Gigsuche für kleine Bands: Finger weg von der Hauptstadt!

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Der folgende Text trifft nur für kleine Bands zu, die sich selbst organisieren und noch keine breite Zuhörerschaft auf dem Musikmarkt erobert haben. Und eines vorweg: ich will euch nicht den Hauptstadt-Gig ausreden, sondern mit einer Erklärung der Rahmenbedingungen zur Vermeidung unschöner Erlebnisse beitragen :).

Ich freu mich auch darauf, dass ihr hier eure eigenen Erfahrungen, Tipps und Fragen zur Verfügung stellt!

1. Einleitung - Warum schreibe ich diesen Beitrag?

Ich bin Berliner und mache seit 10 Jahren hobbymäßig Musik in Berlin. In dieser Zeit habe ich schon so einiges gesehen und mitgemacht, daher kann ich mit gutem Gewissen behaupten, dass ich weiß, wie der Berliner Hase läuft. Nun hatte ich in jüngster Vergangenheit erlebt, dass junge Musiker (und vor allem solche, die es noch werden wollen) ein völlig verklärtes Bild vom Berliner Musikmarkt haben.
Ja, es stimmt, Berlin ist voll mit jungen Menschen und nahezu jedes kulturelle Angebot findet hier auch seine Nachfrage. Ja, es stimmt, die Leute gehen hier jeden einzelnen Tag feiern. Und ja, es stimmt, es gibt für jede Größe und für jeden Anlass mehrere Locations. Und ja es stimmt, die potentielle Zuhörerschaft liegt hier im Bereich von mehreren Tausend, selbst wenn man Neofolk Ambient Blackmetal oder Progressive stoned Jazz spielt.
Dennoch erlebt man als Berliner Musiker, dass es fast unmöglich erscheint, Leute für ein kleines, unabhängiges Konzert mit neuen (=unbekannten) Bands zu begeistern. Egal, wieviel Werbung man macht oder wie teuer/günstig der Eintritt ist. Egal wie gut ihr seid, wie toll euer Promomaterial im Internet ist und ob ihr euer erstes Demoalbum im Studio aufgenommen habt.
Letztens hab ich es wieder erlebt ... eine Band mit <1000 Likes bei fb und ner ordentlichen Studioaufnahme hat eine Tour gestartet. Donnerstag, in Berlin, sich selber als Headliner positioniert, noch ein paar kleine, lokale Bands rangeholt. Irrerweise waren die meisten Zuschauer bei der ersten Band da, danach ging es dann steil bergab. Beim Headliner standen dann ca. 7-8 Leute vor der Bühne, ausschließlich Musiker von den lokalen Bands. Es gibt ein verklärtes Bild von Berlin, das mit der Realtität kollidiert ... und deshalb schreibe ich diesen Beitrag :).

2. Theorieteil - Wieso kriegen Bands aus anderen Regionen hier einfach keine Gigs/Zuschauer?

Antwort 1: Das Angebot ist grenzenlos, jeden Tag und jeder Zeit

Auf dem Berliner Musikmarkt tritt genau das selbe Phänomen auf, das den klassischen Produktionsbetrieben Probleme bereitet. Das Angebot ist dermaßen gigantisch, dass nahezu jede Nachfrage befriedigt wird. Es tritt eine Sättigung ein. Der Durchschnittshörer aus Berlin ist nunmal nicht auf der aktiven Suche nach Konzerten mit kleinen Bands, sondern will seine Zeit möglichst mit bekannten, liebgewonnenen Bands oder anderweitig verbringen. In Berlin spielen fast täglich professionelle Bands jeder Musikrichtung. Es gibt Musikklubs für jeden Musikgeschmack und dazu gibts es auch noch haufenweise Möglichkeiten, sich anderweitig zu beschäftigen (Bars, Homepartys, Kinos, Poetry Slams, 3D Minigolfen, Studentenpartys, ...). Und dann gibts es noch eine breite Aufstellung an Berliner Musikern, die sowieso schon immer den Bedarf an kleinen Konzerten decken. Es kommt also einfach keiner auf die Idee, zu einer ihm unbekannten Band zu gehen, weil das Konzert im "allgemeinen Rauschen" einfach untergeht.

Antwort 2: Berlin ist Elektro-Hauptstadt

Berlin ist mittlerweile für eine Sache richtig bekannt geworden. Und zwar für die Fülle an Locations, die unterschiedlichste Arten von elektronischer Musik spielen. Das hat auch auf die Ausrichtung der Clubs im Allgemeinen einen Einfluss. Z.B. wird das Magnet/Comet geschlossen (Betreiber hat keine Lust mehr aufgrund schlechter Zukunftsprognosen in Richtung Rock/Indi) und duch einen Elektroclub ersetzt. Vielleicht ist es ein bisschen wie das Henne-Ei-Prinzip, aber die Nachfrage nach Elektro ist in Berlin ziemlich angestiegen (wodurch die Nachfrage nach Rock/Metal/etc.-Konzerten gesunken ist). Und die meisten Partytouristen kommen auch wegen Elektromusik (und Drogen) in die Hauptstadt, wodurch wiederum der Ruf der Stadt dahingehend geprägt wurde, dass in Berlin viel los ist.

