Wie erklärt man am besten dne "Blues"?

ginod
ginod
Helpful & Friendly User
HFU
Zuletzt hier
02.04.24
Registriert
10.03.04
Beiträge
1.654
Kekse
6.845
Ort
Osnabrück
Hey,

Ich denke viele hier spielen auch gerne mal einen schönen Blues. Einige werden dabei auf die gute alte Blues Pentaotnik zurück greifen. Andere arbeiten vielleicht mit Appregios bzw. Akkordeigenen Tönen. Andere wenden vielleicht auf jeder Stufe einen speziellen Mode z.B. immer entsprechende mixolydische Skala etc. anwenden.

Ich werde eigentlich von Tag zu Tag raffinierter was meine Blueslicks angeht. Mittleweile kommt auch mal melodisch moll zum Einsatz etc. Problem habe ich allerdings immer wieder jemandem plausibel zu erklären warum denn eine Mollbluespentatonik über eine Dur Blues Verbindung passt.

Nehmen wir mal C7 - F7 - G7 . Typische Dominantseptakkorde für einen Dur Blues in C .

Jetzt hört sich eine C-moll Pentatonik ganz toll darüber an. Dur Terz, als auch kleine Terz passen toll über das C7 um einen bluesigen Sound zu erzeugen.

Meine eigentliche Frage bezieht sich also nicht auf die Anwendung von Blues sondern um eine plausible Erklärung für Gitarrenanfänger. Kann man den Blues logisch erklären, oder ist es einfach "Blues". Für mich hat sich bisher immer herauskristallisiert, dass dieser Harmonische Ausnahmezustand eben einfach typisch Blues ist und sich eigentlich fast nicht besser als mit "Ist eben Blues" erklären lässt.

Gibt es vielleicht eine etwas logischere Erklärung um das Phänomen Blues erklären zu können. Kann man sagen, dass der Blues von der Reibung zwischen Durterz und Mollterz lebt?

Ich muss sagen, ich bin bei diesem Punkt regelmäßig aufgeschmissen, wenn ich jemanden wirklich Hieb und Stichfest erklären will, wie das so funktioniert. Auch die Anwendung von auschließlich Dominantseptakkorden ist ja in keine normalen Dur Tonleiter vorhanden.
 
Eigenschaft
 
Das Thema beschäftigt mich nun auch schon eine Weile. Bis jetzt habe ich den Fakt "Blues ist einfach Blues" und somit ein Sonderfall in punkto Harmonischer Analyse, einfach so stehen lassen.
Ich freue mich aber schon auf die Antworten der Harmonielehregurus:D
 
Auch die Anwendung von auschließlich Dominantseptakkorden ist ja in keine normalen Dur Tonleiter vorhanden.
Du sagst du es ja selbst. Blues basiert eben nicht nur auf der Dur-Moll-Tonalität, darum gibt´s da auch normalerweise keine einfache Dur- zw. Moll-Tonleiter...
 
Ich denke viele hier spielen auch gerne mal einen schönen Blues. Einige werden dabei auf die gute alte Blues Pentaotnik zurück greifen. Andere arbeiten vielleicht mit Appregios bzw. Akkordeigenen Tönen. Andere wenden vielleicht auf jeder Stufe einen speziellen Mode z.B. immer entsprechende mixolydische Skala etc. anwenden.

Ja, das gibt es viele Möglichkeiten. Mit der Auswahl einer bestimmten Möglichkeit stellt man sich in eine bestimmte Tradition. Blues von 1920 mit Banjo und Gesang hat andere harmonische Ideale als der Swing der 30er, als der Rock'n-Roll der 50er, als R'nB von 2009. Es gibt ja nicht "den einen" Blues, sondern Blues ist eine Tradition, deren unterschiedliche historische Ausformungen man kennen sollte.

Jetzt hört sich eine C-moll Pentatonik ganz toll darüber an. Dur Terz, als auch kleine Terz passen toll über das C7 um einen bluesigen Sound zu erzeugen.

