4. A. Arbeiten an der Struktur

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Arbeit an der Struktur
Wir gehen davon aus, dass Ihr eine Idee habt, schon etliche Zeilen oder eine Rohfassung des Textes, die wesentlichen Elemente für Handlung/plot stehen, Ihr Euch über die Erzählperspektive Gedanken gemacht und Euch entschieden habt, in welcher Sprache Ihr den Text verfassen und ob Ihr reimen oder nicht reimen wollt.

Zu all diesen Punkten gab es eigene Abschnitte mit vielen Hinweisen und Anregungen.

In diesem Abschnitt geht es um die Strukturelemente von Texten.


Was ist Struktur und wofür ist das gut?
Die Struktur bezieht sich nicht darauf, was gesagt wird, sondern darauf, wie es gesagt bzw. wie es angeordnet wird. Bezogen auf die Musik spricht man von Arrangement: es gibt eine Melodie, es gibt musikalische Themen, einen Solo-Part, eine Bridge etc. Das musikalische Material liegt also in der Rohfassung vor. Nun stellt sich die Frage, wie es angeordnet wird. Geht man direkt in die erste Strophe? Fängt der Gesang an? Wird die Spannung langsam erhöht oder beginnt man mit einem Kracher? Wie oft kommt der Refrain und an welchen Stellen?

Bezüglich des Textes stellen sich hier ähnliche Fragen. Diese wollen wir kurz ansprechen.

Form und Inhalt
Über dieses Thema sind klafterweise Bücher geschrieben worden, es haben sich unterschiedliche Philosophen darüber den Kopf zerbrochen und es gibt verschiedene Ansätze und Lösungen. Und Ihr ahnt schon worauf das hinausläuft: die eine alle seligmachende Antwort oder Lösung gibt es nicht.

Man kann aber einige Positionen benennen und versuchen, diese möglichst konkret und anschaulich darzustellen. Wer noch keinen Blick in die Einleitung geworfen hat, kann dies vielleicht nun tun - denn das Verhältnis von Form und Inhalt hat viele Gemeinsamkeiten mit dem Verhältnis von Text und Musik.

Die Entsprechung
dürfte das geläufigste Verhältnis von Form und Inhalt sein. Nehmen wir an, es geht um einen Text über einen Menschen, der langsam wahnsinnig wird, abdreht, wegdriftet. Was ist der Inhalt des Wahnsinns? Richtig: Chaos, eine Auflösung all dessen, was wir als Realität betrachten, ein Aufbrechen von Ordnung und "Normalität". Was wäre die dazu entsprechende Form? Richtig: ein Aufbrechen "normaler" Formen und Ordnungen. Also: Sätze brechen plötzlich ab oder werden oft wiederholt, überhaupt herrscht eine sehr assoziative Sprache vor ohne klare Satzstruktur, vieles scheint - zumindest auf den ersten Blick - sinnlos und verwirrend. Natürlich gibt es demzufolge keine Reime, ja letztlich keine feste Struktur (Zeilen und Zeilenlängen, Strophe-Refrain-Schema etc.).

Die Form (Auflösung von Ordnung und Normalität) entspricht also dem Inhalt (Auflösung von Ordnung und Normalität). Wir können jetzt unser Blickfeld erweitern und andere Themen finden, bei denen eine ähnliche Entsprechung vorliegen könnte:
Ein Traum wird geschildert oder eine Phantasie, ein Mensch liegt fiebernd danieder oder befindet sich auf einem Trip. Aber auch viele aufwühlende Erfahrungen können hier angeführt werden: Kriege, Katastrophen, Revolution, Anarchie. Und schließlich Grunderfahrungen wie das Gefühl grenzenloser Freiheit oder der Liebe oder des Todes. Alle diese Erfahrungen - wenn sie nur intensiv genug erlebt und gefühlt werden, sind grenzüberschreitend, sprengen die Normalität und die als so allgegenwärtig empfundene Ordnung.


Auch hier wäre die Entsprechung bezüglich der Form eben eine Auflösung und Sprengung des Formalen, der Ordnung, der Eingrenzungen von Reim, Satzbau, Metrik etc. Es gibt etliche literarischen Beispiel hierfür, darunter viele aus sogenannten psychodelischen oder psychedelischenTexten. Wer mag, kann sich mal Texte von William S. Burroughs (
http://de.wikipedia.org/wiki/William_S._Burroughs ) anschauen oder den "Bericht für eine Akademie" von Kafka lesen. Auf musikalischem Gebiet könnte man psychodelischen/psychedelischen Rock anführen (http://de.wikipedia.org/wiki/Psychedelic_Rock ), typische Vertreter wären die Gruppen Doors ( http://www.youtube.com/watch?v=rgVA1_qG0e0 ), Pink Floyd, Velvet Underground oder Yes und King Crimson, neueren Datums die Gruppen Tool oder Dream Theatre (die aber eher der Ecke Prog-Rock zugeordnet werden können).


Natürlich gibt es diese Entsprechung zwischen Form und Inhalt auch bei dem anderen Extrem: einengende Pedanterie, Diktatur, Militär, Knast oder Jugendheim, Sekten, Sklaverei, Starre, Zwang, rigide Ordnungen etc. Hier wäre die Entsprechung zu diesen Inhalten das unbedingte Einhalten enger formaler Prinzipien wie starres Reimschema, klare Metrik und rigider Rhythmus etc.

Grundsätzlich unterstützen und verstärken sich bei einer Entsprechung Form und Inhalt gegenseitig in ihrer Wirkung.


Der Gegensatz
von Form und Inhalt kann hier recht kurz gehalten werden, denn er ist die einfache Umkehrung der Entsprechung.
Form und Inhalt verhalten sich gegensätzlich. So werden die Wirren des Krieges, das Chaos oder ähnliche Erfahrungen der Auflösung in einer sehr starren Formalität wieder gegeben.


Die Wirkung ist sehr verblüffend. Denn sofort hat man das Gefühl: hier stimmt etwas nicht. Dinge arbeiten gegeneinander, etwas passt nicht - das eine sperrt sich gegen das andere. Damit ist in der Regel eine Steigerung der Spannung verbunden und oft wird bewirkt, dass man sich näher mit dem Text und dem Inhalt beschäftigt, weil man wissen möchte, was einen daran irritiert.


Entsprechung und Gegensatz
Wir haben hier die Extreme betrachtet, um sie deutlicher und erkennbarer zu machen. Natürlich gibt es in der Realität und der Vielfalt literarischer Text alle möglichen Abstufungen, Übergänge und auch die Kombination dieser Elemente.


Ein paar Beispiele
Man vergleiche einmal folgende zwei songs: von Jimi Hendrix die Fassung der amerikanischen Hymne, die er allein auf seiner elektrischen Gitarre in Woodstock darbrachte: am Anfang sind die Töne und ist die Melodie der Hymne noch zu erkennen. Dann mit zunehmender Zerre zerfetzt er sozusagen die Hymne, führt sie ins Chaos und imitiert Bomben und Kriegsgeräusche. Damals befand sich die USA im Krieg gegen Vietnam - die anfangs leicht zu gewinnen scheinende Mission glitt den USA völlig aus den Händen bis sie schließlich großflächig Napalmbomben abwarf und entgegen internationalen Regeln die Zivilbevölkerung in ihren Krieg einschloss. Hier also ein Beispiel für die Entsprechung von Form und Inhalt.

Hört man sich dagegen den song "Another one bites to dust" von Queen an, so hört man einen einfachen, durchgehenden Beat, eine ohrwurmartige Melodie mit geraden Riffs, kaum eine Steigerung und gar keine Auflösung irgendwelcher musikalischen oder textlichen Formen, obwohl es auch hier um Tod und das Militär geht. Ich würde nicht so weit gehen, hier von einem klaren Gegensatz sprechen, aber deutlich wird doch, dass das Verhältnis von Form und Inhalt hier ein gänzlich anderes ist.

Es geht hier auch nicht um eine Wertung. Das eine ist nicht "besser" als das andere. Es geht hier nur darum, dass die Wirkung eine andere ist - und dass diese Wirkung auch durch das jeweils spezifische Verhältnis von Form und Inhalt geprägt ist.

Zum Schluss mal ein Beispiel und eine kleine Übungsaufgabe.
Lest mal den folgenden songtext eines Autoren - es handelt sich um Floh - der diesen Text auf dem Board gepostet hat. Wodurch wird am Ende das inhaltliche Überraschungsmoment formal unterstützt? Und handelt es sich dabei um eine Entsprechung oder einen Gegensatz?


Ein Tag im Glück

Gestern hab ich dir den Tag
Die Schönheit meiner Stadt gezeigt
Die alte Weide die sich schützend
über unsere Köpfe neigt.
In dem Park der immer zu wissen scheint
wie ich mich gerade fühl
Der kleine Bach hielt unsere Füße
den ganzen Tag lang kühl

Gestern hast du mir den ganzen Tag
dein Leben im Detail beschrieben
wie kann es da noch Menschen geben
die dich kein bisschen lieben
Ich hab dir aufmerksam zugehört
doch vielleicht hab ich abwesend gewirkt
ich wusste nicht, dass jemand den ich schon so lange kenn
soviel Schönheit in sich birgt

Und ich dachte für einen Moment
ich könnte glücklich werden
Aufhören mich mit andern zu vergleichen
Aufhören alles schwarz zu zeichnen
Anfangen das Gute zu sehen
singend und tanzend durch den regen zu gehen

oder sind meine Beine eingestaubt
ist das Glück zu verloren geglaubt
Wurde mir der Mut geraubt
gibt es dich überhaupt
gibt es dich überhaupt
gibt es dich überhaupt
ich glaube kaum
 
Eigenschaft
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Wer sich mit Songtexten auseinander gesetzt oder auch nur flüchtig andere Texte angeschaut hat, dem werden einige Strukturelemente aufgefallen sein.

Diese wollen wir kurz anführen und erläutern:

Vers / Strophe
Verse und Strophe bedeuten das gleiche.
In den Strophen wird normalerweise "erzählt". Das heißt, hier wird die Handlung geschildert, die Personen eingeführt, die Erzählperspektive etc.
Strophen gliedern sich wieder formal in Zeilen, die sich reimen können oder auch nicht - das entscheidet Ihr.

Von den Textlängen her haben meist die Strophen das Übergewicht.
Musikalisch sind in der Regel die Strophen gleich. Oft aber ändert sich die Stimmung, manchmal die Dynamik. "Stairway to Heaven" von Led Zepellin ist dafür ein gutes Beispiel: Die Längen der Strophen und die formale Struktur (Reime, Anzahl und Längen der Zeilen) bleibt gleich. Die begleitende Gitarre geht aber nach dem ersten Teil über in eine durchgespielte Gitarre, um dann später zunehmend "härter" zu werden, mit Riffs und etwas Zerre. Außerdem kommt nach einem Break das Schlagzeug hinzu, der ganze sound wird fülliger, der Rhythmus treibender ohne dass sich die Grundgeschwindigkeit des songs ändert.

Hier wird also mit der Dynamik gespielt, was sich auch auf den Gesang auswirkt.
In diesem song kommt besonders gut zur Geltung, was in der Einleitung angesprochen wurde: in einem song bilden Text und Musik eine Einheit, in der beide Elemente sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken können.


Refrain
Der Refrain enthält normalerweise die "Botschaft" oder die "Essenz" des songs. Der Refrain sollte deshalb in der Regel besonders einprägsam sein. Das kann - muss aber nicht - bedeuten, dass im Refrain Reime Verwendung finden.

Der Refrain kann das Lied über gleichbleiben. Es gibt aber auch songs, wo ein Teil des Refrains oder der Refrain im Ganzen sich ändert.

Musikalisch ist der Refrain oft herausgehoben. Oft geht der Refrain sozusagen "ab" und richtig nach vorne. Der Refrain kann - aber muss nicht - aus einer anderen Erzählperspektive geschrieben sein.

Beim Refrain ist darauf zu achten, dass er wirklich gut zu singen ist, dass er klar und prägnant formuliert wird und dass er im Ohr hängen bleibt.


Chorus

Chorus kommt soviel ich weiß wirklich von Chor im Gegensatz zur Einzelstimme.
Im Blues, Soul oder Gospel findet dies oft Verwendung. Die Funktion ist ähnlich wie beim Refrain.

Im song "California Dreaming" findet Ihr eine fast exemplarische Verwendung von Einzelstimme, Chorus und Refrain.

Man kann unterschieden zwischen einem Chorus, der das wiederholt, was die Einzelstimme singt und einem Chorus, der sozusagen der Einzelstimme "antwortet".
Besonders durch die zweite Variante ergibt sich die Möglichkeit, eine andere Erzählperspektive einzuführen. Dadurch, dass der Chorus normalerweise von mehreren Stimmen und nicht der Einzelstimme gesungen wird, tauchen seitens der Hörer kaum Irritationen beim Wechsel der Erzählperspektive auf.

Bei dem Chorus, der die Einzelstimme wiederholt, wird der Eindruck erzeugt, dass die Bedeutung der Einzelstimme verstärkt wird - sie wird sozusagen durch das Echo von anderen Stimmen in seiner Aussage bestärkt. Auch dieses Element kann man gut nutzen.

Beim Chorus kommt es natürlich auch darauf an, dass man bei der Umsetzung auf weitere Stimmen zurückgreifen kann. Zur Not müssen eben Bassist und zweiter Gitarrist mit ihren Stimmen aushelfen, manchmal ist auch der drummer mit dabei. Musikalisch mag das eine Einschränkung bedeuten - nicht jeder Bassist ist verfügt ja über eine geschulte Stimme - aber es ergeben sich dennoch sehr belebende Passagen, die sich wohltuend abheben und zur Abwechslung beitragen.


Bridge
Bridge bedeutet eine Hinleitung von einem Teil zum nächsten. Das kann rein musikalisch stattfinden, kann aber auch eine textliche/stimmliche Hinführung sein.

Bridges können sehr kurz sein und beispielsweise eine andere Erzählperspektive einläuten: "And then she said:" oder ähnliches - gefolgt vom Refrain, in der "ihre Version" oder "ihre Antwort" auf die bisherige Schilderung oder Situation vorgetragen wird.


Und es kann auch ganz anders sein ...
Das sind die wesentlichen und typischen Elemente eines songtextes.
Natürlich muss nicht jeder songtext einen Chorus oder eine Bridge enthalten und es gibt auch Texte - psychodelische beispielsweise - die auf eine Unterteilung in Strophe und Refrain verzichten.

Es kommt eben darauf an, dass die Form den Inhalt unterstützt.
Je nach dem Inhalt bietet sich eben ein bestimmter Aufbau und die Nutzung dieser verschiedenen Elemente mehr oder weniger an bzw. ist mehr oder weniger sinnvoll im Sinne von unterstützend.
Eine allgemeine Formel gibt es hierfür meines Wissens nicht.
 
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Zum Chorus sei noch angemerkt, dass der Begriff im englischen sowohl für "Chor" als auch für "Refrain" steht, also wenn bei einem englischen Liedtext "Chorus" steht heißt das nicht zwangsläufig, dass hier mehrere Stimmen singen.
 
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