Das große Tonartwechsel-Navigationsgerät ;D

Strato Incendus
Strato Incendus
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Auch als Musiker fragt man sich ja öfters mal: "Wie komme ich von A nach B?" Und zwar wortwörtlich ;) . Es gibt einen Haufen Tricks, mit denen man seine Tonartwechsel flüssiger und weniger auffällig gestalten kann, oder zumindest so, dass die Mitmusiker leichter in die neue Tonart hineinfinden (vor allem beim Sänger ist das wichtig) - und ich bin einfach mal an euren gängigen Methoden interessiert. ;)

Fangen wir mal mit der am wenigsten eleganten Methode an und steigern uns dann :p :

1. Harter Stopp
Alle Instrumente pausieren kurz und es wird einfach in der neuen Tonart wieder eingesetzt. Zu hören u.a. hier bei 2.50 min: Lost in Space
In dem Fall ist es noch etwas leichter, weil der Gesang nicht direkt auf der 1 beginnt, sondern erst das Em ertönt und man sich als Sänger da hinein orientieren kann. Besonders dankbar ist diese Art des Tonartwechsels für Sänger jedoch nicht, das geht eigentlich immer nur mit reichlich Übung oder mit Glück.

2. Der Tongeschlechtswechsel

Die Tonart behält denselben Buchstaben und wechselt nur das Geschlecht, meistens von Moll nach Dur, wie etwa hier bei 2.00 min: Merlin Requiem
Hier kann man jetzt pingelig werden, der erste Akkord des Refrains ist nämlich ein G#m, aber insgesamt ist der Refrain erkennbar H-Dur, die Strophe H-Moll ;) .
Man verwendet die gemeinsame Dominante F#-Dur, um unbemerkt den Wechsel zu schaffen. Im Grunde ein Klassiker, war deshalb lange Zeit der einzige Tonartwechsel, den ich regelmäßig benutzt habe ;) .

3. Akkorde ändern ihre Funktion unter gehaltenen Tönen
Die ehemalige Dominante wird bspw. zur neuen Subdominante oder umgekehrt. Man nutzt die Tatsache, dass beide Tonarten einen gemeinsamen Akkord haben, auch wenn die Übereinstimmung nicht so stark ist wie bei der gemeinsamen Dominante im Fall des Tongeschlechtswechsels. Dabei können gehaltene Töne helfen - der Sänger hält einfach einen Ton, der noch in der alten Tonart liegt, aber auch über den neuen Akkord passt. Das erzeugt einige interessante Stimmungswechsel und entlastet den Sänger in der Hinsicht, dass er nicht den neuen Ton suchen muss, bis das Ohr sich bereits deutlich an die neue Tonart gewöhnt hat. Auf die Art und Weise sind auch härtere Wechsel möglich; gerade Tonartwechsel um einen Halbton lassen sich damit gut bewerkstelligen. Halbton-Tonartwechsel sind zwar oft zu hören, gelingen aber selten bruchfrei, weil eben normalerweise zwei direkt benachbarte Tonarten nur einen gemeinsamen Akkord haben, nämlich die Molldominante in der höheren der beiden Tonarten (E in A-Moll), die in der tieferen der beiden Tonarten die Subdominantparallele ist (E in G#m).
So wie in diesem slowenischen Beispiel mit Vollplayback ^^ (egal, geht um die Komposition, nicht um den Gesang) ab 2.07 min.: A si sanjal me
Ausgangstonart is G#m, die Dominante D#- bzw. dann Eb-Dur wird zur Subdominantparallele in der neuen Tonart Gm, in der die Bridge steht. Die Sängerin hält dabei das Bb', das sowohl im Eb als auch im Gm enthalten ist. Der letzte Refrain ist dann in Am, also nur einen Halbton höher als der ursprüngliche Refrain, aber dadurch dass es erst einen Halbton runter ging hat man sich hier den Übergang erleichtert. Halbton-Tonartwechsel sind wie gesagt deutlich schwieriger als Ganzton-Tonartwechsel. Von Gm nach Am kommt der Song auf die gleiche "plumpe" Weise wie Beispiel Nr. 1 (ab 2.20 min), weil zwischendurch kein Akkord zu hören ist. Ansonsten wäre es dasselbe Prinzip: Die alte Dominantparallele F in Gm wird zur neuen Subdominantparallele F in Am.
Hier noch ein Beispiel mit einem ebenfalls schwierigen Wechsel, der großen Terz - zum Glück funktioniert der Trick dabei genauso ;) , ab 1.24 min.: Sognu (ja, es sind viele ESC-Beispiele dabei ;D )
Ausgangstonart ist H-Moll, die Dominante F# wird diesmal zur Tonikaparallele der neuen Tonart Eb-Moll. Der Sänger hält einfach das f#', das sowohl über D als auch über F# als auch über Ebm passt.

4. (=1 + 3) Stopp + gehaltener Ton / der "Schweden-Kniff"

bei 2.14 min.: Quédate Conmigo
bei 2.07 min.: Waterfall
Auch, wenn beide Songs nicht von Schweden gesungen wurden, dieser kleine Trick ist ein Markenzeichen des schwedischen Komponisten Thomas G:son. Hier gibt es keinen gemeinsamen Akkord, weil wir einen Halbton-Tonartwechsel machen, nur einen gemeinsamen Ton: Der Sänger muss dafür ganz konkret auf den 4. Ton der alten Tonleiter - im ersten Beispiel (G#-Dur) ein C#. Dieser Ton wird gehalten über den Stopp hinweg und - oh Wunder - passt auch in den Akkord einen Halbton höher (A), da ist er die Terz. Man nutzt also aus, dass zwischen 3. und 4. Ton einer Durtonleiter nur ein Halbtonschritt liegt, um den Halbton-Tonartwechsel zu verstecken.
Im zweiten Beispiel funktioniert es genauso beim Wechsel von D nach Eb. Da es allerdings zweistimmig gesungen wird klingt der Übergang nicht ganz so reibungslos, denn während der männliche Sänger wie oben beschrieben aufs g' gehen kann, das auch im Eb enthalten ist, muss die Sängerin irgendwie auf das Bb' rüber, um es über dem Eb-Akkord zu halten. Das Bb' ist im G-Akkord aber nicht enthalten. Also Vorsicht mit Zweistimmigkeit, wenn ihr diesen Übergang anwenden wollt! ;)
In dem Fall hätte man sich vielleicht mit dem "Beatles-Akkord" (=vermollte Subdominante, also Gm statt G in D-Dur) behelfen können.

Dann gibt es aber auch noch die Frage, wo im Song man seinen Tonartwechsel platziert. Die olle Kamelle "letzter Refrain höher" ist irgendwann ziemlich schnell ausgelutscht. Probiert's doch mal mit einem der folgenden:

1. Der temporäre Tonartwechsel
Musikalischer Anspruch findet sich oft da, wo man es nicht vermutet - zum Beispiel, aus aktuellem Anlass, im Karneval ;) , mit zwei Liedern von diesem Jahr.
bei 1.20 min: Su lang die Leechter noch brenne
von 1.50 bis 2.05 min: Dausend Levve
Der Ausflug in die neue Tonart ist nur vorübergehend, ehe es in die alte zurückgeht. Im ersten Beispiel (Fm) wird die Tonikaparallele G# zur neuen Subdominantparallele, wenn es kurz nach Cm geht, und dessen Tonikaparallele Eb wird wiederum zur Dominantparallele, wenn es nach Fm zurückgeht. Im zweiten Beispiel (Dm) ist der erste Bruch recht hart (Dm --> Fm), zählt im Prinzip als Harter Stopp. Auf dem Rückweg wird aber statt der Subdominante Bbm ein Bb gespielt, was zur Subdominante von Dm wird. Im Prinzip also ein Tongeschlechtswechsel rückwärts.
Sich die Einzelheiten hierbei zu merken ist unsinnig ;) , wichtig zu verstehen ist nur, dass man hier optimalerweise einen gemeinsamen Akkord am Anfang und am Ende des "Ausflugs" braucht, um hin und zurück zu kommen. Das erste Beispiel macht es in der Hinsicht also etwas eleganter.

2. Der EEE ("Eastern European trick for guaranteed Epicness") / oder umgangssprachlich, aber politisch inkorrekt der "Russen-Kniff" ;D
Über diesen kleinen kompositorischen Trick habe ich schonmal einen separaten Thread gemacht, also nicht wundern, er soll nur der Vollständigkeit halber hier auch nochmal kurz aufgeführt sein.
Der "EEE" ist kurz und knapp ein Tongeschlechtswechsel (siehe 2.) mitten im Refrain ;) . Und irgendwie besonders gängig in Ländern der ehemaligen Sovietunion. ^^
bei 0.20 min, 1.24 min. usw.: Eyes That Never Lie
bei 0.57 min. usw.: Lost and Forgotten
bei 1.25 min., 2.20 min. und gleich doppelt bei 2.37 min und 2.48 min. :p : Gravity
Wieder wird die gemeinsame Dominante benutzt, um den Übergang zu schaffen - im ersten Beispiel (Dm) geht es C --> Fm; im zweiten (Am) über G --> Cm; bei Gravity sind es jedes Mal andere Tonarten, aber immer dasselbe Prinzip: von Gm führt ein F nach Bbm; von G#m ein F# nach Hm (alles einfach ein Halbton höher), und beim abschließenden doppelten "EEE" ;) geht es zunächst von Em über D nach Gm und von diesem Gm dann über F wieder nach Bbm wie im ersten Refrain
Das besondere hierbei ist wirklich nur die Position mitten im Refrain. ;)
Zwei nicht-osteuropäische Beispiele noch:
bei 1.15 min.: Sea of Fate
bei 1.28 min.: Ministry of Saints
Sind aber beide nicht so ganz passend, denn bei Sea of Fate ist der letzte Akkord vor dem Wechsel ein F#m, von dem es dann hart nach Dm geht. Mit einem A an der Stelle wäre es natürlicher gewesen und hätte dann genau dem Prinzip entsprochen ;) . Bei Ministry of Saints stimmt nur die Position mitten im Refrain, aber der Tonartwechsel ist ein ganz anderer, nämlich einen Ganzton nach unten. Dementsprechend konstruiert klingt für mich auch die Halbton-Melodie, die die Gitarre zur Überleitung spielt. Alles legitim so, aber ein echter "Russen-Kniff" scheint mir da doch meist eleganter ;) .
 
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Wusste gar nucht, dass hierzulande auch schon Russe ein böses Wort ist...

Trotzdem interessanter Post.
 
Nein, dass bezog sich darauf, dass man mit dem Begriff Russen, Weißrussen und Ukrainer in einen Topf wirft ;) . Der ein oder andere hört das nicht gerne, so gerade vor dem aktuellen Hintergrund.
 
Wenn ich den Russenkniff richtig verstanden habe ist das eine Sequenz auf der tP-Variante oder der iii (in Moll)?

In Dur wäre es dann Dp-Variante oder III ?
Stichwort Medianten
 
Es ist ein Tonartwechsel um eine kleine Terz nach oben genau nach der Hälfte des Refrains. In Dur habe ich das noch nicht ausprobiert, müsste dann ja ein Wechsel um eine große Terz sein. Damit sollte es aber dann ähnlich klingen wie "Sognu", das klassisch angehauchte Beispiel aus dem Startpost mit dem Wechsel von D nach F# ;) .
 
Sehr interessant. Ich frage mich noch wie man zur V/iii kommt aber wahrscheinlich ist dass dann eine einfache Quintfallsequenz... also i V/VII V/iii iii

Das erinnert mich sehr an die Klangverbindungen der Romantik in der ein gemeinsamer Ton bleibt und der Rest der Akkordtöne verändert wird.

https://soundcloud.com/thomh1/chopin-prelude-e-minor
 
Sorry, die Schreibweise mit Vs und Is ist mir nicht geläufig, kenne das nur mit Tp, Sp, D usw.

Könntest du etwas genauer ausführen was du meinst? Quintfallsequenzen von der Molltonika aus gestartet klingen zwar auch oft russisch, kommen von den genannten Beispielen aber nur bei "Gravity" vor, und auch nur ganz kurz (z.B. Bbm --> Ebm --> Ab).

Dass Akkordtöne gleich bleiben ist ja auch im Jazz ein häufiges Prinzip - da habe ich aber insgesamt noch nicht so viele abenteuerliche Tonartwechsel gehört, mehr einzelne ausgefallene Voicings.
 
z.b. d g C f

Ich frage mich eben gerade wie ich zu diesem C komme. Das wäre ja eine Doppelsubdominante
 
Von welcher Tonart reden wir, D-Moll? ;) In D-Moll (t) sehe ich C als Dur-Dominantparallele (DP), weil A ja die Dominante (D) ist.

Bzw. da mein Bruder und ich aus dem Metal kommen und oft eher den Trugschluss gewohnt sind als eine klassische Mollkadenz, nennen wir auch manchmal C die Dominante, denken also in Dm dann so, wie man eigentlich in F-Dur denken würde ;) .

Die Doppelsubdominante ist C nur in D-Dur ;) . Wenn du dich fragst, wie du dahin kommst, klar, dann wäre eine Quintfallsequenz eine gute Möglichkeit.

Hier noch ein schönes Beispiel, ist aber aus Kroatien, also ist "EEE" wohl der passendere Begriff als "Russenkniff" ;) (bei 1.00 min. von Am nach Cm und bei 1.15 min. von Cm nach Ebm) : Lako je sve

Ist nicht mitten im Refrain, sondern mitten in der Strophe ;) . Hauptsache mitten im Abschnitt.
 

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