Wie GENAU funktionert Stützen? Zusammenhang Rumpf (Zwerchfell) - Stimmlippen

  • Ersteller chris.jaeger
  • Erstellt am
chris.jaeger
chris.jaeger
Registrierter Benutzer
Zuletzt hier
06.06.23
Registriert
03.08.10
Beiträge
194
Kekse
49
Ort
Telfs, Tirol
Hallo

Hab mich jetzt manche Stunde durch diverse Stütz-Threads gelesen. Finde da so einiges etwas widersprüchlich und würde die Sache gern im Kern verstehen.
Letztlich geht's vielleicht mehr um ein Gefühl, einen intuitiveren Zugang. Ich spüre eigentlich recht deutlich wie die Aktivität im Rumpf ganz automatisch zunimmt wenn ich singend Hals & Co gezielt entspanne. Aber eine nachvollziehbare Erklärung für den Mechanismus finde ich eigentlich nicht.

Anders gefragt:
Wenn die Grundidee lautet, dass das Zwerchfell (oder sagen wir mal "der stützende Rumpf") Stress von den Stimmbändern nimmt, frage ich mich, WIE das geschieht?

Wenn der Körper beim Singen (=Ausatmen) die viel zitierte "Einatemtendenz" beibehält heißt das für mich, dass Einatem- gegen Ausatemmuskeln spannen → der Druck im inneren des Körpers nimmt zu. Aber inwieweit unterstützt das die Stimme? Bessere Kontrolle des Luftstromes leuchtet mir ein. Aber mehr "Power", weniger Stress... wie entsteht das?

Schon wieder Stütze, ich weiß. Und dazu vielleicht etwas verkopft. Aber ich empfinde die Frage(n) als den Kern der Sache und bei meinen Recherchen bisher unbeantwortet.

Danke schon mal
 
Eigenschaft
 
Danke für den Link. Die Unterscheidung zwischen Stütze als Technik oder als Zustand gefällt mir sehr gut.

Aber dass der "verstärkte Einsatz ... vor allem des Zwerchfells" die "ausgeatmete Luftmenge und somit den Druck, der direkt unter den Stimmlippen entsteht" erhöhen soll erschließt sich mir einfach nicht. Das Zwerchfell ist ja wohl ein Einatemmuskel. Nebenbei kann ich ganz ohne Stütze meine gefüllten Lungen gefühlt in weniger als 1 sek entleeren.

Naja. Hab mir schon gedacht dass es da einfach keine klare Antwort gibt. Irgendwie interessant für ein derart zentrales Thema im Gesang.

Meine ganz eigene Interpretation / Wahrnehmung:
Wenn der Gesang insgesamt mehr Spannung erfordert hilft die Stütze, bestimmte Muskeln im Hals, Nacken und Gesicht lockerer zu lassen, was den Stimmbändern wohl gut tut. Sozusagen eine "physiologischere Spannungsumverteilung".

Aber ich werde versuchen noch etwas nachzuforschen...
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Das Zwerchfell ist ja wohl ein Einatemmuskel.
Eigentlich - ne, genau im Gegenteil. Du wirkst mit der "Stütze" der Ausatemtendenz entgegen, iirc.
Nebenbei kann ich ganz ohne Stütze meine gefüllten Lungen gefühlt in weniger als 1 sek entleeren.
Eben. Das ist genau das Problem. Und all die Luft drückt dann auf die armen kleinen Müskelchen im Stimmapparat.
"Power" kommt bei Gesang durch Resonanz. Die Resonanz wird gehemmt durch Druck, jetzt mal ganz platt gesagt. Das ist wie die Schulkinder, die bei der Pause alle auf einmal durch die Tür wollen und plötzlich geht gar nichts mehr. Wenn die schön geordnet in Zweierreihen gingen, wie die Lehrer es sagen, wären sie viel schneller draussen. Begreife Deine Luftmoleküle als Schüler ;) Die musst Du zurückhalten, damit Du sie schneller los wirst am Ende des Tages ;) Das ist dann "Stütze".

