Außereuropäische Musikkulturen im Musikunterricht

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Das Kennenlernen anderer Musikkulturen ist ein wichtiger Bestandteil der schulischen Musiklehrpläne seit Jahrzehnten. Und niemand hat davon gesprochen, angesichts der weiten Verbreitung der Diatonik andere Tonordnungssysteme aufzugeben. Auch hier gilt doch: es geht doch nicht um Extrempositionen ("etwas aufgeben"), sondern um den konstruktiven Mittelweg. Da würde ich von dir gerne eine Idee hören, wie Schüler dazu gebracht werden können, vielleicht nicht unbedingt sofort diatonisch zu denken.

"schulische Musiklehrpläne".. du meinst an Hochschulen, oder? Denn an meiner Schule wußten die Musiklehrer nicht viel über andere Kulturen. Auch an der Musikschule, wo eigentlich deutlich mehr Wissen versammelt war, kam da nix rum. Ich glaube nicht, daß das heute anders ist, denn die Lehrer, die heute dort unterrichten, sind meine Generation und die wissen nix. Und die, die was wissen, sind nicht in der Provinz, soviel steht fest.


cheers, fiddle
 
Eigenschaft
 
"schulische Musiklehrpläne".. du meinst an Hochschulen, oder?

Nein, ich meinte allgemeinbildende Schulen.

Denn an meiner Schule wußten die Musiklehrer nicht viel über andere Kulturen. Auch an der Musikschule, wo eigentlich deutlich mehr Wissen versammelt war, kam da nix rum. Ich glaube nicht, daß das heute anders ist, denn die Lehrer, die heute dort unterrichten, sind meine Generation und die wissen nix. Und die, die was wissen, sind nicht in der Provinz, soviel steht fest.

Du formulierst da mit viel Allgemeingültigkeit, belegst das aber nur durch deine persönliche Erfahrung - das wirkt nicht sehr glaubhaft. In Hessen steht's im Lehrplan, in Sachsen auch, ebenso in NRW und in Berlin. Das war jetzt nur auf die Schnelle, bei intensiver Recherche dürfte die Tendenz bei allen Suchulformen in allen Bundesländern gleich sein.

Wenn die dir bekannten Musiklehrer andere Musikkulturen nicht behandelt haben bzw. nichts darüber wußten, war das natürlich nicht gut und hat aller Wahrscheinlichkeit nach nicht den notwendigen Standards entsprochen. Daraus aber eine Allgemeingültigkeit abzuleiten, halte ich für zu kurz gegriffen.

Harald
 
Hallo Harald,

ich habe mir mal den Lehrplan von Hessen angeschaut und gehe mal davon aus, daß die der anderen Bundesländer in etwa ähnlich aussehen. Hier habe ich zu "außereuropäischer Musik" nichts gefunden. Es gibt nur einen kurzen Block für die Jahrgangsstufe 6 mit "Lieder und Tänze aus verschiedenen Ländern", der mit 12 Stunden angesetzt ist. Darin intergriert soll sein:

… Stimmbildung
… Lieder aus verschiedenen Regionen Deutschlands
… deutsche Nationalhymne
… fremdsprachige Lieder
… Tänze/Choreographien reproduzieren und erfinden
… Erfinden neuer Strophen, neuer Texte etc.
… Ausdrucks- und Wirkungsgehalt, inhaltliche Beson-derheiten, Funktion
… Ableitung geeigneter Aspekte der Elementarlehre (z. B. Tonskalen und Melodiearten)
… Ländertypisches in Liedern und Tänzen
… Bedeutung der Folklore in verschiedenen Ländern

.. und fakultativ:
- zusammengesetzte Taktarten in folkloristischer Musik
- besondere Tonskalen in der Folkloremusik einzelner Länder

Hier steht nichts von außereuropäischer Musik. Wir können uns vorstellen, wieviel Zeit für das eigentlich Interessante übrig bleibt. Für mich liest sich der Lehrplan so, als kann man sich hier problemlos an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit "fremder" Musik vorbeischummeln. Außerdem wird die Musik anderer Kulturen unter "folkloristisch" abgelegt. Das ist etwas diskriminierend gegenüber z.B. der chinesischen Oper, oder der Persischen Musik.

In Jahrgangsstufe 13 gibt es ein Themenpunkt: "- Rezeptionsproblematik außereuropäischer Musik" unter fakultativ (also: wahlweise/optional).


Grundsätlich bin ich, was Lehrinhalte betrifft, durchaus streitlustig eingestellt, habe aber mitlerweile eine fatalistische Sichtweise darüber entwickelt. Das beginnt damit, daß unser damaliger Kultusminister zwar etwas von Fußball verstand, aber keine Ahnung von Musik hatte. Es setzt sich darin fort, daß die Lehrer mit einem aufgeblasenen Lehrplan konfrontiert werden und am Schluß vor einer Horde Schüler sitzen, von denen 80% nicht mal einen Violinschlüssen malen können. So ein Lehrplan ist zwar nett zu lesen (jetzt weiß ich endlich, was ich alles verpaßt habe), aber wenn man vom heeren Ziel eines gewissen kulturellen Basiswissens ausgeht, dann ist dieser hoffnungslos überzogen.

Musiklehrer wären mit der Aufgabe: "musikalisches Basiswissen" nicht überfordert, aber mit vielen anderen, im Lehrplan aufgeführten Inhalten schon. Man stochert überall ein bischen in der Suppe und am Schluß bleibt nichts übrig.

Wenn das Fach Musik überhaupt noch an Schulen unterrichtet werden soll, dann müßte der Lehrplan abgeschafft werden. In Zeiten: "Deutschland sucht den Superstar" muß man Schüler dort packen, wo ihr Interesse liegt und das geht nicht, indem man mit dem Notensystem beginnt. Man muß zuerst mit der Musik beginnen und danach die Hilfsmittel und deren Notwendigkeit erklären nach dem einfachen Prinzip: "was will ich machen, wie ist das aufgebaut, was brauche ich dafür?"

Ich kenne einen Lehrer, der an einer Sonderschule unterrichtet. Übrigens ist er mein Bandkollege und ein guter Gitarrist. So, wie er mit seinen (schwierigen) Schülern arbeitet, hätte ich mir das selbst auch am Gymnasium gewünscht. Aber mir scheint der Lehrplan von irgendwelchen Kulturpädagogen wieder mal akademisch aufgeblasen zu sein. Zu theoretisch, zu akademisch. Musik ist nicht theoretisch. (und akademisch zum größten Teil auch nicht!)
Ich habe noch einen Bandkollegen, der an einer Hauptschule Musik unterrichtet. Ich glaube, daß er auch einen ganz guten Unterricht macht, obwohl Rhytmus und komplexe Harmonik nicht gerade seine Stärken sind.

Meine Auffassung: Musik darf nicht von einem Musiklehrer unterrichtet werden, sondern nur von einem Musiker. Das ist provokativ, weiß ich. Ein geeigneter Musiker müßte einer sein, der mehrere Instrumente gut spielen kann (z.B. Gitarre, Bass, Schlagzeug und etwas Gesang), nicht übermäßig toll, aber soweit, daß man was demonstrieren kann, ein Ahnung von Arrangement hat, wie das Bandgefüge funktioniert und verschiedene Musikstile reproduzieren kann und noch etwas von Komposition/Instrumentation und Harmonielehre versteht und songs schreiben kann. Einer, der regelmäßig spielt.
Klassiker sind, nach meiner heutigen Auffassung, dafür ungeeignet, da zu speziell. Was weiß ein Klassiker von Rock, Jazz oder Pop? Nix. Weltmusik? Nada. Improvisation? ach komm.. Songtexte/Lyrik? Wer versteht den Text einer Oper? Den muß man nachlesen!

(Mein Hauptinstrument ist übrigens: Geige. Ich kenn mich aus in der Szene.)

Einen Lehrplan halte ich für kontraproduktiv. Das ganze System ist bullshit und für mich gibt es nur zwei mögliche Lösungen: entweder a) sanieren, oder b) komplett streichen.

Um auf die Überschrift zurück zu kommen: ich sehe weder Platz noch Kompetenz für solch einen Unterricht. Es gibt dringendere Brandherde im schulischen Untrricht zu löschen.


cheers, fiddle

p.s. ich habe diesen thread nicht eröffnet. Das war Harald. Wenn das thema einen andern Weg einschlägt, dann muß Harald ihn umbenennen, oder verschieben. Ich sehe mich an das Anfangsthema jedenfalls nicht gebunden.

pps. im hessischen Lehrplan wird als Beispiel für zeitgenössische Musik Benjamin Britten aufgeführt. Ich liebe Britten. Aber der Mann ist seit über 30 Jahren tot. 1. warum kein deutscher Komponist? und 2. warum nicht einer, der noch lebt? Wäre das nicht eine gute Demonstration für die tote, moderne Klassik? Und wer hat über Britten, Sibelius, Prokofiev und Shostakovic abgeläster? Es war T. Adorno. Was für ein A..loch! Danke für dieses Erbe.

30 Jahre hinterher. Ja, das kann man von diesem Lehrplan auch behaupten. Ich würde die Zahl um Faktor 3 erhöhen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Keiner von uns hat den detaillierten Überblick über alle Lehrpläne aller Bundesländer aller Schulformen, von daher kann auch ich nur Tendenzen zeigen. Nicht zuletzt auch die Tendenzen, die ich selbst durch das Lehramtsstudium Musik mitbekommen habe. Auch das ist eine persönliche Erfahrung, aber zumindest als pädagogisches Ideal für eine berufliche Tätigkeit. Jedem Lehrer steht es natürlich frei, die Inhalte des Studiums und die Inhalte der Lehrpläne zu interpretieren und auf die konkrete Situation vor Ort hin zuzuschneidern. Trotzdem halte ich daran fest, daß es seit Jahrzehnten das Ideal der Behandlung außereuropäischer Musikkulturen im Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen gibt, denn die Inhalte der Lehrpläne und die Inhalte des Lehramtsstudiums zeigen dahingehend die gleiche Tendenz. Außereuropäische Musik hat keinen besonders hohen Stellenwert, wird evtl. zu gering behandelt und fällt vielleicht sogar unter den Tisch. Mein Punkt war lediglich, daß dein Einzelfall keine grundsätzliche Beurteilung des Unterrichtsgegenstands zulässt.

Dein Beispiel der hessischen Jahrgangsstufe 6 erlaubt außereuropäische Musik z.B. in Form der drei von dir aufgeführten Punkte: fremdsprachige Lieder / Ländertypisches in Liedern und Tänzen / Bedeutung der Folklore in verschiedenen Ländern. Explizit erwähnt wird die außereuropäische Musik hier zwar nicht, sondern erst in der Planung für Klasse 13, aber naheliegend wäre es schon. In vielen Liederbüchern für die Sek I-Stufe stehen ja auch Lieder wie "Hava Nagila", "Kalinka", "Die Wolgaschlepper" oder "Michael, row the boat ashore". Andere Beispiele hier.

