Music Theory and White Supremacy

  • Ersteller bluestime
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Um was für eine Art Musiktheorie sollte es sich denn handeln, die von sich sagte, sie würde alle Musikstile, Gattungen und Ethnien in sich zusammenfassen?
So eine Theorie wäre extremst unübersichtlich und würde nur so von Ausnahmeregen wimmeln. Denn eine Theorie, die alle Stile umfasst ist schlicht unmöglich. Eine Theorie, die diesen Anspruch vor sich her trüge würde ich als arrogant und überheblich ansehen.
Läuft das nicht darauf hinaus, nur eine(?!) Theorie gelten zu lassen, die sich auf bestimmte Stile beschränkt - m.a.W. eine unbekannte Zahl von Musikstilen ausschließt? Das scheint mir in der Formulierung enthalten zu sein... aber führt dann unweigerlich zu der Frage, welche Kriterien dabei zu Grunde gelegt werden (und wer wie entscheidet, dass genau diese Kriterien relevant sind).

Im Übrigen fällt es mir schwer, Arroganz und Überheblichkeit als Merkmale einer Theorie anzusehen. Das ist vielleicht nur eine Frage der sprachlichen Präzision. Auf alle Fälle scheint mir die Aussage, dass jede Menge Ausnahmeregeln zulässig wären, nicht ohne Weiteres für Arroganz und Überheblichkeit zu sprechen.

Schließlich und endlich scheinen wir doch zu wissen, dass in Bezug auf so manche naturwissenschaftliche Erkenntnis heute akzeptiert wird, dass sie nur unter bestimmten Voraussetzungen gilt. Vielleicht wäre eine entsprechende Einstellung auch in Bezug auf die Musik(theorie) nicht abwegig?
 
Läuft das nicht darauf hinaus, nur eine(?!) Theorie gelten zu lassen, die sich auf bestimmte Stile beschränkt....
...

Eher umgekehrt mein ich.
Sich auf eine Theorie je nach Bedarf und Focus zu beschränken impliziert ja nicht, dass man andere Konstrukte, Stile nicht gelten liesse..
lobomix post war recht klar und umfangreich hierzu, nach meiner Lesart.
 
Der Vergleich hinkt aber, denn im linguistischen Bereich habe ich die Möglichkeit einen aus verschiedenen Kulturkreisen (Sprachen) zu wählen und da wiederum Epochen. Diese Möglichkeit gibt es bei Musik nicht, weil der Kanon immer noch der gleiche wie vor 100 Jahren ist + Jazz.
Diese Möglichkeit gibt es in der Musik wohl, wenn auch nicht in der ganzen Bandbreite an einer (deutschen, aber nicht nur) Musikhochschule.
In einer Stadt wie Köln, die eine sehr multikulturelle Einwohnerschaft hat, findet man ohne große Mühe z.B. arabische professionelle Musiker, die auch ihre Instrumente und ihre Musik unterrichten. Das ist dann natürlich kein akademischer Unterricht im Sinne eines Hochschulstudiums, ich würde aber meinen, dass die ´klassische´ Lehrer-Schüler-Beziehung mit einem (privaten) Lehrer dem nicht nachstehen muss, und womöglich dem Studium arabischer oder indischer Musik angemessener ist, da diese Unterrichtsform in diesen Kulturkreisen nach wie vor tradiert ist.

Läuft das nicht darauf hinaus, nur eine(?!) Theorie gelten zu lassen, die sich auf bestimmte Stile beschränkt
Nein, im Gegenteil, es würde darauf hinaus laufen, dass es ein ganzes und ganz umfangreiches Kompendium an "Theorien", analytischen Werkzeugen, Stilregeln etc. geben müsste, angepasst an die verschiedenen Epochen, Stile, Regionen usw.
Wobei es die ja alle bereits gibt und sie alle verfügbar sind, man muss sie sich nur selber zusammen stellen.

Im Übrigen fällt es mir schwer, Arroganz und Überheblichkeit als Merkmale einer Theorie anzusehen. Das ist vielleicht nur eine Frage der sprachlichen Präzision. Auf alle Fälle scheint mir die Aussage, dass jede Menge Ausnahmeregeln zulässig wären, nicht ohne Weiteres für Arroganz und Überheblichkeit zu sprechen.
Das stimmt, eine Theorie steht nicht selber für Arroganz und Überheblichkeit, allenfalls deren Urheber und Anwender. Auch sind Ausnahmeregeln per se keine Ursache oder Begründung für Arroganz.
Aber wenn es zu jeder Regel eine Ausnahmeregel innerhalb einer "Theorie" gibt, dann wird diese inkonsistent und überschreitet irgendwann vielleicht die Grenze zur Absurdität.

Einige Beispiele: In der mittelalterlichen Musik mit Stimmungen mit reinen Terzen galten die Terzen als dissonant, das hat sich bekanntlich später und bis heute grundlegend geändert. Im Quintorganum der frühen Mehrstimmigkeit bewegen sich die beiden Stimmen in Quintparallelen, diese sind später im mehrstimmigen Satz strengstens verboten. In der Renaissancemusik, die an sich tonal ist, muss ein Stück nicht in der Tonart enden, in der es begonnen hat, später wird das tonale Zentrum immer wichtiger und am Ende eines Stückes oder Satzes soll sich der tonale Kreis wieder schließen, selbst die in Bach-Chorälen noch oft zu findenden Dur-Abschlüsse eines Chorals, der in Moll steht, wird man in Schuberts Liedschaffen schwerlich finden.
Von der Ausweitung der Tonalität bis an die Grenzen bei Wagner und die Überwindung der Dur-Moll-Tonalität auf eine je eigene Weise bei Debussy oder Schönberg ganz zu schweigen.
Dabei habe ich Jazz und die Musik anderer Ethnien noch gar nicht erwähnt.
Wie soll das alles unter einen Hut passen im Sinne einer umfassenden Musiktheorie? Ich sehe da keinen sinnvollen Weg. Auch keine Notwendigkeit, wer sich da jeweils einarbeiten will, kann es, nichts wird unterdrückt und rein musikalisch betrachtet sehe ich die verschiedenen Stile und Ethnien als Musik-Sphären, die sich in gegenseitigem Respekt gegenüber stehen (was für die ausübenden Musiker sicher und leider nicht immer gilt), und die sich gelegentlich berühren und anregen können.

Schließlich und endlich scheinen wir doch zu wissen, dass in Bezug auf so manche naturwissenschaftliche Erkenntnis heute akzeptiert wird, dass sie nur unter bestimmten Voraussetzungen gilt. Vielleicht wäre eine entsprechende Einstellung auch in Bezug auf die Musik(theorie) nicht abwegig?
Eben das sehe ich im Prinzip genauso, womöglich habe ich mich da einfach nicht präzise genug ausgedrückt.
Die theoretischen Konzepte in der Musik gelten eben nur für die Stile und Genres, für die sie gemacht und gedacht sind. Zueinander können sich dabei durchaus Widersprüche ergeben, wie ich vorhin versucht habe darzustellen. Macht aber nichts, jednefalls solange nichts, solange sich die "Theorien" nebeneinander in Frieden stehen lassen und nicht den Anspruch erheben, auch für ein anderes Genre (womöglich auch noch voll umfänglich) gelten zu wollen, wo sie aber eigentlich gar nichts zu suchen haben.

Gemeinsamkeiten wird man gleichwohl finden, denn es handelt sich ja immer um Musik, um Klänge.
Klänge, die uns berühren.
In der Möglichkeit, uns emotional berühren zu können, sehe ich die größte Gemeinsamkeit jeglicher Musik überhaupt.
Ob das eine Cello-Suite von Bach, Wagners "Tristan", das Riff aus "Smoke on the Water" oder "Body and Soul" oder, oder oder ... ist, ist dabei egal. Berühren kann jedes dieser Stücke. Es kann auch ein und dieselbe Person sein, die von allen diesen Stücken (und noch vielen anderen und anderen Genres) berührt wird.
Insofern sehe ich die Musik durchaus als eine "universelle Sprache", als die sie gerne bezeichnet wird. Die "Theorien" der Musik sind es nicht, denn sie sind analytische, abstrakte, intellektuelle Konstrukte mit eingegrenztem Wirkungs- und Zuständigkeitsbereich.
Aber die Emotion geht weit darüber hinaus, und gleichzeitig viel, viel tiefer. Ich wüsste keine "Theorie", die das fassen könnte.
 
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@LoboMix Wir sind da in der Tat nicht weit auseinander, wenn ich den letzten Post und vor allem die Gänsefüßchen richtig einordne. Der Elefant im Raum wäre demnach nicht eine irgendwie geartete "Musiktheorie" - insofern führt der Titel des Clips im Ausgangspost auf einen Holzweg -; es wäre vielmehr der überkommene Kanon (verstanden als 'group of official, authentic, or approved literary or artistic works' - Wikipedia) mit i.d.R. längst verstorbenen weissen Männern (tja, den zuletzt angesprochenen Aspekt gibt's auch...). "Theorie" bliebe dann eher auf (mehr oder weniger präzise) bestimmte Genres, Stilistiken o.Ä. beschränkt.

