Bernnt
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Ein musikästhetisches Vermächtnis eines religiösen Alten,
seinen eigenen Horizont übersteigend.
Philosophische Abhandlung bitte mit einer Prise Andacht, einem Funken Ernst und etwas Humor und Nachsicht zu lesen.
Wenn ich in den Spiegel sehe, dann sehe ich es: graue Haare, Runzeln, Falten. Das war nicht immer so. Vorgestern noch war alles anders. Man schaute in helle Augen, spürte überschäumende Lebensfreude und jugendlichen Schwung. Die Welt konnte nicht groß genug sein. Das ist vorbei. Wenn man ehrlich ist: schon etwas länger. Kalt lässt das nicht. Man fragt sich, wo die Jahre geblieben sind. Ob sich das gelohnt hat. Was hätte werden können wenn...
An der Wand lehnt mein Instrument. Ich verdanke ihm die ersten selbst verdienten Groschen und die ersten Küsse. Aber nicht nur das. Eigentlich hat es mir alles beigebracht. Wer ich bin, wie ich fühle, was ich weiß. Alles über die Welt, die Musik ist und eben nicht aus Energie oder Atomen besteht.
Gerade fegt der Wind ums Haus. Die Blätter des vergangenen Jahres wirbeln umher. Ich stehe auf der Wiese und stelle mir vor, wie das ist, so einem Blatt nachzujagen. Fast hat man es. Dann ein Windstoß. Pech gehabt. Man greift ins Leere. So ist es mit Gedanken, die man aufschreiben möchte. Sie sind nicht leicht zu fassen. Sie wehen davon. So muss ich mir Wörter und Sätze ausleihen. Vielleicht auch eine Frage des Alters. Man werfe einem alten Mann nicht vor, dass er einen Stock braucht.
Wer sind wir? Was ist Musik? Was ein Musiker? Was sein Himmel? Was seine Hölle? – In den vergangenen Wochen habe ich ein paar Sätze komponiert. Die Wahrheit sind sie nicht. Sie offenbaren aber einen mystischen Pfad. Beschreitet man ihn, wird Musik kreativ, indem sie ein neues Selbst- und Weltbild entwirft. Wer mit Philosophie etwas anzufangen weiß, wird meine Thesenreihe vielleicht interessant finden. Idealisten werden sie eher nachvollziehen können als Realisten. Platoniker werden sich bestätigt fühlen, streng gläubige Menschen werden sie verschroben finden und ablehnen, wiewohl sie religiös ist. Bei den Fans von John Cage werde ich mich entschuldigen müssen. Gleichfalls auch bei den Religionswissenschaftlern, denen meine Sichtweise der Religion der griechischen Antike doch etwas seltsam vorkommen wird. Kein Spaß dürften Menschen haben, für die Musik einfach nur geil sein muss. Den Kopf schütteln dürften Leute, für die Grundsätzliches nicht aufgeschrieben werden muss, sondern einfach unmittelbar einleuchtet. Aber wie gesagt: Ich bin ein alter Mann und ich liebe meine Pfade. Einen alten Baum sollte man nicht versetzen.
Die Wahrheit auf alles , das Leben und den ganzen Rest im folgenden Beitrag.
§1 PROLOGOMENA
1. Menschen leben.
2. Leben verkörpert sich.
3. Wer einen Körper hat, fühlt und denkt.
3.1. Körper, Fühlen und Denken wirken zusammen.
3.2. Körper sein, Fühlen und Denken können sich widersprechen.
3.2.1. Ein gesunder Körper fördert ein gesundes Gefühl und gesundes Denken. Ein ungesunder Körper – wie immer man das verstehen mag - fördert ungesundes Gefühl und ungesundes Denken.
3.2.2. Gefühle können den Körper lähmen und Denken lahmlegen.
3.2.3. Denken kann den Körper lähmen und Gefühle verstummen lassen.
4. Leben lebt im Augenblick.
4.1. Der Mensch, der präsent ist, nimmt Anteil am Leben. Er ist offen für sich, für andere und anderes und teilt sich mit.
4.1.1. Der Himmel ist dort, wo Körper, Fühlen und Denken in demselben Augenblick zusammenkommen (vgl. 3.1.).
4.2. Wir sind meistens nicht präsent. Wir sind unserer Zeit voraus oder blicken zurück. Wir leben nicht im Augenblick, sondern oft ein Stück weit in der Vergangenheit oder in der Zukunft.
4.2.1. Daraus folgt, dass der Mensch sich und andere verpasst.
4.2.2. Die Hölle ist dort, wo alles zeitlich auseinanderfällt – Körper, Fühlen und Denken.
§2 MUSIK ALS HIMMEL UND HÖLLE
5. Musik macht den Musiker selbst sichtbar und hörbar.
5.1. Der Musiker erlebt beides – Himmel und Hölle (vgl. 4.1.1. und 4.2.2.).
5.2. Die Zuhörer erleben Himmel und Hölle des Musikers mit.
6. Musik ist im eigentlichen Sinne der Weg zum Himmel.
6.1. Musik führt den Musiker in die Verwirrung, insofern er zuerst seine Hölle erfährt.
6.1.1. Der Musiker ist nicht präsent und darum nicht eins mit seiner Musik.
6.1.2. Sein Körper zwingt ihm Grenzen auf.
6.1.3. Gefühle lähmen seinen Körper und legen sein Denken lahm.
6.1.3.1. Auftrittsangst ist scheiße.
6.1.3.2. Genauso scheiße ist es, wenn ein gefühlsdusseliger Vortrag dem mit dem Verstand zu erfassenden Gehalt eines Stückes nicht gerecht wird.
6.1.4. Denken lähmt seinen Körper und lassen seine Gefühle verstummen.
6.1.4.1. Man kann so viel denken, dass man gar nicht mehr spielen kann. Perfektes Denken ist für den Körper nicht perfekt.
6.1.4.2. Zuviel Denken macht einen blutleeren gefühllosen Vortrag.
6.2. Musik führt den Musiker in die Verzweiflung.
6.2.1. Musik überfordert seinen Körper, weil er nicht in der Lage ist, mit bloß körperlich technischen Mitteln Fühlen und Denken im Augenblick in eins zu bringen.
6.2.2. Musik überfordert sein Gefühl, weil er nicht in der Lage ist, mit bloßem Gefühl die Körperlichkeit und den denkerischen Gehalt eines Musikstücks im Augenblick in Töne zu fassen.
6.2.3. Musik überfordert seinen Verstand, seinen Körper und sein Fühlen mit Willenskraft zu kontrollieren.
6.2.4. Verzweiflung bringt Verwirrung (->6.1.). Ein Teufelskreis.
6.3. Musik zeigt dem Musiker seine Grenzen auf.
6.3.1. Die Grenzen des Musikers ist er selbst.
6.3.2. Er lebt nicht im Augenblick.
6.3.3. Er strotzt vor Kraft oder ist schwächlich.
6.3.4. Er fühlt zu stark oder zu schwach.
6.3.5. Er denkt zu viel oder zu wenig.
6.4. Musik geleitet den Musiker in den Himmel.
6.4.1. Das ist der Himmel: Sie (die Musik) spielt.
6.4.2. Voraussetzung dafür ist ein Wunder.
§3 MUSIK ALS WUNDER
7. Nur ein Wunder ebnet dem Musiker den Weg in den Himmel.
7.1. Das Wunder besteht darin, dass der Musiker sich fallen lässt.
7.2. Der Musiker macht nicht mehr Musik, vielmehr macht die Musik den Musiker.
7.3. Das Wunder ist nicht machbar. Es geschieht.
7.3.1. Präsenz, körperliches Üben, Fühlen und Denken sind notwendig, aber nicht hinreichend für das Wunder, das geschieht.
7.3.2. Ein Lehrer kann den Schüler auf diesem Weg nur begleiten. Er kann ihm das Himmelstor zeigen, aber nicht für ihn aufschließen.
8. Wer das Wunder der Musik erfährt, wundert sich.
8.1. Die Erfahrung besteht darin, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt als man selbst, mehr als der eigene Körper, mehr als das eigene Gefühl, mehr als der eigene Verstand.
8.2. Das Wunder ist majestätisch. Es macht den Musiker klein.
8.3. Nur der Musiker, der die Größe des Wunders erspürt und sich selbst klein fühlt, ist ein großer Musiker.
8.4. Der große Musiker wird demütig und dankbar. Er verbeugt sich vor der Gnade der Musik, die er erfahren hat.
8.5. Gleichzeitig verzaubert die Gnade der Musik die Welt des Musikers.
8.5.1. Der Zauber lässt erkennen, dass das Universum voller Musik ist.
8.5.2. Der Zauber lässt erkennen, dass die Musik demjenigen Musiker Gnade schenkt, dem sie selbst Gnade schenken will.
8.5.3. Der Zauber lässt erkennen, dass alles bewusste Trachten nach DER Interpretation schlechthin oder gar nach Bedeutung und Ruhm seelenlos und sinnlos sind.
8.5.4. Wer nichts macht, macht alles richtig. Wahre Musik ist nicht machbar.
8.5.5. Wahre Musik liebt den Augenblick.
§4 MUSIK ALS GOTTHEIT
9. Wenn Musik den Musiker macht, offenbart sie sich als etwas Göttliches.
9.1. Wenn sie spielt und der Musiker sich ihr hingibt, macht er die paradoxe Erfahrung, dass sie überall schon immer da war. Er vermochte sie nur nicht zu greifen.
9.2. Was überall ist, ist göttlich.
9.3. Was schon immer da ist, ist göttlich.
9.4. Ergo ist Musik göttlich.
10. Die alten Griechen brachten Musik, die sich im Körper mit seinem Fühlen und Denken im Augenblick vollzieht, mit Apollo in Verbindung. In diesem Sinne ist Musik Kunst.
11. Es gibt Musik, die sich in der Zeit verliert oder nur auf den Körper oder nur auf das Fühlen oder nur auf das Denken abzielt.
11.1. Musik in diesem Sinne ist nicht dem Apollo geweiht.
11.2. Es gibt Musik, die sich in der Zeit verliert.
11.2.1. Diese Musik hätten die Griechen den Göttern Chronos oder Kairos geweiht.
11.2.2. Dem Gott Chronos geweihte Musik dauert kürzer oder länger als ein Mensch es begreifen könnte.
11.2.2.1. Was einer Sekundenfliege Musik ist, erschließt sich nur dem Verstand von Biologen. Was einem Planeten Musik ist, erschließt sich nur einem gläubigen Platoniker.
11.2.2.2. John Cage und seine Jünger weihten sich dem Gott Chronos.
11.2.2.2.1. Deren Musik dauert länger als ein Menschenleben. Sie erschließt sich in ihrer Gänze weder seinem Gefühl noch seinem Verstand.
11.2.2.2.2. Dafür wirkt sie auf manche gefühllos und unverständlich, was zumindest eine interessante Erfahrung werden kann.
11.2.3. Dem Gott Kairos geweihte Musik geht es nur um das Metrum.
11.2.3.1. Wer sich dem Metrum eines Stücks verweigert, macht keine Musik.
11.2.3.2. Wer sich sklavisch an das Metrum eines Stücks hält, ist eine Maschine.
11.2.3.3. Es gibt Musik, die nur Beat ist. Man muss darauf tanzen, sie mag gefühllos sein oder einen um den Verstand bringen
11.2.3.4. Wer exakt 20 Töne pro Sekunde spielen will, muss an Kairos glauben.
11.3. Es gibt Musik, die sich des Körpers bemächtigen will.
11.3.1. Diese Musik weihten die Griechen Hermes, dem Gott der Körpergymnastik und der Diebe.
11.3.2. Darunter fällt Musik, die sich in virtuoser Artistik erschöpft.
11.3.2.1. Wer den Hummelflug schneller spielt als eine Hummel fliegen kann, ist ein Jünger des Hermes. Freilich ist das eine gefühllose sinnentleerte Übung.
11.3.3. Darunter fällt auch gottlose Gebrauchsmusik.
11.3.3.1. Die Musik von Schlangenbeschwörern ist für Schlangen verführerisch.
11.3.3.2. Die Musik des Rattenfängers von Hameln wird von Ratten geschätzt.
11.3.3.3. Soldaten marschieren zu Militärmärschen, ob es den eigenen Knochen frommt oder nicht. Ein Selbstwiderspruch.
11.3.3.4. Es gibt Gedudel, die uns zum Griff ins Warenregal verführen will.
11.3.4. Wo soll ich schlafen? Was soll ich anziehen? Wie kann ich mich von meiner Musik ernähren? Das sind überlebenswichtige Fragen für Berufsmusiker.
11.4. Es gibt Musik, die auf Gefühl und Rausch aus ist.
11.4.1. Diese Musik weihten die Griechen dem Gott Dionysos.
11.4.2. Nur richtig laut ist richtig. Dionysos ist auch der Gott des Lärms.
11.4.3. Musik machen, um Wein und Vesper zu bekommen, ist lecker.
11.4.4. Groupies zu haben, ist befriedigend.
11.4.5. Kein Wunder, das dies mit Alkohol und anderen Drogen kokettiert.
11.4.6. Immer schön aufpassen: Dionysos ist auch der Gott des Wahnsinns!
11.5. Es gibt Musik, die nur dem Verstand verständlich ist.
11.5.1. Tonsatzübungen können Musik-Professoren, ihre Studenten und deren Eltern in den Wahnsinn treiben.
11.5.2. Computer- und Robotermusik ist bloßes Plagiat und ein Surrogat, das einem weismachen will, eine Maschine hätte Zeitgefühl, Körper, Seele und Verstand.
11.5.2.1. Computer und Roboter kommen demzufolge nicht in den Himmel.
11.5.2.2. Also sind Computer und Roboter die Hölle ;-)
11.5.3. Was richtig und verständlich ist, ist noch lange nicht wahr.
11.5.4. Gnade!
12. Es gibt Musik, die Menschen absolut unverständlich bleiben wird.
12.1. Welche Gefühle und welche Gedanken Delphine oder Fische haben, wenn sie singen, bleibt dem Gott Poseidon vorbehalten. Leider haben wir nur Lungen und keine Kiemen. Bevor wir das ganze Stück des Fische-Chors gehört haben, sind wir tot. Es ist unmöglich, daran etwas zu ändern.
12.2. Die Frage, ob es Sinn macht, seinen Kakteen oder den Getreidefeldern musikalische Opfer darzubringen oder nicht, kann nur die Göttin Demeter beantworten. Da wir biologisch gesehen eher Tiere als Pflanzen sind, ist es fraglich, ob ihre Antwort uns je erreicht.
12.3. Welche Musik Außerirdische bevorzugen, überlassen wir Kosmobiologen und Kosmoästhetikern, sofern es diesen Berufszweig je gab, gibt oder geben wird.
12.4. „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ (Wittgenstein)
Bernnt, 07.04.2021
seinen eigenen Horizont übersteigend.
Philosophische Abhandlung bitte mit einer Prise Andacht, einem Funken Ernst und etwas Humor und Nachsicht zu lesen.
Wenn ich in den Spiegel sehe, dann sehe ich es: graue Haare, Runzeln, Falten. Das war nicht immer so. Vorgestern noch war alles anders. Man schaute in helle Augen, spürte überschäumende Lebensfreude und jugendlichen Schwung. Die Welt konnte nicht groß genug sein. Das ist vorbei. Wenn man ehrlich ist: schon etwas länger. Kalt lässt das nicht. Man fragt sich, wo die Jahre geblieben sind. Ob sich das gelohnt hat. Was hätte werden können wenn...
An der Wand lehnt mein Instrument. Ich verdanke ihm die ersten selbst verdienten Groschen und die ersten Küsse. Aber nicht nur das. Eigentlich hat es mir alles beigebracht. Wer ich bin, wie ich fühle, was ich weiß. Alles über die Welt, die Musik ist und eben nicht aus Energie oder Atomen besteht.
Gerade fegt der Wind ums Haus. Die Blätter des vergangenen Jahres wirbeln umher. Ich stehe auf der Wiese und stelle mir vor, wie das ist, so einem Blatt nachzujagen. Fast hat man es. Dann ein Windstoß. Pech gehabt. Man greift ins Leere. So ist es mit Gedanken, die man aufschreiben möchte. Sie sind nicht leicht zu fassen. Sie wehen davon. So muss ich mir Wörter und Sätze ausleihen. Vielleicht auch eine Frage des Alters. Man werfe einem alten Mann nicht vor, dass er einen Stock braucht.
Wer sind wir? Was ist Musik? Was ein Musiker? Was sein Himmel? Was seine Hölle? – In den vergangenen Wochen habe ich ein paar Sätze komponiert. Die Wahrheit sind sie nicht. Sie offenbaren aber einen mystischen Pfad. Beschreitet man ihn, wird Musik kreativ, indem sie ein neues Selbst- und Weltbild entwirft. Wer mit Philosophie etwas anzufangen weiß, wird meine Thesenreihe vielleicht interessant finden. Idealisten werden sie eher nachvollziehen können als Realisten. Platoniker werden sich bestätigt fühlen, streng gläubige Menschen werden sie verschroben finden und ablehnen, wiewohl sie religiös ist. Bei den Fans von John Cage werde ich mich entschuldigen müssen. Gleichfalls auch bei den Religionswissenschaftlern, denen meine Sichtweise der Religion der griechischen Antike doch etwas seltsam vorkommen wird. Kein Spaß dürften Menschen haben, für die Musik einfach nur geil sein muss. Den Kopf schütteln dürften Leute, für die Grundsätzliches nicht aufgeschrieben werden muss, sondern einfach unmittelbar einleuchtet. Aber wie gesagt: Ich bin ein alter Mann und ich liebe meine Pfade. Einen alten Baum sollte man nicht versetzen.
Die Wahrheit auf alles , das Leben und den ganzen Rest im folgenden Beitrag.
Beitrag automatisch zusammengefügt:
§1 PROLOGOMENA
1. Menschen leben.
2. Leben verkörpert sich.
3. Wer einen Körper hat, fühlt und denkt.
3.1. Körper, Fühlen und Denken wirken zusammen.
3.2. Körper sein, Fühlen und Denken können sich widersprechen.
3.2.1. Ein gesunder Körper fördert ein gesundes Gefühl und gesundes Denken. Ein ungesunder Körper – wie immer man das verstehen mag - fördert ungesundes Gefühl und ungesundes Denken.
3.2.2. Gefühle können den Körper lähmen und Denken lahmlegen.
3.2.3. Denken kann den Körper lähmen und Gefühle verstummen lassen.
4. Leben lebt im Augenblick.
4.1. Der Mensch, der präsent ist, nimmt Anteil am Leben. Er ist offen für sich, für andere und anderes und teilt sich mit.
4.1.1. Der Himmel ist dort, wo Körper, Fühlen und Denken in demselben Augenblick zusammenkommen (vgl. 3.1.).
4.2. Wir sind meistens nicht präsent. Wir sind unserer Zeit voraus oder blicken zurück. Wir leben nicht im Augenblick, sondern oft ein Stück weit in der Vergangenheit oder in der Zukunft.
4.2.1. Daraus folgt, dass der Mensch sich und andere verpasst.
4.2.2. Die Hölle ist dort, wo alles zeitlich auseinanderfällt – Körper, Fühlen und Denken.
§2 MUSIK ALS HIMMEL UND HÖLLE
5. Musik macht den Musiker selbst sichtbar und hörbar.
5.1. Der Musiker erlebt beides – Himmel und Hölle (vgl. 4.1.1. und 4.2.2.).
5.2. Die Zuhörer erleben Himmel und Hölle des Musikers mit.
6. Musik ist im eigentlichen Sinne der Weg zum Himmel.
6.1. Musik führt den Musiker in die Verwirrung, insofern er zuerst seine Hölle erfährt.
6.1.1. Der Musiker ist nicht präsent und darum nicht eins mit seiner Musik.
6.1.2. Sein Körper zwingt ihm Grenzen auf.
6.1.3. Gefühle lähmen seinen Körper und legen sein Denken lahm.
6.1.3.1. Auftrittsangst ist scheiße.
6.1.3.2. Genauso scheiße ist es, wenn ein gefühlsdusseliger Vortrag dem mit dem Verstand zu erfassenden Gehalt eines Stückes nicht gerecht wird.
6.1.4. Denken lähmt seinen Körper und lassen seine Gefühle verstummen.
6.1.4.1. Man kann so viel denken, dass man gar nicht mehr spielen kann. Perfektes Denken ist für den Körper nicht perfekt.
6.1.4.2. Zuviel Denken macht einen blutleeren gefühllosen Vortrag.
6.2. Musik führt den Musiker in die Verzweiflung.
6.2.1. Musik überfordert seinen Körper, weil er nicht in der Lage ist, mit bloß körperlich technischen Mitteln Fühlen und Denken im Augenblick in eins zu bringen.
6.2.2. Musik überfordert sein Gefühl, weil er nicht in der Lage ist, mit bloßem Gefühl die Körperlichkeit und den denkerischen Gehalt eines Musikstücks im Augenblick in Töne zu fassen.
6.2.3. Musik überfordert seinen Verstand, seinen Körper und sein Fühlen mit Willenskraft zu kontrollieren.
6.2.4. Verzweiflung bringt Verwirrung (->6.1.). Ein Teufelskreis.
6.3. Musik zeigt dem Musiker seine Grenzen auf.
6.3.1. Die Grenzen des Musikers ist er selbst.
6.3.2. Er lebt nicht im Augenblick.
6.3.3. Er strotzt vor Kraft oder ist schwächlich.
6.3.4. Er fühlt zu stark oder zu schwach.
6.3.5. Er denkt zu viel oder zu wenig.
6.4. Musik geleitet den Musiker in den Himmel.
6.4.1. Das ist der Himmel: Sie (die Musik) spielt.
6.4.2. Voraussetzung dafür ist ein Wunder.
§3 MUSIK ALS WUNDER
7. Nur ein Wunder ebnet dem Musiker den Weg in den Himmel.
7.1. Das Wunder besteht darin, dass der Musiker sich fallen lässt.
7.2. Der Musiker macht nicht mehr Musik, vielmehr macht die Musik den Musiker.
7.3. Das Wunder ist nicht machbar. Es geschieht.
7.3.1. Präsenz, körperliches Üben, Fühlen und Denken sind notwendig, aber nicht hinreichend für das Wunder, das geschieht.
7.3.2. Ein Lehrer kann den Schüler auf diesem Weg nur begleiten. Er kann ihm das Himmelstor zeigen, aber nicht für ihn aufschließen.
8. Wer das Wunder der Musik erfährt, wundert sich.
8.1. Die Erfahrung besteht darin, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt als man selbst, mehr als der eigene Körper, mehr als das eigene Gefühl, mehr als der eigene Verstand.
8.2. Das Wunder ist majestätisch. Es macht den Musiker klein.
8.3. Nur der Musiker, der die Größe des Wunders erspürt und sich selbst klein fühlt, ist ein großer Musiker.
8.4. Der große Musiker wird demütig und dankbar. Er verbeugt sich vor der Gnade der Musik, die er erfahren hat.
8.5. Gleichzeitig verzaubert die Gnade der Musik die Welt des Musikers.
8.5.1. Der Zauber lässt erkennen, dass das Universum voller Musik ist.
8.5.2. Der Zauber lässt erkennen, dass die Musik demjenigen Musiker Gnade schenkt, dem sie selbst Gnade schenken will.
8.5.3. Der Zauber lässt erkennen, dass alles bewusste Trachten nach DER Interpretation schlechthin oder gar nach Bedeutung und Ruhm seelenlos und sinnlos sind.
8.5.4. Wer nichts macht, macht alles richtig. Wahre Musik ist nicht machbar.
8.5.5. Wahre Musik liebt den Augenblick.
§4 MUSIK ALS GOTTHEIT
9. Wenn Musik den Musiker macht, offenbart sie sich als etwas Göttliches.
9.1. Wenn sie spielt und der Musiker sich ihr hingibt, macht er die paradoxe Erfahrung, dass sie überall schon immer da war. Er vermochte sie nur nicht zu greifen.
9.2. Was überall ist, ist göttlich.
9.3. Was schon immer da ist, ist göttlich.
9.4. Ergo ist Musik göttlich.
10. Die alten Griechen brachten Musik, die sich im Körper mit seinem Fühlen und Denken im Augenblick vollzieht, mit Apollo in Verbindung. In diesem Sinne ist Musik Kunst.
11. Es gibt Musik, die sich in der Zeit verliert oder nur auf den Körper oder nur auf das Fühlen oder nur auf das Denken abzielt.
11.1. Musik in diesem Sinne ist nicht dem Apollo geweiht.
11.2. Es gibt Musik, die sich in der Zeit verliert.
11.2.1. Diese Musik hätten die Griechen den Göttern Chronos oder Kairos geweiht.
11.2.2. Dem Gott Chronos geweihte Musik dauert kürzer oder länger als ein Mensch es begreifen könnte.
11.2.2.1. Was einer Sekundenfliege Musik ist, erschließt sich nur dem Verstand von Biologen. Was einem Planeten Musik ist, erschließt sich nur einem gläubigen Platoniker.
11.2.2.2. John Cage und seine Jünger weihten sich dem Gott Chronos.
11.2.2.2.1. Deren Musik dauert länger als ein Menschenleben. Sie erschließt sich in ihrer Gänze weder seinem Gefühl noch seinem Verstand.
11.2.2.2.2. Dafür wirkt sie auf manche gefühllos und unverständlich, was zumindest eine interessante Erfahrung werden kann.
11.2.3. Dem Gott Kairos geweihte Musik geht es nur um das Metrum.
11.2.3.1. Wer sich dem Metrum eines Stücks verweigert, macht keine Musik.
11.2.3.2. Wer sich sklavisch an das Metrum eines Stücks hält, ist eine Maschine.
11.2.3.3. Es gibt Musik, die nur Beat ist. Man muss darauf tanzen, sie mag gefühllos sein oder einen um den Verstand bringen
11.2.3.4. Wer exakt 20 Töne pro Sekunde spielen will, muss an Kairos glauben.
11.3. Es gibt Musik, die sich des Körpers bemächtigen will.
11.3.1. Diese Musik weihten die Griechen Hermes, dem Gott der Körpergymnastik und der Diebe.
11.3.2. Darunter fällt Musik, die sich in virtuoser Artistik erschöpft.
11.3.2.1. Wer den Hummelflug schneller spielt als eine Hummel fliegen kann, ist ein Jünger des Hermes. Freilich ist das eine gefühllose sinnentleerte Übung.
11.3.3. Darunter fällt auch gottlose Gebrauchsmusik.
11.3.3.1. Die Musik von Schlangenbeschwörern ist für Schlangen verführerisch.
11.3.3.2. Die Musik des Rattenfängers von Hameln wird von Ratten geschätzt.
11.3.3.3. Soldaten marschieren zu Militärmärschen, ob es den eigenen Knochen frommt oder nicht. Ein Selbstwiderspruch.
11.3.3.4. Es gibt Gedudel, die uns zum Griff ins Warenregal verführen will.
11.3.4. Wo soll ich schlafen? Was soll ich anziehen? Wie kann ich mich von meiner Musik ernähren? Das sind überlebenswichtige Fragen für Berufsmusiker.
11.4. Es gibt Musik, die auf Gefühl und Rausch aus ist.
11.4.1. Diese Musik weihten die Griechen dem Gott Dionysos.
11.4.2. Nur richtig laut ist richtig. Dionysos ist auch der Gott des Lärms.
11.4.3. Musik machen, um Wein und Vesper zu bekommen, ist lecker.
11.4.4. Groupies zu haben, ist befriedigend.
11.4.5. Kein Wunder, das dies mit Alkohol und anderen Drogen kokettiert.
11.4.6. Immer schön aufpassen: Dionysos ist auch der Gott des Wahnsinns!
11.5. Es gibt Musik, die nur dem Verstand verständlich ist.
11.5.1. Tonsatzübungen können Musik-Professoren, ihre Studenten und deren Eltern in den Wahnsinn treiben.
11.5.2. Computer- und Robotermusik ist bloßes Plagiat und ein Surrogat, das einem weismachen will, eine Maschine hätte Zeitgefühl, Körper, Seele und Verstand.
11.5.2.1. Computer und Roboter kommen demzufolge nicht in den Himmel.
11.5.2.2. Also sind Computer und Roboter die Hölle ;-)
11.5.3. Was richtig und verständlich ist, ist noch lange nicht wahr.
11.5.4. Gnade!
12. Es gibt Musik, die Menschen absolut unverständlich bleiben wird.
12.1. Welche Gefühle und welche Gedanken Delphine oder Fische haben, wenn sie singen, bleibt dem Gott Poseidon vorbehalten. Leider haben wir nur Lungen und keine Kiemen. Bevor wir das ganze Stück des Fische-Chors gehört haben, sind wir tot. Es ist unmöglich, daran etwas zu ändern.
12.2. Die Frage, ob es Sinn macht, seinen Kakteen oder den Getreidefeldern musikalische Opfer darzubringen oder nicht, kann nur die Göttin Demeter beantworten. Da wir biologisch gesehen eher Tiere als Pflanzen sind, ist es fraglich, ob ihre Antwort uns je erreicht.
12.3. Welche Musik Außerirdische bevorzugen, überlassen wir Kosmobiologen und Kosmoästhetikern, sofern es diesen Berufszweig je gab, gibt oder geben wird.
12.4. „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ (Wittgenstein)
Bernnt, 07.04.2021
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