Außerdem wird die Musik anderer Kulturen unter "folkloristisch" abgelegt. Das ist etwas diskriminierend gegenüber z.B. der chinesischen Oper, oder der Persischen Musik.

Mit "folkloristisch" ist Folklore-Musik gemeint. Das schließt Opern nicht ein. Persische Musik fällt teils sicher unter den Folklorebegriff, das wäre am Einzelfall zu klären.

Grundsätlich bin ich, was Lehrinhalte betrifft, durchaus streitlustig eingestellt, habe aber mitlerweile eine fatalistische Sichtweise darüber entwickelt.

Das mag für dich eine taugliche Haltung sein, aber weder für Lehrer noch für Schüler wäre es das. Obwohl der Lehrplan Schülern grundsätzlich egal sein kann (solange sie ihn erfüllen...) spielt er doch eine Rolle für die Unterrichtsplanung und -gestaltung. Lerninhalte sind vorgegeben und sowohl Lehrer als auch Schüler müssen sich damit auseinandersetzen.

Es setzt sich darin fort, daß die Lehrer mit einem aufgeblasenen Lehrplan konfrontiert werden und am Schluß vor einer Horde Schüler sitzen, von denen 80% nicht mal einen Violinschlüssen malen können.

Tja, dann haben die Schüler eben die Lerninhalte der 5.Klasse nicht begriffen, wo in der Regel Notation behandelt wird. Daß es bei Schülern immer wieder Defizite gibt, ist ja unbestritten. Daß es möglicherweise überflüssige Lehrplaninhalte gibt, ebenso. Aber aus den Extremfällen ("Lehrplan->aufgeblasen" und "Schüler->beherrschen keine Grundlagen") zu folgern, daß Lehrpläne falsch sind, ist zu kurz gegriffen. Vielmehr sollen Lehrpläne sicherstellen, daß der größte Teil der Schüler den größten Teil der relevanten Dinge lernt.

Wenn das Fach Musik überhaupt noch an Schulen unterrichtet werden soll, dann müßte der Lehrplan abgeschafft werden. In Zeiten: "Deutschland sucht den Superstar" muß man Schüler dort packen, wo ihr Interesse liegt und das geht nicht, indem man mit dem Notensystem beginnt. Man muß zuerst mit der Musik beginnen und danach die Hilfsmittel und deren Notwendigkeit erklären nach dem einfachen Prinzip: "was will ich machen, wie ist das aufgebaut, was brauche ich dafür?"

Das ist sehr einseitig gedacht. Musikunterricht richtet sich an mehr Gruppen als die DSDS-Zielgruppe und verfolgt auch viele andere Ziele neben dem Musikmachen. Du stellst das kurzfristige Nützlichkeitsprinzip in den Vordergrund (Utilitarismus), aber ebenso sollen langfristige Kenntnisse und Verhaltensweisen gelernt werden, die mit einer direkten Nützlichkeit nicht in Einklang stehen. Schulischer Musikunterricht hat Ideale (die zugegebenermaßen manchmal schwer erreichbar sind), die den Umgang mit Musik thematisieren, um generell einen bewußten Umgang mit Kultur zu fördern. Die langfristige Nützlichkeit dieser Ziele ist nicht direkt umformbar in Handlungsanweisungen Ziel-Mittel-Methode.

Aber mir scheint der Lehrplan von irgendwelchen Kulturpädagogen wieder mal akademisch aufgeblasen zu sein. Zu theoretisch, zu akademisch. Musik ist nicht theoretisch.

Aber Musikunterricht ist nicht nur Musikpraxis. Hast du darüber mal mit deinem Bandkollegen gesprochen? Wäre vielleicht mal eine Überlegung.

Musik darf nicht von einem Musiklehrer unterrichtet werden, sondern nur von einem Musiker. Einen Lehrplan halte ich für kontraproduktiv. Das ganze System ist bullshit und für mich gibt es nur zwei mögliche Lösungen: entweder a) sanieren, oder b) streichen.

Naja, das ist so einseitig gefordert, daß du dir an den eigenen Fingern abzählen kannst, daß doch wohl am Lehrplansystem was Gutes dran sein muß, wenn es das so seit über 100 Jahren gibt. Es ist doch nicht so, daß alle Musiklehrer in Deutschland blind, dumm und taub sind und das nachbeten, was unvorbelastete Verwaltungsangestellte sich am Schreibtisch ausdenken. Es ist durchaus so, daß deine ganzen Überlegungen im "System" durchaus schon mal gedacht wurden, und in der Summe aller Überlegungen, kulturellen Hintergünde, organisatorischer Notwendigkeiten und den Fakten des aktuellen Musiklebens der Stand der Dinge als der beste Kompromiss bei herauskam. Natürlich müssen Lehrpläne saniert werden und die Lehrer müssen die Änderungen der Lebenswelt der Schüler berücksichtigen.

Vielleicht hast du einen Vorschlag für eine Gestaltung der SekI/II-Lehrpläne für Musik, das würde mich interessieren.

Harald
 
Hi Harald,

ich lese hier andauern: "zu kurz gedacht" und "hast du schonmal darüber nachgedacht?"
Das möchte ich hier gleich mal im Ansatz zurückweisen.

NRW:
"Fazit:
Der neue Lehrplan Musik weist im Vergleich zum bisher gültigen in seinen Forderungen keine grundlegenden, diesen revolutionierenden Neuerungen auf. Es kommt lediglich zu Akzentverschiebungen und wenigen Ergänzungen wie:

* Das Hören wird in seiner grundlegenden Bedeutung hervorgehoben. Die Grafik stellt daneben weitere mit dem Musikunterricht verwobene bzw. zu verknüpfende Bereiche heraus: musikalisches Umfeld, Schulleben, andere Fäcer. Deren Bedeutung kam bereits im bisherigen LP zur Sprache.

* Dem Prinzip der Kreativität wird mehr entsprochen.

* Der interkulturelle Aspekt, die Behandlung von Musik anderer, nicht nur europäischer, Länder und Völker, wird unterstrichen.

* Die mikrophonale Aufzeichnung von Unterrichtsergebnissen wird als unerlässlich angesehen.

* Weitere hervorgehobene Momente sind:
o Sprechen über Musik
o Informationsbeschaffung über das Umfeld ("die Geschichte") von behandelten Musikstücken durch die Schüler
o Wo möglich: Einbezug neuer Medien im Sinne eines differenzierenden, mehr selbstgesteuerten Unterrichts
o Musik aus der Lebenswelt der Kinder mit ihren Produktionszusammenhängen
o Livemusik als Unterrichtsmittelpunkt
..."

NRW geht hier scheinbar neue Wege. Es liest sich schonmal deutlich besser, aber ist etwas passiert? Ich kenne den aktuellen Lehrplan nicht.

Sachsen: auch hier liest es sich mal ganz gut. Viel Praxis (hören/selber machen) und wenig Theorie. Ob diese Lehrpläne umgesetzt werden, weiß ich nicht.

Die neuen Lehrpläne scheinen in eine Richtung zu gehen, die mir deutlich mehr zusagt, als das, was ich in Hessen las und was ich vor 25 Jahren selbst erleben durfte.


Also ich weiß aus eigener Erfahrung, daß die Betreiber persischer Musik garnicht einverstanden sind mit dem Bergiff: Folklore.

Das mag für dich eine taugliche Haltung sein, aber weder für Lehrer noch für Schüler wäre es das. Obwohl der Lehrplan Schülern grundsätzlich egal sein kann (solange sie ihn erfüllen...) spielt er doch eine Rolle für die Unterrichtsplanung und -gestaltung. Lerninhalte sind vorgegeben und sowohl Lehrer als auch Schüler müssen sich damit auseinandersetzen.

Wenn ich als Lehrer Lesen müßte, daß jemand anderes meine Lehrtätigkeit hinterfragt / ihren Nutzen anzweifelt, dann hätte ich auch ein flaues Gefühlin der Magengrube. Ob es für die Schüler ein Nachteil wäre ohne Musikunterricht, kannst du nicht wissen. Das Abitur wird verkürzt auf 12 Jahre. Länder-Kultur-Etats werden gekürzt.
Soviel zum gesellschaftlichen Stellenwert.

Wenn ein fixer Lehrplan im Raum steht, dann ist das nicht förderlich für eine Klasse. Nehmen wir mal an, im Fach Musik werden keine versetzungsrelevanten Noten vergeben und der Lehrer besäße die Freiheit, den Lehrplan selbst zu erstellen. Wäre das nicht genial für den Lehrer und die Schüler? Ich könnte als Lehrer herausfinden, auf was die Schüler stehen und danach den Unterricht aufbauen.

Wenn ich mir die Zeitplanung der Lehrpläne anschaue, dann komme ich auf 2 Stunden pro Woche, korrekt?

Was nutzt einem Schüler, wenn er eine C-Dur Tonleiter hinschreiben kann, wenn er sogar noch eine Molltonleiter aufnotieren kann und nie ein Instrument spielen lernt? Um Beethoven oder ACDC besser zu verstehen sicher nicht!
All jene, die ein Instrument lernen, lernen Notation an einer Musikschule. Notation ist nur eine Gedächtniskrücke und nichts weiter! Später ist es für einige wenige eine ebenso große Anstrengung, wieder von der Notation fort zu kommen.

Ich rede hier nur von 5 - 11, denn danach wählen die meisten sowieso Musik wieder ab. (geht das heute noch?)
Und die Leistungskurse 12 -13 genügen alleine nicht, um an einer Hochschule die Aufnahmeprüfung zu bestehen.

Was relevant ist, ist der springende Punkt!
Gute Noten im Abschlußzeugnis öffnen die Türen zu vielen Universitäten, aber nicht in Musik und Bildende Kunst. Also muß man den Umfang und Inhalt von Musikunterricht hinterfragen.

Das ist sehr einseitig gedacht. Musikunterricht richtet sich an mehr Gruppen als die DSDS-Zielgruppe und verfolgt auch viele andere Ziele neben dem Musikmachen. Du stellst das kurzfristige Nützlichkeitsprinzip in den Vordergrund (Utilitarismus), aber ebenso sollen langfristige Kenntnisse und Verhaltensweisen gelernt werden, die mit einer direkten Nützlichkeit nicht in Einklang stehen. Schulischer Musikunterricht hat Ideale (die zugegebenermaßen manchmal schwer erreichbar sind), die den Umgang mit Musik thematisieren, um generell einen bewußten Umgang mit Kultur zu fördern. Die langfristige Nützlichkeit dieser Ziele ist nicht direkt umformbar in Handlungsanweisungen Ziel-Mittel-Methode.