Mir gefällt in dem Artikel der Ausdruck "Stimmgleichgewicht" recht gut. Das passt zu Deiner physiologischen Spannungsumverteilung. Spannung aus dem Stimmapparat nehmen, indem man eine der Ausatmung entgegengesetzte Spannung im Rumpf einstellt. Das Ding so in Balance kriegen, dass die Stimmlippen und der Kehlkopf mit dem Luftstrom klarkommen und frei schwingen. Schwingung erzeugt Töne.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Eigentlich - ne, genau im Gegenteil. Du wirkst mit der "Stütze" der Ausatemtendenz entgegen, iirc.

Schon klar. Aber doch wohl indem das Zwerchfell als Einatemmuskel (!) der Ausatemmuskulater entgegen wirkt, oder?
Im Artikel steht ja dass das Zwerchfell die "ausgeatmete Luftmenge erhöht"

Gutes Bild mit den Schülern. Wie gesagt: Leuchtet mir völlig ein dass die Stütze den Atemfluss kontrolliert. Wenn's aber um die Menge an Luft geht könnte ich doch auch von vorne herein weniger Schüler aus dem Schulbus lassen - also die Ausatemmuskulatur weniger stark aktivieren - um das Gedränge am Eingang zu verhindern?
 
Naja. Hab mir schon gedacht dass es da einfach keine klare Antwort gibt. Irgendwie interessant für ein derart zentrales Thema im Gesang.

Hey du,
ich schreib dir mal meinKonstrukt dazu:

das phänomen „stütze“ kann man versuchen kognitiv zu verstehen und intellektuell zu erklären. Das Problem dabei ist: Stütze muss man „begreifen“. Dazu gehört, dass der Sänger erst mal nach und nach wahrnimmt, welche muskeln zur stütze gehören, dann muss er lernen sie anzusteuern, dann üben, diese zu verstärken oder zu entspannen.
Es ist schwer zu erklären, finde ich, wie „Stützen“ funktioniert. Es ist, wie einem Blinden zu erklären, wie die Farbe blau aussieht. Und für die Sehenden heißt es nicht, dass das was ich als blau sehe, für dich nicht vielleicht ganz anders aussieht.

Jeder Sänger hat ein anderes Konstrukt von Stütze, glaube ich, und auch andere Bilder, Vergleiche und Hilfen dafür, wie er Stütze aktiviert.
Ich vermute auch, Stütze verändert sich auch bei jedem Sänger sein leben lang, wenn er lebenslang an seiner Stimme arbeitet.

Ich glaube deshalb, dass es nicht viel nützt intellektuell Stütze zu verstehen, viel sinniger erscheint mir Gesangsunterricht zu nehmen und in einem jahrelangen Prozess Stütze immer besser „zu begreifen.“

Liebe Grüße
Karin
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 4 Benutzer
Schon klar. Aber doch wohl indem das Zwerchfell als Einatemmuskel (!) der Ausatemmuskulater entgegen wirkt, oder?
Das wenn ich mir je mal merken könnte, welcher der Muskeln da genau was macht :) Mir reicht es, zu wissen, dass ich Druck vom Stimmapparat "weghalten" muss, damit sich nichts knüddelt. Mir reicht es, zu wissen, dass mein Hals fein bleibt, wenn meine Rumpfmuskulatur zwickt. Mich persönlich interessiert dabei weder der Cricroi - Himmel, wie heißt das Ding, das da kippt? - sonderlich, noch, wann das Zwerchfell wie aktiv ist, wenn es umklappt. Mir reicht, dass es das tut.
Wenn's aber um die Menge an Luft geht könnte ich doch auch von vorne herein weniger Schüler aus dem Schulbus lassen - also die Ausatemmuskulatur weniger stark aktivieren - um das Gedränge am Eingang zu verhindern?
Das würde ich jetzt mit "reflektorischer Atemergänzung" übersetzen. Damit - ja, das reicht. Man muss die ned von hinten in die Schule treiben :D Wobei, das hinkt - sag ma besser, man muss die nicht von hinten aus der Schule treiben, da laufen schon genug von alleine raus ;) In die Schule sind sie ja eh von selber vorsichtig ;)
 
Naja. Hab mir schon gedacht dass es da einfach keine klare Antwort gibt. Irgendwie interessant für ein derart zentrales Thema im Gesang.
Wie die meisten Ding beim Gesang, passt insofern gut ins Bild. :)
Meine ganz eigene Interpretation / Wahrnehmung:
... ist somit auch die für dich richtige. Das was ich in vielen Gesangssituationen mache deckt sich gefühlt auch nur zur Hälfte mit dem was andere berichten zu machen. :nix:

