Akkordlastige Stücke lernen

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manuG
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Hallo zusammen,

ich habe vor etwa zwei Jahren das Klavierspielen angefangen. Habe etwa ein Jahr lang bei einem russischen Lehrer Unterricht genommen, der mir die Grundhaltung und die Grundlagen der Musiktheorie beibrachte. Angefangen habe ich mit Einaudi Filmmusik, dann Czerny-Etüden auf Wunsch meines Lehrers, dann Chopin Walzer und Nocturnes auf meinen Wunsch, dann Schubert und Chopin Impromptus ohne Lehrer, den ich mir neben dem Studium leider nicht mehr leisten konnte. Die Stücke hatte ich immer alle relativ schnell gespeichert und konnte sie dann immer wieder durchspielen, bis sie halbwegs gut liefen. Nur scheitere ich aufgrund meiner Lernmethode, die sich ziemlich stark auf Gehör und Fingergedächtnis verlässt (da liegt ja offensichtlicherweise schon das Problem...), komplett an akkordlastigeren Stücken.

Ich habe mir schon einige Male vorgenommen die Violinsonate von César Franck in Angriff zu nehmen aber so oft ich die ersten beiden Seiten auch (langsam) vom Blatt durchspiele, ich bekomme sie nicht in meinen Kopf, obwohl die ja eigentlich noch nicht schwer sind. Gibt's irgendwelche Tricks, solche Stücke auswendig zu lernen? Es fehlen mir halt die Läufe, die Muster, die außergewöhnlichen Techniken, die sich mir sonst einprägen. Es sind einfach nur viele, umfangreiche Akkorde. Das macht es mir auch schwer, sie vom Blatt zu spielen, da ich so viele Noten noch nicht so gut und schnell auf einmal lesen kann.

Viele Grüße,
Manuel
 
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Nur scheitere ich aufgrund meiner Lernmethode, die sich ziemlich stark auf Gehör und Fingergedächtnis verlässt (da liegt ja offensichtlicherweise schon das Problem...), komplett an akkordlastigeren Stücken.
Eine musikalische Lernmethode, die das Gehör als tragende Säule hat, ist niemals falsch. Punkt. (Sorry, wenn das etwas harsch klingt, aber so ist es nun einmal. Ich bin in der Hinsicht ein wenig ein gebranntes Kind und reagiere manchmal etwas empfindlich, wenn das Lernen nach Gehör in Frage gestellt wird.)

Sie kann allenfalls nicht allumfassend sein und bestimmte Dinge vernachlässigen, die man beim Akkordspiel braucht. Aber es ist meines Erachtens eher so, dass Methoden, die das Gehör vernachlässigen, mit Vorsicht zu genießen sind und niemals die Oberhand gewinnen sollten.

Da liegt das Problem also definitiv nicht. Auch akkordlastige Stücke sind darauf angewiesen, dass das Gehör die sich aus den Akkorden ergebende Klangfarbe aufnimmt, kontrolliert und im Gehirn abspeichert.

Ich habe mir schon einige Male vorgenommen die Violinsonate von César Franck in Angriff zu nehmen aber so oft ich die ersten beiden Seiten auch (langsam) vom Blatt durchspiele, ich bekomme sie nicht in meinen Kopf, obwohl die ja eigentlich noch nicht schwer sind. Gibt's irgendwelche Tricks, solche Stücke auswendig zu lernen? Es fehlen mir halt die Läufe, die Muster, die außergewöhnlichen Techniken, die sich mir sonst einprägen. Es sind einfach nur viele, umfangreiche Akkorde. Das macht es mir auch schwer, sie vom Blatt zu spielen, da ich so viele Noten noch nicht so gut und schnell auf einmal lesen kann.

Ich habe mir die ersten Seiten der Violinsonate mal angeschaut. Da gibt es vor allem zwei Dinge, bei denen ich mir vorstellen kann, dass sie für Deine Schwierigkeiten verantwortlich sind:
  1. Du spielst nur einen Part in einem Stück, das für mehrere Musiker geschrieben wurde. Auch wenn es insgesamt nur zwei Musiker sind, ist es dadurch doch so, dass die Musik, die Du beim Üben alleine zum Erklingen bringen kannst, stets unvollständig ist. Hinzu kommt, dass Du (abgesehen von den ersten vier Takten) auf den ersten anderthalb Seiten eindeutig die Rolle des Begleiters hast, wodurch Dein Part weniger eingängig ist als der des Solisten.
    Versuche mal, die ersten anderthalb Seiten mit einer Aufnahme mitzuspielen, so dass Du auch immer den Part der Violine und nicht zuletzt auch die emotionalen Spannungsbögen der Musik im Ohr hast. Wenn das flüssig läuft, sollten die ersten Seiten deutlich leichter laufen.
  2. Flüssiges Lesen von Akkorden besteht nicht aus dem Lesen einzelner Töne, sondern aus dem schnellen Erfassen der Akkorde als Ganzes, so wie wir auch beim normalen Lesen Worte als Ganzes erfassen und nicht die einzelnen Buchstaben abklappern müssen. Dabei kommt eine großartige Fähigkeit unseres Gehirns zum Tragen, nämlich das Bilden von sogenannten »Chunks«. Das ist im Prinzip nichts anderes als das, was in der EDV als verlustfreies Komprimieren bezeichnet wird. Dabei können grundlegende Kenntnisse der Harmonielehre eine enorme Hilfe sein.
    Am Beispiel des ersten Taktes der Violinsonate erläutert heißt das: Anfangs liest man einzeln die Töne e-gis-d'-fis'-h'-d''. Damit sind sechs Arbeitsspeichereinheiten im Gehirn belegt. (Als Faustregel geht man gemeinhin von sieben gleichzeitig verfügbaren Einheiten aus, aber dieser Begriff ist sehr schwammig.) Mit ausreichender Kenntnis der Harmonielehre und genügend Übung (praktische Anwendung von Harmonielehre ist immer auch Übungssache, Verstehen ist nur der erste Schritt!) wird daraus ein E-Dur-Dominantseptakkord mit großer None, der Jazzer sagt auch E7/9. Die Kenntnis des Akkordes im Zusammenwirken mit seinem Griffbild auf den Tasten (und nicht zuletzt mit dem dazugehörigen Klang) verbraucht dann mitunter nur noch eine Arbeitsspeichereinheit. Eine Platzersparnis von über 80% ohne Datenverlust, das soll uns erst einmal ein Computer nachmachen!
    Es lohnt sich also, das gespielte Stück harmonisch zumindest in Grundzügen zu analysieren. Allerdings ist im Falle César Francks zu bedenken, dass er harmonisch schon sehr viel komplexer daherkommt als Schubert, Chopin oder auch Einaudi. Bei ersteren beiden musst Du nach Nonen als Akkordfarbe (und nicht als Dissonanz) geradezu mit der Lupe suchen. Deshalb kann die harmonische Analyse bei Franck etwas aufwendiger ausfallen als bei Chopin oder Schubert. Aber es lohnt sich!
 
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Vielen Dank erstmal für den umfassenden Beitrag!

Du spielst nur einen Part in einem Stück, das für mehrere Musiker geschrieben wurde. Auch wenn es insgesamt nur zwei Musiker sind, ist es dadurch doch so, dass die Musik, die Du beim Üben alleine zum Erklingen bringen kannst, stets unvollständig ist. Hinzu kommt, dass Du (abgesehen von den ersten vier Takten) auf den ersten anderthalb Seiten eindeutig die Rolle des Begleiters hast, wodurch Dein Part weniger eingängig ist als der des Solisten.
Versuche mal, die ersten anderthalb Seiten mit einer Aufnahme mitzuspielen, so dass Du auch immer den Part der Violine und nicht zuletzt auch die emotionalen Spannungsbögen der Musik im Ohr hast. Wenn das flüssig läuft, sollten die ersten Seiten deutlich leichter laufen.

Da hast du wahrscheinlich vollkommen Recht. Selbst bei einfacheren Stücken (Bach - Air, Fauré - Cantique de Jean Racin, ...) fällt es mir schwer ohne die Melodiestimme das Stück im Kopf zu rekonstruieren.
Mit Aufnahme üben ist da wohl eine gute Idee; werde ich mal ausprobieren!

Zu deinem zweiten Punkt: Bevor ich ein Stück anfange, schreibe ich über die Noten alle Harmonien, alleine schon um die Theorie zu üben. So auch bei der Violinsonate - zumindest für den ersten Satz. Nur kann ich damit meist auf die Schnelle auch nicht so viel anfangen, weil mir die Übung darin fehlt, das Gelesene aufs Klavier zu bringen. Selbst einfachste Jazz-Standards bereiten mir Probleme. Aber da hilft wohl nur Üben.
 