Diese anderen Ziele "neben" dem Musikmachen täten mich mal interessieren. Langfristige Kenntnisse: darf ich da mal bösartig grinsen? Wenn du auf Teamplay abhebst, dann lernt man da nur was, wenn mans auch macht. Und Kreativität ist heute nur noch in der Forschung gefragt. Wer hier was aufm Kasten hat, wechselt in der Regel nach kurzer Zeit in die Produktion, da man dort mehr verdient. Den Bewußten Umgang mit Kultur demonstrieren wir den Jugendlichen jeden Tag, indem wir die Kulturetats herunterstreichen. Wenn eine langfristige Nützlichkeit nicht vermittelbar ist, dann habt ihr Lehrer aber ein Problem: 1. gegenüber eurem Arbeitgeber und 2. gegenüber den Schülern, die ohnehin schon zu wenig Zeit haben, sich den Stoff der anderen Fächern reinzufressen.

Auch eine Bandprobe ist nicht nur Praxis. Hast du schonmal eine Probe mitgemacht?

Naja, das ist so einseitig gefordert, daß du dir an den eigenen Fingern abzählen kannst, daß doch wohl am Lehrplansystem was Gutes dran sein muß, wenn es das so seit über 100 Jahren gibt. Es ist doch nicht so, daß alle Musiklehrer in Deutschland blind, dumm und taub sind und das nachbeten, was unvorbelastete Verwaltungsangestellte sich am Schreibtisch ausdenken. Es ist durchaus so, daß deine ganzen Überlegungen im "System" durchaus schon mal gedacht wurden, und in der Summe aller Überlegungen, kulturellen Hintergünde, organisatorischer Notwendigkeiten und den Fakten des aktuellen Musiklebens der Stand der Dinge als der beste Kompromiss bei herauskam. Natürlich müssen Lehrpläne saniert werden und die Lehrer müssen die Änderungen der Lebenswelt der Schüler berücksichtigen.

Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen einem guten und einem 100-jährigen System.
"..und das nachbeten, was unvorbelastete Verwaltungsangestellte sich am Schreibtisch ausdenken": doch, genauso ist es!
Fakten des aktuellen Musiklebens sind:
-daß man als Musiker keinen Cent Kredit bei einer Bank bekommt.
-daß man Paganini-Violinkonzerte spielen können muß, damit es für eine Orchester C-Stelle reicht.
Ab da ist man kein Künstler mehr, da man ein Angestelltenverhältnis eigegenagen ist.
-daß man als Kleinkünstler keine Auftrittsmöglichkeiten mehr bekommt, da die GEMA nicht nachvollziehbare Gebühren erhebt, oder diese auf den Künstler abgewälzt werden.
-daß man, um der GEMA zu entgehen, zum notorischen Lügner werden muß, damit die Gage wenigstens die
Unkosten deckt.
-daß Hobbymusiker mit einem anständigen Einkommen bessere Instrumente in der Hand haben, als man selber.
-daß sich eine 3-Mann-Kapelle mit Midi-files über einen Abend schummeln und vom Publikum keiner bemerkt, daß keiner der Musiker tatsächlich spielt. Dafür streichen sie eine satte Gage ein.


cheers, fiddle
 
Du zählst viele tatsächliche Mißstände im Musikleben auf, z.B. was die GEMA betrifft, die Verdienstmöglichkeiten, die Notwendigkeit der Lehrplansanierung. Ich stimme dir da weitgehend zu, trotzdem wird es dich nicht überraschen :), wenn ich an einigen Punkten nicht d'accord bin.

ich lese hier andauern: "zu kurz gedacht" und "hast du schonmal darüber nachgedacht?" Das möchte ich hier gleich mal im Ansatz zurückweisen.

Diese Einschätzung kommt ja nicht aus heiterem Himmel, sondern hat ja durchaus ihre Begründung. Ich würde niemals einem Diskussionspartner grundlos unterstellen, zu kurz zu denken. Aber Formulierungen wie ...
  • [Hessischer Lehrplan]Hier habe ich zu "außereuropäischer Musik" nichts gefunden.[obwohl es für die Kl. 13 als fakultativ erwähnt wird]
  • Wenn das Fach Musik überhaupt noch an Schulen unterrichtet werden soll, dann müßte der Lehrplan abgeschafft werden.[aber später: Lehrplan entweder sanieren oder streichen]
  • Man muß zuerst mit der Musik beginnen und danach die Hilfsmittel und deren Notwendigkeit erklären [unbedingtes Primat einer Unterrichtsmethode]
...sind polarisierend und damit einseitig gedacht. Polarisierung kann ein Hilfsmittel zur scharfen Ausleuchtung eines Gegenstands sein. Polarisierung ist aber ein schlechtes pädagogisches Ideal und untauglich für eine langfristige didaktisch sinnvolle Tätigkeit. Mit "zu kurz gedacht" will ich dazu ermuntern, einen Gegenstand von mehreren Seiten, und eben nicht nur polarisierend zu betrachten.

Beispielsweise die Unterrichtsmethode: "Man muß zuerst mit der Musik beginnen" hilft überhaupt nicht, wenn es darum geht, z.B. revolutionäre musikalische Entwicklungen begreifbar zu machen - Free Jazz mit seiner Verneinung konventioneller Improvisationsstrukturen, die Zweite Wiener Schule mit ihrer Ablehnung der Tonalität oder das Revolutionäre des Woodstock-Festivals 1969. Wenn man da gleich mit dem klanglichen Ergebnis dieser drei Themen einsteigt, bekommen die Schüler von der Begründung und Entwicklung wie es dazu kommen konnte, kaum etwas mit. Wichtig für ein kulturelles Verständnis ist aber durchaus, daß z.B. Schönbergs Zwölftontechnik Teil eines Prozesses war, ebenso wie Hendrix' Star Spangled Banner 1969 eine politische Aussage war. Wer nur das klangliche Ergebnis von Hendrix kennt, hat kein tiefgehendes Verständnis, was da inhaltlich passierte. Das sollte aber das Ziel sein.

NRW geht hier scheinbar neue Wege. Es liest sich schonmal deutlich besser, aber ist etwas passiert? Ich kenne den aktuellen Lehrplan nicht.

Ob etwas passiert ist, werden wir in ein paar Jahren wissen - nämlich wenn wir hier im Forum von den künftigen NRW-Schulabgängern lesen, außereuropäische Musikkulturen seien in ihrem Unterricht nicht existent gewesen ;). Was ja durchaus sein kann.

Die neuen Lehrpläne scheinen in eine Richtung zu gehen, die mir deutlich mehr zusagt, als das, was ich in Hessen las und was ich vor 25 Jahren selbst erleben durfte.

Überzeugt dich das, daß es einen Fortschritt in der Lehrplangestaltung gibt? Hoffentlich. Ich sage ja auch nicht, daß das musikpädagogische Paradies ausbricht, wenn etwas im Lehrplan drinsteht. Aber es wäre doch Grund genug, die fatalistische Sichtweise auf Lehrpläne aufzugeben, nicht wahr?

Also ich weiß aus eigener Erfahrung, daß die Betreiber persischer Musik garnicht einverstanden sind mit dem Bergiff: Folklore.

Trotzdem darf ein Musiklehrer persische Musik als Unterrichtsgegenstand nehmen, wenn Folklore im Lehrplan drinsteht. Ob und wie er den Begriff verwendet, ist doch ein ganz anderes Problem. Der Begriff ist doch gar nicht einschränkend oder abwertend gemeint, so wie er im Lehrplan drinsteht, ich vermute nur, daß du ihn so interpretierst. Im Lehrplan würde ich ihn in einer musikwissenschaftlichen Bedeutung deuten, die in keiner Weise wertet. Wenn persische Musiker den Begriff trotz neutraler Verwendung im Lehrplan wertend finden, ist das nicht das Problem des Lehrplans.

Wenn ein fixer Lehrplan im Raum steht, dann ist das nicht förderlich für eine Klasse. Nehmen wir mal an, im Fach Musik werden keine versetzungsrelevanten Noten vergeben und der Lehrer besäße die Freiheit, den Lehrplan selbst zu erstellen. Wäre das nicht genial für den Lehrer und die Schüler? Ich könnte als Lehrer herausfinden, auf was die Schüler stehen und danach den Unterricht aufbauen.

Okay, und welche Lerninhalte schweben dir unter diesen Bedingungen vor? Oder fragst du die Schüler, welche Lerninhalte sie wollen?

Was nutzt einem Schüler, wenn er eine C-Dur Tonleiter hinschreiben kann, wenn er sogar noch eine Molltonleiter aufnotieren kann und nie ein Instrument spielen lernt? Um Beethoven oder ACDC besser zu verstehen sicher nicht!

Doch: die c-Moll-Tonleiter ist ein Baustein, um Beethovens dramaturgische Verwendung der Tonart c-Moll in der 5.Sinfonie und in seinen Klaviersonaten besser zu verstehen. Die Tonart von "Highway to Hell" trägt dazu bei, daß Bon Scotts Gesanglinie kraftvoll und energiereich klingt - um das zu analysieren, sollte man Tonleitern kennen und am besten notieren können. Gerade als Bandmusiker, der fordert "Man muß zuerst mit der Musik beginnen" sollte dir doch die Notwendigkeit einer grundlegenden Musiklehre am Herzen liegen, damit man sich verständigen kann.

Notation ist nur eine Gedächtniskrücke und nichts weiter! Später ist es für einige wenige eine ebenso große Anstrengung, wieder von der Notation fort zu kommen.

Noten sind wie Buchstaben. Sie sind ein Kommunikationsstandard, der enorm hilfreich ist, und den man optimalerweise flüssig beherrschen sollte. Das gilt für die Schriftsprache genauso wie im musikalischen Bereich für Noten. Es ist natürlich nicht notwendig, lesen und schreiben zu können, um grundlegend zu kommunizieren, aber es hilft enorm. Natürlich sollten Noten langfristig überwunden werden: kein Musiklehrer behauptet, Noten wären der Weisheit letzter Schluß und danach käme nix mehr - oder wenn er's tut, hat er noch Lernpotential.

Diese anderen Ziele "neben" dem Musikmachen täten mich mal interessieren. Langfristige Kenntnisse: darf ich da mal bösartig grinsen? Wenn du auf Teamplay abhebst, dann lernt man da nur was, wenn mans auch macht. Und Kreativität ist heute nur noch in der Forschung gefragt. Wer hier was aufm Kasten hat, wechselt in der Regel nach kurzer Zeit in die Produktion, da man dort mehr verdient. Den Bewußten Umgang mit Kultur demonstrieren wir den Jugendlichen jeden Tag, indem wir die Kulturetats herunterstreichen. Wenn eine langfristige Nützlichkeit nicht vermittelbar ist, dann habt ihr Lehrer aber ein Problem: 1. gegenüber eurem Arbeitgeber und 2. gegenüber den Schülern, die ohnehin schon zu wenig Zeit haben, sich den Stoff der anderen Fächern reinzufressen.