Antwort 3: regionale Bands überschätzen die Wirkung ihrer fb-Likes

Es mag ja etwas besonderes sein, wenn eine Band aus Hinterkleinwestposlingen tatsächlich 800 Likes gesammelt hat, ohne dabei in die Kasse zu greifen und eine intensive Werbekampagne zu starten. Aber das kriegt in Berlin einfach keiner mit. Hier spielen tagtäglich Musiker, deren Likes in die 100.000 und mehr gehen. Da sieht der Unterscheid zwischen 80 Likes und 800 Likes erbärmlich gegen aus (auch wenn das schon ne Leistung ist!). Mit 800 Likes ist man einfach noch nicht am Ziel. Man erzeugt damit nicht automatisch noch mehr Aufmerksamkeit und es haut die Berliner nicht grade vom Hocker ;-).

3. Für Beratungsresistente: Wie komme ich trotzdem erfolgreich nach Berlin?

Jetzt geht es ans Eingemachte. Ihr habt euch krampfhaft durch den Artikel gelesen und wurdet eventuell in eurem pessimistischen Weltbild bestätigt oder gar schmerzhaft aus der Traumwelt geweckt. Situation erkannt, aber ihr wollt trotzdem unbedingt nach Berlin? Damits dann kein totales Desaster wird, hier meine Empfehlungen (beliebig kombinierbar):
- tretet in Kontakt mit lokalen Bands, die zu euch passen und einigermaßen Publikum mitbringen (fb-Likes sind nicht immer gleich viel Publikum)! Achtet darauf, dass die andere Band schon einige Sachen in Berlin gemacht hat!
- lasst euch von lokalen Bands einladen und spielt selber als Support! Funktioniert ganz gut, wenn man einen coolen Gegengig in der Heimatstadt anbieten kann!
- arbeitet stark mit dem lokalen Support zusammen, auch bei der Auswahl der Location, der konkrekten Terminplanung und der Gestaltung von Flyern!
- peilt lieber Freitag/Samstag an (den Rest der Woche machen fast nur Touristen/Elektrofans Party)!
- bei der Location sollten regelmäßig ähnliche Acts spielen! Informiert euch schon während der Planung, was da sonst in der Location los ist!
- orientiert eure Preise am Markt! Keiner geht in Berlin für >10 Euro zu ner kleinen Band oder kauft für >25 Euro nen Shirt!
- Flyer, Plakate, etc. werden meiner Meinung nach ignoriert (gehen in der Flut unter). Dafür sollten alle Infos Online zur Verfügung stehen und auch ein wenig Online-Werbung gemacht werden!
- versucht Kontakte zu Berliner Netzwerken aufzubauen! Der Kontakt zu den richtigen Leuten öffnet Tür und Tor! (Aber es ist auch sehr schwierig und zeitintensiv ...)

Ich gebe gerne zu, die Empfehlungen sind nicht grade berlinspezifisch und wurden hier im Forum schon an vielen anderen Stellen genannt. Aber ich wollt noch was Positives ans Ende setzen, damit ihr jetzt nicht den Kopf hängen lasst :).


tl;dr

Berlin ist ein hartes Pflaster für auswertige (Hobby-)Bands, die Gigs suchen. Es gibt unglaublich viele Bands aus Berlin, die bereits die gesamte Nachfrage bearbeiten. Der Berliner Zuhörer ist maßlos übersättigt und geht nur noch zu den Veranstaltungen, wo er die Bands kennt. Ihr wollt in Berlin spielen und kommt nicht aus Berlin? Lasst es lieber, sonst verbrennt ihr euch die Finger! Oder sucht euch wenigstens Unterstützung (Bands, Netwerke) vor Ort.
 
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Ich war vor ein paar Wochen seit vielen Jahren mal wieder in Berlin und habe mich erschrocken, wie wenig dort bei kleinen Konzerten los ist. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, aber hier ist mehr los, sobald man die Namen auf dem Flyer nicht mehr lesen kann.
 
Erst mal vorab ....
Interessant zu lesen. Aber ....

Klingt für mich wie die ganz normale Ochsentour durch Clubs. Egal ob in der Hauptstadt oder im letzten Kuhkaff: wenn man nicht bekannt ist, kommt keiner. Es hilft nur, spielen, spielen spielen. Mit etwas Glück kommen die 10 Leute vom letzten Mal wieder und bringen noch 10 mit ....
 
Erst mal vorab ....
Interessant zu lesen. Aber ....

Klingt für mich wie die ganz normale Ochsentour durch Clubs. Egal ob in der Hauptstadt oder im letzten Kuhkaff: wenn man nicht bekannt ist, kommt keiner. Es hilft nur, spielen, spielen spielen. Mit etwas Glück kommen die 10 Leute vom letzten Mal wieder und bringen noch 10 mit ....

Joa, genau. Und es gibt keinen Berlin-Bonus ... das potentielle Publikum in der Hauptstadt ist genauso schwer zu erreichen wie in allen anderen Orten auch. Für manche Künstker eine erstaunliche und bahnbrechende Entdeckung :).
 
Erschreckend ..... :evil:


Bei uns auf dem Land aber auch immer wieder gerne genommen: der lokale Hero aus (Belin/München/Hamburg/Beliebigeanderegroßsatdt) ist vollkommen entsetzt, das da nur 30 Hansels zu seinem Gig auftauchen und das auch nur wegen der lokalen Vorband :weep:
 
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