Klingenthaler Preisträger in der Philarmonie Berlin

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Ich habe mir gestern das Akkordeonkonzert in der Philarmonie Berlin angesehen :
Pantonale e.V. hatte einige Preisträger aus Klingenthal eingeladen , die ein knapp 2,5 stündiges Programm boten.

Die Auswahl der Musiker schien etwas zufällig, so waren 1.-3.Plätze , ausverschiedenen Jahre dabei.
Als besonderer Lockvogel spielte der ukrainische Starakkordeonist Vladimir Zubitsky. Dazu später...

Ich hatte bisher noch kein Preisspiel gesehen , so etwas passt meiner Meinung nach auch eher zum Tennis oder zum Skat,
doch durfte man technisch brilliantes Spiel erwarten -
da wurde man zumindest nicht enttäuscht !

Schon der 11 jährige Jonas Vozbutas spielte eine fein perlige Scarlatti Sonate in einem atemberaubenden Tempo.
Scarlatti auf Speed...
Umwerfend , aber auch irgendwie beängstigend.
Die Dankesverneigungen des kleinen Jungen waren denn auch so zackig, daß da der militärische Drill deutlich in der Luft lag.

Dann im Duo mit dem nur unwesentlich älteren Vilius Mazeika wurde auch klar, wohin der Abend geht:
Die einzige Meßlatte der Preisrichter schien da wohl Anschläge pro Minute gewesen zu sein !

Ich habe selten so viele Töne gehört , bei denen so wenig Musik rauskam.
Im Programm waren zur Hälfte russische Kompositionen.
Klischeehaft wird man hier die inbrünstig tiefe russische Seele erwarten.
Geboten wurde viel bedrohliches Geknötter , technisch genial ; hat mich doch in keiner Weise positiv berührt.
Richtig ärgerlich und sehr bezeichnend war dann der Vortrag von Arsenly Strokovsky , 1. Platz :
Eine Komposition von Sergey Bersinsky "Cinema - in memory maestro Nino Rota"
Rota ist einer meiner Lieblingskomponisten , er mischt diese geheimnisvolle Cricusmusik mit tanzbaren Harmonien,
viele Tempiwechsel mit schmachtvollen schweren Melodien. Die passenden Filmbilder erscheinen direkt vor dem inneren Auge.
Bei Bersinsky wurde Nino Rota anscheinend vom KGB entführt und gefoltert.
Die dazu gespielte Musik hätte diese Folterszene filmtechnisch hervorragend untermalt...
Ein Kinobesuch, den man sich wirklich sparen sollte.

Daneben waren aber immer wieder auch beeindruckend schöne Darbietungen zu hören.
Sophie Fischer , Sophie Herzog , Samuel Telari , Nicolae Guto ,
alles junge Talente mit ausgeprägtem musikalischem Schliff.
Sowie Rafael Sapukov !
Sein Vortrag "Biene" von Alexander Mastrosov ,
zeigte in Beeindruckender Weise , wie sich die Besonderheiten dieses Instruments tonmalerisch umsetzen lassen.
Das räumliche Surren des Insekts war fast plastisch wahrzunehmen.

Doch bei fast allen : zu viele Töne !
Niemals nur mal so eine gefühlvolle , einfache Melodie,
nicht mal als Intro für ein anschließendes Technikmassacker .

Ich frage mich wirklich, wohin die Reise da geht ?
Wie stark ist das Akkordeon geprägt von diesem Leistungsgenudel ?
Hätte ich alternativ einen Klavierabend gesehen, oder ein Steichorchester ,
wo es nur auf protziges Tempo ankommt ,
das Ergebnis wäre genauso fahl und unerträglich.
Schade : so viele Jugendjahre sinnlos durch harte Musikschulausbildung vertan...
Wenn man bedenkt, daß in jeder zweiten deutschen Musikschule genau diese Absolventen russischer Kaderschmieden
unterrichten (weil es leider die einzigen sind, die zu dem lausigen Honorar arbeiten, das unser Staat für Musikschulen auszugeben bereit ist...),
in welche Richtung bewegen wir uns da ?
Wie wäre es mal mit weniger Leistung ?
Weniger Preisspiel ?
Warum hat das Akkordeon in dieser öffentlichen Wahrnehmung immer noch diesen Komplex ,
nicht als hochwertiges Konzertinstrument , fernab jeder Folklore , wahrgenommen zu werden.
Glauben die Komponisten wirklich , daß krudes anspruchsvolles Notenmaterial ausreicht
um sich als "E-Musiker" zu etablieren ?