Langfristige Ziele des Musikunterrichts sind soziale Kompetenzen, kulturelle Sensibilität, interkulturelles Verständnis, musikalische Fähigkeiten, historisches Bewußtsein und natürlich auch Mut und Selbstbewußtsein, einfach mal zu machen und auszuprobieren.
  • "Wenn du auf Teamplay abhebst, dann lernt man da nur was, wenn mans auch macht": natürlich muß man Teamplay praktizieren, genau das ist ja ein Ziel und das wird auch gemacht. Vielleicht nicht optimal und perfekt, aber das Ziel existiert
  • "Kreativität [nur noch] in der Forschung": Kreativität gibt es auch außerhalb der Froschung. Jede Musikproduktion heutzutage braucht einen hohen kreativen Anteil. Zwar unter den Bedingungen des Marktes und der Medien, aber genau das kann ja ein Lernziel sein. Kreativität nur noch in der Forschung als existent anzusehen, halte ich auch hier (begründet!) für zu kurz gedacht, denn was wären Architekten, Jobsucher, Musiker, Schriftsteller ohne Kreativität?
Hast du schonmal eine Probe mitgemacht?
:) An die 500 Stück sicher.
Fakten des aktuellen Musiklebens sind:
Mach daraus doch einen neuen Thread. Deine Thesen sind sicher diskussionswürdig, aber haben mit den Lehrplänen nichts mehr zu tun, lass uns den Thread on topic halten.

Harald
 
Hi!
Ein höchst interessanter Thread ist das hier, gerade weil ich auf das Thema Musikunterricht sehr sensibel reagiere. Eigentlich hatte ich nicht vor mich einzuklinken, aber hier fehlt noch eine Diskussionsperspektive, nämlich die des Schülers. Als Abiturient in Ba-Wü habe ich meine letzte Musikstunde gerade letzten Freitag hinter mich gebracht und hab also so klare Erinnerungen an Musik 1-13, wie ich sie wahrscheinlich nie wieder haben werde.
Eure Diskussion war soweit sehr anregend und insgesamt halte ich selbst nicht viel vom Musikunterricht am Gymnasium. Mir ist aber auch bewusst, dass ich eben auch nur ein (bzw. insgesamt in 5-13 3) Beispiel von Musiklehrern erlebt habe. Viele der Erfahrungen und Aussagen, die fiddle bisher genannt hat, kann ich aber bestätigen. Ich hab Musik nicht als Leistungskurs, sondern als 2-stündiges Fach (Grundkurs/Nebenfach/wie auch immer man es nennen will) und das nur, weil die Alternative BK gewesen wäre. Für mich stand zur Wahl:
-entweder BK: malen, plastisch und handwerklich arbeiten.
Ich kann zwar Wände streichen und mit Hammer und Schraubenzieher umgehen, aber mit bildender Kunst hat das nichts zu tun, ich war nie sonderlich gut in BK.
-oder ausweichen auf Musik: Daten und Charakteristika auswendig lernen für die Klausuren sehr ähnlich dem Geschichtsunterricht (den mein Geschichtslehrer mit kleinen Einlagen bspw. von Woodstock musikalisch interessanter gestaltet hat als der Musikunterricht war).
Das war meine Erwartung von Musik in der Kursstufe, weil es so auch schon in 10 und 11 war und die hat sich vollkommen bestätigt. Meine Lehrerin ist kurz vor der Rente und ist zweifelsfrei einzuordnen bei den "Klassikern". Von außereuropäischer Musik hat sie meiner Meinung nach keine Ahnung, auf jeden Fall ist sie definitiv nicht in der Lage davon zu lehren.
Mist, jetzt hab ich wieder viel zu viel von mir geschrieben....

Der Musikunterricht hat für die meisten Schüler an meiner Schule in etwa den Stellenwert von Sportunterricht. Entschuldigung für die Wortwahl, aber Musik interessiert bei uns kein Schwein. Musikanten verdrehen die Augen und gehen ihrer (musikalischen) Wege, wenn es darum geht und die anderen sitzen die Zeit im Unterricht ab oder lassen es auch mal sein, weil sie lange genug versucht haben dem Ganzen etwas abzugewinnen. Versuche seitens der Lehrerin, den Unterricht praktisch zu gestalten, waren allenfalls mal eine witzige Aktion für die Schüler um die Zeit schneller vergehen zu lassen, in meinen Augen sind sie gescheitert.

Teamplay gefördert wurde bei uns aber durchaus - beim Abschreiben in den Klausuren.

Ich bin gespannt auf den weiteren Verlauf der Diskussion und hoffe, dass ich etwas dazu beitragen kann und noch können werde. Abschließend möchte ich aber noch sagen, dass es eine schöne Zeit war, weil ich mich gerne daran erinnere, wie ich meine 3-Punkte Klausur zurückgekriegt hab und anschließend bei der Schulband-Probe die nächsten drei Gig-Termine aufgeschrieben habe und von dort aus direkt zur Probe weiter bin, wo ich mit meinen selbst-gewählten Mit-Musikern selbst-gewählte Musik gespielt hab und wir Spaß hatten ohne Ende. Ein ähnliches Kribbeln im Bauch und die Gänsehaut wie bei den Proben hatte ich im Musikunterricht nur manchmal, wenn die Lehrerin den Lautstärkeregler so weit aufgerissen hat, dass sich der ganze Ort die Quadratur von Goethes Leiermann anhören konnte, weil die Lehrerin super schlecht hört.
 
Sehr interessantes Thema hier und teils sehr interessante Diskussionspunkte.
Gleich mal vorweg: Ich studiere Musik auf Lehramt, und habe deshalb ein gewisses Interesse mich auch mit Lehrplaninhalten auseinanderzusetzen.

Ich persönlich denke, dass hier die Person des Lehrers ansich in der Diskussion noch zu kurz kommt.
fiddle sprach es schonmal an, es solle am besten ein praktizierender Musiker sein und kein "Klassiker".
Da kann ich von meinem jetzigen Standpunkt (der sich im Verlauf des Studiums noch ändern mag) sagen, dass das heutzutage eigentlich selbstverständlich ist.
Das Studium, dass ich in Dortmund durchlaufe ist ein durchaus sehr praxisorientiertes. Es ist eigentlich nicht möglich hier zu studieren ohne neben den zwei Hauptinstrumente mindestens noch einige Percussion, Gesangs, weitere Instrumentalkurse (Schlagzeug, E-Gitarre, E-Bass, Bläser etc) mitzunehmen. Alle Studenten hier sind Multiinstrumentalisten und kein einziger ist reiner Klassiker und könnte gar nicht improvisieren.

Doch es ist natürlich immer alles die Frage, wie der Lehrer den Lehrplan interpretiert.
Wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere, dann war der Musikunterricht zum einen kaum existent, und zum anderen völlig nutzlos. In meiner Klasse könnte in der 10ten Klasse vielleicht 5 Leute flüssig Notenlesen. Der Unterricht bestand zum Großteil aus "wir singen jetzt mal ein Lied" und irgendwelchen Unsinnigen Referaten zu irgendwelchen Themen ohne jegweden Zusammenhang. Ich hab Musik dann abgewählt..
Das ist sicherlich kein Einzelfall, es ist aber auch sicherlich nicht die Regel.
Als ich zum Studium kam war ich überrascht was die Mitstudenten alles schon in der Schule gelernt hatten. Da kamen Leute von Schulen mit musikalischem Schwerpunkt, oder von Schulen, wo es instrumentalpraktische Kurse gab, Schulen, wo in der 10. Klasse nahezu alle Schüler Notenlesen konnten ;-)
Und ich denke, dass ein Großteil dessen auf das Konto von guten Lehrern geht.
Ich habe an der Uni mehrere Professoren, die mich in derlei Hinsicht beeinflussen. Da fallen dann Sätze wie: "Musikunterricht, wo keine Musik gemacht wird ist kein Musikunterricht" Sowas kann man sich durchaus als Motto an die Wand pinseln.

Aber man muss nun auch die andere Seite sehen: DIe ganzen Probleme vor die Musikunterricht den Lehrer stellt.
fiddle sagte oben so schön "dann könnte man als Lehrer gucken auf was die Schüler stehen und da ansetzen".. klar, nach dem Motto "ich hole die Schüler da ab, wo sie sind".
Aber die Schüler sind nunmal eine heterogene Menge an Individuen. Dann hast du 10 Leute die hören nur Hiphop, 10 die nur die Charts rauf und runterhören, 5 alternative Rock, Funk, Reggeahörer und einen einsamen Klassiker ;-)
Da gibt es nichtmehr DEN Ansatzpunkt. Man kann nicht allen 100% gerecht werden.
Die zweite Schwierigkeit ist, dass die Schüler auch musikalisch vollkommen unterschiedlich weit sind. Es läuft in einigen Städten in NRW das Projekt "JeKI" (Jedem Kind ein Instrument), wo Kinder schon in der Grundschule verschiedene Instrumente lernen können. Über den Erfolg des Projektes schweige ich mich hier mal aus, Fakt ist aber, dass wir als Musiklehrer in der 5ten Klasse mit einer Klassenstruktur konfrontiert werden, in der von superguten Schülern, die schon Notenlesen und ein Instrument spielen können, über leicht fortgeschrittene Schüler, und Kindern die noch nie ein Instrument in der Hand hatten, bis zu Schülern die während des Projektes herausgefunden haben, dass Musikmachen nichts für sie ist, und deshalb mal gar keinen Bock auf Musikunterricht mehr haben, alles vertreten ist.
Und die Aufgabe ist es jetzt das alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen.
Der Lehrplan ist sicherlich eine Orientierung. Aber wie ich ihn umsetze wird letztlich in weiten Teilen am Lehrer und der Klasse selbst liegen. (und den schulischen Gegebenheiten)

Beispielhaft an deinem Auszug des hessischen Lehrplans. Da gibt es den Punkt "fremdsprachige Lieder". Da kann ich natürlich die CD einlegen und mit den Schülern drüber diskutieren. Ich kann aber auch beispielsweise eine afrikanisches Lied nehmen, die Trommeln rausholen und die Schüler trommeln, singen und vllt dazu tanzen lassen und hinterher mit ihnen darüber reden was sie dabei empfunden haben, was ganz anders war im Vergleich zu europäischer Musik etc.
Das geht aber sicherlich nicht in jeglicher Klassenkonstellation.