Was die Frage betrifft, ob damit jede Art von übergreifender Theorie zu Grabe getragen werden kann und sollte, bin ich nicht ganz so skeptisch wie Du - aber das gehört bestenfalls am Rande in diesen Faden.
 
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In einer Stadt wie Köln, die eine sehr multikulturelle Einwohnerschaft hat, findet man ohne große Mühe z.B. arabische professionelle Musiker, die auch ihre Instrumente und ihre Musik unterrichten. Das ist dann natürlich kein akademischer Unterricht im Sinne eines Hochschulstudiums, ich würde aber meinen, dass die ´klassische´ Lehrer-Schüler-Beziehung mit einem (privaten) Lehrer dem nicht nachstehen muss, und womöglich dem Studium arabischer oder indischer Musik angemessener ist, da diese Unterrichtsform in diesen Kulturkreisen nach wie vor tradiert ist.

Das klingt ja erstmal gut. Ich stelle mir vor, dass eine jugendliche Schülerin engagiert und ambitioniert Tabla lernt. Wie ihre Klavier und Geige spielenden Altersgenossen möchte sie damit aber nicht allein bleiben. Vielleicht im Landesjugendorchester spielen oder an einem Wettbewerb teilnehmen.

Ich habe mich bei Jugend musiziert umgesehen. Dort heißt es

"Jugend musiziert" ist das renommierteste Musikförderprojekt Deutschlands. Knapp eine Million Kinder und Jugendliche haben in 57 Jahren seines Bestehens bei "Jugend musiziert" mitgemacht. Für viele von ihnen war dies der erste Schritt in eine erfolgreiche Musikkarriere. "Jugend musiziert" lädt dich ein, mit deinem Instrument, als Sängerin oder Sänger die Konzertbühne zu betreten, dich dem Vergleich mit anderen zu stellen und von einer Fachjury bewertet zu werden. Wir freuen uns auf dich!​

Da steht keine Einschränkung auf bestimmte Instrumente und Traditionen, es geht allgemein um Musik. Da werden sie bestimmt auch Platz für Tabla-Spielerinnen haben. Ihre Eltern haben sogar versprochen, dass sie bei der Organisation von Workshops und Wettbewerben helfen würden. Ob daraus wohl etwas wird?
 
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Vorweg: Ich bin kein Fan von "Jugend Musiziert" wie überhaupt von Musik-Wettbewerben jeglicher Art. Für mich haben Musik und Wettbewerb nichts miteinander zu tun. Daher bin ich auch kein Experte für "Jugend Musiziert", Schüler habe ich auch nur selten dorthin geschickt.

Tabla könnte ich mir im Rahmen der Solowertung Schlagzeug/Percussion durchaus vorstellen.
In der Ausschreibung für 2021 findet sich auf der Seite 12 der folgende interessante Eintrag: Landeswettbewerb der Deutschen Schulen östlicher Mittelmeerraum - Besondere Instrumente Solo (gemeinsam gewertet): Oud, Bouzouki, Qanoon, Ney, Mizmar - Duo mit Besonderen Instrumenten: Baglama, Oud, Bouzouki, Qanoon, Ney, Mizmar und Tabla.
Dort sind die Instrumente der Region also auf jeden Fall schon mal dabei.
Baglama ist auch für Deutschland gelistet unter "Solowertung - besondere Instrumente".

Für 2021 ist beim Schlagzeug die Ensemble-Wertung an der Reihe. Da sollte es eigentlich kein Problem geben, wenn jemand mit Tabla mit dabei ist.

Einen interessanten Eintrag (ebenfalls auf S. 12) finde ich den zu Berlin: Berlin - Jugend forscht: Musik, Interkulturelle Perkussion, Bands, Komposition
Unter "interkultureller Perkussion" ist ganz sicher Tabla mit gedacht.

Genauer kann ich es nicht sagen. Generell wird aber jede Anmeldung im einzelnen geprüft, ob sie den jeweiligen Bedingungen entspricht (Instrument(e) / Literatur / Alter).
Man kann aber durchaus festhalten, dass sich "Jugend Musiziert" im Laufe der Zeit immer mehr geöffnet hat und sich vor allem deutlich multikultureller und offener darstellt als früher.
 
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Man kann aber durchaus festhalten, dass sich "Jugend Musiziert" im Laufe der Zeit immer mehr geöffnet hat und sich vor allem deutlich multikultureller und offener darstellt als früher.

Bemerkenswert und gut zu sehen. Das hatte ich beim Umsehen auf der Site nicht gefunden.
 
Ich habe den Thread nicht gelesen, weil ich mich schon in Theoriegruppen auf Facebook über das Video ausgetauscht habe und das Thema etwas schwer erträglich finde.
Hier einige m.E. wichtige Punkte:
  • Große Teile der Musiktheorie an deutschen Musikhochschulen haben vor einigen Jahren einen "historical turn" vollzogen. Präskriptive Theorien mit Absolutheitsanspruch sind aus guten Gründen weg, praktisch alles an Satzregeln (manches an Begriffen) wird an konkrete Stile von Komponisten geknüpft. Dadurch werden die ganzen Mainstream-Themen (z.B. s.u.) neu geprüft und oft in Frage gestellt. Außerhalb der Hochschulen ist das glaube ich noch nicht angekommen, aber sowas dauert ja immer einige Studentengenerationen.
  • In weiten Teilen der USA ist das (noch?) nicht der Fall. Dort wird "die" common-practice period als Stil gelehrt, weiterhin "der" vierstimmige Satz, "das" Parallelenverbot, "die" Modulationsarten, "die" Sonate und v.a. eine die anderen Gebiete stark verdrängende Schenkeranalyse mit ihren ganzen Prämissen usw. gelehrt, sie sind sogar fest in Hochschul-Curricula verankert. Wie immer werden ständig Fragen nach der Legitimierung solcher Regeln gestellt. Meistens sind die Antworten nicht von einer historischen (wenn, dann nur ein zu breiter Stilrahmen, nämlich "die" Klassische Musik), sondern aus Mangel an Alternativen von einer spekulativen, universell-hörpsychologischen Seite, die sehr fragwürdig, stark gebiased und...
  • ... sehr separierend ist. Ohne Stilanbindung werden Regeln schnell zu etwas Universellem verpackt. Wer jedoch die zu den Regeln passende Musik nicht gern hört und deshalb nicht intuitiv den Sound verinnerlicht hat, den die Regeln beschreiben, dem wird (meist ohne es zu merken) klar gemacht, dass er ein großes Problem hat, schlecht hört, unmusikalisch ist, usw., weil er eben schlecht in "Musiktheorie und Gehörbildung" abschneidet, in denen es aber implizit gerade z.B. nur um die Kopfsätze aus Mozarts Klaviersonaten, Quartetten und Sinfonien geht.
  • In der Musikethnologie sind solche Gültigkeitgrenzen international schon viel länger klar, aber Theoretiker und Ethnologen haben kaum bis keinen Einblick in das jeweils andere Fach. Da laufen also zwei sehr ähnliche Strömungen parallel nebeneinander her. Trotzdem: Bei den Theorie-Gültigkeitgrenzen reden wir hier nicht über "Westliche Musik" vs. "Indische Raga", was manche eh klar und künstlich oder exotisch finden würden, sondern über viel engere und vertrautere Stilgrenzen innerhalb der sogenannten "Westlichen Musik", nämlich z.B. über einzelne Komponisten.
  • In den USA ist die Rassismusdebatte eine ganz andere als hier. Ihre Begriffe sind für uns nicht-Amis oft total missverständlich. "White" und "race" beziehen sich z.B. nicht auf die Hautfarbe oder Genetik, sondern auf Kultur. Das ist übrigens auch vielen Amis nicht klar!
 
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In der Musikethnologie sind solche Gültigkeitgrenzen international schon viel länger klar, aber Theoretiker und Ethnologen haben kaum bis keinen Einblick in das jeweils andere Fach.

Ich würde das eher als Ausdruck einer asymmetrischen Wissensakquirierung bezeichnen, weil Musikethnologen nicht auf Erkenntnisse der Musiktheorie verzichten können, während Musiktheoretiker nur selten Veranlassung sehen, sich auch noch mit Nasenflöten aus Papua-Neuguinea zu beschäftigen. Was natürlich schade ist, weil der für den Ethnologen unverzichtbare kulturelle Perspektivwechsel auch für nach wie vor eurozentristisch fokussierte Musiktheoretiker frische und überraschende Einsichten in die eigene Kultur ermöglichen könnte. Aber inzwischen ist einiges in Bewegung geraten, wenngleich fachübergreifend kompetente Persönlichkeiten wie z.B. der leider zu früh verstorbene Chr. Kaden immer noch die Ausnahme sind.

