Wieviel Auswirkung hat die Hitze auf die Stimmung eines Akkordeons?

Vielen Dank für die ausführlichen Erörterungen! :great:

Bei Luftsäulen und Saiten ist die Temperaturabhängigkeit ja gut nachvollziehbar. Ich denke, der Wikipedia Artikel bringt es für das Akkordeon auf den Punkt: "Auch die Lufttemperatur wirkt sich theoretisch (praktisch aber vernachlässigbar) auf die Tonhöhe aus."
Englische Quellen erwähnen den Temperatureffekt (Palm, Bachich):
Changes in temperature, humidity, and barometric pressure all impact air density, which is one of the factors determining the frequency at which reed tongues vibrate.

Insgesamt scheint aber die Umgebungs-Temperatur beim Stimmen wichtiger zu sein als beim Spielen.

Die Klangerzeugung der freischwingenden Zunge ist aber komplex und die Zunge nicht auf eine Frequenz festgelegt, wie Frequenzabweichungen bei hohem Spieldruck zeigen. Solche Effekte sind wohl viel bedeutender für die Tonhöhe als die Temperaturabhängigkeit/Aenderungen der Schallgeschwindigkeit.
 
Hallo,

danke für die vielen interessanten Beiträge.

Als Zwischenfazit für einen Hobby-Stimmer würde ich mal festhalten, dass sich die Stimmung erhöht und dass (auch nach meinen Beobachtungen) ein Akkordeon bei den derzeitigen Temperaturen (ca. 30 Grad) von 440 hz auf nahezu 441 hz wandert. Wobei ich davon ausgehe, dass sich die Erhöhung nicht linear von den großen zu den kleinen Stimmplatten bewegt. Wenn das Instrument in sich stimmig ist (irgendwann bei 20 Grad sauber auf 440 hz gestimmt), ist das in der Spiel-Praxis sicherlich keine Problem.

Was mir noch nicht klarer geworden ist, ist der konkrete Umgang mit den höheren Temperaturen beim stimmen. Selbst wenn man jetzt mit einem Referenzton stimmt, kann man meines Erachtens nicht davon ausgehen, dass sich alle Töne bei Temperaturabkühlung wieder linear nach unten bewegen. Man macht sich dann aktuell viel Arbeit und hat zukünftig doch kein sauberes 440 hz Ergebnis. Selbst wenn man das im Spielbetrieb nicht hören wird, ist das doch wenig befriedigend. Auch wenn man ein Instrument nach dem ersten Stimmdurchgang einige Tage ruhen lässt um dann nochmals nachzuarbeiten, würde eine Temperaturänderung das ganze völlig zu nichte machen.

Meine Schlussfolgerung wäre: Das Stimmen sollte bei Umgebungstemperatur von 18 - 22 Grad erfolgen. In den kühleren Jahreszeiten ist das einfach zu realiseren (die Räume haben - ggf. durch Heizen - die entspechende Temperatur). Im Hochsommer wird ein korrektes Stimmergebnis deutlich erschwert, sofern keine Klimatisierung zur Verfügung steht.

Was mir auch noch nicht klar ist, ist der Umgang mit den höheren Temperaturen bei den Fachwerkstätten. Da sagt doch keiner "komm in 3 Monaten wieder, wenn es etwas kühler geworden ist". Und einen klimatisierten Raum haben sicherlich auch nur wenige.

Freundliche Grüße

HLW
 
. Wobei ich davon ausgehe, dass sich die Erhöhung nicht linear von den großen zu den kleinen Stimmplatten bewegt.

das weiß ich nun auch nicht - so genau hab ich das nicht analysiert.

Im praktischen geh ich so damit um, dass ich mir zuerst die Stimmung der Töne notiere - also benachbarte Töne, Oktave drüber, drunter, tiefe Oktave, Piccolo und schau, in welcher Gegend sich die Stimmung so bewegt. Und relativ zur momentan festgestellten Stimmung stimme ich dann die paar Töne, die ich nachbessern muss. Damit stimmt das Instrument in sich wieder und im Generellen ist die Stimmung ja nicht wirklich weit von der "Norm" weg. Damit kann ich gut leben.

Bei Nachstimmung des ganzen Instruments, würde ich mir zuerst den Referenzton vond er Stimmgabel holen und bezogen auf den jeweils stimmen. Selbst wenn dann die absolute Abweichung bei Normtemperatur 1 bis 2 Cent betragen sollte - was solls! Das ist weniger, als die tieferen Stimmzungen an Tondrift aufweisen, wenn man die Lautstärke von p bis F verändert.

Für den praktischen Gebrauch braucht man s nicht übertreiben, find ich.

Bei Fachwerkstätten wird das wie ich schon weiter oben beschriebnhabe keine große Role spielen - im Winter haben vermutlcih etwas mehr als 20 Grad und im Sommer bei 30 Grad stimmen die auch nicht mehr freiwillig, sonder schauen, dass sie das morgens erledigen können, wenn einem die Brühe noch nicht so läuft. Von daher wird die Stimmung in dFachwerkstätten schätzungsweise im Temperaturbereich zwischen 22 und 27 Grad liegen. Und die Änderung liegt dann innerhalb der normalen Toleranz, die eine Stimmung eigentlich immer aufweist.

Aber unabhängig davon bin ich trotzdem auch immer an den theoretischen Hintergründen interessiert. Denn erst wenn man weiß, warum sich was wie verhält, kann man den Effekt gezielt und planvoll angehen - alles andere ist einfach rumprobiererei.

Gruß, maxito
 
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Die Hitze hat keinen Einfluss auf die Tonhöhe, aber die Temperatur schon. Der Haupteinfluss stammt von der Stimmzunge, resp. der Änderung des Elastizitätsmoduls des Stahls als Funktion der Temperatur.
Gemäss meinen Berechnungen beträgt der Einfluss ca. minus 0.242 cent pro Grad Celsius ( - 0.2c/°C)
Tempabh.jpg

Die Grafik zeigt eine Messreihe des Tones C (524 Hz) bei verschiedenen Temperaturen über einen Zeitraum von ca. 15 Stunden. Die rote Linie wäre die theoretische Kennlinie der Stahlzunge. Leicht andere Interpretationen der gemessenen Punkte ergeben ca. - 0.108 c/°C bis -0.19c/°C. Aber das ist alles wohl nicht so genau - ich denke -0.2c/°C ist ein sinnvoller Annäherungswert.

Das Ganze muss auch im Umfeld von weiteren Einflussgrössen gesehen werden. Dazu ist die nächste Grafik recht aufschlussreich. Nach dem Stimmen von 4 diatonischen und chromatischen Akkordeons sowie dem Bau von 2 Stimmtischen sowie über 10'000 erfassten Messwerten im Excel (ist ja verrückt!) möchte ich das Ergebnis der 4 Einflussgrösen zur Diskussion unterbreiten.
4Abhgkeit.jpg
- Druck: der Spieldruck wurde bei 300 Pa um + und - 30 Pa variiert (also 270 Pa, 300 Pa, 330 Pa relativ auf ca. 1 Pa genau gemessen
- Temperatur: Einfluss ca. 0.2 cent bei 1°C Temperaturdifferenz.
- Tastendruck: Je nach Konstruktion kann man die Tasten noch etwas weiter öffnen, wenn man hart gegen den Anschlag drückt. Und DA kommt der grösste Fehler ins Spiel. Die Grafik zeigt 0.4 cent Unterschied, in der Realität liegen 2 cent drin, wenn man eine Taste (speziell im Bass) während dem Stimmen nicht bewusst und konsequent GANZ durchdrückt. Ich wage zu behaupten, da kommen mehr Fehler rein als durch Temperaturerhöhung.
- Chromatische 5-reihige Akkordeons. Je nachdem ob man den selben Ton mit dem Knopf aussen oder innen betätigt, lässt sich +- 0.15 cent Variation erzeugen.

Ich hoffe, meine Erfahrung hilft Euch. Viel Erfolg beim Stimmen.
Adria Maestoso
 
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Hallo Adria Maestoso,

vielen Dank für deine Messungen!

Ganz besonders interessant finde ich die Messung mit dem Tastendruck! Stimmt! Der Öffnugnshub ist bei den meisten Instrumenten heutzutage nicht mehr so groß, dass die Abweichungen keine Rolle spielen... und dieser Faktor wird eigentlich immer unterschlagen!

Jetzt können wir zwar eine Tendenz sehen, wohin sich die Tonhöhe bewegt, wenn sich die Temperatur ändert, aber gleichzeitig sieht man auch dass es viele Einflüsse gibt, die teilweise gegenläufig sind und sich allesamt gegenseitig beeinflussen.

Und wenn ich jetzt für mich ein Resumee ziehen sollte, dann komme ich zu dem Schluss, dass eine perfekte Stimmung eigentlich unmöglich ist und ein wirklich stimmiges Akkordeon absolute Glückssache ist und dann auch nur bei einer Temperatur bei einem bestimmten Tasten- und Spieldruck stimmt - alles andere ist nur "ungefähr"!

Gruß, maxito
 

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