Das ist die 1.blue note, nämlich die Terz. Im frühen Bluesgesang wurde die Terz weder als große noch als kleine Terz intoniert, sondern so, daß wir mit unserem europäischen Tonsystem dafür keinen Namen haben. Außerdem gab es natürlich keine "harte" Regel, wie sie nun genau zu intonieren sei. Diese Hintergründe halte ich schon für relativ wichtig, damit man nicht zu dogmatisch mit dem Blues umgeht.

Meine eigentliche Frage bezieht sich also nicht auf die Anwendung von Blues sondern um eine plausible Erklärung für Gitarrenanfänger.

Warum denn so einengend nur für Gitarre? Immerhin sind wir doch hier im Harmonielehreforum und nicht im Gitarrenforum. Wie man das dann an Anfänger vermittelt wäre dann auch eher eine musikpädagogische Frage nach der Didaktik.

Kann man den Blues logisch erklären, oder ist es einfach "Blues". Für mich hat sich bisher immer herauskristallisiert, dass dieser Harmonische Ausnahmezustand eben einfach typisch Blues ist und sich eigentlich fast nicht besser als mit "Ist eben Blues" erklären lässt.

Es gibt schon durchaus beschreibbare Tatsachen und historische Entwicklungen, mit denen man Blues eingrenzen kann. Das muß nicht im Sprachlosen bleiben. Der Begriff "Blues" hat mögliche Übersetzungen und eine Bedeutungsgeschichte, die man Schülern vermitteln kann. Blues als musikalische Stilistik hatte immer wieder Auswirkungen auf Jazz, Rock und Pop und läuft quasi immer als begleitender Strom neben den wechselnden musikalischen Moden her. Was Blues ist, wird z.B. im Blues-Primer karikiert, der ja im Internet seit Jahrzehnten bekannt ist.

Kann man sagen, dass der Blues von der Reibung zwischen Durterz und Mollterz lebt?

Das wäre mir zu eurozentristisch. Blues entstand fernab von Intervallnamen. Blues entstand durch eine konfliktgeprägte Lebenswelt, die ihren Ausdruck durch die Vermischung von afrikanischen, karibischen und europäischen musikalischen Traditionen fand. Die Intonation der Terz und der Septime sind das Resultat dieser Traditionen (die man für eine gute Didaktik noch näher erläutern müßte).

Harald
 
Ich bin zwar keiner der angesprochenen Harmoniegurus noch sonst ein Guru, aber seit meiner allerersten "traumatischen" Begegnung mit einem 7/#9 Akkord habe ich mir wieder und wieder Gedanken darüber gemacht. Und das sind deren Ergebnisse:

Ich glaube, E I N E Schwierigkeit bei der ganzen Sache ist schon die Verwendung der Begriffsbezeichnungen Dur und Moll. Ein Blues ist eben weder Dur noch Moll, sondern eben Blues. Das ist womöglich mehr als eine Spitzfindigkeit, weil das angewendete Vokabular ja auch irgendwie das Denken prägt ...

Daß das weder in Notenschrift noch auf einer Klaviertastatur leicht darstellbar ist, ist ein anderes Problem (Nebenbei bemerkt war das ja, soweit ich weiß, einer der Gründe, warum in den frühen Jazzformen oft kein Piano dabei war: Weil auf dem keine Bluenotes darstellbar sind). Das ändert aber nichts daran, daß die Bluesklangwelt mit ihren 3 Bluenotes eine ganz eigene ist.

Eine weitere Besonderheit ist ja, daß man in einem Blues ja ohne weiteres mit der Ausgangs-Bluestonleiter durch ALLE Changes durchkommt. Das ist eigentlich einigermaßen seltsam, da sich da doch etliche Reibungspunkte ergeben, deren "Akzeptanz durch das Ohr" eigentlich nicht so ohne weiteres erklärbar ist ...

Mein persönlicher Ansatz dazu ist einer, der auch auf andere musikalisch harmonische Gebiete anwendbar ist: Die Bluestonalität, die Bluestonleiter, hat in sich eine solche Kraft und Schlüssigkeit, daß sie ohne weiteres N E B E N nahezu jeder verwendeten Begleitung bestehen kann. Es erscheint mir nicht (mehr) sinnvoll sich zu fragen, wieso der Grundton der Ausgangsbluestonleiter über der V Stufe eigentlich bestehen kann (In C-Blues: Grundton C, und V. Stufe G7, also die Reibung zwischen C und B. Eigentlich wäre für diesen Fall ja ein Gsus die richtige Wahl ...).