Große Teile der Musiktheorie an deutschen Musikhochschulen haben vor einigen Jahren einen "historical turn" vollzogen. [...] Außerhalb der Hochschulen ist das glaube ich noch nicht angekommen

Wenn man bedenkt, wie gering z.B. der Einfluss der mittlerweile fast ein halbes Jahrhundert alten Harmonielehre von D. de la Motte (Erstausgabe 1976!), eine der Initialzündungen des "historical turn" in Deutschland, auf die Unterrichtsinhalte außerhalb der Hochschulen geblieben ist, dann hat das sicherlich nicht nur mit der normalen Trägheit von Tradierung zu tun.
Es muss hier die Frage gestellt werden, ob die Aufgabe universalistischer Positionen zu Gunsten einer stark segmentierten, de facto nur noch von Spezialisten zu bewältigenden historisch und geografisch relativierenden Musiktheorie überhaupt einen Widerhall im Musikleben außerhalb der Hochschulen finden kann.
Solange im "musikalischen Breitensport" immer noch die Dichotomie von Theorie und Praxis als unauflöslich, und die Kluft zwischen unreflektierter Theoriehörigkeit und manischer Theoriephobie als unüberbrückbar wahrgenommen wird, sollte man sich hinsichtlich eines "historical turn" außerhalb der Hochschulen keinen Illusionen hingeben.
 
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Bin mir allem einverstanden!

Wenn man bedenkt, wie gering z.B. der Einfluss der mittlerweile fast ein halbes Jahrhundert alten Harmonielehre von D. de la Motte (Erstausgabe 1976!), eine der Initialzündungen des "historical turn" in Deutschland, auf die Unterrichtsinhalte außerhalb der Hochschulen geblieben ist, dann hat das sicherlich nicht nur mit der normalen Trägheit von Tradierung zu tun.
Es muss hier die Frage gestellt werden, ob die Aufgabe universalistischer Positionen zu Gunsten einer stark segmentierten, de facto nur noch von Spezialisten zu bewältigenden historisch und geografisch relativierenden Musiktheorie überhaupt einen Widerhall im Musikleben außerhalb der Hochschulen finden kann.
Solange im "musikalischen Breitensport" immer noch die Dichotomie von Theorie und Praxis als unauflöslich, und die Kluft zwischen unreflektierter Theoriehörigkeit und manischer Theoriephobie als unüberbrückbar wahrgenommen wird, sollte man sich hinsichtlich eines "historical turn" außerhalb der Hochschulen keinen Illusionen hingeben.

Das liegt denke ich auch an der (noch) nicht darauf ausgerichteten Musiklehrer-Ausbildung an den Hochschulen. Die ganzen Implikationen der Ausrichtung an Geschichte haben sich glaube ich noch nicht gesetzt, was man u.a. an der allergischen, überkompensierenden Kritik an systematischer Musiktheorie merkt. Das muss sich noch abkühlen, bevor man damit ganz natürlich hantieren und an die Lehrer weitergeben kann.
Ich denke schon, dass es klappen kann. Wer kaum "Klassik" hört, dafür aber z.B. viel E-Gitarren-Musik (ist ja eine große Theorie-Zielgruppe), wird für seine Hauptinteressen von fortgeschrittener Funktionstheorie oder Bachchoral-Komposition relativ wenig profitieren (beides olle Schinken, die immer wieder gelehrt werden, egal wer einem da gegenübersitzt, "weil es eben dazugehört"), eben weil sie mit den eigenen Stilvorlieben wenig zu tun haben. Sich als Lehrer dessen bewusst zu sein, wäre doch schon ein super und m.E. ausreichender Fortschritt. Dann trauen sich die Leute nämlich auch mal, scheinbar "heilige" Theorien wegzulassen und dafür passendere zu lernen/lehren. Und Theorie-Interessierte könnten ein Buch kaufen, das nicht "Allgemeine Musiklehre" oder "Einführung in die Musiktheorie" heißt, sondern z.B. "Der Stil von Steve Vai". Das hat denke ich viel mit einer Unsicherheit und Angst zu tun, "heilige Themen" wegzulassen. Diese Angst kann man glaube ich relativ leicht nehmen in der Ausbildung von Musiklehrern.

(Einwand: "Aber dann erweitert man seine eigene Perspektive nicht!" -> macht der Ottonormal-Musiker eh v.a. durch Musikhören, nicht durch Tonsatzregeln-Auswendiglernen. Also erst hören, dann lernen.)
 
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