Zu schnelles Akkordeonspiel

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Hallo liebe Forengemeinde,

nachdem ich mir wild durcheinander einige YT Videos angehört habe, vielleicht auch weil ich gerade mit Corona etwas angeschlagen bin und entsprechend sensibel, ist mir etwas aufgefallen (was ich jedoch schon oft bemerkte)
Unser Instrument lebt ja vor allem durch die besonderen Ausdrucksmöglichkeiten der Artikulation, sei es durch Balgarbeit oder durch Fingertechnik. Damit sich ein Stück auf dem Akkordeon schön/ ansprechend anhört, kommt man um die Nutzung der Artikulationsmöglichkeiten eigentlich gar nicht drumherum.

Andererseits lädt das Akkordeon durch seine relative Leichtgängigkeit auch geradezu dazu ein, sehr sehr schnell zu spielen, einfach weils halt geht.

Kann es sein, dass in dieser Richtung - gerade von "virtuosen Spielern" - recht viel übertrieben wird und so entweder die Töne - wenn überhaupt alle getroffen werden- eher "ausgespuckt" werden und sich das ganze eigentlich recht bescheiden anhört?
Beim Hören stellte ich mir vor, ein Violinist würde ein ähnliches oder gleiches Stück derart vortragen, dieser als nicht sonderlich gut empfunden würde. Der Akkordeonist tuts aber, weils halt oberflächich gesehen smooth über die Finger läuft.
klar gibt es Passagen, die - ausdrucksvoll gespielt - auch sehr schnell einen richtig tollen Effekt haben, Aber das passt längst nicht so oft, wie es demonstriert wird.
Oft haben Töne gar nicht die Zeit überhaupt gescheit anzuschlagen, obwohl die Finger jede Taste erwischt haben, damit geht vieles verloren und hört sich dann eher "gewuschtelt" an ... und das kann es doch auch nicht sein, oder?
Mein Lehrer hatte so etwas auch schon erwähnt, dass gerade Stücke aus der Kunststufe sehr mit solchen Passagen überfrachtet seien und das musikalisch gesehen nicht mehr schön sei. "Akrobatisch" sicher mega, aber was nützt es, wenn es nicht gescheit klingt?

So mal meine schmerzgeplagten Gedanken bei einem empfindlichen Hörorgan .. Ich habe jetzt kein Beispiel parat, kommt ggf noch.
Kann das jemand nachvollziehen?

PS: Ein Grund fällt mir gerade ein: Mir erzählte ein hoch versierter Spieler, dass er bei Solovorspiel so aufgeregt ist, dass er häufig vieeeel zu schnell spielt und das erst nachträglich beim Hören der Aufnahme bemerkt und selbst kritisiert.

Ich bringe jetzt mal Beispiele, die ich grad griffbereit habe:
Hier ist es weniger das Verschlucken von Tönen, sondern schlicht das Verfehlen des Rhythmus. Es ist also, obwohl perfekt tonal gespielt, überhaupt nicht in dem Rhythmus Feeling des Genres. Es ist meinem Empfinden nach auch nicht nur zu schnell, sondern trifft die rhythmischen Zeiten nicht:

Bossa Nova- Girl of Ipanema

Hier nicht treffend gespielt:



Hier mal das Original


Und hier eine wirklich gelungene Akkordeon-Umsetzung, bei der man kaum ruhig sitzen bleiben kann :)


Es geht mir also also darum, die Musik emotional, fast schon körperlich zu treffen und nicht auf die richtigen Knöpfe zu drücken. Die gefahr bei zu schnellem Spiel ist hierbei stark gegeben.
 
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Kann es sein, dass in dieser Richtung - gerade von "virtuosen Spielern" - recht viel übertrieben wird und so entweder die Töne - wenn überhaupt alle getroffen werden- eher "ausgespuckt" werden und sich das ganze eigentlich recht bescheiden anhört?
Ich glaube daß von sehr vielen Musikern(aber auch Höhrern) Vituosität mit der technischen Fähigkeit schnell zu spielen sogar gleichgesetzt wird, oder andersrum, wer schnell spielen kann hält sich für einen Virtuosen.
 
