Kadenzen und Progressionen

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Hallo in die Runde
In der Harmonielehre ist die Rede von Kadenzen, wobei eine Kadenz eine Accordfolge mit Schlusswirkung ist.
Also Ganzschluss (Authentischer und PLagalschluss), dann Trugschluss und Halbschluss
Schonklar.
Nun ist eine Progression (Changes) eine Accordfolge ohne Schlusswirkung ?
Wie kann ich das genau verstehen.
Könnte ich mal bitte ein einfaches beispiel zu einer Progression bekommen (ohne Schlusswirkung) und miterläuterung warum dann eine Schlusswirkung nicht nötig ist ?
Muss sich eine Musikstück nicht wieder in einen Ruhepool (Tonia) auflösen irgendwann. Man befindet sich doch in einem bestimmtenTonalen Zentrum ?
Würde nicht permanent eine Harmonische Spannung erzeugt sein ohne eine Auflösung bzw. Schlusswirkung ? :gruebel:
Gruß
 
Eigenschaft
 
Eine Akkordprogression ist (definitionsgemäß) nichts anderes, als eine Akkord-FOLGE ... also eine Aneinanderreihung von Akkorden, ... ganz ohne Ziel ... .

Aber das sind nur sprachliche Geplänkel. Das ändert nichts daran, daß auch in Akkordprogressionen kadenzielle Vorgänge vorkommen. Mit Ausnahme vielleicht von Stücken, die modal inspiriert sind, oder constant-structure-Spielereien sind, oder sonst was vergleichbares.

http://de.wikipedia.org/wiki/Progression_(Musik)

Thomas
 
Jede Kadenz ist eine Akkordprogression.

Eine Akkordprogression kann aber verschiedene Arten von Kadenzen beinhalten. Jeder Funktionswechsel von der Subdominante oder Dominante zur Tonika hin ist im Prinzip eine Kadenz. Dabei muss die Tonika nicht unbedingt die I Stufe sondern kann auch die III und VI Stufe sein und Subdominante und Dominante können ebenso durch ihre Stellvertreter in Erscheinung treten.
Ausserdem können innerhalb einer Akkordprogression sogenannte Ausweichungen auftreten in denen eine temporäre neue Tonika in Erscheinung tritt. Das Phänomem ist unter dem Namen Sekundärdominanten bekannt. Auch hier wird kadenziert.
In einer Akkordprogression können aber auch nicht-kadenzielle Akkordfolgen auftreten. Das passiert immer dann, wenn Akkorde gleicher Funktion hintereinander geschaltet werden.

Akkordprogressionen können natürlich auch nicht-funktionalen Charakter haben.
 
Ok soweit danke, möchte aber gerne noch einmal nachhaken
Wo besteht bei nicht Kadenziellen Progressionen der Harmonische Kontex ?
Geht es in der Music nicht immer und Spannung und Auflösung ?
 
Könnte ich mal bitte ein einfaches beispiel zu einer Progression bekommen (ohne Schlusswirkung) und miterläuterung warum dann eine Schlusswirkung nicht nötig ist ?
Muss sich eine Musikstück nicht wieder in einen Ruhepool (Tonia) auflösen irgendwann. Man befindet sich doch in einem bestimmtenTonalen Zentrum ?
Würde nicht permanent eine Harmonische Spannung erzeugt sein ohne eine Auflösung bzw. Schlusswirkung ?

Hi fusionjazz,

das sind sehr berechtigte Fragen, die Du stellst.

Normalerweise möchte man ein Stück irgendwann beenden. Mehr noch, man teilt ein Stück in verschiedene Abschnitte, die selbst wiederum beendet werden.

Aber muß das eigentlich sein?

Natürlich nicht! So wie man eine unendliche Geschichte erzählen kann, lässt sich auch ein für menschliche Maßstäbe unendliches Musikstück komponieren:

In diesem Thread wurde auf ein Stück aufmerksam gemacht, das seit 2001 in Halberstadt aufgeführt wird und von den Aufführenden auf 639 Jahre angelegt ist. 1.500 Besucher erlebten Klangwechsel.

Es geht noch länger: 1000 Jahre soll ein anderes Musikstück spielen, ohne sich zu wiederholen. Vor 10 Jahren begann es (http://longplayer.org/live/).

Wenn wir jetzt zu menschlichen Maßstäben zurückkehren und zur Musik die auf Akkordwechseln basiert, stellt sich die Frage so:

Wie muß ein Stück beschaffen sein, damit es von der Akkordstruktur her nicht aufhört?

Eine einfache Antwort wäre, eine Folge aus zwei (C-G) oder vier Akkorde (z.B. C-G-Am-F) immer zu wiederholen, also eine Pendelharmonik oder ein Turnaround.

Pendelharmonik: Ein Beispiel wäre "Ein Vogel wollte Hochzeit halten". Warum endet das Stück, denn die permanente authetische Kadenz wird ja ständig wiederholt? Das Ende wird gefunden, durch das Signal der Verdopplung der Geschwindigkeit der Akkordwechsel.

obiger Turnaround: Die Dominante G endet nicht auf der Tonika, sondern es folgt der Trugschluss mit Am - man erwartet, daß es weitergeht. Es folgt die Subdominante F und dann wieder die Tonika C. Es ist zwar ein Ende gefunden, aber ein schwaches, nämlich die plagale Kadenz. Es wirkt nicht überraschend, wenn das Stück weitergeht.

Doch eigentlich interessiert die Frage: Was ist eigentlich das prinzipielle Gegenstück zur Kadenz, die immer ein Ende finden möchte?

Natürlich wird in den meisten Progressionen das Ende hinausgezögert, durch Trugschlüsse, Vorhalte, Ausweichungen usw.. Doch im Prinzip sind das alles erweiterte und ausgeschmückte Kadenzen.

Was also ist das Prinzip, das von Natur aus immer weitermachen möchte, ohne ein Ende zu finden? Ein Prinzip, das nicht durch einen Fall (cadere = fallen) zu Ende gebracht wird?

Es ist das Prinzip der Sequenz! Eine immerwährende Folge, ohne ein Ende zu finden.

In unserem System mit zwölf Tönen wiederholt sich natürlich irgendwann jede Akkordfolge, doch entscheidend ist, daß wir es nicht merken, da uns die Erinnerung bzw. die Orientierung verloren gegangen ist.

Und hier kommt Deine Frage ins Spiel:
Man befindet sich doch in einem bestimmten tonalen Zentrum?

Wenn die Akkordfolge nicht aufhören soll, ist es besser daß sich das tonale Zentrum ständig verändert. Dann fällt es und nicht auf, wenn es nach vielen Akkorden wiederkehrt und wir haben keine Schlußempfindung.

Könnte ich mal bitte ein einfaches Beispiel zu einer Progression bekommen (ohne Schlusswirkung)...?

Klar! Zum Beispiel die reale Quintfallsequenz:
C-F-Bb-Eb-Ab-Db... usw.

Die tonale Quintfallsequenz würde zum Ende streben, denn nach sieben verschiedenen Akkorden erkennen wir die Tonika wieder. Das macht ja auch die starke Wirkung dieser Sequenz aus:
C-F-Bdim-Em-Am-Dm-G-C

Eine noch stärkere Schlusswirkung hat sie in Moll, da die Dominante durch einen neu eingeführten Leitton Ton verdurt wird:
Am-Dm-G-C-F-Bdim-E (statt Em)-Am

Was wären weitere Beispiele von Sequenzen, die vom Prinzip her kein Ende finden wollen?

Alles mögliche, beliebt z.B. die reale Quintschrittsequenz, die ebenso wie die reale Quintfallsequenz gerne zur Modulation eingesetzt wird. In diesem Fall wird durch eine Kadenz in der neuen Tonart die Sequenz abgebrochen.
Würden Sequenzen nicht abgebrochen, wären sie auf Dauer langweilig, da man das Prinzip nach einigen Akkorden verstanden hat.

reale Quintschrittsequenz: C-F-D-G-E-A-F#-B-G#-C#...

Ein schönes Beispiel für eine nie enden wollende Akkordfolge ist auch:
C-Fm-Db-Gbm-D-Gm-Eb-Abm-E-Am-F-Bbm-F#-Bm-G-Cm....

Alle diese realen Sequenzen (weitere sind möglich) zeichnen sich dadurch aus, daß das Strukturprinzip erkennbar ist, jedoch ohne Durchbrechung des Prinzips kein Ende gefunden wird. Würde in der Akkordfolge keine Struktur zu erkennen sein, so würden wir sie als beliebig oder chaotisch empfinden, was meist vermieden werden soll.

Natürlich könnte man sagen, daß in diesen Sequenzen kleine Kadenzen vorhanden sind. Dem ist kaum auszuweichen, doch das ist eigentlich unwichtig.
Wichtig ist, daß diese kleinen Kadenzen ad absurdum geführt werden, indem durch das erkennbare sequenzielle Prinzip klargestellt wird, daß sie gerade kein tonales Zentrum anstreben. Es gilt hier: Sequenz schlägt Kadenz!

Viele Grüße
Klaus

P.S.:
Ok soweit danke, möchte aber gerne noch einmal nachhaken
Wo besteht bei nicht Kadenziellen Progressionen der Harmonische Kontex ?
Geht es in der Music nicht immer und Spannung und Auflösung ?

Der harmonische Kontext besteht in einer anderen erfassbaren Struktur (wenn man keine Orientierungslosigkeit möchte), in unserem Falle der Sequenz. Wie wir gesehen haben, geht es innerhalb von Sequenzen nicht um die Antipoden "Spannung und Auflösung". Doch natürlich kann z.B. eine Steigerung (höhertreiben) durch die reale Quintschrittsequenz erzeugt werden.

Im großen Kontext können Sequenzen natürlich zur Modulation verwendet werden und auch so im größeren Zusammenhang zur Spannung und Auflösung beitragen. Die Sequenzen könnten dann z.B. Zwischenspiele sein.
 
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Vielen Dank an der Stelle, das hat mir sehr weitergeholfen :great:
 

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