Ibanez EDA 900

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Der genannte Bass hat hier noch keine größere Beachtung erfahren. Das soll das folgende review ändern, weil, wie ich finde das Instrument schon einen Meilenstein in der Entwicklung der Gattung darstellt. Es ist der Form nach eine Adaption der eigenen Ibanez Affirma (AFR)-Serie, die von dem unabhängigen Instrumentenbauer Ralf Spuler (Schweiz) entwickelt wurde.

Für ein paar Fotos kann ich nur auf das Netz verweisen, Suchbegriffe "ibanez eda 900", Selektor "Bilder".

Orthopädie

Den Bass habe ich mir angeschafft, weil das verlängerte untere Horn eine bessere Lage auf dem Schoß versprochen hat. Mit allen anderen Bässen hatte ich bislang dieses Problem. Entweder kommt der Hals in die Waagerechte. Dann ist er nur verspannt zu spielen. Und der Schwerpunkt des Instruments kommt links vom Bein zu liegen, sodass der Hals mit der Greifhand gestützt werden muss. Oder ich stelle den Hals aufrechter, circa 35-45°. Dann rutscht es nach rechts vom Bein, es sei denn ich verkrampfe mich um den body.

Die Form des EDA 900 ist insofern eine echte Erleichterung. Praktisch hat sich das verlängerte Horn unmittelbar bewährt. Der Bass steht freihändig, ungehalten auf dem Bein mit Hals in der genannten aufrechten Position.

Nur eines stört noch. Leider liegt das Horn in der Ebene des body. Wenn der Hals neben seinem aufrechten Winkel auch noch ein wenig nach vorn zeigen soll - man sehe sich die Spielposition eines Konzertgitarristen an, dann liegt das Horn nicht quer über dem Bein, sondern schief dazu. Es ist noch immer etwas zu kurz. Das Ende des Horns drückt ins Bein, zärtlich, aber auf Dauer doch leicht irritierend.

Und dann liegt das obere Horn vor der Brust. Meine Physiognomie ist recht groß, schlaksig mit - sagt der Arzt, mächtigem Atemvolumen. Der Brustkorb wölbt sich schon etwas vor. Dass ich insofern ein Spezialfall bin, ist nicht von der Hand zu weisen. Das Problem habe - respektive hätte ich mit allen Bässen, wenn sie sich denn in der vorteilhaften Spielposition halten ließen. Insgesamt ergibt sich im Sitzen eine Lage des Instruments vor dem Körper, die neben den kleinen wohl eher persönlichen Abstrichen als ideal gelten kann. Der EDA 900 steht stabil freihändig spielbereit im Schoß, toll, aber sollte es nicht immer so sein?

Am Gurt hilft das knapp verlängerte obere Horn einer variabel stabilen Haltung zu. Der Bass wirkt einerseits etwas leichter als ein neuer Ibanez SR, und viel leichter als gewöhnliche Profi-Bässe. Eine Kopflastigkeit - die gibt es mal tatsächlich nicht. Der Bass kann frei hängen, ich führe ein Tänzchen auf, der Lage des Instruments bleibt dieselbe.

Die Ausformung der Rückseite trägt zu einer schmiegsamen Fügung an den Körper bei. Das Instrument klebt geradezu in seiner Position - die man aber auch erst einmal für sich finden muss.

Die Ausformungen der Vorderseite sind subtiler. Fast von selbst fasst meine wiederum etwas größere rechte Hand - zu. Wie bei einem Basketball, den ich persönlich von oben halten kann. Die Führung der Hand zu den Saiten ist einmalig gut. Während die Elle auf dem vorderen Teil des body aufliegt, und den zum Körper hält (pun intended), finden die Finger alle Saiten in bester und dennoch variabler Zupfposition. Der Daumen wandert flüssig über die zu dämpfenden Saiten, oder findet sich an der ausgerundeten Kehle über der "E". Wie sicher und völlig entspannt die Hand ganz von selbst arbeitet. Perfekt! Unterstützt wird die Handarbeit durch den vergleichsweise tiefen Sitz des Instruments. Die Beinauflage ist so weit ausgeschnitten, dass der Ellebogen nicht abgespreizt werden muss. Der gesamte Arm umgreift das Instrument ohne zusätzliche Muskelarbeit.

Die untere Ausformung zum Slappen nutze ich nicht, sieht aber gut aus.

Materialien / Verarbeitung

Das Luthite ist ein großes Manko dieses Instruments. Zum Klang siehe Tonabnehmer (unten). Zuerst aber fühlt es sich recht angenehm an. Es hat keineswegs eine auch von mir befürchtete Plastik-Qualität. Es klingt etwas dumpf nach, saugt die Wärme der Haut eben nicht weg, die Lackierung ist grizzelig matt, sodass ein Gefühl von Schmieren nicht aufkommt.

Auch hier liegt der Kern der Sache nicht an der Oberfläche. Es stinkt, wenn man Schrauben löst. Unter dem Lack wartet ein Chemiecocktail darauf, die Nase anzugreifen. Ich schreibe die Nase, weil gesundheitliche Bedenken wohl nicht bestehen. Aber als Technikus habe ich kein Verständnis dafür, ein nicht zu Ende reagiertes Plastik unters Volk zu bringen. Es ist ja (hoffentlich) nicht so, dass sich das Zeug zersetzt. Vielmehr dürften sich Reaktionsbestandteile noch in den volumen-gebenden Zuschlagstoffen (microballons?) halten, die dann ausgasen. Für mich persönlich ist das unfertig. Mein Verständnis davon - als Techniker, ist auch eher emotional, als irgendwie sachlich begründbar. Ich kann mich wegen der vielen anderen Vorteile sicher überwinden, auch weil man ja nicht täglich rumschraubt. Aber soll Perfektion der Maßstab sein, dann gibt's hier Minuspunkte ohne Ende.

Die Lackierung ist perfekt. Die offenbar ausreichend harte, sehr feine Mattierung (Haifischhaut) trägt klar zur angenehmen Handhabung bei.

Der Hals ist praktisch der gleiche wie bei den neuzeitlichen Ibanez SR. Die Oberfläche ist trotz blickdichter Lackierung "schnell", kein Kleben. Das Griffbrett ist schön anzusehen. Die Verchromung der Mechaniken ist einwandfrei. Die Bünde sitzen 100%, das Material könnte aber vergleichsweise weich sein. Jedenfalls gibt es Hinweise auf eine Anfälligkeit für Verschleiß. Der Sattel liegt einen Hauch zu hoch, aber Griffgefühl und Intonation sind einwandfrei. Der trussrod geht einwandfrei, der Zugang dazu ist aber etwas hakelig.

Tonabnehmer / Elektrik

Die Elektrik macht einen sehr guten Eindruck. Das beginnt bei der Anschlussbuchse. Massiv mit klarer Aufgabe, und wenn es nicht so anzüglich wäre, es ist eine Freude die Klinke mit dem Instrument zu verbinden. Alle Pegelsteller laufen fein geschmeidig mit gut definierter Wirkung - Pegel Magnet, Pegel Piezo, Klangwaage Magnet, Höhen Piezo. Der Pegel der einzelnen Saiten ist einstellbar, und das maximale Mischungsverhältnis Mag/Piezo auch. Die kleinen Potentiometer auf der Rückseite sind intuitiv mit einfachem Werkzeug zu betätigen, Elektronik eben. Das Batteriefach ist mit eingesetzten Messing-Hülsen geschraubt (Geruch, siehe oben). Hier würde man heute Neodymtabletten verwenden, um einen magnetischen Verschluss aufzubauen. Platz ist genug. Auch, wenn gewünscht, für eine nachgerüstete zweite Batterie.

Der Piezo-Tonabnehmer ist - neben der Ergonomie (s/o) ein Herausstellungsmerkmal des Instruments. Man will nichts anderes mehr! Der Klang ist berauschend prall, mächtig, hat Muckies. Dagegen wirkt der Magnet farblos, hohl, insgesamt kraft- und lustlos. Und das liegt sicher nicht an der speziellen Ausführung, die praktisch genauso klingt wie alle anderen. Es ist der direkte Vergleich Magnet versus Kristall auf diesem einen Instrument. Statt, wie viele sicher erwarten, dem Magneten Piezo beizumischen, würde man dem Piezo den Magneten hinzufügen, um aus dem fetten Klang der Piezos ein Brüllen zu machen. Es sind keine Verzerrungen. Der Mechanismus ist wohl, dass sich die Obertöne der beiden pickups in spezieller Weise mischen, ein bisschen ungewohnt, neu. Und dass diese Mischung in den unteren Lagen ein Flattern an sich hat. Vieleicht ist es das ideale "growl"?

Ein Nachteil der Piezos ist die Aufnahe vom Saitenprellen auf den Bund. Es unterliegt dem (ungeübten?) Spiel ein leises tapp-tapp-tapp, aus dem der Kollege klar erkennt, wann man die Saite greift. Ganz habe ich es noch nicht wegbekommen. Auch das leere Saitenstück zum Sattel hin kann bei ungeübter(!) Technik mitbritzeln.

Der Piezo klingt heller als der Magnet. Das liegt aber zum größten Teil an den reichhaltigeren Obertönen - auch in den tiefen Lagen. Zu den kürzeren Bünden bleibt auch mehr Oberton übrig, als beim Magneten. Hoch gegriffene Saiten klingen deshalb nicht so "flötig" wie gewohnt. Die größere Regelmäßigkeit des Klangs über den Tonumfang kann langweilig sein. Sie kann aber auch ein harmonisch akzentuiertes Spiel unterstützen.

Klang

Luthite wird als Klangplastik beworben. Das hat meiner bescheidenen Meinung nach wenig Sinn. Und, weil die Suche nach Klang wohl die spezielle Verarbeitungstechnologie bedingt (Geruch), ist diese vermeintliche Klangspezialität auch sehr bedauerlich. Was tatsächlich klingt ist der Hals.

Das tiefe "E" auf der "E"-Saite ist ein dead spot. Der Grundton fällt rapide ab. Man spürt das auch im Bauch an der starken Vibration. Die Energie bleibt nicht in der Saite. Die Obertöne halten aber, sodass den meisten der Umstand nicht auffallen dürfte. Im Gegenteil: endlos gehörtes sustain. Nur der Tontechniker atmet auf: die Boxen werden bei praktisch gleichem Klang erheblich weniger belastet! Der zweite dead spot ist das tiefe "C" der "G"-Saite. Drumherum liegt ein etwas angematteter Bereich von 5 Halbtönen Breite insgesamt. Das kenne ich genau so auch vom Hals des neueren Ibanez SR.

Setup

Die Piezos brauchen ein Minimum an Anpressdruck. Der wird durch die Brücke auch sicher gewährleistet. Allerdings können Piezos dieser Art in manchen Positionen klemmen, und wollen dann nicht so recht. Das ist ein Defekt! Den mit den Pegelstellern der Elektronik auszugleichen ist vergeblich. Entweder man tauscht die Piezos über die Saiten durch, oder besorgt sich Ersatz. Den gibt es noch, preiswert.

Die Saitenlage ab Werk ist recht hoch. Mir sind 3,5mm über dem 24ten Bund viel zu viel. Sie lässt sich auch nicht leicht verbessern. Es muss ein sogenannter shim eingesetzt werden. Dieser muss aufwändig aus mehreren Lagen, die zu einem Ende auf Null laufen selbst hergestellt werden. Sonst verbiegen die fünf (!) Schrauben des Halses das Halsende zu einer aufgewölbten Zunge, und man macht es nur noch schlimmer. Wegen des chemischen Geruchs - siehe oben, ist das eine wohl für manchen notwendige, aber leider sehr unangenehme Arbeit.

Fazit

Wer mit gebrauchten Instrumenten gut zurechtkommt, sollte sich eines anschaffen. Die Preise sind gemessen an der Qualität eher niedrig, wenn man einen ergattert! Zwei Sachen: Ergonomie und Piezos. Jedes feature für sich müsste die Anschaffung schon allein rechtfertigen. Erst dann weiß man, was man bislang immer schon vermisst hat. Leider ist das Luthite eine - für mich als Tech, wegen der Verfahrenstechnik unausgegorene Sache, rein emotional. Der Klang ist superb.



 
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Luthite wird als Klangplastik beworben. Das hat meiner bescheidenen Meinung nach wenig Sinn. Und, weil die Suche nach Klang wohl die spezielle Verarbeitungstechnologie bedingt (Geruch), ist diese vermeintliche Klangspezialität auch sehr bedauerlich.

Auch wenn der EDA längst Geschichte ist, die Herausforderung bleibt, ergonomisch rationale Instrumente zu konstruieren. Interessanter Weise wurde die Form, ähnlich zum Steinbergerschen Paddel als "space age" beschrieben. Als könnte man eine nur 200km entfernte Orbitalstation als Weltraumfahrt bezeichnen. Das ist das eine. Das andere ist die Bewunderung für eine technische Leistung die mit dem tag "space age" versehen als zukünftig, noch nicht wirklich verfügbar, unglaublich markiert wird.

Ich finde die Form des EDA mit ihren bogenförmig ausladenden, tastenden Auswüchsen eher lyrisch.

Irgendwo im Netz habe ich gelesen, die grundsätzliche Idee wäre vom grunge überrollt worden. Die armen Kerle hätten sich, sich den Luxus exorbitanten Drogenkonsums leistend, nur noch abgelegte Instrumente aus Pfandhäusern besorgt, sind berühmt geworden, und haben damit den Trend zu "vintage" begründet. Weil Imitation ist das erste, was ein Musik-Schüler zu lernen hat. Das Leitbild war der grind im grunge. Olles Zeug.

Vieleicht gewinnt in den nächsten Jahren die frische Vernunft eines Ingenieurs wieder mehr Gehör. Ein body "klingt" nicht. Er hat ein bestimmtes Gewicht und ist ansonsten einfach nur steif. Vor allem anderen soll er nicht schwingen. Nicht.

Aus nachvollziehbaren Gründen ist Holz ein zu kostspieliger Werkstoff. Insbesondere dann, wenn notwendigerweise komplexe 3D-Formen wegen der Ergonomie bereit gestellt werden. Schon in den 70er Jahren aber waren Technologien wie Aluminiumschaum oder organischer Hartschaum ("Plastik") verfügbar. Die Laminattechnologie (Carbon) ist sehr teuer in der Verarbeitung. Schäume - wie eben auch Luthite, lassen sich kostengünstig gießen, respektive extrudieren. Dass Luthite als eine patentrechtlich geschützte Sonderlösung erscheint, hat sicher mit den kommerziellen Eifersüchteleien der Hersteller zu tun. Und eben nicht mit technologischen Genzen - im Gegenteil.

http://www.exxentis.com/formen-und-grossen/komplexe-formen/
http://www.bpf.co.uk/Plastipedia/Processes/Structural_Foam.aspx

Aus dem ersten wurden zB die Höhenruder des Harrier VTOL Jets gefertigt, aus dem letzteren zB Schalldämmhauben für Dieselgeneratoren.
 
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