So, dann kommen wir mal zur Sache. Ich habe mich gestern Abend noch lange mit der Sfogli beschäftigt und habe heute auch noch zwei Gitarren mit ähnlicher Bestückung zum Vergleich dazu genommen:
- Ibanez RG5440: RG mit Mahagonikorpus, Rosewood Fretboard und EMG 81/SA/SA Set)
- Fender American Strat mit Maple-Fretboard und EMG DG-Set (EMG SA/SA/SA)
Ich denke, ich kann auch nach kurzer Zeit relativ neutral was zur Gitarre sagen, da nicht alles an ihr völlig neu für mich ist.
Fangen wir mal mit den Oberflächlichkeiten an: Die Gitarre sieht toll aus und geht absolut in die richtige Richtung, wenn man was in Anlehnung an die alten Valley Arts oder Blade Gitarren sucht. Ja, die Decke auf den Promo-Fotos bei Charvel bzw. im Artikel von Bonedo sieht wilder aus als in meinem absolut zufälligen Serienmodell, aber mir gefällt sie trotzdem.
Der Body besteht aus Erle und hat eine Flame Maple Decke. Bei dem Hals handelt es sich um ein "Speed-Neck with rolled Fingerboard Edges" aus roasted/caramelized Maple (gebackenem Ahorn), das Griffbrett besteht aus dem gleichen Material und ist aufgeleimt.
Positiv fällt hier, genau wie bei anderen Charvels, die Einstellung des Trussrod am Halsfuß auf. Dadurch entfällt das lästige Gefummel mit dieser dünnen Plastikplatte zwischen den Saiten auf einer oftmals schiefen Ebene (der Kofplatte). Warum sich das noch nicht als Standard durchgesetzt hat ist mir völlig schleierhaft.
Die Gitarre ist eine Pro-Mod So-Cal Style 1, d.h. der Body entspricht in Form und Größe einer Strat. Ich finde, sie hat eine ausgeprägte Bierbauchfräsung und zudem als besonderes Feature einen optimierten Halsübergang. Dieser erinnert mich etwas an den Ibanez AANJ ("All Access Neck Joint"), hat aber noch zusätzlich eine weitere Fräsung am unteren Cutaway.
Technisch kommt die Gitarre mit bewährten Komponenten. Das Floyd Rose ist ein 1000er Modell, inzwischen finde ich das nicht mehr wirklich schlimm, weil sich ein aktuelles OFR im direkten Vergleich auch nicht besser anfühlt. Die ruckeligen Finetuner haben beide in fast gleichem Maße. Dass das auch anders geht zeigt z.B. Gotoh mit dem eigenen Floyd oder dem Ibanez Edge.
Die übrige Hardware ist nicht so spannend, die Gitarre hat keine Edelstahlbünde und bei den Tunern handelt es sich um ganz normale mit Charvel gelabelte Tuner
Als Pickups bringt die Gitarre ein Set aus EMG 89/SA/SA mit. Die Besonderheit an dem EMG 89 ist, das er quasi gesplittet werden kann und dadurch entweder ähnlich einem EMG 85 (ungesplittet) oder einem EMG SA (gesplittet) klingt. Das funktioniert tatsächlich sehr gut. Als ganzer Humbucker liefert der Bridge-Humbucker ein ordentliches Brett und im alternativen Modus reiht er sich passend ein zu den beiden echten Singlecoils.
Insgesamt hat die Gitarre mit der vorliegenden Schaltung aus 5-Wege-Schalter (klassisch) und Push/Pull Poti 7 verschiedene Kombinationen im Angebot:
Bridge / Bridge+Middle / Middle / Middle + Neck / Neck
Bridge(split) / Bridge(split) / Middle / Middle + Neck / Neck
Im Ergebnis kommt in der zweiten Variante eine Strat mit EMG SA heraus, die sich ganz normal über den 5-Wege-Schalter bedienen lässt. Und sie klingt auch nach Strat. Falls notwendig, der volle Humbucker ist schnell erreichbar. Umgekehrt ist für die härtere Fraktion der Humbucker da und die Singlecoils in der Mitte / am Hals bieten dann klangliche Alternativen.