Darum bleibt Internetrecherche über Gesangstechniken auch meist fruchtlos.
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
Ich sympathisiere mit diesem Artikel:
:great:
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Hallo Leute

Danke für eure Beiträge. Gebe mich geschlagen :rolleyes:.
Wie gesagt: Denke auch dass Spüren definitiv wichtiger ist als Verstehen. Dachte halt, letzteres würde vielleicht nicht schaden - naja

Schönen Abend zusammen
 
Hallo Chris,
also ich finde es immer eine große Bereicherung mich AUCH mit den
Erklärungen zu Gesangsdingen zu
beschäftigen. Das ist total spannend,
was verschiedenen Sängern geholfen
hat, bestimmte Dinge zu begreifen und
zu erfassen, aber es führt halt nicht allein zum Ziel. Aber ich glaube schon, es ist eine Ergänzung zum praktischen Lernen und Üben, Suchen und Finden.
Und für die, die keinen Unterricht haben
halt auch ein unterstützender Weg beim
mühsameren Selbststudium.
Viele Grüße
Karin
 
Lieber Chris

Wenn du exakte Zusammenhänge haben möchtest, kann ich dir nicht weiterhelfen. Aber ich kann dir einige Zusammenhänge geben zwischen Oberzwerchfell, Flanken, Lungen, Luft und Stimme.

Beim Einatmen dehnt sich deine Lunge aus, was deine Flanken nach aussen drückt und und dein Zwerchfell ebenfalls zum Dehnen bewegt. Der Zwerchfellmuskel ist direkt mit den Stimmlippen verbunden, daher gehört zu unserem Stützapparat nie alleine die Zwerchfellspannung. Die würde nämlich isoliert die Stimme überspannen und auf Dauer schaden.

Atmen wir aus, fällt alles wieder zur Ausgangsposition zurück, alles entspannt sich wieder. Diese Mechanismen und Zusammenhängen spielen beim Stützen alle eine Rolle. Denn beim Stützen machen wir nichts anderes, als unser Atem zu kontrollieren und das Gewicht weg von den Stimmlippen zu nehmen. Wir können steuern, ob wir also mehr Luft oder weniger Luft ausatmen wollen.

Wenn du tauchen gehst und die Luft anhältst (kannst es ruhig mal nachmachen), spürst du, wie die Flanken fest nach aussen gedrückt werden, die Lunge eine Art "Unterdruck" erzeugt und wie das Oberzwerchfell gespannt bleibt. Etwa diese Spannung brauchen wir, wenn wir Belten, Screamen, Growlen, etc. wollen.

Wenn du durch die Nase einatmest und auf einem ffff auf 8 Ausatmest, merkst du wie deine Flanken schnell zurück in die Ursprungsposition gehen. Dies ist aufgrund des Luftverbrauches. Wenn du reine Kopfstimme singst, passiert genau das mit deinen Flanken und deiner Luft. In Songs singen wir natürlich selten reine Kofpstimme, sondern verwenden immer Mischformen von Spannung, Entspannung, was das Soundbild so verändern kann, dass unsere Kopfstimme gar nach Brustimme klingen lassen kann.

Du kannst auch mal durch die Nase einatmen und auf einem ssss ausatmen. Da bleiben die Flanken ebenfalls fest, aber nicht so fest, wie wenn du die Luft komplett anhältst. Das in Etwa brauchst du in den mittleren Lage an Stütze/Spannung.

Du kannst selber mal ausprobieren, was mit dem Ton passiert, wenn du mit deiner Flankenfestigkeit spielst. Nimm einfach einen Ton, der dir angenehm erscheint und ein Vokal, den du magst und experimentier ein bisschen rum. WEnn du aber merkst, es kratzt im Hals oder es tut etwas weh, dann stoppe und mache ein paar Vocal Frys oder Liptrills zur Entspannung. Dann hast du irgendwo zu viel Spannung gegeben oder die Spannung mit deiner Zunge oder nur mit dem Zwerchfell aufbauen wollen. Gibt verschiedene Ursachen. Solange du grad stoppst dann, ist es nicht schädlich. Es sollte aber im Grunde nichts passieren, beim herumexperimentieren. Ich wollte es einfach geschrieben und erwähnt haben, dass es sein könnte, dass...;)

Aus diesem Grund ist die Atmung das A und O beim Singen. Das kontrollieren des Luftdruckes ist somit eigentlich das, was mit der Stütze gemeint ist.

