Stimmzungenkorrosion: ein Beispiel für „akzeptable Beschädigung“

Akkordeonengel
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Liebe Freunde,

Das Thema „Rost“ wird auf diesem Akkordeon-Forum sehr oft erwähnt. Meiner Meinung nach ist dies einer der wichtigsten Aspekte für den Betrieb und die Wartung des Akkordeons. Deshalb möchte ich meine eigenen Erfahrungen und Meinungen hinzufügen. Zu Beginn verzeihen Sie mir bitte ein wenig Theorie.

Was ist Korrosion? Bei den (Stahl-)Stimmzungen ist es die Reaktion des Metalls mit seiner Umgebung –s.g. Oxidation. Es gibt eine allmähliche und spontane Zerstörung von Metall. Dies geschieht unter dem Einfluss von atmosphärischer Wasser und die gelösten Bestandteile der Atmosphäre (Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Ammoniak, Chlorwasserstoff, Aerosole), deshalb sprechen wir von atmosphärischer Korrosion. Eine wichtige Rolle spielt die relative Luftfeuchtigkeit. Ungefähre Information ist in Tabelle 1 angegeben. (Quelle: http://www.casi-web.de/w_begriffe.html).

Tabelle 1.jpg

Die Tabelle 1 hilft zwei Risikosituationen zu verstehen:

1 / Wenn ich mein Akkordeon aus dem Kofferraum des Autos bringe, wo ich es vergessen habe, von einer Temperatur von ca. 4° C in eine Halle voll von Leute (Temperatur 25°C Luftfeuchtigkeit 65%) und augenblicklich (ohne das Instrument zu tempern) zu spielen anfangen werde, entsteht fast sicher Wasserkondensat auf der Stimmzungen. Taupunkt in der Halle ist laut Tabelle 18° C. Die Oberflächentemperatur der Stimmen (4°C) liegt deutlich unter dieser Grenze.
2 / Wenn ich mit meinem Akkordeon nach Ausspielen bei 28°C und Feuchtigkeit 70% (normaler Sommerfest) zurückkehre und das Instrument in einen Raum bei 20°C stelle, dann ein Akkordeon, in dem die feuchte Luft unter Taupunkt unterkühlt bleibt (22°C) und das Wasser wird auf den Stahlzungen kondensieren.

Korrosion ist immer ein allmählicher Prozess und keine massive Korrosion wird jemals nach obergenannten Episoden auftreten. Alles braucht seine Zeit. Korrosion beschleunigt Staub (der reduziert die kritische relative Luftfeuchtigkeit, bei der die Korrosion einsetzt), Fingerabdrücke (Salz, Feuchtigkeit), direktes Einblasen in die Kanzelle mit einer Stimmplatte (hohe Feuchtigkeit in der Ausatemluft). Lederventile nehmen mehr Feuchtigkeit auf als Kunststoff. Auf der einen Seite reduzieren sie (absorbieren) direkte Feuchtigkeit, auf der anderen Seite werden sie leider länger halten.

Meine Erfahrungen...
In meinem 55 Jahre alten Instrument (Lignatone Melodia II) sind Stimmplatten mit einer Mensur, die der Hersteller heute nicht mehr verwendet. Alle Stimmen sind funktional, aber ich hatte keine Ersatz-Stimmplatten. Nach wochenlangen Bemühungen fand ich eine Anzeige im Internet. Aus Polen. Ein Satz von alten Stimmstöcken genau auf meinem Modell (Abbildung 1 und 2). Jetzt die Frage: Was können wir aus den Fotografien (die Originale von www.olx.pl) beurteilen und schließen?

Abbildung 1.jpg Abbildung 2.jpg

meine Antwort:
Alte Stimmplatten/Stimmen von damaligen üblichen „Standardmaschinenqualität“; leichte Korrosion (Fluchtrost) an Spitzen („fleckige“, nicht „durchgehende“) zeugt vom häufigen Spiel auf offenen Flächen und Räumen (Lauben, Hallen). Die Kiste wurde in Grund-Tonleiter gespielt (z.B. C-Dur, G-Dur, F-Dur, B-Dur, weil die Halbtöne-Zungen fast ohne Korrosion sind) und für kleinere Gruppen gespielt (16´ -Stimmzungen /am unteren/ haben weniger Korrosion - es gab keine Notwendigkeit für eine stärkere Ton-Basis). Ich habe sofort die Stimmstöcke gekauft...

Reinigung und "Konservierung"…
Nachdem ich die Diskussionen im Akko-Forum gelesen hatte, beschloss ich, die Anweisungen von @maxito (https://www.musiker-board.de/thread...timmplattendefekte.566694/page-3#post-8195843) zu verwenden. Ich entfernte die Ventile (Abb. 3a und 3b – C-Töne aus dem Bass), und reinigte die Oberfläche des Metalls mit Hilfe eines harten Gummis. Im Inneren der Zunge (blaue Seite) habe ich ein feines Schleifpapier (P1200-wet) verwendet (Abb. 4 und 5). Dann putzte ich alles gründlich mit einem Gewebe, der mit dem WD-40 imprägniert war und dann mit einem trockenen Tuch (Abb. 6)

Abbildung 3a.jpg Abbildung 3b.jpg Abbildung 4.jpg Abbildung 5.jpg Abbildung 6.jpg Abbildung 7.jpg Abbildung 8.jpg

meine Eindrücke…
  • In meinem Fall war es das Ende meiner Arbeit (Abb. 7). Wenn die eigenen Stimmzungen von meinem Instrument entfernt wären, wäre es nur das Ende des ersten Drittels (vor dem Wachsen und Stimmen).
  • Bei kleinen Sanierungen ist auch Selbsthilfe möglich, aber die umfangreichen Reparaturen (die vor allem Zeit, Geschicklichkeit und Geduld erfordern) würde dem Fachmann überlassen.
  • Die große Anzahl von Stimmzungen und Stimmplatten ist die Antwort auf die Frage, warum diese Reparaturen so teuer sind und warum dauern sie so lange (Abb. 8).
  • Korrosion von Stimmzungen ist gefährlich, weil sie nicht sichtbar ist. Es ist nur zu hören, wenn es oftmals zu spät ist, und das Herz des Instruments schon beschädigt ist.
  • Rost ist immer nur das Ergebnis und die Folge der Einwirkung der Umwelt und der Verwendung des Instruments.
  • Das gereinigte Instrument, das Sie in die gleiche Umgebung bringen, beginnt wieder zu rosten.
  • Die einzige Lösung ist die Prävention: geeigneten Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen für die Verwendung der Instrumente und seine regelmäßige Inspektionen.
  • Ein altes und häufig gespieltes Akkordeon ist wie ein erwachsener Mann: Jeder trägt Krankheiten, Wunden und Falten... Ein „gut verausgabtes Leben“ ist jedoch gewiss eine bessere Wahl als Schicksal eines Instruments, das mehr als 50 Jahren nutzlos im Koffer aufbewahrt wird…

Herzliche Grüße aus der Slowakei wünscht Vladimir
 
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