Eine gute Blueslinie ist in sich total schlüssig, und jede Begleitung, die ebenfalls in sich schlüssig ist, kann "daneben" herlaufen. Das Ohr wird dann zwar Spannung registrieren, aber keine unangenehme. Es sind zwei klangliche Ebenen, die nebeneinander Bestand haben. Melodische Kraft kann harmonische Zusammenhänge durchaus zweitrangig erscheinen lassen ...

Letztlich ist es irgendwie dasselbe Phänomen wie bei Dingen wie den Coltrane-Changes. Coltranechanges über die ersten 4 Takte eines Blues gespielt (gleich mit welcher Begleitung) werden auch immer funktionieren, wenn man es schafft, das mit Überzeugung und Sicherheit zu tun, obwohl es eigentlich unerklärlich ist ... aber auch hier existiert die Kraft einer schlüssigen melodischen Improvisation neben jener einer Akkordbegleitung auf anderer Ebene. Die beiden Ebenen existieren nebeneinander, und weil beide Ebenen auf das selbe Ziel zusteuern, nämlich Takt 5, funktioniert das Ganze ... WENN es funktioniert.

Naja ... soweit halt meine Gedanken dazu ...

Liebe Grüße
Thomas
 
Hi Turko,

nur eine Anmerkung: selbstverständlich ist die Begleitung (die Harmonien) eines Blues in Dur oder Moll ... eine andere Frage ist es, in welcher Skala man darüber improvisiert ...
 
Hi Peter,

ja, da hast Du natürlich Recht. Wenn ich so allgemein vom Blues spreche, dann meine ich damit seine melodische Wurzel.

Thomas
 
Gibt es vielleicht eine etwas logischere Erklärung um das Phänomen Blues erklären zu können?

Für die meisten hier ist es wohl das Phänomen trotz sich bildender b9 Intervalle einen akzeptablen Sound zu haben. Das ist aber meiner Meinung nach oft auch eine Selbsttäuschung.
Bluenotes werden zum allergrößten Teil als konventionelle Approaches oder auch als funktionierende Tensions eingesetzt und wer denkt das die tonische Durterz beim Subdominantseptakkord gut klingt, irrt.
Hör Dir mal das Spiel von Wynton Kelly über den Blues "Walkin'" an. Wenn man aufmerksam zuhört wird schnell klar, da sind eigentlich fast keine wirklichen b9 Clashes vorhanden.
Sogar die Bluenotes im Thema werden Note für Note als chromatic Approach oder als alterierte Sekundärdominante ausharmonisiert.
Wenn ich über den Dominantseptakkord der V Stufe den Grundton der Tonika spiele, werde ich entweder den Grundton der Tonika als Approach benutzen oder ich werde die Terz der Dominante zurückhalten oder sie eventuell durch sus4 ersetzen. Beide Töne gleichzeitig als lange akzentuierte Töne zu spielen wird wohl niemand ernsthaft als besonders hörenswert einstufen.
Rhythmische Figurationen der Melodie, vor allem sequenziert, helfen sehr die eventuell entstehenden Clashes zu mildern. Turko hat das sehr gut kommentiert.

Die Dur Pentatonik der bIII Stufe ist kein Garant für gutes Harmonieren im Dur-Blues. Da kann vieles in die Hose gehen. Zunächst sollte man mal versuchen die in ihr enthaltenen Bluenotes dann zu spielen, wenn sie wirklich passen, bzw. so einzubinden, dass sie passen. Wenn IV7 gespielt wird muss man eben die kleine Sept der Grundtonart als Vorhalt hören/betrachten und dementsprechend auflösen.
Vorraussetzung für all dies ist natürlich das über allem stehende Moment der Kraft der Melodielinie. Durch die Call/Response/Coming home Formel ist sie sehr stark in und an die 12-taktige Form gebunden und verträgt damit einiges. :D Dadurch werden auch sehr rudimentäre clashes produzierende melodische Fragmente möglich. Wichtig dabei ist natürlich, dass auf den Spieler all das hier Gesagte zutrifft. (Danke Harald für den Link).


CIAO
CUDO
 

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben