Ich schätze am Feedback, dass es mir zeigt, was bei anderen - und hier darf man das voraussetzen: interessierten und songtextkundigen - von einem eigenen Text ankommt.
Da ist bei mir wie bei jedem Autor eine natürliche Grenze: man kann sich nicht dümmer machen als man ist und da der Text von einem selbst kommt, hat man sozusagen gegenüber jedem anderen einen Vorsprung. Dafür gehen eben die anderen unvorbelastet heran und zeigen auf Stellen und fragen, warum oder zeigen auf, wie man das auch deuten oder sehen kann.
Bei diesem Text ist es nun so, dass ich vorher keinen Plan hatte, was dabei herauskommen sollte und das Ganze so ziemlich in einem Rutsch entstand.
So dass ich mir in diesem Fall nicht so sicher bin, ob ich da mehr weiß als ein geneigter Leser oder eine geneigte Leserin.
Was ich angesichts der aufgekommenen Fragen und Deutungsangebote machen will, ist, mich sozusagen anhand des Textes auf die eigene Spur begeben und Ihr könnt dann einhaken.
Eines noch vorab: Ich halte die Mehrdeutigkeit von Texten für eine Qualität, solange sie nicht in Beliebigkeit mündet - ein Interesse an Text und Deutung vorausgesetzt.
Wohlan:
Ich hab von Dir geträumt
Ich hab von Dir geträumt
Du warst tot
lagst in irgendeinem Sarg
inmitten von anderen, ich weiß nicht mehr wo
Der Titel ist der Anfang des Textes, ein Klassiker gewissermaßen, ein Traum bildet von nun an den Bezugsrahmen. Das LI träumte, eine nicht näher benannte, aber dem LI bekannte Person sei verstorben (Traum = muss nicht tatsächlich geschehen sein).
Offensichtlich ist der Traum verschwommen und/oder die näheren Umstände sind unerheblich bis egal (irgendein Sarg, weiß nicht mehr wo), die gestorbene Person scheint eine von mehreren zu sein.
Eine Eröffnung, die ziemlich schnell auf den Punkt kommt und ins Existenzielle geht: der Tod einer bekannten Person, die möglicherweise angesprochen wird - die Erzähl- oder sonstige Situation bleibt aber unbestimmt, im Vagen.
Ich hab so lang nach Dir gesucht
Du wohntest
in meinem zaghaften Herzen
und ich hab immer gedacht, es ginge Dir gut
Nun mache ich schon mal eine Ausnahme: für mich liegt diese Strophe in der Vergangenheit vor der ersten Strophe. Also: das LI hat vorher lange nach der mit Du bezeichneten Person gesucht (und dann deren Tod geträumt). Wird das von Euch so geteilt? Sonst müßte ich an den Zeiten feilen ...
Jedenfalls ist die verstorbene Person eine, nach der das LI, das als zaghaft gekennzeichnet wird, lange gesucht hat > Thema: Sehnsucht.
Im Rückblick fragt sich das LI, ob die Annahme, es ginge dem DU gut, stimmt. Steht möglicherweise der geträumte Tod (Tod könnte auch die Metapher für Trennung sein) in einem Zusammenhang mit dem Du im Sinne von Freitod?
Wachte auf, schweißgebadet
voller Freude
und erstaunt:
es lebt sich so gut ohne Dich
Ist als Refrain gedacht, für mich erkenntlich durch erstens die gleichlautende Wiederholung und zweitens durch die von der Strophe abweichende Form.
Mit der ersten Zeile des Refrain wird das bedrohliche Szenario bestätigt: Tod einer bekannten, möglicherweise geliebten, auf alle Fälle nahestehenden Person (es sei denn, das Du ist metaphorisch gemeint), Verlust, Verstörung (vielleicht war es nicht so, wie immer gedacht: vielleicht ging es dem Du nicht gut), schweißgebadet aufwachen.
Dann aber eine Wendung: voller Freude und darob erstaunt wird nicht der Verlust beklagt, sondern als Bereicherung erlebt.
Uff. Muss jetzt alles umgedeutet werden? Was ist hier eigentlich los? Die Schreckensvision wird zur Befreiung? Offensichtlich - zumal in einem Zustand, der als wach (Metapher für klar, fähig den Verstand zu benutzen, "real" versus "irreal" (Traum) etc.) gekennzeichnet wird.
Wie geht es weiter?
Dein Geruch so blütenweiß
Du lagst so nah
an meinem schlagenden Herzen
und ich hab immer gedacht, es ginge uns gut
Auch hier wieder: Das soll Vorvergangenheit sein in der Chronologie des LI: heißt: LI ist mit DU zusammen (früheste Vergangenheit), träumte den Tod (Vergangenheit), wacht auf (Gegenwart). Falls das nicht so rüberkommt, müßte ich an der Schilderung der Zeiten etwas drehen ...
Als positiv erinnerte Vergangenheit des LI mit dem DU - an Liebesszenen erinnernde Schilderung (es muss in diesem Sinne Duft sein - es ist nicht der Geruch der Leiche gemeint - es gibt nur den Traum einer Leiche bzw. einen geträumten Tod), blütenweißer Duft, nahe am schlagenden Herzen - die letzte Zeile nimmt aber wieder den Zweifel auf: war es wirklich so oder nur die Einbildung des LI? Also dass es weder dem DU gut ging noch beiden - aber das LI hat es sich nur so zurecht gebogen? Ist dies der Grund dafür, dass letztlich der erträumte Tod des DU vom LI als Befreiung erlebt wird - als ihm gar nicht bewußtes Sehnen, das unterhalb des sich selbst eingeredeten Zustandes (dem DU geht es gut, beiden geht es gut) schon länger im LI existierte?
Die Wiederholung des Refrain thematisiert dann auch folgerichtig den Tod als Befreiung und als realen Zustand, denn dieser betrifft den Wachzustand.
Es bleibt zwar alles weitgehend unbestimmt und vage - man könnte eher von Erinnerungsfetzen sprechen als von geschilderten Situationen, die Personen werden nicht beschrieben oder näher bestimmt, auch bleibt letztlich in der Schwebe, ob nun der Wachzustand überwiegt oder der Traumzustand bzw. die wohl geschönte Erinnerung.
Obwohl: am Ende steht der Refrain, und damit der Wachzustand und die Befreiung (zumindest durch den Traum des Todes vom DU - ob diese Person oder das, wofür sie steht, tatsächlich tot ist, wird nirgendwo gesagt, so dass also gar nicht klar ist, ob die Befreiung tatsächlich stattfindet oder stattgefunden hat, ob sie noch vollzogen wird (durch das LI oder das DU) oder nie stattfinden wird (Stichwort: zaghaftes LI).
So weit also alles paletti.
Wenn denn nun schon Schluss wäre.
Ist es aber nicht.
Es kommt ein Part, der rein formal weder Strophe noch Refrain ist. Eine klassische Bridge auch nicht, denn die würde irgendwo hinführen. Eher also ein Teil C.
Der See, der Mond, der Fisch
So viele Netze, so viele Fragen
ich dachte immer, was ich fang
das kann ich schon auch tragen
Von der Art der Schilderung her bleibt auch dieser Teil im Vagen, in der Schwebe: keine vollständigen Sätze, sondern drei aufeinanderfolgende Begriffe, zu einer Gegend passend, ein Bild aufmachend: See, Mond, Netz > Fischer scheint nahe zu liegen und wird durch das spätere fangen bestätigt.
Ein Fischer wirft Netze aus, holt ein, was er fängt, trägt den Fang nach Hause, der seine Existenz sowie die seiner Familie, so er eine hat, sichert. Grundsolider Beruf, erdverbunden, naturverbunden. Wird auch als Metapher verwendet, beispielsweise in der Bibel. Spielt in Märchen zuweilen eine Rolle.
Was aber passiert noch? "Ich dachte immer" nimmt sprachlich wieder eine Wendung in den Strophen auf, die im Kontext einer Illusion stehen, von der sich das LI verabschiedet. Dem Du ginge es gut, beiden ginge es gut, was er fängt, kann er schon auch tragen.
Offensichtlich kann er aber nicht tragen (und ja: nicht ertragen) was er gefangen hat, zumindest zweifelt er tief daran. So viele Fragen zudem. Wo kommen die her, bei einem Fischer?
Vielleicht aus der Beziehung mit dem DU? Was, wenn der Fang metaphorisch gemeint wäre - und eine Person meinte: das DU, die Beziehung zu dem DU? Hat er das DU gefangen und dieser Fang erwies sich als nicht tragfähig?
Das LI gesteht sich offensichtlich seine eigenen Begrenzungen ein: Es dachte, es könnte tragen, was es fängt.
Vielleicht ist dies nicht so, vielleicht liegt die Befreiung in der Erkenntnis, dass es vom LI nicht getragen werden kann - und dies bewirkt die bzw. ist Ursache der Befreiung? In diesem Sinne dann doch eine erneute Bestätigung von Tod (einer Person, einer Beziehung oder etwas anderes, für das das DU steht) = Befreiung - nur in ein anderes Bild, einen anderen Zusammenhang gepackt, vielleicht mit einer anderen Dimension, nämlich der, nicht mehr tragen zu wollen, was nicht zu tragen ist.
Es gibt noch eine märchenhaftere Deutung, die durchaus auch parallel Bestand haben kann und die damit zu tun hat, den Mund nicht voll genug zu bekommen, seine Wünsche ins Uferlose gleiten zu lassen ... und auch die Abkehr, der Abschied (der Tod) von diesem uferlosen Wüschen kann eine Befreiung sein, auch wenn es wie ein Verlust erscheint.
So weit meine ... nachträgliche und erste ... Interpretation meines im Fluss entstandenen songtextes. Nachvollziehbar? Oder unlogisch und mehr herbeigeschrieben als abgleitet und ausgedeutet?
Vielleicht sind ja die Zeitebenen ein Knackpunkt - alleine das hätte die Beschäftigung mit dem Text schon gelohnt. Die Vorvergangenheit müßte dann sprachlich: Ich hatte (statt ich habe) so lange nach Dir gesucht ... lauten.
Oder habe ich letztlich durch meinen Nachgang durch den songtext diesem jeden Zauber genommen, ihn totgedeutet und alles nach guter akademischer Germanistentradition welkgelesen?
Bin gespannt auf Eure Anmerkungen und Anregungen ...
x-Riff
P.S. Bin ab Samstag für drei Wochen im Urlaub und es kann sein, dass ich mich hier so lange nicht melde - was nicht bedeutet, dass mein Interesse an Eurem Feedback und die Unterhaltung über meinen songtext nachgelassen hätte, nur das sie pausiert.