Hi Harald,
ich lese hier andauern: "zu kurz gedacht" und "hast du schonmal darüber nachgedacht?"
Das möchte ich hier gleich mal im Ansatz zurückweisen.
NRW:
"Fazit:
Der neue Lehrplan Musik weist im Vergleich zum bisher gültigen in seinen Forderungen keine grundlegenden, diesen revolutionierenden Neuerungen auf. Es kommt lediglich zu Akzentverschiebungen und wenigen Ergänzungen wie:
* Das Hören wird in seiner grundlegenden Bedeutung hervorgehoben. Die Grafik stellt daneben weitere mit dem Musikunterricht verwobene bzw. zu verknüpfende Bereiche heraus: musikalisches Umfeld, Schulleben, andere Fäcer. Deren Bedeutung kam bereits im bisherigen LP zur Sprache.
* Dem Prinzip der Kreativität wird mehr entsprochen.
* Der interkulturelle Aspekt, die Behandlung von Musik anderer, nicht nur europäischer, Länder und Völker, wird unterstrichen.
* Die mikrophonale Aufzeichnung von Unterrichtsergebnissen wird als unerlässlich angesehen.
* Weitere hervorgehobene Momente sind:
o Sprechen über Musik
o Informationsbeschaffung über das Umfeld ("die Geschichte") von behandelten Musikstücken durch die Schüler
o Wo möglich: Einbezug neuer Medien im Sinne eines differenzierenden, mehr selbstgesteuerten Unterrichts
o Musik aus der Lebenswelt der Kinder mit ihren Produktionszusammenhängen
o Livemusik als Unterrichtsmittelpunkt
..."
NRW geht hier scheinbar neue Wege. Es liest sich schonmal deutlich besser, aber ist etwas passiert? Ich kenne den aktuellen Lehrplan nicht.
Sachsen: auch hier liest es sich mal ganz gut. Viel Praxis (hören/selber machen) und wenig Theorie. Ob diese Lehrpläne umgesetzt werden, weiß ich nicht.
Die neuen Lehrpläne scheinen in eine Richtung zu gehen, die mir deutlich mehr zusagt, als das, was ich in Hessen las und was ich vor 25 Jahren selbst erleben durfte.
Also ich weiß aus eigener Erfahrung, daß die Betreiber persischer Musik garnicht einverstanden sind mit dem Bergiff: Folklore.
Das mag für dich eine taugliche Haltung sein, aber weder für Lehrer noch für Schüler wäre es das. Obwohl der Lehrplan Schülern grundsätzlich egal sein kann (solange sie ihn erfüllen...) spielt er doch eine Rolle für die Unterrichtsplanung und -gestaltung. Lerninhalte sind vorgegeben und sowohl Lehrer als auch Schüler müssen sich damit auseinandersetzen.
Wenn ich als Lehrer Lesen müßte, daß jemand anderes meine Lehrtätigkeit hinterfragt / ihren Nutzen anzweifelt, dann hätte ich auch ein flaues Gefühlin der Magengrube. Ob es für die Schüler ein Nachteil wäre ohne Musikunterricht, kannst du nicht wissen. Das Abitur wird verkürzt auf 12 Jahre. Länder-Kultur-Etats werden gekürzt.
Soviel zum gesellschaftlichen Stellenwert.
Wenn ein fixer Lehrplan im Raum steht, dann ist
das nicht förderlich für eine Klasse. Nehmen wir mal an, im Fach Musik werden keine versetzungsrelevanten Noten vergeben und der Lehrer besäße die Freiheit, den Lehrplan selbst zu erstellen. Wäre das nicht genial für den Lehrer
und die Schüler? Ich könnte als Lehrer herausfinden, auf was die Schüler stehen und danach den Unterricht aufbauen.
Wenn ich mir die Zeitplanung der Lehrpläne anschaue, dann komme ich auf 2 Stunden pro Woche, korrekt?
Was nutzt einem Schüler, wenn er eine C-Dur Tonleiter hinschreiben kann, wenn er sogar noch eine Molltonleiter aufnotieren kann und nie ein Instrument spielen lernt? Um Beethoven oder ACDC besser zu verstehen sicher nicht!
All jene, die ein Instrument lernen, lernen Notation an einer Musikschule. Notation ist nur eine Gedächtniskrücke und nichts weiter! Später ist es für einige wenige eine ebenso große Anstrengung, wieder von der Notation fort zu kommen.
Ich rede hier nur von 5 - 11, denn danach wählen die meisten sowieso Musik wieder ab. (geht das heute noch?)
