Einsamkeit

[logologia farfalla]

Selbstgewählte Einsamkeit konnte ich aus dem Eingangstext nicht herauslesen. Ich fand diesen dem Gefühl des durch der Einsamkeit Zerrissen Werdens am nächsten. Wie Du sagst - die letzten Versionen sind geglätteter. Das klingt dann mehr nach chronischer Einsamkeit, an die man sich fast wie durch einen Abstumpfungseffekt schon gewöhnt hat.

Um auf das pure Gefühl des Leidens am Einsamsein aufmerksam zumachen, war - wie gesagt - meines Erachtens die Eingangsversion am besten geeignet.

 

[Tygge]

Selbstgewählte Einsamkeit konnte ich aus dem Eingangstext nicht herauslesen.

Nein, war von mir auch absolut nicht intendiert. Deshalb ja auch der Schluss: Deine Schuld/Selber Schuld.

 

[x-Riff]

Meine intuitive Auffassung vom dem songtext deckt sich mit @logologia farfalla

Vorwurf rinnt
durch alle Straßen
Einsamkeit
ist eigne Schuld

Alle sehen
alle hören
alle denken
eigne Schuld

Diese beiden Strophen sehe ich im Zusammenhang: Wie es immer scheint, wenn Gefühle übermächtig werden, beginnen Dinge und äußerliche Zustände Eigenleben zu entwickeln - als verkehrter Spiegel der eigenen Ohnmacht. Der im Innern, vielleicht unbewusst gespürte Vorwurf, rinnt durch die Straßen und spricht aus, was das LI nicht hören mag und doch selbst fühlt: die Einsamkeit ist eigene Schuld.
Und wie es mit gefühlter Schuld so ist: man denkt, es müssten alle sehen, spüren, merken - als gesellschaftlichen Reflex des an sich selbst gerichteten Vorwurfs, als Urteil für die eigene Schuld.

Und doch gibt es im Gedicht nur das Lyrische Ich: also ist das Geschilderte in der Sicht des LI begründet.

Ich sehe es in der gleichen Linie wie Edgar Allen Poes "Das verräterische Herz". Für mich ist deshalb die erste Fassung die für mich stringenteste:
Die Einsamkeit ist nicht selbst gewählt (freiwillig), aber selbst verursacht. Im Innern fühlt sich das LI als nicht wert oder fähig, in Gemeinschaft zu sein. Auch in dem Sinne, dass letztlich das LI den entscheidenden Schritt gehen, selbst die eigene Barriere überwinden muss.

x-Riff

 

[Tygge]

Und diese beiden Strophen werden in der letzten Strophe noch gesteigert.

Alle sehen
alle hören
alle denken
Deine Schuld

Fast wie ein Chor, der auf den Einsamen zeigt und ruft: Deine Schuld. Zwar eine Projektion, aber eine bedrängende Anklage. Ich habe das "Deine" absichtlich groß geschrieben, wie nach einem Doppelpunkt, wie eine Anrede.

 

[streamingtheatre]

Interessant wäre für mich die Frage, wie und ob sich die jeweilige Version des Textes auf eine mögliche musikalische Umsetzung auswirken würde. Wie seht ihr das?

Meine Arbeistweise in solchen Fällen wäre, den Song zu entwickeln und beim Singen immer wieder zwischen den Versionen zu springen. Intuitiv erarbeitet sich die "performende" Seite dann die passende Version. Das kann (in Nuancen) dann auch manchmal eine dritte Version sein. Und müßte dann mit den Texter*innen wieder abgeglichen werden.
Um es kurz zu sagen: Schriebe ich eine Musik dazu, könnte ich deine obige Frage nicht beantworten.

 

[MaxJoy]

als gesellschaftlichen Reflex des an sich selbst gerichteten Vorwurf, als Urteil für die eigene Schuld.

Vielleicht müsste man diesen nicht so offensichtlichen psychologischen Zusammenhang deutlicher herausarbeiten. Bei mir regt sich automatisch ein Widerstand, denn es liest sich schon wie eine ziemlich platte Anklage an die Gesellschaft, die das einsame LI alleine lässt und nun auch noch mit dem Finger auf es zeigt. Ich vermeide solche Gedankengänge und Schuldzuweisungen, weil es selten stimmt und es nicht gut für einen ist, so zu fühlen und denken. Man steht sich damit nur selbst im Weg.

 

[logologia farfalla]

Ich vermeide solche Gedankengänge und Schuldzuweisungen, weil es selten stimmt und es nicht gut für einen ist, so zu fühlen und denken. Man steht sich damit nur selbst im Weg.

Dann nimmst Du aber eine Meta-Perspektive ein, die das leidende LI in dem Moment, in dem es am Boden ist, nicht einnehmen kann.

 

[MaxJoy]

Ich weiß nicht, ob das so meta ist, ich schildere nur, wie das Gedicht auf mich wirkt. Vielleicht würde es mir der passenden Musik unterlegt leichter fallen, mit dem LI mitzufühlen und seine Perspektive ohne Wertung zu akzeptieren. In jungen Jahren hatte ich mal so eine depressive Phase mit einem allgemeinen Weltschmerz, vielleicht kommt daher mein innerer Widerstand gegen solche Gedanken, denn dahin möchte ich nie wieder zurück.

 

[MaxJoy]

@Tygge Ist es für dich ok, wenn ich mich so äußere, oder sollte ich das lieber lassen? So wie Gedichte auf jeden anders wirken können, muss auch die Kritik daran nicht unbedingt zutreffend sein und zeigt im Grunde auch nur wieder eine sehr persönliche Sichtweise auf ein Thema auf, in diesem Fall den Umgang mit dem Alleinsein. Findest du diese Art der Kritik anregend oder eher unangenehm?

 

[Tygge]

Lieber @MaxJoy, vielen Dank für deine Überlegungen, welche Wirkung deine "Kritik" an meinem Text auf mich haben könnte. Ich habe "Kritik" nicht ohne Grund in Anführungsstriche gesetzt, weil ich die Reaktionen auf meinen Text hier im Thread, und so auch deine, nicht als Kritik erfahre, sondern als Austausch, was ich sehr schätze. Wie du sehr richtig schreibst, ist die Wahrnehmung eines Textes individuell sehr unterschiedlich. So ein Text ist m.E. immer ein Angebot an den Leser, der ihn auf sich wirken lassen, seine eigenen Gedanken und Gefühle damit verknüpfen, sich davon ansprechen oder auch ablehnen kann. Wenn man sich dann auch noch darüber austauschen kann, ist es ein Glücksgriff, weil häufig erst im Gespräch darüber deutlich wird, was alles in einem Text verborgen ist. Manche Dinge schreibt man intuitiv, manche sehr bewusst und in der Rückschau stellt sich Vieles noch einmal ganz anders dar. Abwertende und abfällige Kritik - nein, die wünscht sich niemand, aber die habe ich hier bisher auch nicht erfahren, worüber ich mich sehr freue. Daher, die Gelegenheit nutzend, auch mein Danke an alle, die hier geschrieben haben. Und kleine Warnung: Mich ermuntert das, weiter zu schreiben
Liebe Grüsse
Tygge

 

[Terrassenblueser]

Vielleicht tut dem Song eine Bridge gut. In der modernen Popmusik ist sie ja dieser Tage aus der Mode gekommen. Textlich könnte sie den Unterschied zwischen Ruhe und Einsamkeit und die damit verbundene Emotion zusammenfassen.

Hier mein Vorschlag, vielleicht kann man ja was draus machen.

Ruhe hüllt die engen Gassen,
gleich einer warmen Decke ein,
Einsamkeit kriecht durch die Kleider
wie kalter Wind in mich hinein.

 

[Tygge]

Lieber @Terrassenblueser , vielen Dank für deine Rückmeldung.

Vielleicht tut dem Song eine Bridge gut

Es wäre interessant dazu verschiedene Meinungen zu hören. Ich muss da passen, da mir diesbezüglich die Erfahrungen fehlen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, das es bei einer möglichen Vertonung zum Thema werden könnte. Welche Vorteile verspräche eine Bridge?

Hier mein Vorschlag, vielleicht kann man ja was draus machen.

Mit dem inhaltlichen Vorschlag hakel ich etwas. Wie ich auch schon @streamingtheatre schrieb, habe ich in meiner ersten Strophe die Ruhe mitnichten kuschelig und warm gedacht, sondern

Bleiernd und niederdrückend, ein Vorbote bzw. Wegbereiter für die Einsamkeit

angelegt und eine Steigerung des Einsamkeitsgefühls von der ersten zur letzten Strophe angelegt. Dies sollte sich m.E. auch in einer möglichen Bridge wiederfinden. Wir werden sehen.
LG Tygge

 

[Terrassenblueser]

@Tygge : Danke für die Rückmeldung. Eine Bridge bringt Abwechslung in den Song und wird klassisch nach dem Refrain der 2. Strophe eingebaut. Sie kann dann das Finale des Songs vorbereiten. hier bieten sich dann Variationen des Refrains an. Klingt jetzt komplizierter als es eigentlich ist. Probier's einfach mal aus.

Ja, stimmt, du hattest Ruhe anders interpretiert. Fände da, wie schon geschrieben wurde STILLE passender, da ich Ruhe eher mit Harmonie verbinde. Aber das ist natürlich nur meine ganz persönliche Ansicht.