Wirkung von Trommeln (z.B. im therapeutischen Kontext)

Ein anderer Aspekt ist noch der der Diagnostik, wobei ich mich auf geistigbehinderte und verhaltensgestörte Kinder beziehe: Die Art und Weise des Trommelns lĂ€sst unter UmstĂ€nden RĂŒckschlĂŒsse auf bestimmte Aspekte der Persönlichkeit zu: SchlĂ€gt jemand "stur" und monoton immer den selben Beat, klebt also an Mustern oder wirkt das Trommeln "chaotisch" und unstrukturiert ohne Ordnung (das alles natĂŒrlich ohne Wertung i. S. von "gut" oder "schlecht")?

Hat man da eine Tendenz gefunden, kann man versuchen, den Beat des Anderen aufzufangen und etwas in die entgegengesetzte Richtung zu lenken. Die EinschrĂ€nkung ist klar: Eine fundierte Darstellung einer Persönlichkeitsstruktur kann natĂŒrlich nicht alleine auf der Grundlage des Trommeln basieren, sondern ist nur ein kleiner Teilaspekt davon. Dasgleiche gilt fĂŒr eine angestrebte VerĂ€nderung der Strukturen. Aber es ist ein möglicher nonverbaler und sehr basaler Zugang, gerade im Bereich der SonderpĂ€dagogik, wo ja oftmals andere Wege verschlossen bleiben.

Gruß

Brigde
 
c) wenn ich mich im Kontext Trommeln bewege (Beispiel RhythmCircles)
(…)
Hier bin ich mir sicher, dass auch ĂŒber die psychische Dimension die Physis verĂ€ndert wird -> meine ErgĂ€nzung 1c).

Damit bin ich einverstanden, das wÀre dann:

  1. physisch, a) wenn ich trommle, b) wenn ich Rhythmus (und die verschiedenen KlÀnge) wahrnehme und c) wenn ich mich im Kontext Trommeln bewege (Beispiel RhythmCircles)
  2. psychisch, a) wenn ich trommle, b) wenn ich mit anderen trommle (die psycho-soziale Dimension) und c) wenn ich Rhythmus wahrnehme

Ich meinte eher diese Diskussion fĂŒr das Musiktheorie-UF:
"Wo handelt es sich im Musiktherapie, wo um eine Therapieform mit Musik, wo um einen psycologisch-sozial reflektierten Umgang mit Musi, wo um einen pÀdagogischen Kontext?"

Wie ist denn das SelbstverstÀndnis der Musiktherapie? Begreift sie ihren Bereich nicht als all dies umfassend?

Ist ein sehr von Vorurteieln einzelner Berufsgruppen besetztes Thema. Therapeuten <-> Lehrer <-> Dipl. PĂ€dagogen <-> Psychologen <-> ...

??? Kann ich mir aber ungefÀhr vorstellen.

Ich wĂŒrde hier gerne unter der PrĂ€misse mitdiskutieren, dass der Begriff "Therapeutischer Kontext" sehr weit - weiter als in der Literatur - gesehen wird. Ich denke und hoffe, dass dieses hier akzeptiert wird ;).

Ich (z.B.) bin Ergotherapeut und habe den Zugang gar nicht ĂŒber Literatur bekommen. Von daher finde ich natĂŒrlich auch sehr spannend, wenn jemand verschiedene Sichtweisen (und ggf. berufsspezifische Vorurteile) erlĂ€utern kann. "Therapeutischer Kontext" also nur als Beispiel – gerne auch Erfahrungen und Erlebnisse aus der Perspektive eines Klienten (Patienten).

Ich will fĂŒr diesen Thread gar nicht so maßgeblich sein – trotzdem vielleicht kurz die Erfahrungen, die mein Interesse hervorgerufen haben: Vor ĂŒber 20 Jahren war ich Mitglied einer der ersten Batucadas in Norddeutschland, ohne mich deshalb als Musiker gefĂŒhlt zu haben. Die Gruppe hatte so ihre Momente (ich auch), aber mir ist irgendwann doch klar geworden, dass ich einen bestimmten Level (des eigenen Musikerlebens) nie erreichen werde.

2003 fing ich mit einer Umschulung zum Ergotherapeuten an und im Rahmen kursinterner Angebote, die jeder immer mal wieder machen sollte, stellte sich heraus, dass meine musikalischen Erfahrungen und Überlegungen fĂŒr alle möglichen Gruppen-, Wahrnehmungs- und EntspannungsĂŒbungen etc. herhalten konnten. WĂ€hrend einer Projektwoche habe ich daraufhin einen Trommelworkshop und ein Jahr spĂ€ter einen Instrumenten-Baukurs angeleitet, bei dem hauptsĂ€chlich Cajones entstanden sind. FĂŒr mein Examenspraktikum erhielt ich deshalb eine Anfrage einer psychiatrischen Einrichtung, ob ich Interesse hĂ€tte, jemanden mit umfassender Borderline-Störung einzeln arbeitstherapeutisch zu betreuen (nĂ€mlich in einer Holzwerkstatt Cajones bauen) und eine kleine Trommelgruppe auf den Weg zu bringen. Das habe ich dann auch gemacht, wobei ich wĂ€hrenddessen nur sehr wenig Zeit fĂŒr vertiefende Studien hatte (am Ende eines Examenspraktikums findet stets ein mörderisch umfangreiches Staatsexamen statt).