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ich empfehle mal "Amorada" von Klaus Bruder gespielt - das kommt über fast die ganze Länge sehr gemächlich daher, er demonstriert erst in der letzten Wiederholung, daß er es auch runterfetzen kann.


Das zu schnell spielen ist aber kein akkordeon-typisches Verhalten, nur mal als Beispiel "In the mood", wenn wir mal die Aufnahmen von Glenn Miller selber als Original betrachten wollen, dann sind min. 90% der nachfolgenden Aufnahmen/Aufführungen deutlich schneller gespielt.


Nachtrag:
Astrud Gilberto ist beileibe nicht das Original, die Dame kennt in Brasilien kein Schwein - das ist US-Westcoast! So haben sich die Amis Bossa vorgestellt.
"Originalaufnahmen" gibts vom Komponisten zu Hauf.
 
Grund: schreibfehler
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Noch ein Beispiel, hier gehts vor allem um Speed und was der mit einem Stück macht.

Averse
Eigentlich ist das ein Swingend gespieltes älteres Stück - heute wird es als Paradestück für Virtuoses Schnellspiel benutzt (und ich find sogar beide Versionen schön, vorausgesetzt man kann es rüberbringen)

Hier jetzt erstmal eine alte Aufnahme, damit man einen Eindruck bekommt, welche Töne da drin überhaupt vorkommen :D



Schon ganz flott ... #räusper#

Ja, ich kannte vorher nur die nun folgende Version, die im Grunde doppelt so schnell gerne auf Wettberwerben gespielt wird. Das Stück wirkt komplett anders erstmal, da man einzelne Töne (hab auch Noten davon) quasi nicht mehr wahrnimmt.
Hier jetzt mal eine Version, bei der ich persönlich das Stück lieber gar nicht spielen als so. Er wird unabsichtlich immer schneller und es macht sich hin und wieder Schluckauf breit.


Ich muss aber gegenhalten, dass mir die Version von Jerome Richard trotzdem gefällt. Er beginnt mit bereits abartigem Speed und legt gezielt bei Wiederholungen noch einen drauf mit furiosem Abgang. Rhythmisch perfekt und kein Ton fehlt. Es wirkt wie ein 1 Minütiger Ausraster. Es gibt also auch Ausnahmen :)

 
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Hallo,
Die Schönheit eines schnell gespielten Stückes ist relativ und hängt mMn von drei Faktoren ab:
  • Fähigkeiten des Spielers
  • die Qualität des Instruments
  • Umstände des Grundes für das Spielen (und die damit verbundene Qualität der Audioaufnahme)
Während die ersten zwei Faktoren über die Zeit nur geringfügig variabel bleiben, ist der dritte Faktor sehr variabel. Zum Beispiel kam ein bekanntes Talent nach Tschechien und sie ließen ihn die Delicia Dineta ausprobieren (Link bitte HIER). Verständlich: In einer fremden Umgebung auf einem fremden Instrument spielte der Junge anders als in seinem Wohnzimmer (link bitte HIER). Und die Kirche hat wieder eine ganz andere Akustik (bitte: LINK).

Hier nicht treffend gespielt:

Ähnlich verhält es sich mit der brasilianischen Legende: Markus Singer probierte ein neues Instrument aus (Erlkönig von Manfred Neumann). Er wurde vorher nicht das Instrument gespielt. An manchen Momenten spielte er sogar gegen das Instrument (was beim Testen eines neues Instrument sogar notwendig ist). Im Gegenteil, Marcio Mello befindet sich in seiner Komfortzone des Studios mit einem Instrument, das er bestens kennt (und spielt) (bitte LINK).

VG, Vladimir
 
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riabel. Zum Beispiel kam ein bekanntes Talent nach Tschechien und sie ließen ihn die Delicia Dineta ausprobieren (Link bitte HIER). Verständlich: In einer fremden Umgebung auf einem fremden Instrument spielte der Junge anders als in seinem Wohnzimmer (link bitte HIER). Und die Kirche hat wieder eine ganz andere Akustik (bitte: LINK).




VG, Vladimir
Wobei mir die Wohnzimmerversion vom Martynas immer noch am besten gefällt. Wow!

