"Musik stirbt im Laden" - HR-Doku

  • Ersteller peter55
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Neben den bereits genannten, vielfältigen Gründen zum Musikalien-Laden-Sterben gibt es auch einen Mega-Trend, der eben nicht nur die Musikalien-Läden siechen und verrecken lässt. Der stationäre Einzelhandel - und nicht nur der - hat's allgemein schwer, aufgrund einer Vielzahl von Faktoren wie z.B. verändertem Einzelverhalten, Online-Konkurrenz, Kostendruck, etc. etc.. Dazu nur ein ganz allgemeines Beispiel:

vor einigen Wochen war ich an einem Samstag Vormittag / Mittag in meiner alten Heimatstadt Köln unterwegs. Einfach mal die Haupt-Einkaufsstraßen abklappern und schauen, was sich seit meinem Wegzug vor 30+ Jahren geändert hat. 'Ne Menge. Ja, auch die diversen Musikläden sind rar geworden; der MusicStore ist aus der Innenstadt auf die rechte Rheinseite gewechselt, aber auch sehr etablierte Häuser wie das Musikhaus Tonger - die eine Koryphäe waren, was Noten aus Klassik und Jazz anging - sind mittlerweile verschwunden. Aber nicht nur das: von der Vielzahl an großen Kaufhäusern oder Bekleidungsgeschäften ist kaum noch was übrig. Wo früher Karstadt, Hertie, Jacobi, Dyckhoff, Pohland, Wormland, Hanemann etc. waren, ist eigentlich nur noch der Kaufhof übrig geblieben, und das auch nur mit reduziertem Angebot. Ein großes und etabliertes Spielwarengeschäft, DER Feldhaus, hat vor einigen Jahren auch schon die Segel streichen müssen. Usw. usf..

Und dabei bleibt es ja nicht. Ich habe in Köln von '88 bis '90 meine Bankausbildung gemacht. Und hatte noch ganz gut im Kopf, wo es welche Bankfiliale gab, die ich während der Ausbildung und danach als "Springer" aufgesucht hatte. Von denen ist kaum noch eine übrig geblieben. Von den fünf Geschäftsbanken, die in meiner Berufsschulklasse vertreten waren, gibt es noch zwei (Commerzbank und Deutsche Bank; die anderen Kandidaten waren Sal. Oppenheim - von der Deutschen übernommen, Dresdner - mit der Commerzbank fusioniert, sowie die WestLB, die sich mittlerweile auf ihre Landesbank-Aufgaben konzentriert). Regionalbörsen - gibt's nciht mehr. Die Hauptstelle der Commerzbank in Köln dürfte nicht mal die Hälfte (wenn überhaupt) der Fläche der "alten" Zentrale belegen, und das NACH der Fusion mit der Dresdner. - DIe Liste ließe sich beliebig fortsetzen ...

Natürlich haben bei den Banken auch die Automatisierung und die EDV zur Schrumpfung beigetragen. Viele der Jobs, bei denen ich während der Ausbildung reingeschnuppert habe, gibt's einfach nicht mehr. Muss man das bedauern? Oder den beteiligten Bankhäusern Mißmanagement vorwerfen? Nein, es gibt auch ganz allgemeine Trends, die zu solchen Verwerfungen führen. Und wer hätte heute noch Bock darauf, einen Eurocheque auszufüllen, wo das so gut wie überall mit Karte perfekt funktioniert?

Sorry für den langen Text; will sagen: das Musik-Laden-Sterben ist Ausdruck eines komplexen Wandels mit einer Vielzahl von Einflussfaktoren. Über jeden einzelnen Faktor könnte man trefflich streiten. Aber, nach meiner unmaßgeblichen Erfahrung: es liegt selten an EINEM Faktor allein. Nehmen wir nur mal Corona: spätestens (!) da hat man vielfach gemerkt, holla, das funktioniert ja in vielen Bereichen mit dem Online-Kauf und der Zustellung per Post / DHL / wasauchimmer - da brauche ich ja gar nicht mehr ins Geschäft zu gehen ... da wirkte Corona quasi als Brand-Beschleuniger ...