Die Anmoderation war natürlich wieder mal ausgesprochen peinlich,
es wurde weit ausführlich erklärt, was das junge Instrument Akkordeon so alles kann.
Nicht, daß das zahlreich erschienene Publikum extra deswegen gekommen wäre.
Zwischenzeitlich leerten die Reihen sich jedoch zusehend , das waren nicht nur die Kinder, welche ins Bett mußten.
Dieser Fluchtinstinkt wurde noch durch Vladimir Zubitsky beschleunigt.
Ein sehr symphatisch wirkender Herr , ein Star der Akkordeonmusik , leider etwas in die Jahre gekommen.
Eigentlich hört man in der Philharmonie noch in der letzten Reihe hervorragend -
doch irgendwie war da wohl die Puste raus ...
Es wurde zwar eifrig auf das Instrument eingewirkt und der Kopf zuckte energetisch hin und her,
doch irgendwie verschluckte er das meiste seines augenscheinlich hervorragenden Gespiels.

Er eröffnete den Abend und beendete ihn auch.
Letzteres nicht nur mit dem kleinen Streichorchester ,
welches auch bei anderen Musikern zum Tragen kam,
sondern noch zusätzlich mit einem genialen Stehgeiger
und einer etwas polterigen Pianistin.
Die übernahmen dann auch die Hauptrollen bei dem 20minütigen Epos,
der anscheinend Astor Piazzolla gewidmet war.
Unerträglich...
Das Akkordeon war eigentlich nicht zu hören,
das Schlagzeug dängelte plump, wie bei einer tragischen Hochzeitskapelle,
die Streicher kippten manchesmal komplett in der Tonlege weg , beinahe magisch,
doch total unbeabsichtigt.
Prima Geigensoli , da wäre man doch lieber auf einem anderen Konzert gewesen !
Die Leute rannten in Scharen.


Kurz vor diesem finalen Gemetzel gab es doch trotzdem ein bisschen Hoffnung :
Jean Baptiste Baudin aus Frankreich .
Erstaunlicherweise auch ein 1.Platz, da doch anscheinend von den selben musikalisch verknöcherten
Preisrichtern ausgelobt wurde. Technisch natürlich genial, wie alle hier.
Aber auch musikalisch eine Entdeckung :
Keine schwere Etüde , kein unvermeidlicher Piazzolla
sondern
leichtfertiges lebendiges Spiel, mit einem Hauch französischen Akzent
(ja es wurde sogar zaghaft im Tremollo musiziert , was augenfällig vielen Anwesenden irgendwie peinlich war).
Traumhaft jazzige , tempramentvolle Musikauswahl , Antonio Carlos Jobims "Wave" hatte fast den Charme
einer bombastischen Easy-Listening" Nummer !
Sehr erfrischend und irgendwie versöhnlich !

Noch irgendwie benommen,
Dank+Gruss,

Ludger
 
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Doch bei fast allen : zu viele Töne !
Niemals nur mal so eine gefühlvolle , einfache Melodie,
nicht mal als Intro für ein anschließendes Technikmassacker .

.. Nicht umsonst nennt mein "Meister diese Musik ganz despektierlich "Wettkampfmusik".

Ob es diese Form von Musik braucht, um einen brauchbaren Maßsstab zu erhalten, mit dem man Musiker "messen kann" weiß ich nicht. Da halte ich mich raus, und überlasse das denen, die sich ier besser auskennen, aber ich meide solche Wettkämpfe, weil ich musikalisch mit denen ncihtallzuvel anfangen kann. Für mich ist das technisch perfekt beherrschte Höchstschwierigkeitsgrade , aber wenig Musik.

Aber wie gesagt - das ist meine ganz persönliche Ansicht und soll keinen anderen davon abhalten solchen Events beizuwohnen! Und meinen Dank an Polifonico, für die sehr anschaulich geschilderten Eindrücke.
 
