In der Regel stehe ich beim Vortrag so, dass ich ins Publikum sehe und den Pianisten nicht direkt im Blick habe. Wie sollte ich mich da beim Einsatz vom Pianisten "fĂŒhren" lassen? Nach Gehör? - dann bin ich selbstverstĂ€ndlich zu spĂ€t. Jedes Mal mit Blick zum Pianisten? Ich möchte ja dem Publikum die Geschichte erzĂ€hlen - nicht dem Pianisten
Verstehe dein Problem nicht so richtig. SelbstverstÀndlich singt man in Richtung Publikum (ist vielleicht der einzige Punkt in dieser Diskussion, wo wir uns alle einig sind

), aber dabei bist du ja nicht unbeweglich, du kannst dich auch kurz mal leicht abdrehen (du fixierst ja deine Zuhörer nicht wie ein Border Collie seine Schafe bevor es sie zu treiben beginnt

, die armen Leute bekÀmen ja Angst!

) Und du stellst dich in so kleiner Besetzung ja auch nicht mit dem RĂŒcken zum Pianisten sondern etwas seitlich versetzt, so dass ihr jederzeit auch optisch kommunizieren könnt, indem du dich fĂŒr ein SekĂŒndchen mal ganz leicht zu ihm hinwendest, so stört das auch deinen ErzĂ€hlfluss nicht. Bei Lied steht der SĂ€nger auch oft unmittelbar am FlĂŒgel, so ist ein sehr enger Kontakt mit dem Pianisten möglich.
Auch dann, wenn ich mit 2 Instrumentalisten zusammen Musik mache, haben wir es noch immer problemlos geschafft, dass wir uns sehen konnten, man muss halt vorher etwas ausprobieren, den FlĂŒgel etwas herum schieben.
Im Instrumentalbereich durfte ich erst vor einigen Tagen eine Probe miterleben, in der zum ersten Mal der Solist dabei war. Vorher wurde der Orchesterpart geprobt, nun kam der (Instrumental-) Solist dazu. Vor jedem Satz besprachen sich Dirigent und Solist, "welches Tempo hĂ€ttest Du hier gerne" (wenn das Orchester zuerst spielte, bevor der Solist einsetzte) bzw. "ok, du fĂ€ngst an und wir ĂŒbernehmen das Tempo von dir", wenn der Solist anfing. So ungefĂ€hr stelle ich es mir auch vor, wenn der Solist kein Instrumentalist, sondern SĂ€nger (bzw. SĂ€ngerin) ist. Und so etwa wird es auch laufen mĂŒssen, wenn der Begleitpart kein Orchester, sondern ein einzelnes Klavier ist.
Ich finde, es ist ein Riesenunterschied, ob Solist mit Orchester(und Dirigent) oder Solist mit Klavierbegleiter. Auch wenn man mit dem Orchester gleich viel und lange proben könnte, wie das bei Lied mit dem Pianisten ĂŒblich ist, hier geht Demokratie definitiv nicht mehr. Denn wenn dann bei den Proben jeder der Musiker gerade mal seine interpretatorischen Ideen einbringen möchte, dann kann das Konzert problemlos im Altersheim stattfinden, weil eh alle Musiker inzwischen dort eingezogen sind! Es braucht hier einen Chef und das ist nach meinen Erfahrungen eben nicht der Vokalsolist, sondern der Dirigent. Vor allem auch dann wenn neben dem Orchester auch noch ein Chor beteiligt ist.
Bei uns im Chor lĂ€uft das in etwa so (beschrĂ€nke mich hier mal aufs Tempo, gilt aber auch fĂŒr alle anderen gestalterischen Faktoren):
-Chorleiter(=Dirigent) probt mit Chor und legt im Laufe der Probenarbeit auch mal circa die Tempi fest
-erste Tuttiprobe (davon gibt es bei uns 1-3, mehr wÀre zu teuer):
1.Dirigent probt mit Orchester in den in den Chorproben grob abgesteckten Tempi, dabei kommt es dann immer auch mal zu kleineren TempoÀnderungen
2. etwas spĂ€ter kommt der Chor dazu, Chor und Orchester proben einzelne Teile und raufen sich zusammen, natĂŒrlich inkl. Kommentare der Choristen wie: "so schnell hat er das bei den Proben aber dann nie genommen!!"

einzige passende Antwort hier wÀre eigentlich: "Klappe halten - nach vorn schauen -Tempo abnehmen!"

3. die Vokalsolisten trudeln ein und man beginnt das Werk von vorn nach hinten durchzuproben und nie, wirklich nie habe ich erlebt, dass unser CL dann zu einem Vokal-Solisten gesagt hĂ€tte "wie hĂ€ttest du es da gerne mein Lieber? sagt es ruhig, ist kein Problem fĂŒr die restlichen ca. 70 Beteiligten, wieder alle Tempi ĂŒber den Haufen zu werfen und sich ganz dir anzupassen!"
Die RealitĂ€t ist: der Dirigent gibt das Tempo vor. Hat ein Vokalsolist irgendwo wirklich ein gröberes und begrĂŒndetes Problem mit diesem Tempo, darf er es natĂŒrlich sagen und der Dirigent wird eine Lösung suchen, so dass es schliesslich fĂŒr alle passt. Zu oft sollte der SĂ€nger aber nicht intervenieren, sonst wird er bald einmal als unflexibel und kompliziert abgetan und fĂŒrs nĂ€chste Konzert nicht mehr angefragt, gibt genĂŒgend SĂ€ngerkollegen die liebend gern seinen Platz einnehmen, umso mehr als dass die Gagen bei uns mehr als anstĂ€ndig sind!
Einzig bei gewissen reinen Vokalsoli die, was ja immer mal vorkommt, nicht mehr durchs ganze Orchester, sondern nur durch 1, 2 oder 3 Instrumentalisten begleitet sind, hört der CL auf zu dirigieren und signalisiert so dem Solisten, jetzt bist du frei, musst dich nur noch mit den 2-3 andern einigen. Und hier ist es dann natĂŒrlich tatsĂ€chlich der SĂ€nger, der fĂŒhrt, er hatte ja vorher keine Probe mit diesen Instrumentalisten, vorĂ€ngige Absprachen waren also nicht möglich, es braucht klar jemanden, der jetzt und sofort das Tempo angibt, soll aus der eh schon langen Probe nicht eine Endlos-Kiste werden!