Und die Leistungskurse 12 -13 genügen alleine nicht, um an einer Hochschule die Aufnahmeprüfung zu bestehen.
Was relevant ist, ist der springende Punkt!
Gute Noten im Abschlußzeugnis öffnen die Türen zu vielen Universitäten, aber nicht in Musik und Bildende Kunst. Also muß man den Umfang und Inhalt von Musikunterricht hinterfragen.
Das ist sehr einseitig gedacht. Musikunterricht richtet sich an mehr Gruppen als die DSDS-Zielgruppe und verfolgt auch viele andere Ziele neben dem Musikmachen. Du stellst das kurzfristige Nützlichkeitsprinzip in den Vordergrund (Utilitarismus), aber ebenso sollen langfristige Kenntnisse und Verhaltensweisen gelernt werden, die mit einer direkten Nützlichkeit nicht in Einklang stehen. Schulischer Musikunterricht hat Ideale (die zugegebenermaßen manchmal schwer erreichbar sind), die den Umgang mit Musik thematisieren, um generell einen bewußten Umgang mit Kultur zu fördern. Die langfristige Nützlichkeit dieser Ziele ist nicht direkt umformbar in Handlungsanweisungen Ziel-Mittel-Methode.
Diese anderen Ziele "neben" dem Musikmachen täten mich mal interessieren. Langfristige Kenntnisse: darf ich da mal bösartig grinsen? Wenn du auf Teamplay abhebst, dann lernt man da nur was, wenn mans auch macht. Und Kreativität ist heute nur noch in der Forschung gefragt. Wer hier was aufm Kasten hat, wechselt in der Regel nach kurzer Zeit in die Produktion, da man dort mehr verdient. Den Bewußten Umgang mit Kultur demonstrieren wir den Jugendlichen jeden Tag, indem wir die Kulturetats herunterstreichen. Wenn eine langfristige Nützlichkeit nicht vermittelbar ist, dann habt ihr Lehrer aber ein Problem: 1. gegenüber eurem Arbeitgeber und 2. gegenüber den Schülern, die ohnehin schon zu wenig Zeit haben, sich den Stoff der anderen Fächern reinzufressen.
Auch eine Bandprobe ist nicht nur Praxis. Hast du schonmal eine Probe mitgemacht?
Naja, das ist so einseitig gefordert, daß du dir an den eigenen Fingern abzählen kannst, daß doch wohl am Lehrplansystem was Gutes dran sein muß, wenn es das so seit über 100 Jahren gibt. Es ist doch nicht so, daß alle Musiklehrer in Deutschland blind, dumm und taub sind und das nachbeten, was unvorbelastete Verwaltungsangestellte sich am Schreibtisch ausdenken. Es ist durchaus so, daß deine ganzen Überlegungen im "System" durchaus schon mal gedacht wurden, und in der Summe aller Überlegungen, kulturellen Hintergünde, organisatorischer Notwendigkeiten und den Fakten des aktuellen Musiklebens der Stand der Dinge als der beste Kompromiss bei herauskam. Natürlich müssen Lehrpläne saniert werden und die Lehrer müssen die Änderungen der Lebenswelt der Schüler berücksichtigen.
Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen einem guten und einem 100-jährigen System.
"..und das nachbeten, was unvorbelastete Verwaltungsangestellte sich am Schreibtisch ausdenken": doch, genauso ist es!
Fakten des aktuellen Musiklebens sind:
-daß man als Musiker keinen Cent Kredit bei einer Bank bekommt.
-daß man Paganini-Violinkonzerte spielen können muß, damit es für eine Orchester C-Stelle reicht.
Ab da ist man kein Künstler mehr, da man ein Angestelltenverhältnis eigegenagen ist.
-daß man als Kleinkünstler keine Auftrittsmöglichkeiten mehr bekommt, da die GEMA nicht nachvollziehbare Gebühren erhebt, oder diese auf den Künstler abgewälzt werden.
-daß man, um der GEMA zu entgehen, zum notorischen Lügner werden muß, damit die Gage wenigstens die
Unkosten deckt.
-daß Hobbymusiker mit einem anständigen Einkommen bessere Instrumente in der Hand haben, als man selber.
-daß sich eine 3-Mann-Kapelle mit Midi-files über einen Abend schummeln und vom Publikum keiner bemerkt, daß keiner der Musiker tatsächlich spielt. Dafür streichen sie eine satte Gage ein.
cheers, fiddle