Was ich aber beachtlich finde, ist dass er bei der Dineta ja vorgelagert spielt, was er sonst nicht tut- und da tun sich Spieler in der Regel schwer.
Die Akustik ist sehr entscheidend, wie schon oft erwähnt. Mit mehr Hall werden kleine Unsauberheiten in der Artikulation gut kaschiert. Es wird alles von vornherein mehr legato und geht mehr nach außen. Da klingt schnelles Spielen generell besser, habe ich selbst bemerkt- ähnliches mit Micro, wenn ein klein wenig Hall eingestellt ist.
Qualität des Instruments ebenso. Je besser die Ansprache, desto weniger technisch bedingte Verschlucker, selbst wenn man optimal gespielt hat.

Ansonsten muss es halt musikalisch passen.
Ich selbst habe immer zu viel zu schnellem Spiel geneigt und fand das immer toll früher. Bis ich dann gelernt habe, wieviel anspruchsvoller und auch schöner der Fokus auf Artikulation liegt. Deshalb finde ich heute langsame ausdrucksstarke Stücke vom Vortrag her schwieriger als Schnelle (Vorausgesetzt natürlich, es ist generell machbar)
 
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Es wirkt wie ein 1 Minütiger Ausraster.
oder wie das Vorspulen auf meiner Tonbandmaschine - Wahnsinn !
Wenn's jemanden beruhigt , das Problem mit zu schnellem Spielen habe ich weißgott nicht,
eher zu langsam, weil ich meist das vorgegebene Tempo nicht halten kann...
 
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Andererseits lädt das Akkordeon durch seine relative Leichtgängigkeit auch geradezu dazu ein, sehr sehr schnell zu spielen, einfach weils halt geht.
Ich bin zwar kein Akkordeonspieler aber beim Orgelspiel erlebe ich das gleiche. Wenn ich mir einmal alter Choralbücher anschaue, dort ist ein Tempo angegeben welches ein vielfaches langsamer ist als es heute gespielt wird. Ich bin allgemein ein Freund vom langsamen musizieren. Natürlich ist es verlockend schnell und virtuos zu spielen um sein Umfeld zu beeindrucken. Natürlich gibt es auch schneller Stücke die so sein sollen.

Aber heute ist es scheinbar so dass primär schnell gespielt wird weil man es eben kann. Aber die wirkliche Qualität eines Stücks kommt meiner Meinung in den meisten Fällen erst zum Vorschein wenn man jedem Ton den Raum gibt sich zu entfalten. Gerade auf solchen Instrumenten wie Orgel, Harmonium oder eben auch Akkordeon sind die Töne ja nicht sofort ja. Sie brauchen einen Moment um sich aufzubauen und zu stabilisieren. Beim Loslassen verschwinden sie auch nicht sofort sondern langsam. Wenn man nun langsam spielt, dann hört man richtig schön wie einzelne Töne sich bei diesem Vorgang verändern und auch die bereits vorhandenen Töne beeinflussen. Ich finde das schön.

Aber machen wir uns nichts vor. Musik ist genau so wie alles andere in unserer Leistungsgesellschaft etwas das schnell und perfekt sein muss. Viele wollen einfach nicht mehr die Zeit haben längere Zeit mit einer passiven Sache wie Zuhören zu verbringen. Daher schnell runterspielen und wenn ich nur schnell genug spiele, dann hört auch keine die unperfekte Artikulation.

Egal wie man nun dazu steht es ist doch ganz einfach. Schnelles Spiel sieht zwar schwer aus und natürlich ist es eine Herausforderung so schnell zu spielen. Aber die Königsdisziplin ist doch das langsame Spiel, da man dort jeden Fehler hört.
 
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Ich bin zwar kein Akkordeonspieler aber beim Orgelspiel erlebe ich das gleiche.
Ich muß Dir in allem zustimmen , jedoch :
Beim Loslassen verschwinden sie auch nicht sofort sondern langsam.
Bei Akkordeon sind leider die Töne gleich weg , da klingt nichts nach ... es gibt keinerlei eigenen Hall.
Also beim Langsam Spielen würden solche Lücken auffallen , man kann also nur Balgdruck rausnehmen und den Ton abschwellen lassen , was die Intonation auch recht schwierig macht.
Beim Schnellspieln kann man über alles rüberbügeln und muß solche Feinheiten nicht beachten ?
 
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Bei Akkordeon sind leider die Töne gleich weg
Ja, ich habe mich vielleicht etwas ungünstig ausgedrückt. Ich meine das die Töne nicht sofort weg sind wie bei einem Keyboard, sondern der Ton beim schließen des Ventils schnell abfällt. Natürlich ist das irgendwo im Millisekunden Bereich, aber ich finde man hört das doch irgendwie wenn der Ton abfällt.

Wenn ich mich nicht täusche, dann ist die Spieltechnik ja ähnlich zum Harmonium, also versucht man ja durch den Wind (nennt man es bei Akkordeon auch Wind?) Die Töne ausklingen zu lassen und den Nächsten direkt heineinzuführen. Lässt sich doof Beschreiben. Dieses immer auf der Kante zu spielen wo man die komplette Kontrolle über die Töne hat, ohne das welche nicht mehr ansprechen oder wegbrechen... Eigentlich die größte Kunst beim Spiel.
 
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@Christian_Hofmann Danke für Deinen Beitrag, find das schön auch von anderen Musik-Genres zu hören und die Kernaussage ist ja wohl
die Königsdisziplin ist doch das langsame Spiel, da man dort jeden Fehler hört.
und ... ja, ja, ja :claphands: ihr habt ja alle sooo Recht.
Es geht anscheinend oft nur noch darum, wer ein ohnehin schon schnelles Stück schneller, noch schneller, am schnellsten, am allerschnellsten spielt. Z.B. beim "Hummelflug" oder "Flick Flack" fühlt man sich bei vielen Darbietungen schon beim Zuhören gehetzt und atemlos. Sagt auch meine Akkordeon-Genre unkundige Musikerfreundin, Cellistin, Gitarre, Flöte etc. "zu schnell !".
Hohle, inhaltsleere pure Technik, reine Fingerfertigkeit, ohne musikalisches Gefühl, ohne Seele. Hat m.E. viel mit Ego, Geltungssucht zu tun, wenig mit künstlerisch-musikalischem Ausdruck "Schaut mal, wie toll ich bin, dass ich das so schnell spielen kann - dafür will ich bewundert werden."
Hab das mal im steirischen Ratespiel @albschneggle (mit ihrem wunderbaren Motto von Beethoven da geht es um "Leidenschaft" im Spiel) geschrieben, ihre Version, die langsamer als das Original gespielt war (weil sie es noch nicht schneller konnte), hat mir deutlich besser gefallen.
Gerade gestern bei YouTube klassische Pianistinen angesehen und gehört -völlig untypisches Genre für mich-, versteh von Klassik nix, denke aber etwas (Musik)Gefühl und Einfühlungsvermögen zu haben. Bei einigen Interpretinnen gespannt, gebannt hängen geblieben, die "lebten" in dem Stück, fühlten offen-sichtlich und offen- spürlich die Musik, ohne übertriebenes Gehabe, Mensch und Musik wurden eins. Bei anderen nach 5 Sek weggeklickt - keine Seele, kein Inhalt, nur Technik.
So wie schon über das Tanzen und insbesondere den südamerikanischen Tango geschrieben - sehr selten gelingt es, dass 2 Menschen, Musik, Tanz eins werden, so dass kein Haar mehr dazwischen passt. Hatte dort das ja auch schon geschrieben "TIPP an die Nicht-Tango-tanzenden Akko-SpielerInnen: Die dargebotenen Tango's sind zum (schön+ausdrucksvoll) Tanzen oft (viel) zu schnell gespielt, beziehe mich auf die Teilnahme an Akko-Forums-Treffen, Ratespiel u.ä."
"La Valse d'Amelie"
Original im Film ist mir z.B. auch viiiel zu schnell runter"gehämmert", da entfaltet sich die Melodie kaum, könnte da vlt (schnell getanzt) gerade mal einen Schritt auf jeden Takt machen, keinesfalls auf 1-2-3
Also da unsereins ja -wie gesagt- eher vom Tanzen kommt (seit 53 Jahren), werden die Stücke so gespielt, wie man sie tanzen könnte (oder singen täte), mit dem Versuch in der Musik "aufzugehen". Manchmal in das ein kontemplatives Versunken-Sein, Weg-Sein in einer anderen Welt der Klänge. Manchmal geschieht es dann, dass "kurz", aber intensiv ein Stück gespielt wird, einfach so in unterschiedlichen Oktaven und Registern und es nicht zu glauben ist, dass da weit mehr als eine Std vergangen ist. Fühlt sich an wie 5 min. Das Zeitgefühl verändert sich - und das geht nur, wenn man sich vergisst, nicht selbst durch's Stück hetzt, sondern "schön spielt" , wie man mir erstaunlicherweise (da Anfänger) bei meinen einfachen Stücken auf 2 Akko-Treffen attestierte. Hat mich darin bestärkt, nicht super schwer, anspruchsvoll und möglichst schnell zu spielen, sondern meinen Fähigkeiten angemessen mit Gefühl und Leidenschaft, halt bestmöglichst "schön".
LG
 