Um einen klaren Sound zu erklingen muss natürlich auch die Kehlkopfposition, Mund- und Zungenstellung korrekt sein und deine Stimmbänder und Stützmuskeln flexibel trainiert werden.

Ich hoffe, ich konnte dir etwas weiterhelfen.

Lieben Gruss
Andrea

PS: Vieles davon wird oft unbewusst schon richtig gemacht. ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Hi Andrea

Danke für deine ausführliche Antwort. Leider bleibt das Thema wohl letztlich etwas unklar.

Beim Einatmen dehnt sich deine Lunge aus, was deine Flanken nach aussen drückt und und dein Zwerchfell ebenfalls zum Dehnen bewegt.

Ich bin mir ziemlich sicher dass sich das Zwerchfell beim Einatmen nicht dehnt sondern kontrahieret (sofern man keine paradoxe Atmung hat).

Atmen wir aus, fällt alles wieder zur Ausgangsposition zurück, alles entspannt sich wieder.

Während der gesamten Tonerzeugung wird für normal immer ausgeatmet

Ich wollte deine Mühen nicht unbeantwortet lassen, hoffe aber, dass die Diskussion hier nicht ausufert :rolleyes:



Ich versuche mal meine Antwort auf die Frage möglichst zusammengefasst zu formulieren:

Die Tonerzeugung erfordert mitunter (je nach Lautstärke, Tonhöhe, Effekt...) eine ganze Menge an Kraft/Energie/Spannung die aus dem Rumpf kommen sollte um sie von den Stimmbändern fern zu halten. Das Zwerchfell ist der kräftigste (aber nicht alleinige) Vertreter der Einatemmuskeln, welche als Antagonisten den Ausatemmuskeln entgegen wirken und somit verhindern dass der Luftstrom an den Stimmbändern zu stark wird, was diese wiederum austrocknen lassen und ihnen somit schaden würde.

Letztlich ist das alles ja nichts neues, aber für mich zufriedenstellen. Direkte Verbindung (anatomisch oder sonst wie) zwischen Zwerchfell und Stimmlippen gibt es wohl nicht. Ich denke man könnte es "funktionalen Zusammenhang" nennen.

Schönen Tag zusammen
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Die Verwirrungen und Missverständnisse rund um das Thema Stütze werden sicherlich niemals ein Ende finden. :D

Vieles hängt damit zusammen, dass der Begriff in der deutschen Verwendung verschiedene Phänomene/Techniken/Zustände zusammenwirft. Danke @antipasti für den interessanten Artikel hinsichtlich der Bedeutungsveränderung von "Zustand" auf "Prozess". Das kannte ich auch noch nicht. Was ebenfalls hinzukommt: Die englische Sprache differenziert z. B. noch zwischen Support und Anchoring. Damit soll zwischen der Atemstütze (support, entspricht dem aktiven Stützvorgang aus antipastis Link) einerseits und der Körperspannung (anchoring, dies ist Teil der im Artikel behandelten natürlichen Balance) unterschieden werden. Der deutsche Begriff wirft beides (und noch mehr) zusammen und je nachdem, welcher gesanglichen Tradition/Schule gefolgt wird, liegt der Fokus oft mehr auf dem einen oder anderen.


Hinzukommt, dass einige physiologische Prozesse oft (auch hier im Thread) schlicht nicht richtig wiedergegeben werden. Ein paar grundlegende Dinge:

  • Das Zwerchfell ist, wie der Threadersteller korrekt schreibt, ein Einatemmuskel.
  • Muskeln können nur kontrahieren, sich nicht dehnen. Um wieder in die Ausgangslage zurückzugelangen, brauchen sie einen Gegenspieler.
  • Beim Einatmen kontrahiert das Zwerchfell, senkt sich dabei und zieht an der Lunge, die sich dadurch weitet und mit Luft füllt. (Der Vollständigkeit halber: An der Einatmung sind weitere Muskelgruppen beteiligt, insbesondere die äußere und innere Zwischenrippenmuskulatur.)
  • Beim Ausatmen kommt die Ausatemmuskulatur als Gegenspieler dann zum Einsatz. Wir haben viele Muskelgruppen, die an der Ausatmung beteiligt sind, aber da keine davon die Prominenz des Zwerchfells hat, gehen wir hier mal nicht ins Detail. ;) Zudem atmen viele Leute im Alltag passiv aus, d. h. durch die Elastizität der Lunge entweicht die zuvor eingeatmete Luft einfach dadurch, dass die Einatmenspannung losgelassen wird und die Dehnung der Lunge sich von selbst zurückstellt (die kann das, was Muskeln nicht können :rolleyes:).