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...Ob es diese Form von Musik braucht, um einen brauchbaren Maßsstab zu erhalten, mit dem man Musiker "messen kann" weiß ich nicht...
darauf läuft es halt viel zu oft raus und da ist die Ausbildung, wie sie betrieben wird nicht unschuldig.
Masse an Noten und deren Exaktheit kann man halt wirklch messen - Musik ist so extrem subjektiv, da ist dann wieder Streiterei über Auslegung vorprogrammiert.

Sehr schade, daß so viele junge "Meister" mit der Wettkampfmusik verheizt werden, nicht wenige kommen da nicht wieder von weg. Die Ausgestaltung der eigenen inneren Musik bleibt auf der Strecke. Die Technik, die die Grundlage für die Musik sein sollte, verselbständigt sich und domoniert.

Hab einiges gehört in der Richtung, wenn auch nicht immer auf diesem Niveau - deshalb kann ich auch sagen, das ist KEINE Akkordeon-typische Geschichte, sondern Tendenz für viele andere Instrumente.



Völlig OT, aber mir ist gerade danach:
Giora Feidman: "Die Stille ist wirklich das einzige, was alle Musiker verbindet!"
 
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Hey Ludger,

köstlich geschrieben!

Ich habe in meiner Kindheit und Jugend sehr oft in genau diesem Wettbewerb mitgespielt und nicht weiter darüber nachgedacht.

klein_kopfklatsch.gif

Noch während des Studiums hat sich in mir auch genau Deine geschilderte Sichtweise entwickelt.
Es gehört viel Wahnsinn dazu, es ist ungesund und völlig verrückt. Man empfindet es aber eben auch als chic. Diese Veranstaltung ist erklärtermaßen ein ELITE-WETTBEWERB und stellt die "Speerspitze" der Leistung dar. Man will besonders sein und sich abgrenzen.

Es geht also nicht um Schönheit sondern vorrangig um Höchstleistung, um Technik und damit in Zusammenhang stehendem Ausdruck. Beides ist meiner Meinung nach untrennbar miteinander verbunden: Technik ohne Gefühl geht zwar immer, aber Ausdruck setzt Technik voraus.
Wenn man sich damit beschäftigt, langweilt weniger.

Wir wissen inzwischen ja auch wie das klingt, wenn man mit dem Hintergrund "Orginalität um jeden Preis" komponiert.

Seltsam das Ganze. Einerseits verabscheuen wir Wettbewerb, andererseits sind alle Sensations-geil und möchten Sieger und Verlierer sehen.

Mich reißt es immer zwischen den Stühlen her. Oft genieße ich diesen Wahnsinn noch, besonders auch in Verbindung mit Neuer Musik, bei der die Entdeckung des Schönen auch erst mit der Auseinandersetzung kommt. Andererseits bin ich viel schneller als früher davon auch satt.

Wir waren am Samstag in Klingenthal, haben die Wertungsspiele der III leider nicht mehr hören können. Aber meine Frau wollte unbedingt Karel Kraayenhof sehen, der diesen wunderbar ähm ... gefühlsintensiven Adios Nonino auf der Hochzeit von Prinzessin Maxima gespielt hat, bei der alle Frauen mit 200% Sicherheit in Tränen ausbrechen :)
 
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Lieber Ludger,

das sind ja sehr anschauliche und interessante Ausführungen und lassen einen ahnen, wie der Abend abgelaufen ist, auch wenn man das Konzert selbst nicht besuchen konnte - 750 km einfach waren mir dann doch etwas zu weit, auch wenn ich meinen langjährigen Freund Vladimir Zubitsky gerne wieder einmal getroffen (und gehört) hätte. Er ist übrigens 63 Jahre alt, stammt aus der Ukraine und lebt seit vielen Jahren in Pesaro, Italien - gar nicht weit weg von Castelfidardo ... Die "etwas polterige" Pianistin ist übrigens Vladimirs Ehefrau Natalia, der Solo-Geiger ein guter Freund der beiden.

Ich habe von Vladimir schon gehört, dass er selbst mit seinem Auftritt auch gar nicht zufrieden war. Offensichtlich gab es zu wenig Gelegenheit zum gemeinsamen Proben und irgendwie scheint der Funke zu den Musikern des Streichorchesters nicht übergesprungen zu sein. Von beiden Stücken kenne ich die Partituren und weiß, dass dort auch an Profimusiker ganz schöne Anforderungen gestellt werden und niemand auch die Begleitstimmen des Orchesters "mal schnell vom Blatt" spielen, geschweige denn mit musikalischem Ausdruck aufführen kann.

Zusammen mit den organisatorischen Holprigkeiten und dem Problem der "Wettkampfmusik" war die ganze Veranstaltung wohl nicht der gewünschte große Erfolg und auch nicht unbedingt die erhoffte positive Öffentlichkeitsarbeit für das Akkordeon.

Ich habe Vladimir in den drei Solo-Konzerten, die ich schon für ihn organisiert habe, jedenfalls ganz anders erlebt und "unser" Publikum war von seinen Darbietungen teils auch - im positiven Sinn - zu Tränen gerührt.

Schade, dass auch die "Wettbewerbe" beim Akkordeon zu sehr vom Streben nach Punkten und guter Platzierung geprägt sind, obwohl man manchmal gar nicht weiß, nach welchen Kriterien sich hier die "Güte" eines Vortrags "messen" lässt. Wäre es nicht viel schöner und entspannter, wenn viele Orchester und auch Solomusiker sich zu einem "Kritikspiel" treffen würden, bei dem die Jury einen konstruktiven Kommentar zum Vortrag gibt und dabei mit fachlicher Kompetenz beurteilt, was gut ist und was noch verbessert werden kann?

Ich habe es schon 2013 in Innsbruck erlebt, wie die Höchststufenorchester sich immer mehr in Lautstärke, Zahl der Percussionisten und Wildheit der Musik zu übertreffen suchten, von musikalischem Ausdruck war da manchmal nicht mehr viel zu spüren, Jury und Zuhörer wurden schlichtweg an die Wand gespielt.

Mit dem Berliner Akkordeonorchester Euphonia, in dem ich als Gast aus Süddeutschland regelmäßig mitspiele, haben wir uns nach 2013 deshalb auch von Innsbruck verabschiedet und uns anderen Projekten gewidmet. So konnten wir z.B. im Juni 2014 den großen Saal der Philharmonie Berlin mit unserem Konzertprogramm "Solea - Tango, Klassik, Südamerik" füllen, als Gastmusiker hat uns bei ausgewählten Stücken Rainer Wolters auf der Violine unterstützt. Im Februar 2016 haben wir das Konzerthaus Berlin mit unserem Konzertprogramm "Unerhört - eine klassische Spielerei" ausverkauft, hier durften wir auf die Oboistin Viola Wilmsen als Gastmusikerin bauen. Beide Konzertprogramme wurden vom Publikum begeistert aufgenommen, für Solea hatte ich dann im Herbst 2014 noch eine kleine Tournee ins Allgäu und in den Bregenzerwald organisiert, hier hatte Monica Tarcsay aus Feldkirch den Violinenpart übernommen. Solche Konzertprojekte sind zwar mindestens genauso aufwendig und anstrengend wie eine Wettbewerbsteilnahme, aber man kann doch den Fokus mehr auf Musikalität und Gesamtausdruck legen und steht nicht unter dem Druck, vor einer Jury neben Orchestern bestehen zu müssen, die fast doppelt so viele Spieler zählen ... dies aber nur am Rande ...
 
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Hallo Tomklapaig,

ich würde den doch missglückten Auftritt von Vladimir Zubitsky auch eindeutig auf eine Disharmonie mit den Musikern vor Ort zurückführen.
Die Pianistin hat an sich ausgezeichnet gespielt , war aber akustisch zu weit vorne. Wahrscheinlich hat da auch zusätzlich noch die Tontechnik versagt.
Denn das Akkordeon wurde schon durch Mikrofone abgenommen - kam aber leider nicht durch die Verstärkeranlage zurück.
In einem anderen Kontext und einem eingespielteren Orchester hätte mir Vladimir Zubitsky wahrscheinlich mit am Besten gefallen.
Er war von dem Umständen in der Philharmonie wohl genauso überrumpelt , wie das Publikum. Schade.
 
... ja, so ungefähr hat er mir das auch beschrieben ...

Ich habe unter "Neulich bei Youtube" zwei Links eingestellt, es gibt viele weitere Beispiele auf Youtube, bei denen er selbst musiziert oder seine Kompositionen vorgetragen (auch auf Wettbewerben) werden ...
 

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