Kommen wir mal zum persönlichen Eindruck.
Die Gitarre fühlt sich direkt sehr vertraut an. Das ist eigentlich auch kein Wunder, denn der Body folgt der klassischen Form einer Strat und der Hals ist von seinem Profil her vergleichbar mit gewohnten Jackson/Charvel Hälsen. Gefühlt schon eher breit, aber im Vergleich zu einem Ibanez Wizard Hals noch mit etwas mehr Fleisch dran.
Der Hals selbst ist sehr schön bespielbar dank der gewohnten Dimensionen. Das Finish ist gut gelungen, er fühlt sich samtig weich an und die Hand gleitet drüber ohne irgendwo zu kleben oder hängen zu bleiben. Das gefällt mir wesentlich besser als lackierte Ahorn-Hälse.
Der modifizierte Halsübergang mag sich bei extremen Shreddern bemerkbar machen, für mich ist das "nice to have" und eine logische Verbesserung zum klassischen Strat-Design, aber nicht irgendwas, das mein Spiel verbessern würde.
Das Floyd Rose 1000 verrichtet seinen Dienst wie erwartet. Ich spiele gerne Gitarren mit Floyd Rose, da ich das Gefühl mag, aber ich benutze es so gut wie nie. Trotzdem habe ich es mal etwas gequält und es hat die Stimmung erwartungsgemäß gut gehalten. Die Einstellung ab Werk war auch in Ordnung, Oktavreinheit ist tatsächlich aus dem Karton heraus gegeben.
Am Amp macht die Gitarre auch eine gute Figur. Die Pickupkombination ist bekannt und bewährt, sie liefert die volle Bandbreite vom Metal/Hardrock-Brett bis hin zu cleanen stratigen Tönen. Wie für aktive Pickups typisch lassen sich Volume und Tone wesentlich verlustfreier einsetzen als bei den passiven Varianten.
Gerade im Vergleich zu den anderen beiden Gitarren bin ich doch überrascht, wie sehr die Charvel die gute Strat abgibt. Die RG5440 ist eigentlich was völlig anderes, sie hat halt nur zufällig eine ähnliche Kombination an Pickups. Vom Klang und Spielgefühl her ist das eine andere Welt. Etwas näher dran ist die Fender American Strat, aber die fühlt sich mit dem lackierten Hals und anderem Halsprofil einfach steif und grob an. Auch akustisch finde ich die Charvel strattiger als die Strat.
Mängel/Konstruktionsfehler habe ich angedeutet, aber da ist nicht wirklich was für mich dramatisches:
- Der Hals hat etwas Fret-Sprout. Wenn man gezielt danach sucht, dann ist der Übergang zwischen Holz und Material der Bünde bzw. die Bundkante am Rand des Griffbretts etwas rauh. Stört beim Spielen nicht, deswegen ist mir das relativ egal. Ich werde mal die nächsten 1-2 Wochen beobachten, wie sich das in meiner Wohnung vielleicht noch ändert. Die Gitarre kam schließlich frisch aus dem Lager und hat vermutlich die letzten Wochen/Monate im Seecontainer/Lager bei kalten und trockenen Wintertemperaturen verbracht.
- EMG liefert standardmäßig ein Push/Pull Poti als Switch für z.B. den EMG 89 aus. Das funktioniert solide, ist aber mit den klassischen Strat-Potikappen nicht gut bedienbar. Um genau zu sein, es lässt sich eigentlich nur aktivieren, wenn man gleich mit den Fingernägeln die Potikappe am unteren Rand packt. Speed Knobs wären eine gute Alternative an dieser Stelle. Oder man gewöhnt sich dran das Poti wie beschrieben zu bedienen.
Fazit: Ich bin mit der Gitarre sehr zufrieden, falls das bis hierhin noch nicht deutlich geworden ist. Insbesondere im Vergleich zur teureren American Strat hat es Charvel (Fender) mal wieder geschafft eine tolle Strat für eher spezielle Kundenwünsche auf den Markt zu bringen. Sie gefällt mir ähnlich gut wie damals das Danhage Modell, das ich heute noch sehr mag.