Das Besondere an Ganassi-Flöten

Anouk
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Nachdem ich mit der Suchfunktion nichts finden konnte, wollte ich mal fragen, was eigentlich das Besondere an den Ganassi-Flöten ist, abgesehen vom schlanken und eleganten Äußeren.
Die Barockflöten scheinen - zumindest was die Auswahl in den Geschäften und bei den Blockflötenbauern betrifft - wesentlich häufiger zu sein. Allerdings sehe ich in Konzertaufnahmen auch sehr häufig die Ganassi-Flöten. Und in Stockstadt standen die auch überall auf den Tischen dabei.
Weshalb? Klingen die so anders?
Die Griffweise unterscheidet sich von der barocken. Wie sehr eigentlich? Ich hatte in Stockstadt kurz eine in der Hand, hatte mit meinen schmalen Fingern jedoch Mühe, die Grifflöcher vollständig abzudecken.
Klar gab es in verschiedenen Epochen auch verschiedene Flöten, aber war die Zeit der Ganassi-Flöten nicht vergleichsweise kurz, dafür dass die unter Profi-Misikern anscheinend doch sehr verbreitet sind?
 
Eigenschaft
 
Die Seiten der verschiedenen Flötenbauer habe ich mir schon durchgelesen und weiß um die Entstehungsgeschichte dieser Flöte und das diese kraftvoller (d.h. lauter?) sind.
Mir geht es darum, weshalb die in der Praxis zumindest bei den Profis so verbreitet sind und anscheinend zum Repertoire eines professionellen Blockflötisten gehören.
Ich denke, die barocke Altflöte ist das gängigere Modell und die barocke Griffweise (oder alternativ auch die deutsche) ist das, was die meisten Menschen lernen.
Weshalb parallel noch einmal eine eigene Griffweise und ein eigenes Genre an Flöten?
Ich weiß, es gibt da auch noch die Voice Flutes und verschiedene andere Flöten, aber wenn man mit offenen Augen durch die Blockflötenlandschaft geht, sieht man immer wieder die Ganassi-Flöten und ich frage mich weshalb die auf der einen Seite schon verbreitet sind, auf der anderen Seite aber anscheinend hauptsächlich bei den Profimusikern.
Vielleicht ist meine Sicht ja auch völlig verkehrt und ihr wisst anderes zu berichten.
 
Weshalb parallel noch einmal eine eigene Griffweise und ein eigenes Genre an Flöten?
Die Ganassi-Flöten sind stark mit der Musik der Renaissance verknüpft, haben eine eigene Bauweise wie voiceintune oben ja schon schrieb, die zu einem eigenen Klang führen. Die zylindrische Bohrung führt zu einem grundtönigeren, offeneren Klang als die späteren Barockflöten, die konisch verjüngend zum Ende hin laufen, die Strömungsgeschwindigkeit beim Austritt erhöhen und so obertonreicher und "spitzer" für den Solo-Einsatz werden.

Die Renaissance ist der Umbruch vom Mittelalter hin zu "moderner" Musik; es bildete sich z.B. im gesungenen Bereich die Stimmbesetzung Sopran + Alt + Tenor + Bass heraus, ebenso die Consortien mit Zusammenspiel der Flöten.

Die Renaissance Flöten mischen sich besser im Konsortium

..und um beim Spiel von Renaissance-Musik authentischer zu sein. Gerade im Profi-Lager gibt es ja teilweise Glaubenskriege, wie "Alte Musik" zu spielen sei. Gleichzeitig wird dann oft auch die historische Stimmung von 415 Hz (also 1 Halbton tiefer als 440 Hz in der Grundstimmung) benutzt. Eine Ganassi-Flöte konnte nunmal rekonstruiert werden und existiert in der Beschreibung seiner Bücher. Die eigene Griffweise und der höhere Preis der handgefertigten machen die Ganassi (oder insgesamt Renaissance-Flöten) im Amateurlager eher selten.

Aber in Anlehnung gibt es auch die Adri's Traumflöte, entwickelt von Adriana Breuking (Adri) zusammen mit Mollenhaue; eine Neo-Renaissance Flöte für alle, mit barocker (oder deutscher) Griffweise, kostengünstig aus Kunststoff, aber auch aus Birne und Pflaume. Die Traumflöte (aus Kunststoff) wird auch gern in Anfängerklassen genommen, der der Klang mischungsfähiger und nicht so "nervig" ist.

aber war die Zeit der Ganassi-Flöten nicht vergleichsweise kurz, dafür dass die unter Profi-Misikern anscheinend doch sehr verbreitet sind?
Das würde ich so nicht sagen. Auch der Barock war ja nicht im Stil einheitlich, sowohl zeitlich als auch länderspezifisch.

Bei dem Großteil der Amateure wird erst einmal eine Allround-Flöte benutzt; und die modernen Versionen von Rottenburgh, Denner und Co sind ja je nach Holz und tonlicher Abstimmung auch für Consortien nutzbar. Die Edelholz-Versionen betonen dann das Obertonspektrum und eignen sich besonders für die barocke Solo-Flötenmusik.

Will ich mir z.b. eine Ganassi Alt kaufen, muss ich die Entscheidung treffen, ob in F oder G, in historischer 415 Hz, moderner 440 Hz, oder gar 466 Hz (also 1 Halbton höher als 440 Hz-Grundstimmung).

Die Griffweise unterscheidet sich von der barocken. Wie sehr eigentlich?
Hier findet man z.B. die Grifftabelle der Ganassi Altflöten von Bernolin:
http://www.bernolin.fr/files/doigtesGanassiEnglish.htm


Meine Flötenlehrerin, die auch Leiterin eines Consortiums für Alte Musik ist, hat einen ganzen Sack voller "exclusiver" Blockflöten.
 
Grund: Korrekturen
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Der Vorteil der Ganassi-Flöten ist ihre Lautstärke und der voll Klang, vor allem in der Tiefe. Der ergibt sich aus der stärker zylindrischen Bohrung und die "geht" eben nur mit entsprechenden Griffen über 2 1/2-Oktaven. Wegen der Lautstärke und des großen Tonumfangs werden Ganassi-Flöten sowohl für alte als auch für moderne Sololiteratur geschätzt.

Im Gegensatz zu Renaissance-Flöten haben Ganassis einen größeren Tonumfang, sind lauter und mischen sich schlechter (es sei denn, im speziellen Ganassi-Consort, z.B. von Kobliczek).

Im Gegensatz zu Barockflöten klingen sie weniger elegant, haben aber eine sattere Tiefe.
 
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sehr schöner beitrag
Raverii


kompliment
 
Ach so, zu den Stimmtönen könnte man noch einen eigenen Faden aufmachen, aber so viel in Kürze: 415 Hz ist der Standard-Stimmton für Musik des Hochbarock (ca. 1690-1750). Das heißt nicht, dass dieser Stimmton in dieser Zeit überall gebräuchlich war, ganz im Gegenteil. Man hat sich nur heutzutage darauf geeinigt, um Musik von Corelli bis Bach gemeinsam musizieren zu können.

Für Renaissance und Frühbarock ist 415 Hz unüblich, da verwendet man eher 466 oder 440 Hz, wobei 466 Hz für Bläser (Posaunen, Zinken und Blockflötenconsorts) angenehmer ist, weil die Instrumente durch den höheren Stimmton kleiner und angenehmer zu greifen bzw. zu ziehen sind. In gemischten Ensembles (Bläser, Streicher und vor allem Orgel) spielt man auch Musik aus Renaissance und Frühbarock häufig in 440 Hz.

Eine Ganassi in 415 Hz ist daher eher merkwürdig (trotzdem gibt es sie).

Früher ging es mit den Stimmtönen übrigens lustig durcheinander. Man hatte dann entweder mehrere Instrumente oder verwendete Instrumente, die vor Ort vorhanden waren.
 
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Vielen Dank für eure Erläuterungen!!
Das waren genau die Informationen, nach denen ich gesucht habe.
Ich habe mir eben die Grifftabelle angesehen. Die Griffweisen unterscheiden sich ja wirklich nur in den obersten Tönen.
Ich hatte mir die Unterschiede gravierender vorgestellt.
 
wobei 466 Hz für Bläser (Posaunen, Zinken und Blockflötenconsorts) angenehmer ist, weil die Instrumente durch den höheren Stimmton kleiner und angenehmer zu greifen bzw. zu ziehen sind.
Ah danke - ich fragte mich, woher die höhere Stimmung von 466 Hz kommt.


Von Adrian Brown gibt es auch einen Artikel zu Ganassi-Flöten: http://www.adrianbrown.org/recorder_types/ganassi.html mit einem Verweis auf Tibia (die Moeck-Holzbläserzeitschrift). Einen Eintrag in der Database habe ich bei Moeck gefunden, allerdings auf eine Ausgabe, die nicht online frei verfügbar ist:

Tibia 4/2005, S. 571: Die "ganassiflöte" - Tatsachen und Legenden von Adrian Brown.
 
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...h danke - ich fragte mich, woher die höhere Stimmung von 466 Hz kommt....

aus England!
 
hm weil es historisch so ist! warum sind elefanten grau?
 
Hm, warum sollte die jahrhundertelang in ganz Europa verbreitete Praxis des höheren Chortons (auch Orgel- oder Cornetton genannt) ausgerechnet aus England kommen, einem Land, das vom Rest Europas musikalisch ziemlich isoliert war?

Beweise bitte!
 
nein nein, ich hole keine stöckchen
 
Nachdem @voiceintune leider nichts Konstruktives beitragen kann, ist vielleicht noch folgende Information hilfreich: Analysen von historischen Blockflöten, Zinken (Cornetti) und Posaunen aus der Zeit um 1600 (also etwas nach der Zeit von Sylvestro Ganassi) lassen auf einen Stimmton um a=460 Hz in Norditalien schließen. Möglicherweise gab es auch mehrere Stimmtöne in Halbton-Abstand, also 440 Hz/465 Hz. Historische Zinken gehen bis zu a=490 Hz. Angesichts des enormen musikalischen Einflusses von Italien im 16. und 17. Jahrhundert würde ich davon ausgehen, dass der höhere Stimmton eher aus dieser Richtung kommt. Allerdings beklagte sich schon Praetorius um 1600, dass "etliche ... unseren Ton noch um ein Semitonium zu erhöhen sich unterstehen wollen".
 
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...Angesichts des enormen musikalischen Einflusses von Italien im 16. und 17. Jahrhundert würde ich davon ausgehen,...

also keine Beweise?!
 
Bruce Haynes beschäftigt sich übrigens ausdrücklich mit Geschichte der Stimmtöne und nicht mit heutigen esoterischen Diskussionen wie ob c=256 Hz oder a=432 Hz irgendwie "natürlicher" ist. Jeder, der schon mal mit Orgel in einer winterkalten oder sommerheißen Kirche musiziert hat weiß, wie sinnlos solche Diskussionen sind ;)
 

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