Das Konzept der Atemstütze bedeutet dann:
  • Die Ausatemmuskulatur baut Atemdruck auf. Wir atmen also aktiv, nicht wie oben beschrieben passiv, aus.
  • Damit dieser Atemdruck nicht durch die vergleichsweise kleinen Stimmlippen und die Kehlkopfmuskulatur zurückgehalten wird, soll stattdessen die Einatemmuskulatur das übernehmen. Je nach gesanglicher Tradition kann dies eher das Zwerchfell ("Bauchatmung") oder aber die Zwischenrippenmuskulatur ("Flankenatmung") sein, eigentlich und bestenfalls beides.

Das war es eigentlich schon. Das Zwerchfell selbst baut keinen Druck auf, sondern wirkt nur der aktiven Ausatmung entgegen.
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 5 Benutzer
@Palm Muter, danke für die Verlinkung meiner Ausführungen zur Atmung! Und @Foxx, danke für die sachlichen Klarstellungen!
Es ist viel "Mystik" zur Atmung im Umlauf, viel unpräzises und leider auch viel falsches. Als ein ganz natürliches körperliches Geschehen lassen sich selbstverständlich detaillierte Aussagen zu den anatomischen, physiologischen und neurologischen Hintergründen und Zusammenhängen machen, was ich in meinem oben verlinkten Beitrag auch so gut wie möglich versucht habe.

Auch ansonsten gute Vorstellungen und Bilder, wie sie von Blasinstrumenten- und Gesangslehrern oft benutzt werden, können in die Irre führen, wenn die Betreffenden sich nicht um die anatomischen Details kümmern oder sich missverständlich ausdrücken. So muss man leider die Aussagen zum Zwerchfell im in Post #2 verlinkten (an sich sehr anregenden) Text so verstehen, dass das Zwerchfell 2. ein aktiver Ausatemmuskel ist und 2. in die Ausatmung besondere Kraft zu geben vermag.
Wie schon mehrfach richtig gestellt, in das Zwerchfell ein Einatemmuskel und kann, wie überhaupt alle Muskeln, sich nur kontrahieren, nicht aktiv dehnen.
Was es aber wohl kann, wie auch alle anderen Muskeln, ist, sich dosiert entspannen.
In der oben erwähnten passiven Ausatmung, wo die Luft gänzlich in weniger als 1 Sekunde entweicht (was nur bei vollständig geöffneten Stimmlippen, also auch nur stimm- und tonlos geschehen kann) macht das Zwerchfell genau das nicht. Es entspannt sich sofort , lässt völlig los und durch die bei der Einatmung im gesamten Rumpf aufgebaute Spannung, die gleichwohl in einer Ruhesituation nur milde ist, kann die gesamte Luft schnell und ungehindert entweichen (wenn die Atemwege frei sind). Man beachte mal einen schlafenden Hund, da geht es genau so.

Beim Sprechen und noch viel mehr beim Singen (aber auch bei der Block- und Querflöte) soll aber weder die Luft sofort entweichen, noch darf beim Singen der hohe Luftdruck die Stimmlippen schädigen. Hier kommt nun das dosierte Entspannen des Zwerchfells ins Spiel.