Ansonsten denke ich, dass man zunächst einmal die Ziele des Musikunterrichtes in der Schule hinterfragen muss.
Aus deiner (fiddle) Argumentation les ich heraus, dass für dich der perfekte Musikunterricht der wäre in dem jeder, weitgehend losgelöst von Noten und Theorie, Musik macht und erlebt.
Das ist sicherlich kein schlechtes Ziel, aber leider angesichts der Gruppengröße eine Utopie. Im Musikunterricht kann man einfach nicht innerhalb von einer Stunde pro Woche aus 30 Schülern 30 Musiker machen.
Ich denke da müssen wir realistisch bleiben.
Ein Hauptziel ist sicherlich erstmal überhaupt über Musik reden zu können. Was passiert da überhaupt in einem Stück, wie ist es aufgebaut, wie sieht es mit dem historischen Kontext aus, was sind das überhaupt für Instrumente, wieso hat dieser jemand überhaupt das Lied geschrieben, was ist die Aussage? Dazu fehlt den meisten Schülern überhaupt erstmal Vokabular. Wer hat schon ernsthaft mal über Musik nachgedacht, in unserem Zeitalter der permanenten Berieselung?
Du und ich: sicher. Ein 12jähriger mit großer Sicherheit nicht. Wenn wir ein Lied hören, gliedern wir automatisch "Intro, Vers, noch nen Vers,Pre-Refrain, Refrain, Vers, Pre-Refrain, Refrain, Zwischenspiel, Refrain", wir merken uns wo der Höhepunkt des Stückes ist, können vmtl sagen was die Besonderheiten des Stückes gegenüber anderen sind, haben vielleicht einen emotionalen Verlauf, oder bestimmte Assotiationen etc. Das haben aber die Schüler zum großen Teil eben nicht.
Jetzt kann ich als Lehrer nicht einfach hingehen und sagen: "So, jeder nimmt sich mal nen Instrument, heute improvisieren wir mal nen bischen über den 12-Bar Blues, ich zeig jedem was er machen muss".. weil das schlicht in Chaos ausartet.
Es müssen erstmal Grundbegriffe geklärt werden. "Was ist überhaupt ein Akkord? Warum passen manche Akkorde besser zueinander als andere? etc" Und um das einer ganze Gruppe von Schülern klarzumachen muss man letztlich irgendwo den Weg über schriftliche Fixierung (Notation) gehen. Einfach weil das ein Weg ist, auf dem auch Schüler ohne instrumentalen Hintergrund die Möglichkeit haben über Musik zu reden. "Der B-Teil hört sich anders an als der A-Teil, weil er in einer anderen Tonart steht".

Ein anderes Ziel des Musikunterrichts muss es auch sein die Schüler "über den Tellerrand" blicken zu lassen.
Wenn ich mit meiner Hiphop-Klasse nur über Hiphop rede, haben die sicherlich Spaß und lernen sicher auch das eine oder andere dazu, aber die ganz große Wissenserweiterung findet nicht statt.
Die kann es nur geben, wenn sie auch mit Neuem in Berührung kommen. Man muss das ja nicht alles gut finden, aber man sollte sich auch mit anderen Musikrichtungen beschäftigen. Sei es Metal, Volksmusik, Jazz oder Klassik.
Hab ich ganz persönlich auch so erlebt. Allerdings hier an der Uni. Ich konnte früher mit Jazzmusik gar nichts anfangen. Ich hab einfach nicht verstanden, was die Musik mir sagen wollte, auf welchen Regeln sie beruht. Das emotionale Gefühl war am ehesten Chaos. Wenn im Radio Jazz kam, hab ich immer weggeschaltet, weil es mich nicht interessiert hat. Jetzt hab ich aber mehrere Kurse zur Jazzgeschichte belegt (trotz des Titels waren das Teilpraktische Seminare), wo mir dann erstmal die Struktur der Musik klarwurde. Die Entwicklungen die stattgefunden haben, die geschichtliche Bedeutung. Und wo ich selbst mal ein wenig ernsthafter Jazz gespielt habe (klar wird man nicht von heut auf morgen nen super Jazzer ;-).
Jetzt habe ich ein ganz anderes Verständnis von der Musik. Trotzdem hör ich so gut wie keinen Jazz, aber jetzt nicht mehr aus Unwissenheit, sondern eher, weil ich festgestellt habe, dass das nicht so meine Musik ist.
Aber ich bin froh mal über den Tellerrand geblickt zu haben und mir eine Meinung gebildet zu haben. Der Lerneffekt war sicherlich größer, als wenn ich ein Seminar zu klassischer Gitarrenmusik belegt hätte. (nicht das es sowas gäbe..)
Und eben dazu sollte auch Musikunterricht dienen. Sich nicht nur auf Bekanntes beschränken, sondern auch weiter zu sehen.

Und durch gemeinsames Musizieren (auf welche Art auch immer. Das ist Arrangement-technisch wirklich eine Herausforderung. Stücke so zu arrangieren, dass man 30 Schüler dazu bekommt auch Spaß an der Sache zu haben..) werden sicher auch soziale Softskills gefördert.
Musikunterricht muss vielfältig sein, und sich extrem an den Gegebenheiten orientieren und anpassen. Das ist anders als Mathe, wo man weiß, dass kein Schüler weiß was ne Kurvendiskussion ist und daher alle auf dem selben Stand sind.
Ich kann meine afrikanische Trommelaktion nicht machen, wenn die Schule keine Trommeln hat.
Der Lehrplan gibt ja nur Inhalte vor, Kenntnisse die die Schüler haben sollen, aber wie sie daran kommen und wie das umgesetzt wird, liegt letztlich in der Hand des Lehrers.
Oben wurde irgendwann mal die chinesische Oper angesprochen. Klar kann man das im Unterricht bringen, wenn man Ahnung davon hat.
Ich persönlich könnte jetzt spontan keine Unterrichtsstunde zum Thema chinesische Oper halten, weil mir da ganz viel Wissen fehlt. Wenn im Lehrplan soetwas wie "außereuropäische Musikkulturen" stände, würde ich wohl eher Richtung afrikanische Musik, oder auch Blues gehen, einfach weil mir das näher liegt.
Man muss aber auch sehen "was kann ich den Schülern überhaupt vermittteln?" "Was ist wirklich essentiell?".. die chinesische Oper wohl eher nicht (meine persönliche Meinung). Dann wohl eher mal ne Mozart Oper. Einfach weil Mozart für die europäische Gesellschaft (in der wir nunmal leben) und ihre Musik deutlich wichtiger war als *belieber chinesischer Opernkomponist*.

Es ist also für den Lehrer gar nicht so einfach, und ein Lehrplan ist sicherlich eine nützliche Erfindung, die eine gewisse Basisstruktur des musikalischen Wissens aufzeigt, die halbwegs die essentiellen Anforderungen der Gesellschaft an ein Musikverständnis abdeckt. (hier gerät man schon wieder an die Grenzen des Themas "Was lern ich in der Schule wirklich für's Leben?")
Was mich angeht denke ich, dass man nach der Schule in der Lage sein sollte Musik bewusst wahrzunehmen, einen gewissen historischen Überblick haben "Woher kommt eigentlich die Musik die wir heute hören?", über Musik reden zu können und auch in der Lage sein, seinen Kindern ein Gute-Nacht-Lied vorzusingen.

Schönes Schlusswort um kurz vor zwei Uhr nachts
 
Hallo Harald,

Diese Einschätzung kommt ja nicht aus heiterem Himmel, sondern hat ja durchaus ihre Begründung. Ich würde niemals einem Diskussionspartner grundlos unterstellen, zu kurz zu denken. Aber Formulierungen wie ...

* [Hessischer Lehrplan]Hier habe ich zu "außereuropäischer Musik" nichts gefunden.[obwohl es für die Kl. 13 als fakultativ erwähnt wird]
* Wenn das Fach Musik überhaupt noch an Schulen unterrichtet werden soll, dann müßte der Lehrplan abgeschafft werden.[aber später: Lehrplan entweder sanieren oder streichen]
* Man muß zuerst mit der Musik beginnen und danach die Hilfsmittel und deren Notwendigkeit erklären [unbedingtes Primat einer Unterrichtsmethode]

...sind polarisierend und damit einseitig gedacht. Polarisierung kann ein Hilfsmittel zur scharfen Ausleuchtung eines Gegenstands sein. Polarisierung ist aber ein schlechtes pädagogisches Ideal und untauglich für eine langfristige didaktisch sinnvolle Tätigkeit. Mit "zu kurz gedacht" will ich dazu ermuntern, einen Gegenstand von mehreren Seiten, und eben nicht nur polarisierend zu betrachten.

- fakultativ heißt optional und das bedeutet für mich so viel wie: na, das lassen wir mal besser weg.
(wenn das Kultusministerium nicht deutsch schreiben kann, dann ist das nicht meine Schuld.)
Was wird denn bei so einem Themenblock in der kurzen Zeit rüber kommen? Das man orientalische Tonalität verstehen lernt, reproduzieren kann oder vielleicht kreativ in seine eigene Musik einflechten kann? Never ever!
Dafür brauchen ausgewachsene Musiker Jahre.
- ich habe nicht geschrieben: Lehrpläne sanieren oder streichen. Ich sprach vom gesamten Unterricht.
- unter Hilfsmittel gehören für mich: Notation, Termini und Harmonielehre. Ich rede nicht nur von Instrumenten. Das bedingt eine theoretische Auseinandersetzung mit der Musik, die gerade gemacht wird. Dazu muß man sich natürlich mal Zeit nehmen und das ganze mal analytisch auseinanderpflücken. Hier kann man natürlich auch Parallelen zu den großen Vorbildern einflechten und auch auf die musikalische Entwicklung hinweisen. Ich meinte: die Theorie dann behandeln, wenn sie gebraucht wird und nicht: Jetzt fangen wir erst mal mit dem gregorianischen Choral an und wenn wir dann bei Rockmusik angekommen sind, nehmen wir mal ein Instrument in die Hand.

Man darf mir gerne eine polarisierende Diskussionskultur vorwerfen. Ich schreibe gerne mal etwas schärfer, damit da etwas Leben in die Bude kommt. Aber wenn man mich schon zitiert, dann bitte korrekt und hinterher kann man sich dann überlegen, wieviel davon zu kurz gedacht ist.
Natürlich kann man immer alles von allen Seiten ausleuchten. Die Gefahr besteht aber, daß man sich dabei totschwafelt und nicht auf den Punkt kommt. Außerdem ist es langweilig :D. Also, man möge mir meine "polarisierende" Art verzeihen.

