Aber auch wenn ich "nur" mit einem Begleitpianisten musiziere, muss ich mich absprechen. Bei einer Opernarie hat der Pianist zwar eine gewisse Freiheit: da sein Part eh nur ein Klavierarrangement der (originalen) Orchesterversion ist, kann er sich das, wenn er gut genug ist, etwas zurechtlegen, auch mal Töne weglassen etc. und sich dann ev. auch etwas leichter spontan dem SÀnger anpassen. Bei Lied geht das meiner Ansicht nach nicht. Die Klaviernoten sind original vom Komponisten und als eigenstÀndiger Part gedacht. ...
Deshalb kann bei Lied nur was Gutes entstehen, wenn eine sehr intensive Zusammenarbeit von SĂ€nger und Pianist dem Auftritt voran geht ...
Allenfalls wenn ein Duo schon sehr lange zusammenarbeitet und jeder im GefĂŒhl hat, was der andere gleich machen wird, ertrĂ€gt es ev. eine gewisse SpontaneitĂ€t.
Tonja,
Dazu eine Episode aus meinem Musikerleben ...
Mit meiner 5-Mann-Folkgruppe spielte ich einige Male bei einem jÀhrlichen WohltÀtigkeitsgala. Die Leiterin - eine MÀrchenerzÀhlerin - brachte uns dazu, spannende Sachen wie "Liebeslieder aus 4 Jahrhunderten" oder "Die 4 Temperamente Europas" oder "Frauen aus 4 Kontinente" musikalisch zu umrahmen. Eine herausfordernde und kreative Angelegenheit!
Eine andere hÀufige Teilnehmerin war eine Profi-Sopranistin, Hauptfach Operette, die normalerweise mit ihrem LebensgefÀrten, einem Profi-Pianisten mit Hauptfach Begleitung zusammen auftrat.
Einmal trat diese Sopranistin an die Leiterin mit dem Wunsch heran, einmal ein einfaches Volkslied zur Gitarre zu singen - wie frĂŒher bei den Pfadfindern. Ob die Gruppe da aushelfen könnte? Ich gab dieses Anliegen an meine Gruppe weiter. Meine 3 Gitarristen - auch der sehr gute Gitarrist, der bei uns Bass spielte - schauten mich an und sagten: "Das machst du!" Denn bei dem "einfachen Volkslied" handelte es sich um "Es steht ein Lind in jenem Tal" von Brahms!
Nun, ich bin der SĂ€nger der Gruppe und spiele nur die Instrumente, die kein anderer spielt - hauptsĂ€chlich Banjo, Mandoline, Whistles und Concertina. Ein biĂchen Gitarre hat jeder von uns in den 60er Jahren gelernt, aber bei mir war sie immer nur Beiwerk. Die Bandkollegen schoben mich nicht wegen meiner GitarrenkĂŒnste vor, sondern weil ich gelernter klassischer SĂ€nger bin. Eine Weise Entscheidung, wie es sich herausstellte!
Also besorgte ich Noten von "Es steht ein Lind" und erarbeitete ein Gitarren-Arrangement der Klavierpart. Dieses ĂŒbte ich dann fleiĂig, bis ich es auswendig konnte.
Dann kam der Galaabend. Wie bei klassischen Musikern oft der Fall, traf ich die Sopranistin erst am Nachmittag zu einer Generalprobe. Sie kannte ihre Part; ich kannte meine; es mĂŒsste klappen!
Tat es aber nicht! Sehr bald lagen wir kreuz und quer mit dem Timing. Eine Katastrophe! Jetzt rechtfertigte sich die Entscheidung, den SĂ€nger der Gruppe zum Gitarrenbegleiter zu ernennen. Denn das Problem lag in den kleinen Gewohnheiten von SĂ€ngerinnen aus der Gattung, eine dicke Fermate am Ende einer jeden Textzeile zu setzen, und manche Phrasen betont breit zu halten.
Meine Lösung: Möglichst die Auftakte bzw. PhrasenanfĂ€nge der SĂ€ngerin zu ĂŒberlassen und erst bei der nĂ€chsten betonten Silbe einzusteigen - und zwar in dem Tempo, das ich aus der zeitlichen Folge des ersten und des zweiten Tons der Phrase herauslesen konnte. Oder aber meine Auftakte "open end" zu lassen und zu ihrer Zeit und mit ihrem Tempo fortzufahren.
Und es klappte! Nach zwei ProbedurchgĂ€nge, und ohne groĂe Absprachen gelang es uns am Abend ganz passabel. Aber im Grunde nur deshalb, weil ich einen FuĂ in jedem der beiden Lager - Folk und Romantik - hatte und lediglich umschalten musste. Meine Rhythmusgitarristen aus der Band hĂ€tte keine Chance gehabt.
Cheers,
Jed