Ach ja: an dem Samstag Mittag war in den großen Kölner Einkaufsstraßen erschreckend wenig los. Vielleicht gerade mal so viel wie früher an einem beliebigen Werktag am Vormittag. Möge sich jeder seinen Reim darauf machen ...
 
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jaja, das ist die Büllerbüdoktrin, ich will nicht weiter ausholen, wenn man sich gezielt informiert, merkt man sehr schnell, dass es nicht funktioniert.
Zurück zum Thema; ich habe nicht alle Post gelesen.

Ich habe früher sehr viel bei JustMusik gekauft, damals war es noch Sound und Drumland, war von mir 10min Fahrradweg entfernt. Damals gab es noch die Produktkataloge. Von Thomann wusste ich noch nichts.
Ich habe aber auch in dem Laden um die Ecke gekauft, weil man einfach mal im Vorübergehen Etwas mitmehmen konnte.

Kurz gehalten; Was Thomann richtig gemacht hat, der Internetauftritt ist entscheidend, wenn man die Welt erreichen will, muss man entsprechend Marketing betreiben. Marketing ist heute Internet.

Die Gitarren/Musikalienhändler in meiner Umgebung haben auch eine Webseite, allerdings sind die noch nicht angekommen in der neuen Welt, der Webauftritt ist schlecht. Wenn ich auf die Webseite des Gitarrenladens um die Ecke gehe, etwas suche, finde ich es nicht, obwohl sie es anbieten. Dumm. Deshalb schaut man bei den anderen Händlern, da findet man es, ..und bestellt, oder geht dort vorbei, weil es aufgelistet ist. Das sind ganz einfache Mechanismen, wenn die nicht beachtet werden, geht man unter.
Der Gitarrenladen um die Ecke hat Amps, Pedale, Fx, Saiten, etc. ....findet man nicht. Dumm.

Wenn die kleinen Läden mithalten wollen, muss es auch ein Angebot geben. Neulich wollte ich eine Tasche für eine Dreadnought, habe um die Ecke gefragt. Eine Tasche für knapp 40 € kann ich bei Thomann für 25€ haben, da passt aber auch noch viel mehr Zubehör rein, hat auch noch eine bessere Polsterung. Bingo
Ganz ehrlich, wenn man einen Gitarrenladen führt, hat man eine gewisse Auswahl an Taschen, in angemessenen Preisklassen. Darum geht es, um diese Details. Eine schlechte Webseite, kleine Auswahl, ist nicht marktfähig . Wenn man jetzt noch den Laden mit "Angeboten" retten will, die man woanders günstiger bekommt, ist das echt ziemlich schlechtes Marketing, anders gesagt, ziemlich Dumm.

Ich bin der Überzeugung, ein "kleiner" Laden kann gut überleben, wenn diese einfachen kleinen Details beachtet werden.

Was Just Music falsch gemacht hat weiss ich nicht, ich denke sie waren das Opfer der Mietspekulation, zumindest in Berlin.
 
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Solange du mit dieser Überzeugung keinen kleinen Laden in genau dieser Zeit erfolgreich führst, fällt das schon ziemlich in die Kategorie Stammtischtheorien. Ganz so einfach ist die Welt dann doch nicht.
 
Grund: Zitat entfernt, bevor das wieder ein Moderator tut...
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Was ich aber schon oft von so kleinen Läden bzw. deren Besitzern im gleichen Atemzug gehört habe, wenn es darum ging, dass der Onlinehandel ihnen das Geschäft kaputt macht: “Selber einen Onlineshop einrichten, um mit der Konkurrenz zumindest ein Stück weit mitzuhalten, will ich nicht. Das ist mir zu viel Arbeit und lohnt sich doch eh nicht mehr, ich hab ja nur noch ein paar Jahre bis zur Rente.”