Beispielsweise die Unterrichtsmethode: "Man muß zuerst mit der Musik beginnen" hilft überhaupt nicht, wenn es darum geht, z.B. revolutionäre musikalische Entwicklungen begreifbar zu machen

Das ist richtig. Kann das aber auch nicht später nachgeschoben werden? Ich dachte auch nicht daran, gleich mit den Hämmern der Musikgeschichte zu beginnen. Ein Blues ist vom Aufbau her das einfachste, mit dem man anfangen könnte. Darauf basiert so ziemlich die gesamte moderne Rockmusik. Hier kann man sehr einfach was erreichen und Blues finden fast alle irgendwie gut. Das kann man auch leicht zu etwas komplexeren ausbauen/entwickeln. Und es gibt zunehmend mehr theoretischen Stoff der dort mit eingebunden werden muss/kann.

Ich denke gerade an Romeo und Julia. Das mußten wir in Deutsch damals lesen und anschließend erörtern. Nur ging es mir (und fast allen anderen) so, daß ich damals noch nicht so heftig/verzweifelt verliebt war, daß ich nur ansatzweise hätte nachvollziehen können, daß man wegen einer Frau den Freitod wählt.
Das ganze wird bei Musik nicht anders sein. Die Jugendlichen sind bei vielen songs einfach nicht soweit, die Bedeutung voll zu überreißen. Da muß man Kompromisse eingehen. Wenn die Musik aber gefällt, kann man das trotzdem machen. Dann müssen sie es halt erst später verstehen lernen.

.. revolutionäre musikalische Entwicklungen begreifbar zu machen.

Das wird generell schwierig, denn die Schüler erleben ja auch keine musikalische Revolution, außer man macht das mit ihnen. Aus einem Blues entwickelt man einen komplexen Rocksong, was Harmoik, Struktur, Instrumentation, Chorsatz (Kreuzgesang) und Text angeht. Das ist praktisch wahrscheinlich nicht umzusetzen. Aber es gibt heute Sequenzer mit denen man schrittweise was zusammenbasteln könnte. Das wäre eine erlebbare musikalische Revolution. Mann, hätten wir damals solche Mittel gehabt.. .. dann hätte es auch kein Musiklehrer mit uns gemacht, höhö.

Überzeugt dich das, daß es einen Fortschritt in der Lehrplangestaltung gibt? Hoffentlich. Ich sage ja auch nicht, daß das musikpädagogische Paradies ausbricht, wenn etwas im Lehrplan drinsteht. Aber es wäre doch Grund genug, die fatalistische Sichtweise auf Lehrpläne aufzugeben, nicht wahr?

An dieser Stelle verweise ich auf den post von Bogger. :D Ich stamme auch aus BaWü. Es hat sich in 25 Jahren nichts geändert. Aber ich finde dein missionarisches Engagement einfach rührend. :D

Vielen Dank an Bogger und Disgracer. Beides sehr gute Beiträge!

Aber die Schüler sind nunmal eine heterogene Menge an Individuen. Dann hast du 10 Leute die hören nur Hiphop, 10 die nur die Charts rauf und runterhören, 5 alternative Rock, Funk, Reggeahörer und einen einsamen Klassiker ;-)
Da gibt es nichtmehr DEN Ansatzpunkt. Man kann nicht allen 100% gerecht werden.

Das ist sowieso klar. Eine Annäherung wäre aber denkbar. Ich war in meiner Schulzeit nur klassisch unterwegs, hätte aber mal gerne einblicke in die Rockmusik gehabt. Ich kann mir vorstellen, daß man Jugendliche an ihrem Wissenshunger auf was neues packen kann. Man muß es nur gut verkaufen.
Traum-Experiment: ich lade mir 3 sehr gute Musiker ein, Schlagzeug, Bass, Gitarre und der Gitarrist singt. Sie spielen ein Lied vor. Ha, was nehmen wir? "Hoch auf dem gelben Wagen" als: Bluesversion, Polka, Rock&Roll, Punkt, Jazz, Rap, Reagga, Funk und Deathmetal und zwar: übergangslos. Dazwischen soll jeder ein Solo abdrücken und zeigen, was er so drauf hat.
Anschließend sollen die Schüler diese drei Musiker interviewen über ihren musikalischen Werdegang.
Nach so einer Demonstration hätte kein Schüler mehr irgendeinen Zweifel daran, daß man über Musik auch was wissen muß, wenn man sie machen will und daß es keine Rolle spielt, welche Richtung man selber einschlägt.

3 Klassen zusammen, pro Nase 5 Euro für dieses Konzert, das wäre eine der wertvollsten Unterrichtsstunden, die für den Lehrer und für die Schüler alle Türen aufreißt und zwar sperrangelweit!
(und die Musiker hätten mal ne anständige Gage in der Tasche)


cheers, fiddle
 
Nur einige lose gedanken:
Was kann und sollte schule leisten, und was kann sie nicht ? - So lange schule und schulmusik so ist, wie sie ist, wird kein ernsthafter musiker in die schule gehen, selbst viele, die schulmusik studieren, werden ihr fernbleiben, wenn irgend möglich - lehrpläne sind idealvorstellungen - der mensch ist etwa 5 jahre lang schulkind, ebenso lange teenager, aber mindestens zehnmal so lange erwachsener. Teenager decken ihre bedürfnisse selbst, manches weniger erfreuliche können sie ganz allein, schule könnte auf das lange erwachsensein vorbereiten, nicht nur beruflich, auch kulturell. Das stößt allerdings auf widerstand bei der herrschenden schülermentalität "wozu brauche ich das?", dass kultur ein hohes gut ist, ist in diesem (un)reifestadium schwer einzusehen - musik in der schule wäre ein weg, den gesichtskreis zu erweitern und welten zu erschließen, die außerhalb des gerade angesagten liegen - hörgewohnheiten bilden sich zunächst im elternhaus, später unter gleichaltrigen, es ist schwer, sie zu erweitern, die schule ist damit überfordert - außereuropäische traditionen sind für uns schwer durchschaubar und erfordern spezialstudium, wenn man nicht im oberfächlichen blieben will, nicht jede pentatonik ist "ostasiatisch", da gibt es überall klassische stile und volkstümliche - was fachwissen, was allgemeinbildung (und damit hat die schule vorwiegend zu tun) ist, muss immer wieder neu definiert werden - musik machen ist etwas anderes als über musik belehrt zu werden, endet meist chaotisch und geht besser außerunterrichtlich - das natürlichste instrument ist die menschliche stimme, warum singen heute als zumutung empfunden wird, ist eines der vielen rätsel unserer voyeuristischen zivilisation, wir lassen singen, musizieren, sport treiben. denken usw.
Als musiker wünscht man sich manches, aber man muss sich mit dem realen musikleben abfinden und wundert sich eher über dessen vielfältigkeit, wie lange noch?
 
Ich bemühe mich um richtiges Zitieren:
Einen Lehrplan halte ich für kontraproduktiv. Das ganze System ist bullshit und für mich gibt es nur zwei mögliche Lösungen: entweder a) sanieren, oder b) komplett streichen.
ich habe nicht geschrieben: Lehrpläne sanieren oder streichen. Ich sprach vom gesamten Unterricht.
Du verwendest aber nicht das Wort "Unterricht", sondern beziehst dich im ersten Zitat, erster Satz, direkt auf den Lehrplan. Hältst du es wirklich für gerechtfertigt, es als ein falsches Zitat darzustellen, wenn ich da herauslese, daß du Lehrpläne entweder sanieren oder abschaffen willst?
(wenn das Kultusministerium nicht deutsch schreiben kann, dann ist das nicht meine Schuld.)
Deine polarisierende Sichtweise und die einseitige negative Interpretation von Formulierungen mag für dich okay sein, aber es würgt jede ergebnisoffene Diskussion ab. Das ist keine Basis für vernünftigen Musikunterricht oder eine Diskussion darüber.

Einerseits ist es interessant, daß du dir offensichtlich viele Gedanken über den Musikunterricht machst und daher an einem guten Musikunterricht interessiert wärst. Andererseits ist die fatalistische einseitig negative Sichtweise natürlich für jedes musikpädagogische Ideal tödlich. So eine Sichtweise kann man sich nur leisten, wenn man nicht mit den Realitäten des schulischen Musikunterrichts konfrontiert ist. Hohe Ideale kann man sich zwar auch nur leisten, wenn man sie nicht an der Realität messen muß - aber sie bieten zumindest eine Perspektive und können auf ein Maß reduziert werden, das der Realität standhält.
Traum-Experiment: ich lade mir 3 sehr gute Musiker ein, Schlagzeug, Bass, Gitarre und der Gitarrist singt. Sie spielen ein Lied vor. Ha, was nehmen wir? "Hoch auf dem gelben Wagen" als: Bluesversion, Polka, Rock&Roll, Punkt, Jazz, Rap, Reagga, Funk und Deathmetal und zwar: übergangslos. Dazwischen soll jeder ein Solo abdrücken und zeigen, was er so drauf hat. Anschließend sollen die Schüler diese drei Musiker interviewen über ihren musikalischen Werdegang. Nach so einer Demonstration hätte kein Schüler mehr irgendeinen Zweifel daran, daß man über Musik auch was wissen muß, wenn man sie machen will und daß es keine Rolle spielt, welche Richtung man selber einschlägt. 3 Klassen zusammen, pro Nase 5 Euro für dieses Konzert, das wäre eine der wertvollsten Unterrichtsstunden, die für den Lehrer und für die Schüler alle Türen aufreißt und zwar sperrangelweit! (und die Musiker hätten mal ne anständige Gage in der Tasche)
9 Stile, jeweils 3 Soli macht mindestens 20 Minuten Musik. Dann hast du bei einer Einzelstunde noch 25 Minuten Zeit, damit aus 60 Schülern einige Schüler gelenkte Fragen zu einem bestimmten Thema (den Werdegang) an 3 Musiker stellen, damit ein gelenktes Ziel (die Erkenntnis, daß man etwas über Musik wissen muß) erreicht wird. Du wählst polarisierende Musikstile, also mußt du viel Zeit einrechnen, Protest und Beifall zu ordnen, wenn irgendjemand noch etwas sagen oder verstehen will. Außerdem gibt es mit Sicherheit Schüler, die mit der gleichen Einstellung wie du daran gehen: das alles hier bringt sowieso nix, ich schalte ab und beschäftige mich mit etwas anderem (und das meist lautstark). Du setzt illusorischerweise voraus, daß bei den Schülern ein naturgegebenes Interesse für Musik oder eine Toleranz für das Einlassen auf eine bestimmte Situation vorhanden sei. Das wird vielleicht ein Konzert oder ein Happening, aber kein Unterricht. Schon gar nicht:
eine der wertvollsten Unterrichtsstunden, die für den Lehrer und für die Schüler alle Türen aufreißt und zwar sperrangelweit!
Und zuguterletzt:
Aber ich finde dein missionarisches Engagement einfach rührend. :D
Wenn du auf so eine persönliche Ebene einschwenkst, ist diese Diskussion nichts mehr für mich.