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gerade von "virtuosen Spielern" - recht viel übertrieben wird
Wir leben in einer Zeit, die "schneller, höher, weiter" feiert. Die Städte werden größer, die Fußgänger laufen dort nachgewiesenermaßen schneller. Der Puls ist flotter. Es wäre merkwürdig, wenn wir alle in einer schnelllebigeren Zeit nicht auch schneller Akkordeon spielen würden. Ob wir dennoch jeden einzelnen Ton bewusst herausarbeiten und artikulieren, ist dann eine Frage der Technik und des guten Geschmacks. Kann man's, gilt man als Virtuose.

Freilich habe ich den Eindruck, dass flotteres Spiel nicht immer besseres Spiel ist. Bei einem Seminar mussten wir einmal ein Kirchenlied singen - und zwar wie es im 19. Jahrhundert wohl gesungen wurde. Diese Lied hatte viele halbe und ganzen Noten. Da das Lied einige Strophen hatte, haben wir lange gebraucht, bis wir durch waren. Danach wurden wir gefragt, wie wir uns fühlten. Die Wirkung war unglaublich. Man fühlte sich gelassen, heiter und beschwingt. Diese Wirkung trat allerdings beim heutigen flotteren Tempo nicht auf. Ich habe für mich die Folgerung gezogen, eine eher gelassenere Gangart zu wählen. Meiner Meinung nach kommt es der barocken Musik, die ich zurzeit oft spiele, sehr entgegen. Damit verbunden sind natürlich Fragen, die man sich dann stellen muss: Wie artikuliere ich? Wie schlage ich an? Wie schnell lasse ich einen Ton verklingen? Aber das sind Fragen, die ich gerne beantworte.

Und wie sieht es mit Geschwindigkeit aus? Es gibt Stücke, die sind auf Geschwindigkeit angelegt. Der Komponist fordert Geschwindigkeit. Das merkt man. Für mich ist das ein Ansporn. Gleichzeitig gibt es aber eine Grenze: Nicht zu akzeptieren sind Geschwindigkeiten, die einzelne Töne oder Figuren nicht mehr leben lassen. Geschwindigkeit darf nicht bedeuten, dass man schludert.
 
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Freilich habe ich den Eindruck, dass flotteres Spiel nicht immer besseres Spiel ist. Bei einem Seminar mussten wir einmal ein Kirchenlied singen - und zwar wie es im 19. Jahrhundert wohl gesungen wurde.
Genau das was ich sagte. Man hat damals jedem Wort und jedem Ton Zeit gegeben um es im Zusammenspiel wahrzunehmen und die Bedeutung zu ergründen. Ich habe mir während einem Beitrag zur Musikgeschichte einmal den Spaß erlaubt und die Gemeinde ein Lied singen lassen, so wie man es heute spielt. Dann habe ich gefragt wer denn etwas zu der Aussage des Liedes machen kann. Keiner konnte es, weil sie es einfach nur runtergeleiert haben ohne die Zeit sich mit dem was sie singen und hören befassen zu können.