So schlimm kann das mit der Onlinekonkurrenz ja dann doch nicht sein…
 
Siehe Rest des Threads, es wäre sinnvoll den zu lesen und nicht zu ignorieren. Aber es ist meiner Meinung nach auch nicht Sinn der Sache einfach "kann doch nicht so schwer sein" in verschiedenen Umformulieringen zu schreiben und dabei die Komplexität der Situation für Einzelhändler zu ignorieren.
 
Ein bisschen gilt für mich die Analogie zu Buchhandlungen. Die waren ja die ersten, die von Amazon (damals noch mit Preisen unterhalb der festgelegten, bis das gemäß deutschem Recht verboten wurde) "angegangen" wurden. Es gibt sie aber noch, die kleinen lokalen unabhängigen Buchhandlungen. Weil da Angebot, Fachwissen und Erreichbarkeit auf einzigartige Weise zusammenpassen. Selbiges gilt auch für gute Musikgeschäfte. Ich gehe in beide gerne rein und stöbere, freue mich über gut kuratierte Angebote, die meine Neugier wecken.
Aber auch - als Lefty-Gitarrist ist das Internet ein Segen, denn ich habe meine Gitarren halt immer schon bestellen müssen, weil sich kein Händler jemals einen Vorrat von Lefty-Gitarren hingelegt hat.
Die andere Chancen sind entsprechende Nischen - Thomann hat fast alles, aber eben nicht alles. Einige Marken waren mal im Sortiment und sind rausgefallen, es gibt sie aber weiterhin, und man findet sie auf anderen Shops zu teilweise sehr attraktiven Preisen. Auch das ist eine Chance für den stationären Handel - hab' Zeug, das gut ist, und das man nicht überall bekommt.
Aber in Summe ... ja klar, das Business wandelt sich, das Verhalten von Menschen ändert sich (...wer hätte vor 10 Jahren drüber nachgedacht, sich den Wocheneinkauf liefern zu lassen oder regelmäßig das Abendessen nach Hause zu bestellen...), und das wird immer Auswirkungen haben.
 
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Ein bisschen gilt für mich die Analogie zu Buchhandlungen. Die waren ja die ersten, die von Amazon (damals noch mit Preisen unterhalb der festgelegten, bis das gemäß deutschem Recht verboten wurde) "angegangen" wurden. Es gibt sie aber noch, die kleinen lokalen unabhängigen Buchhandlungen. Weil da Angebot, Fachwissen und Erreichbarkeit auf einzigartige Weise zusammenpassen.
Der Grund, warum ich mich seinerzeit überhaupt mit dem Online-Handel beschäftigt hatte, war mein loker Buchhändler, bei dem ich zuvor über viele Jahre, die für Schule und Freizeit benötigten Bücher gekauft hatte. Der war unabhängig, besaß das entsprechende Angebot, das Fachwissen und war für mich schnell zu erreichen. Nachdem es dem Senior aber zu mühsam und aufwendig war, mir ein Buch eines Verlages zu bestellen und dies auch noch vollmundig kundtat, war dies mein Einstieg in die Welt des Internethandels.

Den Händler gibt es immer noch, meine Bücher kaufe ich aber in der Regel im Internet.
 
Nachdem es dem Senior aber zu mühsam und aufwendig war, mir ein Buch eines Verlages zu bestellen und dies auch noch vollmundig kundtat, war dies mein Einstieg in die Welt des Internethandels.
Ja, die Bücher waren auch für mich ein Grund, Ende des letzten Jahrhunderts erstmals bei Amazon zu bestellen - und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Buchgeschäfte und Musikläden gleichermaßen Konkurrenz aus dem Netz bekamen, obwohl sie jeweils Produkte mit einem gewissen Beratungsbedarf anbieten, und, damit einhergehend, einen gewissen Anspruch an das Verkaufspersonal stellen.