Beim Musizieren reicht die milde Spannung der Ruheatmung oder des leisen Sprechens nicht aus. Ein Blasinstrument würde nicht ansprechen und die Singstimme wäre kraftlos, glanzlos, klein und zu leise. Also müssen wir aktiv ausatmen. Das erfordert vor allem den Einsatz des Beckenbodens, des Unterbauchs und der Bauchmuskulatur, wobei die Initiative mehr vom Beckenboden und vom Unterbauch kommen muss als die wichtigsten Antagonisten des Zwerchfells. Ein zu starker Einsatz bzw. eine Initiative von der Bauchdecke her würde die Atmung in ein grobmotorisches Pressen verwandeln und zudem die Weite der Räume des Rumpfes beeinträchtigen und verengen. Ausatem-Initiativen von weiter oben gelegenen Regionen des Rumpfes wie z.B. Brustbein (Einziehen des Brustbeins), Schultern sind absolut kontraproduktiv und zerstören alle Freiheiten des Rumpfes, des Kehlkopfes und der Hals-Nacken-Region.
Das bei schweren Asthmatikern zu beobachtende Heben der Schultern beim Einatmen ist eine Folge der Überlastung und Ermüdung der Haupt-Atemmuskeln. Ein Art "Notanker" der Atmung. Das ist im übrigen eine zwar paradoxe, aber sinnvolle Funktion der Atemsteuerung: bevor der Mensch erstickt, werden alle möglichen und unmöglichen Muskeln in Aktion gesetzt um das schiere Überleben des Organismus zu sichern.
Aus solchen Fehl-Atemfunktionen lassen sich aber auf keinen Fall Vorbilder für die physiologisch korrekte oder gar Bläser- oder Sänger-Atmung ableiten, auch wenn sie im Kern ganz natürliche Funktionen und im Sinne des Überlebens vollkommen ´richtige´ neurologische Reaktionen sind.

Indem das Zwerchfell sich also dosiert und kontrolliert entspannt im Zusammenspiel und als Widerpart mit seinen Antagonisten, kann der Sänger/Bläser seine ausströmende Luft genau und dem jeweiligen Ausdruck und der Dynamik angemessen einsetzen.
Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass nicht doch zu viel Kraft gemacht werden kann, wodurch Heiserkeit und im weiteren Schäden am Sprechapparat hervorgerufen werden können. Das muss der Sänger schon spüren, ob und wann er eine Grenze überschreitet. Aber das Gegenhalten des Zwerchfells ist physiologisch der "Mechanismus", der die Kontrolle herstellt. Es ist eben dieses "Gegenhalten", was man in den Flanken als Weite und Offenheit spüren kann (und sogar sehen kann wenn kein Hemd den Bereich verdeckt), da die unteren Ansatzstellen des Zwerchfells ebendort insertieren.

Unter der Voraussetzung, dass die Haltung insgesamt (so gut wie) frei ist von Fehlstereotypen, Verspannungen etc., sondern gut aktiv aufgerichtet, spannkräftig und zielgerichtet ist, so dass die Freiheit der Rumpfmuskeln etc. nicht beeinträchtigt ist, geschieht nun etwas sehr schönes und wichtiges: der ganze Rumpf bleibt in dieser aktiven und kontrollierten Ausatmung offen und weit, nichts fällt irgendwo in sich zusammen oder zieht sich in eine Enge ein. Damit bleiben auch alle Resonanzräume weit und frei. Der Klang kann sich frei und offen entwickeln und entfalten, die Stimme ist tragfähig, und das in jeder Dynamikstufe vom pp bis ff.

Diese aktive, freie und offene Atmung ist der Schlüssel zum Klang, sei es die Stimme oder das Blasinstrument. Alles weitere kann und muss auf dieser Atmung aufbauen. Wenn die Atmung nicht frei, offen und ungehemmt ist, bleiben alle anderen Übungen und "Techniken" ein nutz- und sinnloses Herumdoktoren an Symptomen ohne die Chance, das Ziel eines freien Musizierens bei bestem gesund-Erhalten der körperlichen Strukturen jemals zu erreichen.
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 8 Benutzer
Super Beitrag, Lobomix! :great:

Gutes Bild mit den Schülern. Wie gesagt: Leuchtet mir völlig ein dass die Stütze den Atemfluss kontrolliert. Wenn's aber um die Menge an Luft geht könnte ich doch auch von vorne herein weniger Schüler aus dem Schulbus lassen - also die Ausatemmuskulatur weniger stark aktivieren - um das Gedränge am Eingang zu verhindern?


Hierzu noch eine Anmerkung: Klar geht das. Aber je entweder höher oder lauter ich werden will, umso mehr Energie brauche ich, umso höheren Atemdruck brauche ich und umso wichtiger wird dann eben auch die Stütze.
 