Harald
 
Hi Günter,

ich sehe viele Übereinstimmungen deinen Sorgen mit den meinen.

Jugendliche heute (sehr pauschal und verallgemeinert) konsumieren und haben kaum noch bock, sich hinter etwas zu klemmen, aber alle wollen ein Superstar sein. Die Kluft zwischem einem guten Musiker und einem teenager, der nix von Musik weiß, ist gewaltig. Man kann nur zeigen, daß es kein Hexenwerk ist sowas zu erreichen und daß es mit einem gewissen Aufwand verbunden ist. Ebenso sollte man klarstellen, daß nicht jeder es zu einer Virtuosität bringen kann, wie wir sie in den Medien täglich präsentiert bekommen. Man sollte vermitteln, daß man mit einer anständigen, technischen Mittelmäßigkeit trotzdem hervorragende Musik machen kann. Man muß die Kluft schließen und Wege aufzeigen. Ok, bei Gangster-Rap hätte ich gewaltige Probleme, aber ich bin ja auch kein Musiklehrer.
Wenn man es schafft, daß live gespielte Musik (echte Handarbeit) besser ist, als irgend eine Tonkonserve, dann hat man, glaub ich, schon viel erreicht.


cheers, fiddle
 
Doch es ist natürlich immer alles die Frage, wie der Lehrer den Lehrplan interpretiert.
Wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere, dann war der Musikunterricht zum einen kaum existent, und zum anderen völlig nutzlos. In meiner Klasse könnte in der 10ten Klasse vielleicht 5 Leute flüssig Notenlesen. Der Unterricht bestand zum Großteil aus "wir singen jetzt mal ein Lied" und irgendwelchen Unsinnigen Referaten zu irgendwelchen Themen ohne jegweden Zusammenhang. Ich hab Musik dann abgewählt..

So war´s bei mir auch - inklusive Tonleitern pauken und jede Weihnacht die Nussknackersuite mit Hochbeutsamkeitsblick und Ehrfurcht.

Halt: an eine Sternstunde kann ich mich erinnern, Gymnasium, ich sach mal 9te oder 10te Klasse: da haben wir mal ein Schulhalbjahr lang 12-Ton-Musik gemacht. Wir hatten 3 oder 4 cracks, dazu kamen dann zwei Normalschüler und wir hatten die Aufgabe, selbst ein 12-Ton-Stück zu machen. Das war klasse und ich kann mich noch erinnern, wie ich - damals als schon druminteressierter - heftigste Schwierigkeiten hatte, mit einem aufgeschriebenen Rhytmus etwas anzufangen.

Ansonsten schwingt in der Diskussion viel mit, was eigentlich im weiteren Sinne das Schulsystem selbst betrifft. Mir persönlich wären skandinavische, eher Projektunterricht und kleine gemischte Lerngruppen mit einem Lehrer, der sich als Coach sieht, lieber und ich denke, die Erfolge eines solchen Systems können sich sehen lassen. Da sind wir mit 30 Schülern pro Klasse, einem vorwiegend selektierenden Schulsystem, das die Vermittlung von Inhalten (trotz aller didaktischen Bemühungen) vor die Entwicklung von Lernbegeisterung und Erziehung/umfassende Bildung stellt (und die LehrerInnen auch vorwiegend so ausbildet, meinem Wissensstand nach), weit von entfernt und die föderalistischen Strukturen machen einerseits viel möglich, haben aber auch ihre deftigen Nachteile.

Ich verstehe HaraldS. vorwiegend so, dass er einerseits skeptisch ist, ob die von fiddle vorgebrachten Ideen, didaktisch reflektiert sind, und dass er sich zweitens real in der Situation sieht, unter den gegebenen Umständen (die er auch noch einmal anders auffasst als fiddle das tut), zu arbeiten und das "Beste" aus dieser Situation zu machen.

Ich vertrete jetzt mal bewußt die Rolle als Schüler - und natürlich kann ich nicht vorgeben, "der typische" Schüler zu sein - aber ich will´s versuchen. Als musisch durchaus interessierter Schüler (Typ A) hatte der Unterricht zu wenig mit mir und meinen Interessen zu tun. Weder Klassik noch Volksmusik war je mein Begehr und ich kann von mir behaupten, dass der Schulunterricht, den ich genossen habe, mein Interesse nicht geweckt, sondern eher empfindlich gestört hat. Das betrifft im Übrigen auch das Notenlesen und ich merke heute immer noch einen Widerwillen, wenn ich mich in die Harmonik einarbeiten will, was mir als Hobby-Gitarrist und Hobby-Stücke-Schreiber doch zunehmend wichtig erscheint. Da hat mir beispielsweise der Kunst-Unterricht mehr gebracht, wo wir neben der Vermittlung von Inhalten (Stile, Epochen, Merkmale) und Diskussionen (Was ist Kunst und wozu gibt es sie?), eben auch den Pinsel geschwungen haben, praktisch an verschiedene Techniken geführt wurden (Malerei, Collagen, Fotos, Masken und Modelle entwerfen). Nicht jede/r wird dadurch zum Künstler und das ist auch nicht der Zweck. Aber jede/r hat mal Zugang dazu gefunden, konnte sich ausprobieren und manches hat durchaus Freude, manche Ergebnisse durchaus Stolz gemacht.

Kann man nicht tatsächlich Musikunterricht in der Schule mehr im Sinne eines solchen Kunst-Unterrichts gestalten?

Kleiner Exkurs: ich war mal auf einer Behindertenfreizeit als Laienbetreuer und hatte mir dort in den Kopf gesetzt, etwas mit Musik zu machen. Nach einigen Überlegungen (und einem grandiosen Scheitern in der ersten Session) bin ich auf Orffsche Instrumente gekommen - bei den Ton-Instrumenten wie Xylophon habe ich die "störenden" Töne einfach rausgenommen und den extrovertierten Leuten eher die leisen Instrumente gegeben. Und es war klasse. Richtig klasse. Es war natürlich kein Unterricht in dem Sinne und es war ein freiwilliges Angebot - aber es haben viele mitgemacht und für viele Mitmacher (und die zunehmende Schar der Zuhörer) ein sehr schönes Erlebnis.
In einer Schule nicht möglich?

Ich komme zu meiner zweiten Rolle als nicht-musikinteressierter Schüler (Typ B), der entweder in Musik sitzt, weil es Pflichtfach ist oder weil sonst ein noch übleres Fach hätte genommen werden müssen. Dort möchte ich eine klare Orientierung haben, wie meine Schulnote zusammengesetzt ist und was ich dazu tun muss, um mindestens eine vier zu bekommen. Real war das bei mir und vielen anderen im Abi dann das Fach Physik - aber ich halte es für übertragbar. Mit dem Lehrer sind wir so verblieben, dass es einen überschaubaren Bestand an Paukstoff gab sowie ein paar leichtere Übungen wie Experimentbeschreibungen. Dafür haben wir den Unterricht nicht gestört, uns zuweilen konstruktiv beteiligt und ansonsten in Ruhe gelassen.

Das sollte meines Erachtens auf für den Musikunterricht gelten. Wenn es denn Notenlernen ist - okay. Stilkunde, Musikepochen, Unterschiede innerhalb zeitgenössischer Musik (hier meine ich dann eher Blues, Folk, Rock, HipHop) - okay. Wenn dann noch ein paar interessante Sachen dabei sind (beispielsweise ein Referat über die Musikrichtung, die man am liebsten hört oder die Entwicklung des Genres oder mal Gruppenarbeit) - umso lieber.

Musikunterricht - mal 2 STD/Woche vorausgesetzt - kann nicht viel leisten. Ein paar Grundkenntnisse vermitteln, das Gehört schulen, einen Zugang eröffnen, sich mal ausprobieren können ... und interessierteren SchülerInnen ermöglichen, in Freizeitangeboten an der Schule, in Schulbands, in Musikschulen oder für sich selbst mehr zu wollen und mehr zu tun - Zugänge eröffnen, Schranken niederreißen.

Ich will den post nicht zu lang machen, obwohl noch genug zu sagen wäre und bestimmt auch noch genug gesagt wird.

x-Riff
 
Also Harald,

offensichtlich habe ich das wohl falsch geschrieben. OK.

Das ist keine Basis für vernünftigen Musikunterricht oder eine Diskussion darüber.

Ich mache nicht den Unterricht. In einer Diskussion darüber mußt du dir als Lehrer schon Fragen gefallen lassen, ob das ganze (der Musikunterricht) in der Form wie er praktiziert wird einen Sinn macht, oder nicht. Letzdenendes muss jeder Musiklehrer gegenüber seinem Geldgeber dafür Rechenschaft ablegen ob diese Leistung sinnvoll ist, oder nicht. Ich sage: so wie es war und so wie es vereinzelt noch ist, kann man es auch ganz bleiben lassen. Und wenn die Realität so aussieht, daß diese Arbeit nicht veränderbar ist weil der Musiklehrer in einem starren System klemmt, dann ist das für ihn bedauerlich und dann ist das für die Schüler auch bedauerlich, da sich hier auch weiter nichts ändern wird.

Ich werde jetzt doch etwas direkter: Ich bezahle mit meinen Steuern für eine Leistung, mit der ich nicht einverstanden bin. Wenn das am Ende darauf hinausläuft, daß ein Musiklehrer arbeitslos wird: Pech gehabt.

Ich habe mal kurz einen Vorschlag reingeschrieben. Wenn dir die Parameter nicht gefallen, dann verändern wir sie halt. Das kann man doch ohne weiteres anpassen. Ich verstehe das Problem nicht.

Der Kern der Sache ist doch: bisher gelingt es nicht, Jugendliche für Musikunterricht zu begeistern. Motivation. Wie generiert man das? Wenn Motivation vorhanden ist, gefolgt von einem fesselnden Unterricht, dann kann man als Musiklehrer auch das Wort Nachhaltigkeit in den Mund nehmen. Sonst nicht!
Ich finde und fand es grausam, daß ein Schüler sich irgend ein Wissen kurzfristig ins Hirn reinschaufeln muß, nur damit man eine dämliche Klassenarbeit mit ausreichen besteht. Das ist die Realität.

Wenn dieser Unterricht schon da ist und gemacht werden muß, dann sollte er wenigstens so gestaltet werden, daß er etwas mit Musik und die Faszination dafür zu tun hat. Das ist doch keine verwefliche Forderung.

Wenn innerhalb des Systems oder Lehrplans kein Gestaltungsspielraum herrscht, dann muß man diesen Rahmen sprengen. Das ist ne ganz simple und logische Geschichte.