Die alten Choräle sind ja auch sehr einfach aufgebaut. Ich hänge mal etwas aus einem Originalbuch von 1867 an was den Aufbau zeigt:
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Das Lied mit allen Abschnitten hat man wohl bestimmt 5 Minuten gesungen. Alles notiert in halben Noten und selten mal eine Viertel. Das Fermate hat hier aber eine andere Bedeutung. Die Note wird nicht nach Belieben gehalten, sondern während dieser exakten Notenlänge hat der Spieler Zeit zur Improvisation. Eine Königsdisziplin die ich selbst nur begrenzt kann. Außerdem sei noch angemerkt dass der Druck etwas falsch ist. Die Melodie ist zwar von Martin Luthers Vater unser im Himmelreich, tatsächlich ist es aber das Lied "So wahr ich lebe spricht dein Gott".

Geschwindigkeit darf nicht bedeuten, dass man schludert.
Ich persönlich sehe Geschwindigkeit als Gestaltungsmittel. Meine favorisierten Stücke beinhalten alles. Thema einführen und vorstellen, dann vielleicht eine ruhige Canzona, ein lebhaftes Gigue gefolgt, dann als langsame Arie, nach der Ruhe eine sehr schnelle Toccatina, mit einem Duo wieder die Aufregung zurückfahren um dann im festlichen Finale abzuschließen.

Wobei man eher seinem Gefühl vertrauen sollte statt einer Angabe auf dem Notenblatt. Einzige Ausnahme wäre dann natürlich wenn man im Zuge eines Konzerts ein bekanntes Stück originalgetreu wie überliefert spielen möchte. Dann sollte man mit eigenen Wahrnehmungen im Hintergrund bleiben :)
 
Für mich ist das Tempo eine Art Perspektive.
Für langsames Spiel brauchst Du detailliertere Gestaltung.
Das heißt aber nicht, dass schnelleres Tempo keine Gestaltung braucht. Sie ist nur nicht mehr so aufs Detail fokussiert, sondern auf größere Zusammenhänge.

Am Ende unterscheidet sich schnell und langsam nicht in der Kraft der Gestaltung, sondern nur im Tempo der vorbeiziehenden Töne.

Ein sehr langer Triller kann zb. sehr ruhig wirken.

Der Grund für zu schnelles Spiel liegt häufig daran, dass ein Stück "überprobt" und damit scheinbar langweilig wird. Natürlich ist es auch eine Frage des Temperaments.

Das gleiche könnte man auch mit Harmonik anführen. Jazzmusiker trainieren ihr Leben lang, einfache Melodien möglichst ideenreich zu gestalten. Sie fügen Tensions hinzu oder reharmonisieren alles bis zur Unkenntlichkeit und freuen sich, wenn nach dem Thema endlich die Impro kommt.

Man staunt, aber nicht immer ist es schön...
 
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Ja, man darf die Art des Stücks auch nicht vergessen. Ein Zweistimmiges Stück langsam gespielt wird vermutlich keine neuen klanglichen Welten eröffnen, sondern eher Langeweile beim Zuhörer entstehen. Eine schnelle Toccata als Ballade wird wohl auch eher verwundern statt begeistern. Wohingegen sich die Arie mit 150er Tempo wohl genau so lächerlich macht :) Es muss eben passen.

Aber gerade am Anfang beim Üben sollte man eher Zeitlupe spielen und diese Zeitlupe korrekt zählen und ausführen. Denn eine Weisheit ist immer richtig: Was du langsam nicht gut kannst, dass kannst du schnell nicht besser.
 