Ich schließe mich Foxxens Urteil an: super erklärt, Lobomix, und mehr gibt es zu dem Thema eigentlich nicht zu sagen. Bis auf eine Kleinigkeit: mich stört manchmal der von vielen GL praktizierte "Optimierungswahn" hinsichtlich Aufrichtung hier, Lockerheit da, und um Gotteswillen bloß keine Fehlstellungen und Verspannungen .... ja, das wäre schön, aber hey, wir sind Menschen und keine Computermodelle. Mich hat das früher jedenfalls wahnsinnig gestresst und eigentlich nur zu anderweitigen Verkrampfungen geführt.
Ich bezweifle, dass der perfekt aufgerichtete, ausbalancierte Sänger überhaupt die Regel ist. Es gibt viele Gesangsperformances, bei denen man allein schon die Haltung der Sänger in Grund und Boden kritisieren könnte, die aber trotzdem toll sind.
Und wenn ich Gitarre spielen muss (ich kann das nur im Sitzen), dann stütze ich auch nicht mehr optimal. Die Aufrichtung ist nicht dieselbe wie beim freien Stehen, die Wirbelsäule ist nicht gerade, weil ich aufs Griffbrett schauen muss... aber trotzdem klappt es mit dem Singen ziemlich gut, trotz suboptimaler Stützsituation ;)
Was ich damit sagen möchte: in der Theorie ist das alles schön und gut, in der Praxis darf es auch weniger perfekt sein, Gesang besteht ja nicht nur aus Stützen.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 3 Benutzer
Bis auf eine Kleinigkeit: mich stört manchmal der von vielen GL praktizierte "Optimierungswahn" hinsichtlich Aufrichtung hier, Lockerheit da, und um Gotteswillen bloß keine Fehlstellungen und Verspannungen .... ja, das wäre schön, aber hey, wir sind Menschen und keine Computermodelle. Mich hat das früher jedenfalls wahnsinnig gestresst und eigentlich nur zu anderweitigen Verkrampfungen geführt.
Besonders nervig und unangenehm ist es dabei, dass die betreffenden "Optimierer" oft nur ganz mechanisch über Haltung denken und daher auch nur "mechanische" Anweisungen geben. Da ist dann von "gerade stehen" die Rede usw. (viele gehen dann ins Hohlkreuz, was dann nicht korrigiert wird), von "Entspannung", die unter der Hand Schlaffheit und Losgelassen-sein provoziert, was möglicherweise auch noch gelobt wird, weil es ja so "locker" aussieht.

Haltung ist kein mechanisches Geschehen, sondern ein lebendiges, dynamisches, und auch ein emotionales und geistiges.
"Perfektions-Denken" geht auch in die Irre. Wobei wir als lebendige Wesen durchaus schon grundsätzlich betrachtet wundervoll und wenn man so will "perfekt" von der Natur ´konstruiert´ wurden. Jeder Vogel ist in diesem Sinne "perfekt", jedes Eichhörnchen, jeder Elefant, Delfin, Hering ... auch jede Pflanze.
Denn alle Lebewesen und alles Lebendige hat sich so entwickelt, dass sie ihr Leben und dessen Anforderungen und Funktionen voll gerecht werden können, andernfalls würden weder die Individuen noch die Arten überleben. Jedenfalls, solange die Umweltbedingungen passend bleiben, wobei es ein besonderes und herausragendes Merkmal alles Lebendigen ist, sich auch geänderten Bedingungen anpassen und damit weiter leben zu können (zumindest als Art und wenn die Veränderungen nicht zu drastisch sind und zu schnell erfolgen).

So sind wir in diesem Sinne grundsätzlich prädisponiert, auch gut, schön und mitreißend Musizieren zu können.
Nun kommt es aber darauf an, eine zu unseren Tätigkeiten passende und angemessene Haltung einzunehmen. Da Musizieren per se eine aktive Tätigkeit, vor Publikum sowieso, aber auch für sich alleine, da mit den Tönen, die wir machen auch allgemein gesprochen eine Energie in den Raum abgeben, gehört zum Musizieren deshalb auch eine aktive voreingenommene Haltung. Eine Haltung, die es uns erlaubt, die Musik und den darin enthaltenen Ausdruck mitteilen zu können. Grundsätzlich ist diese Haltung vom Ausdruck her spannkräftig, aufgerichtet, zielgerichtet und offen. Nicht in sich gesunken, kleinräumig, eng, aber auch nicht überspannt, überaktiv und schon gar nicht fest und steif.