@x-Riff: ich sehe gerade deinen post. Kleinere Klassen wäre schön, kostet aber Geld und das haben wir nicht.


cheers, fiddle
 
@x-Riff: ich sehe gerade deinen post. Kleinere Klassen wäre schön, kostet aber Geld und das haben wir nicht.
cheers, fiddle
Das sehe ich anders. Das Geld ist da, es wird nur für was anderes ausgegeben.
Wir haben vergleichsweise mehr Geld als alle anderen europäischen Länder, die uns - bei unterschiedlichen Schulsystemen und Unterrichtskonzepten - allesamt in den letzten 10 bis 15 Jahren überholt haben. Und der Vergleich bezieht nicht nur auf Notendurchschnitte.

Statt darauf zu schauen, welche Effekte und Resultate man erzielen möchte, diskutiert man in Deutschland lieber streng ideologisch, hochpolitisiert und wirft Schulsysteme gegeneinander. Das Schulsystem in Deutschland ist ineffektiv, hoch selektiv und ist vor allem gut für SchülerInnen, deren Eltern ihnen über ein hohes Einkommen und einen eigenen hohen Bildungsabschluss und damit auch eine vorwiegende hohe Bedeutung Bildung gegenüber, ihre Kinder dabei unterstützen können, durch die Schule durchzukommen.

Deutschlands Politik gefällt sich darin, Bildung phrasenhaft hohe Bedeutung beizumessen, ja als wesentlichen Pfeiler der Zukunftsfähigkeit des Landes hochzusterilisieren ohne dem in angemessener Weise Taten, Entscheidungen und Prioritäten beizumessen.

Damit will ich aber keineswegs behaupten, dass nicht auch unter gegebenen Umständen mehr und besseres gemacht werden kann.

Wir können aber auch wieder über den Musikunterricht reden.
 
Der Kern der Sache ist doch: bisher gelingt es nicht, Jugendliche für Musikunterricht zu begeistern.

Das ist ganz sicher keine allgemeine Wahrheit.
Man kann sicher nicht JEDEN für Musik begeistern, aber das ist auch nicht Sinn der Schule.
Schule bedeutet Konfrontation mit etwas Neuem, das muss nicht immer gefallen. Auch das ist ein Lerneffekt: --> Auseinandersetzung
Man wird auch viele Schüler nicht für Mathematik begeistern. Dann müsstest du konsequent auch fordern den Mathe-Unterricht abzuschaffen.

Du verallgemeinerst hier sehr stark: "Ich bezahle mit meinen Steuern für eine Leistung, mit der ich nicht einverstanden bin." <-- Wieviel Musikunterricht bekommst du denn konkret mit, dass du dir eine so allgemeingültige Meinung erlauben kann?
Ich hab an der Uni durch Besuche von Lehrkräften (und auch Schülern), durch Studienkollegen die bereits in der Schule arbeiten, durch Professoren die noch in der Schule arbeiten, durch private Kontakte zu Musiklehrern etc einen gewissen Einblick in Musikunterricht (in Dortmund + Umgebung). Und selbst da gibt es gravierende Unterschiede. Weiß ich wie es flächendeckend in anderen Bundesländern aussieht? Nein. Das ist gar nicht möglich.
Du bezahlst mit deinen Steuern vllt für eine Leistung von der du aufgrund deiner eigenen Erfahrungen denkst, dass du nicht mit ihr einverstanden bist.
Ob sich deine Erfahrungen aber mit dem Großteil der realen Verhältnisse decken bleibt die Frage.
Und selbst wenn ja, heißt da ja nicht, dass es unter Umständen nicht schon die bestmögliche Umsetzung ist.
 
Kleine Klarstellung am Rande...
Ich verstehe HaraldS. vorwiegend so, dass er einerseits skeptisch ist, ob die von fiddle vorgebrachten Ideen, didaktisch reflektiert sind, und dass er sich zweitens real in der Situation sieht, unter den gegebenen Umständen (die er auch noch einmal anders auffasst als fiddle das tut), zu arbeiten und das "Beste" aus dieser Situation zu machen.
In einer Diskussion darüber mußt du dir als Lehrer schon Fragen gefallen lassen, ob das ganze (der Musikunterricht) in der Form wie er praktiziert wird einen Sinn macht, oder nicht.
Ich bin kein Musiklehrer an einer allgemeinbildenden Schule. Ich bin hauptberuflich Musiker und zu geringem Teil Musikschullehrer. Ich bin aber über das Projekt JeKi und meine Schüler/Ensembles fast täglich mit den Situationen und Ergebnissen des schulischen Musikunterrichts konfrontiert und verfolge die Situation des Musikunterrichts auf der Basis meines Lehramtsstudiums Musik.

Ich bewerte musikpädagogische Sachverhalte möglichst ergebnisoffen und verzichte auf eine Überbewertung meiner ebenso durchaus schlechten Erfahrungen als Schüler im gymnasialen Musikunterricht. Beides halte ich für eine unverzichtbare Grundlage.

Harald
 
Wir haben an der Schule drei Musiklehrerinnen. Eine recht junge, sie ist neu bei uns. Ihren Unterricht habe ich bisher nur sekundenweise gesehen, sie hat aber unabhängig von der Schulband ein -ich nenn es mal so - "Trommel-Ensemble" auf die Beine gestellt und es damit geschafft, dass es Schüler der Unterstufe gibt, die sie damit dazu gebracht hat, Schlagzeug spielen lernen zu wollen. Auch wenn es schon richtig ist, dass Ziel des Unterrichts die Diskussionsfähigkeit und Auseinandersetzung mit Kultur und all die anderen bereits aufgezählten Punkte sein sollte - ist das nicht mal ein Riesenerfolg einer Musiklehrerin, dass sie Schüler dazu ermutigt eigenwillig ein Instrument lernen zu wollen?
Ich würde sagen: Ja, und ganz besonders für Unterstüfler, denn die anderen Ziele werden sowieso vorrangig im späteren Verlauf der Gymnasialzeit vermittelt.

Die älteste Lehrerin ist meine Klassikerin, dazu habe ich bereits einiges gesagt. Und dann gibt es noch eine Lehrerin, die wahrscheinlich etwas jünger als die Klassikerin ist. Sie ist keine Klassikerin, sondern hat mit uns auch schon den 12 Bar Blues durchgenommen in der 6. oder 7. Klasse, aber trotzdem so theoretisch, dass ich damit nichts anfangen konnte.
Das ist richtig. Kann das aber auch nicht später nachgeschoben werden? Ich dachte auch nicht daran, gleich mit den Hämmern der Musikgeschichte zu beginnen. Ein Blues ist vom Aufbau her das einfachste, mit dem man anfangen könnte. Darauf basiert so ziemlich die gesamte moderne Rockmusik. Hier kann man sehr einfach was erreichen und Blues finden fast alle irgendwie gut. Das kann man auch leicht zu etwas komplexeren ausbauen/entwickeln. Und es gibt zunehmend mehr theoretischen Stoff der dort mit eingebunden werden muss/kann.
Genau daran ist diese Lehrerin gescheitert. Sehr schade, weil ich diese Lehrerin mag und insgesamt kompetent finde. Aber trotzdem hängt auch sie zu sehr an der Theorie.

Worauf ich also hinaus will:
2 alte Lehrerinnen, theoretischer Unterricht, Lehrer labert, Schüler hören zu (oder auch nicht) und lernens auswendig. Praktische Unterrichtseinlagen scheitern m.M.n. durch falsche Herangehensweise der Pädagogen. Für die Schüler stinklangweilig und genau das Problem, das hier diskutiert wird.
1 neue Lehrerin: Trommelensemble, Schüler wollen Instrumente spielen lernen. Wie sie das genau schafft, kann ich nicht sagen, weil ich, wie gesagt, ihren Unterricht nicht kenne.
Und dann erzählt hier unser Musik-Lehramtstudent von seinem so praktisch orientierten Studium, das so gar nicht zu dem hier größtenteils diskutierten Bild des Schulmusikunterrichtes passt.

Da kommt in mir irgendwie ein wohliges Gefühl auf und die Frage: Kann es nicht sein, dass schon längst etwas gegen den hier diskutierten Missstand getan wird? Ich möchte meine wenigen Erfahrungen nicht pauschalisieren,aber aus meiner Perspektive müsste man die Frage eigentlich mit einem deutlichen "Ja, eigentlich schon." beantworten, was natürlich nicht heißt, dass das alle Probleme löst. Was meint ihr?
 
Hi all,
ein paar kleine Anmerkungen aus der Hochschulperspektive. (Ich hatte u.a. das Vergnügen zukünftige Musiklehrer, Sek.II zu unterrichten.)

* Solange es nur ein wenigen Musikhochschulen Musikethnologie gibt, gibt es auch kaum jemanden, der es den Lehrämtlern beibringen kann.
* Die Musikwissenschaft ist zur Zeit in einem Umruch hin zur Kulturwissenschaft. Das mag fachintern noch ca. 5 Jahre dauern. Bis das über die Lehrer in den Schulen angekommen ist, etwa nochmal 5 bis 10 Jahre.
* Lehrpläne werden m.W. von 'Lehrern' gemacht, d.h. Leuten, die diese Lehr- und Berufslaufbahn bereits seit Längerem durchschritten haben, nicht von den 'frischen' Lehrern und auch nur bedingt von Musikwissenschaftlern.
Wie soll also die Beschäftigung mit außereuropäischen Musikkulturen in nächster Zeit in den Lehrplan kommen?

Die Lehrpläne sind das Problem! :bad:

Grüße Jerzy
 
Lehrpläne werden in ministerien gemacht, und hinter vorgehaltener hand preist man den lehrer, der 10% davon oberflächlich realisiert. In der unterstufe könnte erfolgreich gearbeitet werden, wenn man dort fachleute einsetzte oder die vorhandenen besser schulte. Ich will nicht aus der schule plaudern, aber das fach musik mitsamt dem musikalischen handwerkszeug wurde von bürokratie, schulleitern, eltern und schließlich dem unbekannten wesen, auch schüler genannt, maßlos unterschätzt, und ich bezweifele, ob es heute besser ist.
Dabei gibt es seit langem pädagogisch hochwertige systeme wie JA-LE und das Orffsche instrumentarium, die, von der ersten klasse an konsequent angewandt, stimme, gehör, rhythmik und feinmotorik bilden und verständnis für musikalische zusammenhänge spielerisch anbahnen. Ich führte damals einen erfolgreichen versuch durch, es gelang aber nicht, die kollegen zu überzeugen, sich dieses rüstzeug anzueignen. Es geht auch nur, wenn man es selbst voll beherrscht, und nicht alle lehrer lernen gern (resumé jahrelanger ferienkurse und weiterbildungen in musikalisch-schulpraktischen fächern, wo man mir gern zuhörte, sich über manchen trick wunderte, aber doch beim gewohnten blieb).
 
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