Die alten Choräle sind ja auch sehr einfach aufgebaut. Ich hänge mal etwas aus einem Originalbuch von 1867 an was den Aufbau zeigt:
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Das Lied mit allen Abschnitten hat man wohl bestimmt 5 Minuten gesungen. Alles notiert in halben Noten und selten mal eine Viertel. Das Fermate hat hier aber eine andere Bedeutung. Die Note wird nicht nach Belieben gehalten, sondern während dieser exakten Notenlänge hat der Spieler Zeit zur Improvisation. Eine Königsdisziplin die ich selbst nur begrenzt kann. Außerdem sei noch angemerkt dass der Druck etwas falsch ist. Die Melodie ist zwar von Martin Luthers Vater unser im Himmelreich, tatsächlich ist es aber das Lied "So wahr ich lebe spricht dein Gott".
Na, da bringst Du aber einiges durcheinander. Die "alten Choräle" wie Du sie nennst sind noch viel älter als 1876. Der Vater unser Choral stammt tatsächlich aus dem 16. Jhd. Da war die Singtradition eine ganz andere, als im 19. Jhd. Das Tempo eines Musikstückes orientierte sich im allgemeinen an den schnellsten Noten, die im Stück vorkommen. Bei dem Choral sind es die Halben Noten, die bestimmen also das Tempo, d.h. sie bekommen 1 Schlag (und nicht etwas 2 Schläge weil sie ja 2 Viertel haben). Die Harmonisierung des Chorals in Deinem zitierten Choralbuch ist eher romantisch, wenn auch schlicht ausgeführt. Mendelsson zitiert den Choral am Beginn seiner 6. Orgelsonate, allerdings sehr romantisierend - wie auch sonst. Als Tempo gibt er Viertel=100 vor. Das ist aber sicher nicht das Singtempo einer Gemeinde, auch nicht im 19. Jhd. Man singt es schneller.

Martin Luther hat den Text des Vater unser Chorals gemacht, mit der Melodie ist es etwas komplizierter: die stammt in ihrer Grundform bereits von 1396, wurde dann von den Böhmischen Brüdern 1531 umgearbeitet und von Martin Luther 1539 endgültig an seinen Text angepasst. Das Lied "So wahr ich lebe spricht dein Gott" mag zwar auf die Luthermelodie gesungen werden, ist aber ganz eindeutig späteren Ursprungs.
 
Hier geht’s nicht um das Singen von Chorälen oder um Orgel/Harmonium/Keyboard ;) - bitte beim Thema bleiben. Ich denke, der Threadersteller hat das Thema bewusst mit Akkordeonbezug betitelt und in der Akkordeon-Plauderecke erstellt.
Ansonsten bitte melden, dann kann ich den Thread umbenennen und in ein fachbereichsübergreifendes Subforum verschieben.
 
Zum Thema "zu schnelles Akkordeonspiel": wer ein Stück sehr schnell spielt und es kommt dabei musikalisch nichts 'rüber, dem wird es auch wenig helfen, wenn er langsamer spielt. Dadurch, dass er zu schnell spielt, zeigt er ja deutlich, dass er von Tempofragen keine Ahnung hat. Glenn Gould spielte viele Stücke extrem schnell (oder auch extrem langsam). Aber er wusste, was er tat - und so passte es.
Beitrag automatisch zusammengefügt:

Hier geht’s nicht um das Singen von Chorälen oder um Orgel/Harmonium/Keyboard ;) - bitte beim Thema bleiben. Ich denke, der Threadersteller hat das Thema bewusst mit Akkordeonbezug betitelt und in der Akkordeon-Plauderecke erstellt.
Ansonsten bitte melden, dann kann ich den Thread umbenennen und in ein fachbereichsübergreifendes Subforum verschieben.
Ich finde, dass "zu schnell spielen" ist ein Instrumenteübergreifenes Thema, auch wenn im Threattitel Akkordeon steht.
 
Ich finde, dass "zu schnell spielen" ist ein Instrumenteübergreifenes Thema, auch wenn im Threattitel Akkordeon steht.
Überlassen wir das bitte dem Threadersteller - wenn er das Thema so benannt und hier eingestellt hat, bleiben wir erstmal beim Akkordeon.
 
Ich melde mich dazu.
Mir ist bewusst, dass das Tempo in der alten Musik, insbesondere bis zur Klassik eine weitreichendes interessantes Thema darstellt. Stichwort Mensuralnotation (womit ich mich grundzügig befasst habe)
Dazu gibt es sicherlich bereits entsprechende Fäden.
Mir geht es hier um etwas anderes. Wie eingangs beschrieben: Das Phänomen, meist unwissentlich durch zu schnelles Spiel das Akkordeon ungünstig zur Geltung kommen zu lassen.
Wo kommt das vor, wie passiert es, wie kann man die Musik treffender darstellen, wann und auf welche Weise passt schnelles Spiel,…
Danke für die guten Bemerkungen hierzu, auch vom Orgelkollegen! 👍🏻
 

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