Vielen Dank erstmal für den umfassenden Beitrag!

Bittebitte! :)

Zu deinem zweiten Punkt: Bevor ich ein Stück anfange, schreibe ich über die Noten alle Harmonien, alleine schon um die Theorie zu üben. So auch bei der Violinsonate - zumindest für den ersten Satz. Nur kann ich damit meist auf die Schnelle auch nicht so viel anfangen, weil mir die Übung darin fehlt, das Gelesene aufs Klavier zu bringen. Selbst einfachste Jazz-Standards bereiten mir Probleme. Aber da hilft wohl nur Üben.

1. Sehr gut! Und 2. ja, da hilft nur Üben. Vor allem das Codieren und Decodieren von Harmonien ist anfangs mühsam. Lohnt sich aber. :)
 
Wobei mir gerade aufgefallen ist, dass ich die Violinstimme auch in der Vergangenheit immer schon fast automatisch mitgepfiffen habe. Die hab ich halt auch deutlich präsenter im Kopf als die Begleitung... ist ja irgendwie auch klar, ist ja keine Klaviersonate ;)
 
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Akkordlastige Stücke kannst du so lernen indem du die Akkorde und entsprechende Umkehrungen lernst und sie dir dann über die Noten aufs Blatt schreibst.
 
@manuG
mich interessiert, wie Du hörst und wie Du das Gehörte in Dein Spiel überträgst.
Hier nur ein paar Fragen (zu einem zu komplexen Thema, um auf virtuellem Weg eine ausreichende Antwort auf ein individuelles Problem zu geben):

Wieviele Anläufe brauchst Du, um eine neue musikalische Phrase nach Gehör - einstimmig - auf das Klavier zu übertragen? Die Spannweite von einem Try-and-Error-Verfahren und der Fähigkeit, das Gehörte gleich auf das Papier übertragen zu können ist riesig....
Das Gleiche gilt für das harmonische Verständnis: von einfachen Kadenzen bis zu komplexen Harmoniefolgen, Modulationen, Erweiterungen und Alterationen....ist es ein weiter Weg. Fällt es Dir leicht, bekannte Lieder/Melodien zu harmonisieren? Findest Du - nur in der Vorstellung, also mit dem inneren Ohr und ohne Instrument - harmonische Alternativen? Kannst Du die harmonische Folge eines kürzeren Abschnitts eines Songs, eines klassischen Stückes....nachspielen.
Wieviel davon ist Wissen, wieviel ist reine Intuition?
Von Rhythmus will ich garnicht erst reden.....Aber alleine die Frage, inwieweit Du die schweren Taktzeiten zum finden oder markieren der harmonischen Struktur und des melodischen Verlaufs benutzt, wäre interessant.
Wieweit reicht das "vorrausschauende Hören" beim Klavierpiel?
 
@klangraumer : Stimmt, das sind ausgesprochen interessante Fragen.

Allerdings darf nicht vergessen werden, dass Du da teilweise schon sehr fortgeschrittene Fertigkeiten ansprichst, bei denen - leider! - auch so mancher voll ausgebildete Profi noch deutliche Defizite hat. Wenn der TE - nach gerade einmal zwei Jahren Klavierspiel - auch nur die Hälfte davon mitbringt, haben wir hier möglicherweise ein großes Talent vor uns. Wie weit die von Dir angesprochenen Fähigkeiten ausgeprägt sind, hängt sehr stark davon ab, mit welchen Einflüssen (z.B. Lehrern und ihren Methoden und Ansichten) ein Musiker in seiner Entwicklung konfrontiert ist. Vor allem das Voraushören von Harmonien ist leider eine ausgesprochen seltene Fähigkeit!
 
Ja, ich habe versucht, die Komplexität des Hörens anzusprechen, von Einfach bis Anspruchsvoll. Einfache Melodien, Rhythmen und auch Harmonisierungen kann man schon in den ersten Wochen lernen, auch intuitiv und mit sehr jungen Jahren.
Will man anspruchsvolleStücke rein nach Gehör spielen (wie die wundervolle Sonate von C. Franck) muss auch das Gehör weit entwickelt sein - auch hier kann das rein intuitiv sein, mit zunehmendem Alter auch cognitiv. Ansonsten ist es kein Spielen nach Gehör, sondern das Antrainieren von Bewegungsabläufen, was aber wiederum ein ganz anderes Üben vorraussetzt.
Meine Vermutung - vielleicht irre ich mich jetzt - war beim TE, dass er das Gehör vor allem korrektiv einsetzt, weil er nach 2 Jahren noch garnicht in der Lage sein kann, so komplex zu hören. Mit anderen Worten, der Spielwunsch ist zu anspruchsvoll. Damit läuft man schnell Gefahr, in Frustrationen hineinzusteuern. Ich will da jetzt aber auch kein Spaßverderber sein.....
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
positiv ausgedrückt: man kann bewusst mit einfacherern Stücken an seiner Hör- und Spielfähigkeit arbeiten. Davon gibt es durchaus auch zahlreiche und sehr schöne.

Nebenher würde ich trotzdem auch am Leseverständnis arbeiten. Ebenfalls mit sehr leichten Stücken beginnend.
 
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letzter Nachtrag, da ich sehe, dass ich etwas am Thema vorbeigeschrieben habe und da das Heft gerade auf meinem Tisch liegt:

akkordlastige Stücke findet man viele unter den Präludien von J.S. Bach: etwas einfacher in C-Dur BWV 924
komplexere im WTK I
zum Beispiel d-moll BWV 851,
in G-Dur BWV 860
 
Ich dachte hier kommt nichts mehr. Daher etwas verspätet:

@manuG
mich interessiert, wie Du hörst und wie Du das Gehörte in Dein Spiel überträgst.
Hier nur ein paar Fragen (zu einem zu komplexen Thema, um auf virtuellem Weg eine ausreichende Antwort auf ein individuelles Problem zu geben):

Wieviele Anläufe brauchst Du, um eine neue musikalische Phrase nach Gehör - einstimmig - auf das Klavier zu übertragen? Wenn ich den Ausgangston habe und die Tonart kenne 1-2 Versuche, sonst 2-3. Die Spannweite von einem Try-and-Error-Verfahren und der Fähigkeit, das Gehörte gleich auf das Papier übertragen zu können ist riesig.... und irgendwo dazwischen werd ich wohl sein...
Das Gleiche gilt für das harmonische Verständnis: von einfachen Kadenzen bis zu komplexen Harmoniefolgen, Modulationen, Erweiterungen und Alterationen....ist es ein weiter Weg. Fällt es Dir leicht, bekannte Lieder/Melodien zu harmonisieren? Findest Du - nur in der Vorstellung, also mit dem inneren Ohr und ohne Instrument - harmonische Alternativen? Bislang habe ich noch jeden Akkord aus einer Erinnerung oder Vorstellung zusammengekriegt. Ob ich ihn dann benennen kann, ist die andere Sache. Harmonien vorhersagen oder gedanklich weiterführen mache ich quasi automatisch ohne darüber nachzudenken. Kannst Du die harmonische Folge eines kürzeren Abschnitts eines Songs, eines klassischen Stückes....nachspielen. Ja, auch komplexere Geschichten.
Wieviel davon ist Wissen, wieviel ist reine Intuition? Relativ wenig Wissen, sehr viel Intuition. Ich habe in meinem Leben wenig über Musiktheorie gelernt, da es mich nie wirklich interessiert hat. Ich wollte immer lieber Spielen. Hat ja auch so geklappt.
Von Rhythmus will ich garnicht erst reden.....Aber alleine die Frage, inwieweit Du die schweren Taktzeiten zum finden oder markieren der harmonischen Struktur und des melodischen Verlaufs benutzt, wäre interessant.
Wieweit reicht das "vorrausschauende Hören" beim Klavierpiel? Kommt ganz auf das Stück an. Chopin kann ich generell ziemlich gut "vorausschauen", ebenso Schubert, Schumann, Beethoven, Mozart und Bach sowieso... Bei Liszt und Rachmaninov wird's manchmal schon kniffliger und Franck war bislang eben der härteste Kandidat.

Mit anderen Worten, der Spielwunsch ist zu anspruchsvoll.

Gut möglich... Anderseits bereiten mir andere Stücke, die ich auf einem ähnlichen Niveau schätzen würde - zum Beispiel Rachmaninovs Elegie 3/1, die ich gerade übe - kaum Schwierigkeiten (die nicht technischer Natur sind).
 
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