Ein Trip in die Welt der irisch-schottischen Musik

Und was ist mit der schottischen Musik? Der Thread heißt ja "Ein Trip in die Welt der irisch-schottischen Musik"? Glücklicherweise gibt es da jemand, der uns die Arbeit, die wir uns hier mit der irischen Musik gemacht haben, im großen Umfang abnimmt.

Ian Lowthian ist ein studierter Akkordionst, der sich mit Volksmusik beschäftigt. In seinem Vorwort zu Scottish Folk Tunes: 54 Traditional Pieces for Accordion (2007/2020) beschreibt er ein ähnliches Dilemma, was wir aus der irischen Musik auch schon kennen: Welche Stücke sind eigentlich traditionell schottisch? Nimmt man die alte Musik, müsste man Fiddle-Musik für Akkordeon bearbeiten. Sucht man nach schottischer Akkordeon-Musik, stößt man auf vergleichsweise neue Stücke, die erst nach 1900 entstanden sind, weil erst dann das Akkordeon langsam populär wurde.

Lowthian entscheidet, sich an der Praxis der schottischen Akkordionisten zu orientieren: Erstens gebe es den Tanzkapellen-Stil, der auf den beliebtesten schottischen Akkordionisten aller Zeiten, Jimmy Shand zurückgehe (seine Band klingt so). Zweitens gebe es den Volksmusik-Stil im Gefolge von Phil Cunningham, der alte Weisen virtuos aufbereitet. Dieser werde heute u.a. von Sandy Brechin (klingt solo so) und Lowthian selber gepflegt. Drittens gebe es einen Wettbewerbs-Stil, der in dem Buch aber nicht aufgegriffen werde.

Mir kommt entgegen, dass die Verzierungen im Notenbuch notiert sind. Es gibt hervorragende Audio-Dateien, die man sich herunterladen kann und mit denen man seine eigenen Bemühungen vergleichen kann (Klangbeispiele auf der Seite von Stretta-Musik). Es gibt traditionelle, aber auch innovativere vom Jazz angehauchte Bass-Begleitungen, so dass man versteht, was Cunningham und Brechin auf dem Akkordeon anstellen. Stretta sagt, die Stücke seien leicht. Dem würde ich widersprechen. Dagegen sprechen die Geschwindigkeit der Stücke und die flott auszuführenden Verzierungen. Die Bass-Begleitung muss aus dem Notentext entnommen werden. Lowthian notiert nicht, ob ein Grundbass oder ein Terzbass zu greifen ist. Seine Jazz-Akkorde verlangen, dass man mit dem kleinen Finger und dem Zeigefinger weiter voneinander entfernte Knöpfe greift. Nichtsdestotrotz kriegt man durch das Buch mit, dass aus akkordeonistischer Sicht Irland und Schottland nicht identisch sind. In Irland geht es darum, die Tradition zu bewahren, man gibt diatonischen Instrumenten den Vorzug. Schottland ist innovativer, chromatische Instrumente sind für die Neu-Interpretation traditionellerer Stücke unabdingbar.

Was wird sich durchsetzen? Es ist auffällig, dass mehr Leute sich mit irischer Musik als mit schottischer beschäftigen. Traditionelle irische Titel oder Tutorials dafür werden häufiger geklickt. Dafür verantwortlich sind wahrscheinlich Filme wie Titanic oder die Tanzshows wie Riverdance etc, denke ich mir. Während der Corona-Zeit hatten innovative Akkordeonisten wie Brechin Probleme, sich über Online-Konzerte Gehör zu verschaffen. Auf thesession.org kann man Diskussionen über das Repertoire für schottische Veranstaltungen finden. Es ergibt sich, dass die Ensembles bei ihren Auftritten munter schottische und irische Stücke mischen. Gleichzeitig ist es aber so, dass einheimische Musiker keine Probleme haben, einen schottischen Stil von einem irischen zu unterscheiden. Ich seh da nicht ganz so klar. Nun ja: Das ist in etwa so wie ein Ratespiel zu veranstalten: Wer spricht da - ein Bayer oder ein Österreicher? Bayern oder Österreicher dürften da wahrscheinlich keine Probleme haben, während Preußen munter raten...
 
In der irischen Musik werden oft diatonische Harmonikas in H/C gespielt. Ich habe aber auch gesehen, dass man bei Wettbewerben dieses Instrument spielt:



Dazu meine Fragen: Hat dieses Instrument einen besonderen Namen? Weiß jemand etwas über das Instrument? Wo ist verbreitet und was ist so cool daran? Ich habe nicht gesehen, dass Hohner so etwas produziert hätte...
 
1. In Irland heißen alle Einreiher Melodeon, weil Sie ursprünglich aus England eingeführt wurden, wo alle diatonischen bis heute Melodeon heißen, egal wieviele Knopfreihen. Sie fallen in Irland gleichzeitig unter den Oberbegriff Buttonbox.
2. Es war als Mutter aller Zieharmonikas in aller Welt verbreitet, heute als Cajun Accordion hauptsächlich in den US Südstaaten aber auch in aller Welt und in Canada als Button Accordion. Von da ist es auch in die US gekommen. Ursprünglich hieß es da "German Harmonica" was aber wegen der Weltkriege nicht mehr opportun ist. Das "coole" daran ist die Vierchörigkeit in Doppeloktavstimmung mit einzelnen Registern und der daraus resultierende Powersound bzw. Mordskrach. Während die zwei 8' Chöre ursprünglich mit starker Schwebung gestimmt waren werden sie heute überwiegend unisono gestimmt.
3. Hohner hat im 19ten Jahrhundert weltweit mit Abstand die meisten von diesen Instrumenten hergestellt, und insbesondere die Amerikas damit versorgt, in neuerer Zeit z.B. die Modelle HA114, Ariette und Cajun IV.
 
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Powersound bzw. Mordskrach
Also das Ami-Gegenstück zur Hohner Imperator. Ich verstehe.

Die Iren haben den Cajun (vielen Dank für das Wort) reimportiert aus den USA und benutzen das für ihre Zwecke? Das war mir neu. Ich weiß, dass die Iren jedes Jahr eine Akkordeonmeisterschaft ausrichten, die im Fernsehprogramm TG4 übertragen wird. Dabei geht es um die Bewahrung der irischen Musik. Es dürfen also Frauen und Männer mitmachen, die 100% reine irische Musik zum Besten geben. 2022 gewann dieser Herr hier:



Aus dem Video folgere ich, dass das Cajun erlaubt neben der C/H-Diatonischen erlaubt ist.
 
Die Iren haben den Cajun (vielen Dank für das Wort) reimportiert aus den USA und benutzen das für ihre Zwecke
Nein, die Harmonikas sind unabhängig voneinander und ziemlich zeitgleich in beiden Ländern aufgetaucht, tendenziel in Irland später, weil die Iren so arm waren. Reimportiert wurde da nix. Hohner hat tatsächlich die ganze Welt direkt versorgt. Leitspruch von Matthias Hohner: "Mein Feld ist die Welt".
Er war auch im Herzen kein Harmonikabauer sondern ein begnadeter und weitsichtiger Kaufmann, der durch seinen Vertrieb überhaupt erst die weltweite Popularität der Instrumente ermöglicht hat. Angefangen mit Mundharmonikas, dann kamen die Handharmonikas und später die Tastenakkordeons. Die Tastenakkordeons haben aber nicht die Stückzahlen der Diatonischen erreicht weil sie teurer waren und schwerer zu spielen und zu tragen.
 
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