Diesen Zustand, den G.O. van de Klashorst, der Begründer der "Dispokinesis" als "die (gute) Disposition des Musikers" bezeichnet hat, hat uns die Natur im Grunde mitgegeben, denn der Mensch ist physiologisch nicht mehr, aber auch nicht weniger "disponiert" wie alle anderen Lebewesen auch. Spannkraft ist kein Wunderding, jedes (gesunde) kleine Kind, dessen Bewegungsdrang sich frei entfalten kann, ist von Natur aus spannkräftig, in seinen Bewegungen zielgerichtet und sozusagen "gut disponiert".
Es sind die vielen negativen Einflüsse, denen wir im Leben ausgesetzt sind, die uns indisponieren und unserer Haltung schaden. Krisen, die schlecht verarbeitet wurden, aber auch Fehldenken, schlechte Vorbilder und nicht zu unterschätzen irreführende Anweisungen von Lehrern, die zudem eine Künstlichkeit in der Spiel-/Gesangstechnik hervorrufen können, die nicht zuletzt Blockaden provozieren kann, all das wirkt auf uns ein, so dass wir schließlich regelrecht die Orientierung verlieren und nach jedem Strohhalm, jedem "Rezept", jeder technischen "Schule" greifen um uns aus der Not heraus zu bringen. Und dabei tiefer hinein geraten.

Dabei liegt die "Weisheit" in uns, denn wir sind der "Eigentümer" unseres Körpers. Wir müssen wohl fühlen lernen, unsere Eigenwahrnehmung schulen und an uns arbeiten. Nur wir können über dieses Körpergefühl entscheiden, welche "Technik" die für uns angemessene ist und uns in unserem Musizieren zum Ziel führt. Es kann Hilfe von außen geben, aber die kann nur Hilfe zur Selbsthilfe sein, woran man im übrigen gute von schlechten Lehrern unterscheiden kann.
Während letztere nur via Anweisungen an den äußeren "Hüllen" arbeiten können und dabei kaum mehr als "Marionetten" produzieren werden, werden erstere immer die Eigenverantwortung des Schülers produktiv unterstützen und sie anleiten, zu sich selber und zu ihrer grundeigenen, natürlichen "Disposition" zu finden.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Ich finde das Thema spannend und die Anfangsfrage durchaus berechtigt. Deshalb möchte ich Euch auch meine Sichtweise auf das, was Stütze für mich bedeutet, mal zur Diskussion stellen. Ich habe mir meine Stimme fast ausschließlich über Selbstversuche erarbeitet. Daher resultiert meine Ansicht zur "Stütze" auch aus eigenem Erleben und ist nicht von Lehrern impliziert. Das vorab zum besseren Verständnis.

Meiner Erfahrung nach wird die Art und Weise, wie wir atmen, grundlegend von der Körperhaltung incl. Unter- und Überspannung einzelner Bereiche bestimmt. Haltung ist aktiv, die Atmung resultiert daraus, und Atemmanipulationen führen meist zu Blockaden und Verspannungen, deshalb lehne ich persönlich sie grundlegend ab!

(Atem-) Stütze ist für mich treffender bezeichnet als haltungsgestützte Atmung .. also im Endeffekt Haltungsstütze. Am besten funktioniert sie in absoluter Haltungsbalance, aber das ist ein Idealzustand, der in der Natur unrealistisch ist. Trotzdem ist sie als Zielstellung durchaus geeignet ...

Damit wir uns aufrecht halten können, müssen sowohl (untere) Bauch- als auch Rückenmuskeln arbeiten (und viele andere, aber die zwei Bereiche sind die Hauptakteure) und die Haltung ausbalancieren. Optimum wäre ein gleichverteilter Anteil an Bauch- und Rückenmuskelaktivität, also Balance.
Weil die Muskelarbeit im Stehen am intensivsten ist, bekommt man da auch am besten Luft. An-/Ver-Spannungen z.B im Schulter- und Brustbereich, der Kehle, dem Kiefer etc. behindern die Atmung. Mach Dich mal auf eine interne Forschungsreise und erspüre, welche Haltungsveränderung die Atmung wie beeinflusst. Auch Stimmvolumen ist über (gedachtes?) Körpervolumen beeinflussbar.
 

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben