klingen als sonst. Ich kann mir vorstellen, dass das viele gar nicht so wollen...
 
Wenn Du also ein Band mischt, dann muss sie bei Dir ganz anders klingen als sonst. Ich kann mir vorstellen, dass das viele gar nicht so wollen...
Warum nehmen dann so viele Bands eigene FOH- und Monitorleute mit :gruebel: ... vllt. weil doch die Tonleute einen entscheidenden Beitrag zum Gesamtauftreten liefern ;)
 
Warum nehmen dann so viele Bands eigene FOH- und Monitorleute mit :gruebel: ... vllt. weil doch die Tonleute einen entscheidenden Beitrag zum Gesamtauftreten liefern ;)

Tontechniker haben zum nicht unerheblichen Teil auch psychologische Aufgaben. Ein wichtiger Aspekt ist dass sich die Aufführenden sich wohl fühlen. Nur so können sie auch eine gute 'Performance' abgeben. Und einem bekannten Gesicht vertraut man einfach mehr. Da hat vielleicht die Qualität und künstlerische Leistung der betreffenden Person recht wenig damit zu tun.
ich denke das wir alle unsere Arbeit auch eine künstlerische Bedeutung geben. Aber unterm Strich machen wir einfach nur lauter;-)
 
Warum nehmen dann so viele Bands eigene FOH- und Monitorleute mit :gruebel: ...
Natürlich um zu vermeiden, dass irgendein pseudokunstschaffender Tontechniker den Bandsound versaut! :p

Wenn Du für "Deine" Band einen besonderen Sound kreierst, dann kann das Kunst sein. Wenn Du einen guten, für die Musik besonders passenden, Klang zusammenstellst, dann ist das solides Handwerk - und aller Ehren wert! (Die blanke Tatsache, dass etwas Kunst ist, macht dieses ja nicht automatisch gut. in den meisten Fällen ist die menschliche Leistung hinter ordentlicher handwerklicher Tätigkeit höher einzuschätzen als die hinter so machnchen künstlerischen Ausdruck...)
 
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