In diesem Musiker Forum würde ich annehmen, dass es als Musiker interessant ist, sich im Orchester zu befinden und sich selbst und seine Kollegen beim Spiel zu hören.
Ich bin Berufsmusiker, Musikpaedagoge und freischaffend konzertierend, aber vom Beruf her kein Orchestermusiker. Nichtsdestotrotz habe ich immer wieder Gelegenheit gehabt, als Klarinettist im Orchester mit zu spielen, natürlich als Student im Hochschulorchester, aber auch nach wie vor ab und zu z.B. aushilfsweise.
Von daher kann ich es durchaus bestätigen, dass es auf jeden Fall interessant ist, mitten im Geschehen und Teil des großen Gesamtklangs "Orchester" zu sein. Spaß macht das unbedingt - aber vom Hörgenuss muss ich - leider - sagen, ist das im Hinblick auf das musikalische Gesamtgeschehen, auf die Komposition selber mehr als ernüchternd, ja mitunter geradezu grotesk.
Als Holzbläser sitzt man vom Publikum aus gesehen hinten im Orchester, üblicherweise befinden sich dahinter noch die Pauken und generell die Percussionsinstrumente. Im engen Orchestergraben kann es sein, dass einem auch die Blechbläser regelrecht ´im Nacken´ sitzen. Und wenn die hinter und neben einem mal richtig loslegen, kann es sein, dass man sich selber kaum noch hört (nicht umsonst haben sich einfach aus Gründen des Gehörschutzes in den Orchestergräben Plexiglas-Trennwände vor den besonders lauten Gruppen etabliert - bzw. sind sie sogar vorgeschrieben). Von den Streichern vor einem, eventuellen Solisten ganz vorne beim Dirigenten oder gar den Sängern über einem auf der Bühne ganz zu schweigen. Bei Oratorien schmettert ein großer Chor im ff hinter einem mitunter so gewaltig, dass Sorgfältiges und unter Umständen selektives Hören dann angesagt ist nebst der Werkskenntnis, an welchen Stimmen man sich am besten orientiert bei Bedarf.
Warum wohl gibt es einen Dirigenten der den ganzen Laden zusammen hält?
Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Ambisonics-System in der Lage ist, diese wahrhaft mitunter ans Groteske grenzende Hörsituation adäquat aufzuzeichnen und später im heimischen Wohnzimmer als 3-D-Sound einigermaßen realistisch wiederzugeben.
Nur welchen Nutzen soll das für den Hörer haben, außer, einmal diese unausgewogene Klangbalance eines Orchestermusikers mal hautnah miterleben zu können?
Ein Streichquartett oder ein kleines Kammermusikensemble, das sich im Kreis aufstellt mal so aufzunehmen, dass es sich später auch klanglich im Hörraum um die Zuhörer herum gruppiert, wäre schon eher denkbar. Immerhin wäre die Durchhörbarkeit des Werks nach wie vor gewährleistet, bei sehr eigenständigen Stimmen (z.B. Fugen) vielleicht sogar besser als bei Stereo.
Dennoch würde meiner Meinung nach der Aufwand den relativ geringen Nutzen bei weitem übersteigen. Wenn satztechnisch die Einzelstimmen zu einem homogenen Gesamtklang verschmelzen sollen, wäre aber die klassische Stereophonie wieder im Vorteil.
Tatsache ist jedenfalls, dass die Musik des hier beispielhaft angesprochenen Genres in der Regel von der Aufführung und Wiedergabe her als Frontalbeschallung des Publikums gedacht ist. In der Komposition selber werden Passagen mit Heraus-Hörbarkeit einzelner Stimmen und Passagen eines verschmelzenden Gesamtklangs strukturell konzipiert und festgelegt. Ein Ensemble, Orchester usw. ist als klangliche Einheit zu verstehen, wie eine Orgel mit vielen Registern und mehreren Werken auf dessen "Klang-Tastatur" ein Komponist sozusagen spielt und deren Register er je nach Klangvorstellung zieht (gute Instrumentation ist eine Kunst!).
Nicht umsonst haben vor allem die Säle und Konzerthäuser einen besonders guten Ruf, die sowohl ein Optimum an Transparenz und Durchhörbarkeit als auch der Verschmelzung bieten.
Eine gute Stereo-Aufnahme dieser ´klassischen´ Konzertsituation ist meiner Meinung nach nach wie vor in der Lage, bei der Wiedergabe über eine gute Anlage ein einer guten Live-Situation nahe kommendes ideales Klangerlebnis nachzubilden. Im Vergleich zu schlechten Sälen, die vor allem im Forte den Klang zukleistern, kann und wird eine gute Aufnahme sogar das bessere Klangerlebnis liefern.
Zum Thema Aufnahme und Wiedergabe von Raumklang habe ich mir schon vor etlichen Jahren Gedanken gemacht, als 5.1-Surround begann in die heimischen Wohnzimmer Einzug zu halten. Für die hier erwähnte klassische Konzertsituation konnte ich damals schon keinerlei Nutzen erkennen, schon gar nicht in Korrelation mit dem nötigen Mehraufwand.
Im Übrigen beschwere ich mich nicht über das Publikum. Die meisten Mitschnitte die ich gemacht habe und mache, sind nun mal Live-Mitschnitte und da gehört das Publikum natürlich dazu. Im Allgemeinen stört da auch kaum mal jemand, höchsten die allfälligen Huster zwischen den Sätzen, die schneide ich heraus (live sind die Pausen zwischen den Sätzen, vor allem aber zwischen verschiedenen Stücken sowieso fast immer länger als sie auf der CD sein sollten).
Und aus dem oben gesagten geht sicher nachvollziehbar hervor, warum ich die Hauptmikrofone nichts mitten ins Orchester stelle (habe ich aber tatsächlich einmal gemacht wegen einer bei diesem Konzert ganz besonderen Aufstellung des Orchesters). Ins Orchester gehören üblicherweise nur die Stützen.
Mitten ins Publikum stelle ich sie auch nicht, sondern ich stelle das Hauptmikrofonsystem gemäß ihres Aufnahmewinkels im Verhältnis zum Schallereigniswinkel (und nicht zuletzt der Ausdehnung des Hallradius) im entsprechenden Abstand vor das Orchester. Mitten im Publikum würde das Hauptmikrofon normalerweise schon so weit weg stehen, dass es zu verwaschen und diffus aufnimmt.
Dem Publikum nahe komme ich mit diesen Mikrofonen allenfalls dann, wenn der Saal eher klein ist und das Publikum bis nahe am Orchester sitzt. Dann muss man sich aber auch noch Gedanken um die vorgeschriebene Sicherheit machen und mit Absperrbändern usw. für deren Einhaltung sorgen.