Da sich die beruflichen Perspektiven just wĂ€hrend meiner Umschulung radikal verschlechtert haben, bin ich zur Zeit dabei, mich mit einem eigenen Cajon-Projekt einem BildungstrĂ€ger anzudienen, der u. a. sog. Maßnahmen fĂŒr benachteiligte Jugendliche auf dem Weg in die Erwerbsarbeit anbietet. Diese werden von den Jobcentern finanziert. Im niederschwelligen Bereich geht es in erster Linie immer um Tagesstruktur und die Motivation, sich auf einen beschwerlichen Qualifizierungsweg durch diverse Praktika etc. zu begeben. Ich erkenne da einen Aufgabenbereich, fĂŒr den Ergo-(und auch Arbeits-)therapeuten nahezu prĂ€destiniert sind. Aber leider sehe nur ich das so. Man strĂ€ubt sich erheblich gegen die Anstellung eines Therapeuten. Die Jugendlichen haben zwar sĂ€mtlich Probleme mit Drogen, Aggressionen (regelmĂ€ĂŸig im Knast sitzen) oder weisen offensichtlich (aber nicht diagnostiziert) Persönlichkeitsstörungen auf, gelten aber natĂŒrlich nicht als krank. Therapeuten gelten demgegenĂŒber aber scheinbar als Leute, die sich nur in Bezug auf Krankheit zu verhalten wissen. In (vielen) amerikanischen Schulen werden Ergos aber beispielsweise in begleitender Funktion eingesetzt (also prophylaktisch).

Da die Klientel einen sehr hohen AuslĂ€nderanteil hat, gibt es seitens der Jobcenter inzwischen Signale, dass in bestimmten Stadtteilen (mit ĂŒberdurchnittlich hohem AuslĂ€nderanteil) besondere Richtlinien gelten sollen. Mit meinem Projekt reagiere ich bewusst naiv darauf und verweise auf den spezifisch hohen Identifikationsgrad, den ein Gegenstand wie das Cajon auf bestimmte Jugendliche haben kann (also: die Wirkung der Trommel als solcher). Und dann ist da natĂŒrlich noch der Bereich der psychosozialen Wirkung, die der Umgang mit den Musikinstrumenten in der Gruppe erzeugt – und: der Erwerb interkultureller Kompetenz, den es reflektorisch zu unterstĂŒtzen gilt.

Das sind doch schon mal einige Aspekte, unter denen man das Thema betrachten kann. Aber ich will es auch nicht einengen.


Die Art und Weise des Trommelns lĂ€sst unter UmstĂ€nden RĂŒckschlĂŒsse auf bestimmte Aspekte der Persönlichkeit zu: SchlĂ€gt jemand "stur" und monoton immer den selben Beat, klebt also an Mustern oder wirkt das Trommeln "chaotisch" und unstrukturiert ohne Ordnung (das alles natĂŒrlich ohne Wertung i. S. von "gut" oder "schlecht")?

Hat man da eine Tendenz gefunden, kann man versuchen, den Beat des Anderen aufzufangen und etwas in die entgegengesetzte Richtung zu lenken. Die EinschrĂ€nkung ist klar: Eine fundierte Darstellung einer Persönlichkeitsstruktur kann natĂŒrlich nicht alleine auf der Grundlage des Trommeln basieren, sondern ist nur ein kleiner Teilaspekt davon. Dasgleiche gilt fĂŒr eine angestrebte VerĂ€nderung der Strukturen. Aber es ist ein möglicher nonverbaler und sehr basaler Zugang, ...

Wie wÀrs wenn man den Bass/die BÀsse, als basale Stimulation sieht?

Die gehören selbstverstĂ€ndlich dazu. Aber ich glaube kaum, dass man darauf eine Therapie beschrĂ€nken kann. Es sei denn, Du hĂ€ttest damit schon mal jemandem aus dem Koma geholt ;). Die Wirkung von BĂ€ssen ist natĂŒrlich aber in besonderer Weise basal, da man sie gegenĂŒber anderen Frequenzen auch stĂ€rker taktil wahrnehmen kann. Insbesondere in Verbindung mit großer LautstĂ€rke erhöhen die den Muskeltonus – machen, wenn man sich nicht abreagiert (z.B. durch Tanzen o.Ă€.) auch aggressiv. Dazu fĂ€llt mir was ein: Ein Freund von mir hat als Hiwi eines Sportprofessors mal eine Hausarbeit vorkorrigieren mĂŒssen, in der es um das Verhalten junger MĂ€nner in Diskotheken ging. Musikproduzenten wurde darin unterstellt, dass sie mit Blick auf die Zielgruppe "Lonely Wolf", lĂ€ssig am Pfeiler lehnend und kontinuierlich Umsatz produzierend, besonderen Wert auf Backing-Vocals und Chor legen, weil das in der Wahrnehmung Gemeinschaft/Geborgenheit erzeugt – d.h. die Einsamkeit nimmt.

