OK, es ist soweit...!
Seit 20 Jahren dabei und noch kein bisschen leise: Die schweizerische Avantgarde-Institution
The Young Gods gastierten für einen Auftritt in Wien und beeindruckten in der "
Szene Wien" - und so viel sei bereits verraten - mit einer betörenden Darbietung. Der empfundene, höhere Altersschnitt des anwesenden Publikums (schätzungsweise zwischen 18 und 50+) überraschte mich angesichts des stolzen Jubiläums kaum, vielmehr erfüllte mich die offensichtliche Vielfalt der Zuhörerschaft mit der Zuversicht, dass Grenzen überschreitende, außergewöhnliche Musik immer noch leidenschaftlich geschätzt wird.
Als Vorband wurde das Projekt
On/Off gewonnen, die ich auf Grund meines chronischen Zuspätkommens leider nur mehr für zwei Songs begutachten konnte. Diese wenigen Eindrücke vermittelten mir jedoch den Anschein einer überaus vorzeigbaren Performance, die ein wenig unter der - für meinen Geschmack - zu geringen Lautstärke litten und damit den nötigen Nachdruck für diese Art der Musik vermissen ließ. Projizierte Videos von Zerstörung und Unheil bildeten dagegen eine passende Kulisse für die zersplitterten, ausgefaserten Soundschnipsel des Trios.
Gespannt harrte ich aus und ersehnte mit Angespanntheit die Attraktion des Abends, geplagt von Zweifeln, ob diese auch meinen Hoffnungen gerecht werden würden - oder an meiner - mutmaßlich von Nostalgie gefärbten - Erwartungshaltung scheitern würden.
Ich wurde eines besseren belehrt: Das Intro donnert majestätisch, fies zerrüttet, bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt aus den Lautsprechern. Kristallklar und doch wie eine defekte Maschinerie, nach vorne peitschend, knurrend, grollend. Beinahe schmerzhafte, noisige, zerrissene Einsprengsel treffen auf epische, unendliche Weiten verheißende Elektronikcollagen, verbünden sich gegen tobende Gitarrenwände und gehen eine rhythmische Symbiose mit dem Schlagwerk ein. Die wiederkehrenden Strukturen, die mich seit jeher schon faszinieren und deren verwegene Unbekümmertheit mir auch das Tor für die anspruchsvollen Arrangements der elektronischen Subkultur geöffnet hat, nehmen mich alsbald gefangen. Wütende Gitarrenakkorde gedeihen neben epochalen und pulsierenden Synthesizer, explodieren in Momenten von friedlicher Schönheit, sie zerstören, sie zerreisen - und sie verändern. Mit fortschreitender Dauer der Show verschwimmen Songstrukturen zunehmend, improvisiert wirkende Passagen werden geschickt eingeflochten, euphorisch bis zur Ekstase fortgeführt und gekonnt wieder ineinander verschmolzen.
Die Intensität der Vorstellung sucht ihresgleichen und so manche Band aus härteren Gefilden könnte sich ein Beispiel an der kompromisslosen - jedoch nie ins lächerliche abdriftenden - Härte nehmen. Zu jeder Sekunde kann man die Souveränität dieser Meister vernehmen, die Brillanz der Kompositionen ließ mich andächtig stehend, gebannt dem Schauspiel folgend, staunend und paralysiert, in meinem Inneren gleichwohl jubilierend sog ich gierig jedes Fragment in mich auf. Jedes Bruchstück wird sorgfältig begutachtet, immer noch bewundernd gespeichert. Einzelne Teilchen sind sperrig, gelegentlich auch keineswegs wohlklingend. Eine Kombination dieser unangenehmen Bestandteile ergibt - dem ungeachtet - bei den
Young Gods allerdings ein schlüssiges Werk von atemberaubender Harmonie. Die typische Handschrift des Masterminds ist ständig "ohrenscheinlich" - und doch besitzt jeder Song einen Wiedererkennungswert und ist deutlich als
Young-Gods-Song identifizierbar.
Auch die Bühnenpräsenz gibt keinen Anlass zu Tadel. Die Begeisterung der Beteiligten ist offenkundig: Allen voran bietet Sänger
Franz Treichler - klarerweise neben der fabelhaften und bemerkenswert akkuraten Vokalperformance - eine Vorstellung der Sonderklasse: ekstatisch springend, sporadisch trance-artig gestikulierend, abseits von klischeehaften Mienenspielen, zieht er zweifellos viele Blicke auf sich. Dazu kommen die präzisen Beats von Schlagzeuger
Bernard Trontin, der mit beeindruckender Stetigkeit industrial-artige, hypnotische Rhythmusfiguren spielte und sich Intermezzi dermaßen lässig aus dem Ärmel schüttelt, dass einem Angst und Bange werden konnte. Ganz anders hingegen der "Maestro"
Al Comet: konzentriert ruft er an seiner Schaltzentrale die Samples (bisweilen komplex-dicht, vereinzelt aber auch fragil-ätherisch) ab. Punktgenau und immer präzise folgen die Einsätze seiner Mitmusiker. Ein weiser, behutsamer Ruhepol in diesem akustischen Wahnsinn, der von der raffiniert geplanten Systematik ebenso lebt wie vom ungestümen Wesen punkiger Stilelemente, die sich immer wieder in die lebendigen Klangwelten einschleichen.
Die zwei ruhigen, sparsam instrumentierten und mit choreographischer Zurückhaltung - die Anmut ihrer Schlichtheit glänzt nicht nur im gleißenden Scheinwerferlicht - dargebotenen Songs wirken nicht deplatziert, vielmehr wie ein wundervoller Kontrapunkt zu einem eindringlichen Programm und betonen die Wichtigkeit der Koexistenz mit den harten Facetten dieser ungewöhnlichen und gleichzeitig zugänglichen Musik.
Ein Abend voll musikalischer Spannung, Intensität und Experimentierfreudigkeit gelangt zu einem grandiosen Abschluss, ein denkwürdiger Auftritt von einer der innovativsten Bands, die ich bisher kennen gelernt habe (und dabei habe ich von dieser Kategorie bereits Myriaden entdeckt!) neigt sich seinem Ende zu.
Solltet ihr ein Faible für elektronische Experimente haben und die Gelegenheit haben diese "
Götter" live erleben zu können, dann kann ich euch nur empfehlen diese Chance nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.
Ich möchte auch den Tipp an euch herantragen in das - in diesem Jahr erschienene - Doppelalbum der Schweizer reinzuhören, es bietet einen repräsentativen Querschnitt durch das Schaffen dieser Talente.