... gerade im Bereich der SonderpÀdagogik, wo ja oftmals andere Wege verschlossen bleiben.

So habe ich in der besagten Trommelgruppe (psychiatrisches Klientel) teilweise auch gearbeitet – vor allem aber beobachtet. In erster Linie ging es allerdings um die Kommunikation innerhalb der Gruppe. Darin sind Psychiatrisch-Erkrankte im normalen Kontext ja oft sehr eingeschrĂ€nkt. Es handelte sich hier um eine Betreuungseinrichtung fĂŒr sog. austherapierte Menschen, d.h. fĂŒr solche, denen im Grunde nicht geholfen werden kann und die zumeist bereits in der Kindheit erkrankt sind. Dadurch konnte eine normale (z.B. kognitive) Entwicklung eben auch nicht stattfinden (Stichwort "basaler Zugang").

Mein Borderline-Klient gehörte auch dazu, und ich hatte speziell bzgl. dieser Problematik irgendwann vorher mal einen Text gelesen, in dem Trommeln in der Gruppe gerade als Möglichkeit gesehen wird, bei frĂŒhen Störungen (wenn ich mich nicht irre, bezeichnet man so Störungen, die vor dem Spracherwerb verursacht wurden) die Betreffenden in GefĂŒhlslagen zu bringen, die den ZustĂ€nden wĂ€hrend der symbiotischen Beziehung mit der Mutter Ă€hneln. Da bestĂŒnde eine Möglichkeit, ĂŒber geschickte Lenkung immer wieder dafĂŒr zu sorgen, dass sich jemand (symbiotisch) als Teil des Gruppengeschehens erlebt und im solistischen Heraustreten aus der Gruppe (emotional/symbolisch?) immer wieder das Entwicklungssegment "durchschreitet", in dem etwas zu seiner (Beziehungs-)Störung gefĂŒhrt hat.

Erstmal genug. GrĂŒĂŸe, olliB.
 
Hallo,


'ne Freundin von mir hat einen Sohn, der unter dem Tourette-Syndrom leidet, d. h., er hat unkontrollierte Ticks. Seit er Schlagzeugunterricht erhĂ€lt, ist das spĂŒrbar besser geworden. Offensichtlich wirkt sich rhythmisches Training auch auf die Selbstkontrolle aus. WĂ€re interessant, in diese Richtung zu "forschen", das könnte 'ne TherapieergĂ€nzung abgeben.

Gruß

Hermann
 
Wirklich interesanntes Thema!
Leider habe ich gerade nicht die Zeit um alles auszuschreiben, deshalb fasse ich mich im Moment kurz.

Ich habe bei uns an der Hochschule einen Medienkurs belegt zum Thema Klangtherapie und dort zeigte uns unser Dozent eine selbstgedrehte Dokumentation eines MĂ€dchens, welche ans Bett gefesselt war, da sie von einem Schulbus erfasst wurde. Sie war nicht fĂ€hig sich zu verstĂ€ndigen und sie war motorisch extrem eingeschrĂ€nkt. Sie wirkte wie ein Baby obwohl sie geistig relativ fit war. Sie war quasi in ihrem Körper gefangen. DIe Ärzte haben sie so gut wie abgeschrieben.
Mein Dozent machte mit ihr Klangtherapie um ihren Körper zu "reaktivieren". Er hat ans Ende ihres bettes klapernde Ketten gebunden und selbst auf der Flöte einfache Melodien gespielt und das MĂ€dchen sollte immer wenn sie meinte es wĂŒrde passen mit der Kette zur Melodie klappern.
So therapierte er sie Jahr fĂŒr Jahr und nach gut 3-4 Jahren war das MĂ€dchen motorisch wieder fast normal.

Ich war davon selbst sehr fasziniert!

ciao
Lava
Dazu habe ich viele Erfahrungen machen können, da ich mit Trommel im Jahr 2000 den GlĂŒcksbringer fmich und alle mir Anvertrauten fand. Ein Beispiel :15 Jahre alt war SIE, die nicht selbststĂ€ndig ihre Nahrung bis zu dem Zeitpunkt einnahm. Durch die Arbeit an und mit den Trommeln und Percussions lernte sie ihre "Fesseln zu brechen", Sie verließ die Schule vor fast 20 Jahren und sitzt am PC, ebenso am Schlagzeug. Seit 2020 bin ich nach mehr als 40 Jahren im Ruhestand und gebe meine Erfahrungen in einer Frauen-Gruppe weiter. Angie
 
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