Sowohl Buchläden wie auch Musikgeschäfte bereiten dem weniger bewanderten Kunden eine hohe Schwellenangst - das mag dem musikalisch bzw. literarisch gebildeten Menschen gar nicht immer auffallen, aber wer nichts von Büchern bzw. dem Musikmachen versteht, muss sich in die entsprechenden Läden überhaupt erst einmal hineintrauen.

Eigentlich passt diese Konstellation "Verkäufer weiß alles" und "Kunde muss belehrt werden und hat sich zu fügen", wie es sich den genannten Menschen präsentiert, ob zurecht oder nicht, schon lange nicht mehr in die Zeit.

Im Internet verkaufen sich Gitarren für 50 Euro wie geschnitten Brot- und offenbar genügen sie den Ansprüchen vieler Menschen, die sich ansonsten vielleicht kein Instrument aus dem Fachhandel für den zehnfachen Preis gekauft hätten. Bei Büchern ist es ebenso- die Leute kaufen bei Amazon sicher auch kitschige Unterhaltungsliteratur, oder andere weniger hochwertige Bücher - weil sie dort niemand schief dafür anschaut.

Einen Verkäufer zu haben, der von der Ware, die er verkauft, im Grunde nichts versteht. hat den unschätzbaren Vorteil, als Käufer nicht von vornherein in der Defensive zu sein- oft sind Verkäufer meinungsstark, und spielen ihre Überlegenheit insoweit aus - wenn die Leute Blockflöten für 10 Euro und Gitarren für 50 Euro wollen, sollte man sie nicht daran hindern.

Der größte Nachteil des Onlinehandels ist vielleicht sein größter Vorteil. Ich kann kaufen, was ich will, so viel ich will, wo ich will, und muss mich nicht dafür rechtfertigen.
 
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oft sind Verkäfuer meinungsstark
Da haben wir wieder das Problem mit Meinungen statt Fakten 😉.
Der größte Nachteil des Onlinehandels ist vielleicht sein größter Vorteil. Ich kann kaufen, was ich will, so viel ich will, wo ich will, und muss mich nicht dafür rechtfertigen.
Und außer bei relativ spezialisierten Großhändlern, bei denen man VOR dem Bestellvorgang auch mal schlaue Fragen stellen kann, hat man eben auch den Nachteil sich ganz böse für viel Geld zu „verkaufen“, wenn man selbst keine Ahnung hat. Und schon hast Du eine PRS Paul‘s Guitar für 7k und wolltest doch eigentlich nur eine Les Paul Kopie, Hauptsache „Paul“ im Namen😂
Spaß beiseite, aber das sind nun mal die Geister, die wir alle riefen. Und sehr viele glauben eben auch, daß man sich Fachwissen, Erfahrung etc. für alle Bereiche des Lebens aus dem Internet saugen kann und dann für jeden Online-Kauf gewappnet ist.
Ach wäre das schön 😉
 
Und außer bei relativ spezialisierten Großhändlern, bei denen man VOR dem Bestellvorgang auch mal schlaue Fragen stellen kann, hat man eben auch den Nachteil sich ganz böse für viel Geld zu „verkaufen“, wenn man selbst keine Ahnung hat.
Ist ja nicht so, dass auf die Antworten der Händler hören immer eine gute Idee ist :( Die ESP LTD KH 602 wurde mir damals ziemlich aufgeschwätzt und passte überhaupt nicht zu meinen Anforderungen, aber das konnte ich nicht wissen. Ein Floyd Rose, obwohl ich sagte dass ich regelmäßig umstimmen möchte... Mittlerweile mag ich sie, aber die Beratung war scheiße. Hätte ich hier im Forum nachgefragt, ein paar Artikel gelesen und dann ein paar Gitarren für mich selbst ausprobiert, ich hätte sicher einen besseren Treffer gelandet.
Und sehr viele glauben eben auch, daß man sich Fachwissen, Erfahrung etc. für alle Bereiche des Lebens aus dem Internet saugen kann und dann für jeden Online-Kauf gewappnet ist.
Ach wäre das schön 😉
Äh, das IST so. Was du vielleicht meinst ist die unterschiedliche Fähigkeit der Menschen dieses Wissen zu verarbeiten. Aber das gesamte Wissen der Menschheit ist leicht verfügbar und für halbwegs intelligente und reflektierte Menschen ist das ein Segen. Und Erfahrung ist gar nichts, man kann eine Sache auch 35 Jahre lang falsch machen.
 
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Ein bisschen gilt für mich die Analogie zu Buchhandlungen. Die waren ja die ersten, die von Amazon (damals noch mit Preisen unterhalb der festgelegten, bis das gemäß deutschem Recht verboten wurde) "angegangen" wurden. Es gibt sie aber noch, die kleinen lokalen unabhängigen Buchhandlungen. Weil da Angebot, Fachwissen und Erreichbarkeit auf einzigartige Weise zusammenpassen. Selbiges gilt auch für gute Musikgeschäfte. Ich gehe in beide gerne rein und stöbere, freue mich über gut kuratierte Angebote, die meine Neugier wecken.
Wobei hier die Sache leicht anders gelagert ist.
Aufgrund der Buchreisbindung sparen die Käufer bei Amazon gar nichts, zumindest bei einem deutschsprachigen Buch.
Die Ware ist auch nicht schneller da, die Buchhändler bekommen die Ware über Nacht von Zwischenhändler direkt geliefert.
I.d.R. kannst du das Buch bei einer Bestellung (glaub vor 16:00) am nächsten Tag in der Buchhandlung abholen - was meiner Meinung nach deutlich besser ist, als 2-3 Tag später das Buch zu suchen, welches der Zusteller irgendwo falsch abgelegt hat. Für Faule stellen manche Buchhändler sogar über Fahrradkurier zu.
Viele Buchhändler haben aber viel zu spät geblickt, ihre echten Vorteile ans Volk zu bringen.
Und ja, größere Buchketten (Thalia etc.) verdienen auch trotz Buchpreisbindung mehr pro Buch, weil sie vom Verlag oder Zwischenhändler bei Großabnahme Rabatte bekommen, die Preisbindung gilt nur für den Endpreis.
Der kleine Buchladen kann aber mit Individualität punkten, was bei den Ketten gerne unter geht.
 
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loker Buchhändler
Bücher waren auch für mich ein Grund
Wen es interessiert, warum Jeff Bezos Amazon überhaupt mit Büchern gestartet hat: Jeff Bezos arbeitete Anfang der 1990er für einen US-amerikanischen Hedgefonds und beschäftigte sich dort mit mathematischen Modellierungen, um bessere Analysen für Anlageklassen und den Verlauf volkswirtschaftlicher Zyklen (wie z.B. Zins- und Asset-Preise, Inflationsdaten, etc.) zu entwickeln. Er hat dort oder noch früher begonnen, etwas zu finden, mit dem er sich im Zuge der in der heißen Startphase der kommerziellen Nutzung des Internets (damals schon "wir befinden uns in einem goldenen Zeitalter") mit einem "Technische-Startup" als Gründer betätigen konnte. Dabei hat er - eigenen Beschreibungen nach - unzählige Produkt-Kategorien und Wirtschaftsgüter untersucht und relativ schnell herausgefunden, dass auf dem ungeschlagenen Platz 1 in Bezug auf Diversität und Vielzahl das Medium "Buch" mit weitem Abstand vor dem Medium "Musik" gelegen hat. Er beschrieb das später in etwa mit "es gab zu der Zeit auf der Welt mindestens 3 Mio aktive unterschiedliche Bücher, die gerade im Druck (wohlgemerkt: aktive Bücher, nicht Werke insgesamt) waren - davon knapp die Hälfte jeweils auf Englisch - und es gab kein einziges Produkt, das dem auch nur ansatzweise nahe kam. Musik kam mit zu jeder Zeit etwa 200.000 aktiven Musik-CDs deutlich abgeschlagen auf Platz 2". Ihm ging es darum, aus dem Stand im Internet etwas auf die Beine zu stellen, das es selbst mit aller Vorstellungskraft niemals im realen Leben geben konnte. Er hat das für sich mit "infinite aisle" beschschrieben, also einer "endlosen Regalreihe", die man beim besten Willen nicht in einem richtigen Laden haben könne. Anders als viele bzw. die allermeisten Gründer hat Mr. Bezos hier schon im Ansatz absolut alles richtig gemacht, eine sehr saubere Marktanalyse vorgenommen und die korrekten Schlüsse gezogen.

Hätten die Buchhändler ihren Niedergang verhindern können? Eventuell war es unabwendbar, massiv an Bedeutung zu verlieren, aber sicherlich wäre ein deutliches Abmildern möglich gewesen. Ich bin alt genug und auch Leseratte genug, um seinerzeit genau mitzubekommen, wie wenig Kooperation in Deutschland - insbesondere auf Grund der schützenden Buchpreisbindung - unter Buchhändlern vorgeherrscht hat. Man hat sich - und wer jetzt Analogien zum Niedergang des Handels entdeckt, findet sie nicht ohne Grund - vollständig geweigert, die Augen aufzumachen und nach vorn zu blicken.
  • Man hat das Internet viel zu lange als Bedrohung gesehen, denn als Chance zur Skalierung des bzw. der eigenen Geschäftsmodelle.
  • Die Verbindung zwischen örtlicher Nähe und digitaler Breite eines Sortiments wurde nicht genutzt.
  • Und nicht zuletzt wollte man sich auch rein menschlich nicht weiterentwickeln: Man wartet, dass Käufer reinschauen, anstatt sich proaktiv um die Erschließung neuer Käuferschichten und Absatzmodelle zu kümmern - und ja, das geht auch für den "kleinen" Tante Emma Buchladen. Man hätte ja wirklich mal was kreativ leisten müssen, um sich in Richtung "kultureller Gastgeber", "Kurator" oder gar "Community-Anker" zu entwickeln.

"Musik stirbt im Laden"​

Das ist Humbug und vollkommen an der Realität vorbei. Musikgeschäfte sterben - zu recht. Musik ganz sicher nicht.

Und die Todesursache für den stationären Einzelhandel ist ein ganz simpler Mangel an den drei Grundbestandteilen urdeutscher Mentalität, die wir in mittlerweile anscheinend vergessen haben (neben unserem Erfindergeist und technologischer Spitzenleistungen): Vision, Tempo und unternehmerischer Mut. Man nehme beispielhaft die Brüder Dassler oder Albrecht, die einen Markt genauso umgekrempelt haben, wie Jeff Bezos das tat. Und mir ist vollkommen bewusst, dass dies eine der Verdeutlichung dienende Verkürzung und Zuspitzung ist.
 
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Interessant ist es aber doch, um noch einmal auf den Vergleich mit dem Buchhandel einzugehen, dass hier ein Anbieter wie Amazon, der ja zunächst hauptsächlich als Buchversender agierte, trotz der Buchpreisbindung den Markt für Bücher durchdringen konnte. Kostenlose Lieferung nach Hause einmal außen vor gelassen, kostet das Buch XYZ nämlich hier wie dort € 28,-.

Sicher hat auch der Parkplatzabbau in den Innenstädten eine Rolle gespielt, und dass bei der Verlagerung des Einkaufs in Malls und auf die grüne Wiese der Musikfachhändler nicht dabei war, und der Buchhandel nur in Form der großen Ketten wie Hugendubel, Thalia usw. dorthin umzog.

Es bleibt bei mir trotzdem die Vermutung, dass der Versandhandel Käuferkreise und -schichten erreicht, die der stationäre Einzelhandel überhaupt nicht erreichen kann.

Idealerweise hätte der Versandhandel sogar zusätzliche Kunden für den stationären Handel generieren können. Wer sich im Internet ein günstiges Musikinstrument zugelegt hat und dabei bleibt, vielleicht ein höherwertiges Instrument anstrebt, würde dann ja vielleicht doch dort hingehen, wo man beraten und reparieren kann.

Der ganze Musikhandel ist allerdings sehr auf Gitarren- und Rockmusik zugeschnitten. Händler, die sich auf andere Nischen konzentriert haben, scheinen besser dazustehen - konzentrieren sich aber inzwischen auch oft mehr auf Reparaturen als auf Neuverkauf.

Wenn es Versandwerkstätten gäbe, die z.B. eine Flöte für €200,- neu belegen, bzw. irgendwo im Ausland diese Arbeit zu diesem Preis erledigen lassen, dann sähe es für die Nischenbetriebe auch schnell sehr finster aus.

Das Internet globalisiert und rationalisiert am Ende alles - die Entwicklung ist ja noch nicht zu Ende.
 
Ein Punkt, der aber deutlich anders ist:

Amazon hat massiv Geld verbrannt, über Jahre, um den Markt zu "erkaufen". 3 Milliarden USD Verlust in den ersten 8 Jahren des Unternehmens sind kein Pappenstiel (https://en.wikipedia.org/wiki/Amazon_(company)#Finances), das geht nur mit festem Glauben ans Modell durch die Investoren.
Und das Unternehmen ist mal mit Büchern gestartet, aber ist dann ja massiv in andere Märkte/Geschäftsmodelle expandiert.

Hingegen ist Thomann ja mehr oder weniger "organisch" gewachsen. Klassisches Unternehmertum, vom kleinen Laden zum Internet-Megahändler. (https://www.thomann.de/de/compinfo_history.html). Dazu klare Verankerung im deutschen und europäischen Wirtschaftsraum, kein Global Player. In den USA hat Sweetwater dieselbe Rolle - die spielen hier bei uns aber (noch) keine Rolle, ebenso wie Tomann in den USA kein Begriff ist, weil dort nicht aktiv.

Insofern handelt es sich hier eher um Firmen, die durch Unternehmertum und Glück die richtigen Entscheidungen getroffen haben, um den Markt zu erobern und zu halten, auf Basis eines von Anfang an funktionierenden Geschäftsmodells (...und nicht auf Basis von "wenn wir mal groß genug sind, wird der Profit schon kommen").

Mehr ins Detail gehe ich nicht, das geht dann zu sehr in Richtung Politik/Gesellschaft mit Themen, für die hier im Board richtigerweise kein Platz ist.
 
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Ein Punkt, der aber deutlich anders ist:

Amazon hat massiv Geld verbrannt, über Jahre, um den Markt zu "erkaufen". 3 Milliarden USD Verlust in den ersten 8 Jahren des Unternehmens sind kein Pappenstiel
Ohne zu sehr abzuschweifen, aber "deutlich anders" ist nur unsere heutige Sicht darauf. Ich habe mich zu dieser Zeit im Asset Management u.a. mit der Analyse von Tech-Aktien viel beschäftigt. Die Cash-Burn-Ratio von Amazon war da absolut im Rahmen dessen, was bei Gründungen zu dieser Zeit (manche erinnern sich vielleicht noch an den "Neuen Markt") vollkommen akzeptiert worden ist. Und natürlich kannst Du nicht ein organisch wachsendes Unternehmen genauso steuern, wie ein Startup. Das haben auch weder die Dasslers noch die Albrechts tun können. Es gab Mitte der 1990er aber gerade in den USA so einen Hunger nach neuen Businessmodellen und vor allem über die Asset-Inflation auch wahnsinnig viel Investivkapital, dass Du Dir als Gründer von Deinen Investoren die Frage gefallen lassen musstest, ob Du überhaupt hart genug arbeitest, wenn Du nicht mittlere dreistellige Beträge (oder aber je nach Skalierung und Markt sogar mittlere Mrd. Beträge) in den ersten Jahren verballert hast. Ich erinnere mich noch gut an einige IPOs, bei denen die Analysten nicht die geringste Ahnung hatten, was denn jetzt das Geschäftsmodell dieser Gründer gewesen ist, Hauptsache, man konnte dort seine überschüssige Kohle loswerden. Das waren verrückte Zeiten damals. Und Amazon hätte nicht weiter von "wenn wir mal groß genug sind, kommt der Erfolg schon" entfernt sein können. Bezos hat den Survivor-Bis nicht umsonst, sondern vor allem, weil sein Konzept und seine Prämissen korrekt gewesen sind. Dass man dann Anlaufkosten zu verarbeiten hat, die ein organisch gewachsenes Unternehmen in Jahrzehnten bereits geleistet hat, ist normal. Die Dasslers und Albrechts habe ich nicht grundlos genommen. Beide sind im Rahmen der Möglichkeiten nahezu Startups gewesen. Das war Hans Thomann nicht. Der hat aber genau das getan, was ich in meiner Folgerung auch geschrieben habe.

Mir ging es aber nicht um Economics 101 oder Tire-Kicking an den Beispielen, sondern lediglich um eine Verdeutlichung. Daher wieder BTT :hat: .
 
Grund: Ergänzung zur Besserung Nachvollziehbarkeit der Beträge
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Interessant ist es aber doch, um noch einmal auf den Vergleich mit dem Buchhandel einzugehen, dass hier ein Anbieter wie Amazon, der ja zunächst hauptsächlich als Buchversender agierte, trotz der Buchpreisbindung den Markt für Bücher durchdringen konnte. Kostenlose Lieferung nach Hause einmal außen vor gelassen, kostet das Buch XYZ nämlich hier wie dort € 28,-.
Es mag eine Nische sein, aber für englischsprachige Fachbücher war der "stationäre" Buchhandel schon lange vor dem Web unattraktiv. Die Auswahl war sehr beschränkt und die Preise astronomisch (keine Preisbindung), auch in Uni-Städten. Ich habe ab den späten 1980ern solche Bücher per Brief bei einer Berliner Buchhandlung bestellt. Welche Bücher? Auf die bin ich in Fachzeitschriften, Verlagsprospekten und Literaturlisten gestoßen. Beratung hätte mir da im Buchhandel niemand geben können.

Auf diese Weise konnte ich Bücher zum englischen/amerikanischen Listenpreise bekommen, ohne Aufschlag. Für heutige Verhältnisse war das noch immer teuer, damals war es konkurrenzlos günstig. Ab Mitte der 1990er Jahre gab es dann den ABC Bücherdienst im Web (später übernommen von Amazon).

Ja, der Preis war dabei für mich der entscheidende Faktor. Aber selbst bei gleichem Preis hätte der stationäre Buchhandel keinen Vorteil gehabt, weil ich dort keine relevante Beratung hätte bekommen können.
 
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Interessant ist es aber doch, um noch einmal auf den Vergleich mit dem Buchhandel einzugehen, dass hier ein Anbieter wie Amazon, der ja zunächst hauptsächlich als Buchversender agierte, trotz der Buchpreisbindung den Markt für Bücher durchdringen konnte. Kostenlose Lieferung nach Hause einmal außen vor gelassen, kostet das Buch XYZ nämlich hier wie dort € 28,-.
Tatsächlich wissen heute noch extrem viele Kunden nicht, dass ein Buch über den Lieferdienst der Barsortimente (Libri, Umbreit, KNV) schon am nächsten Tag abholbar im Laden ist.
Bücher kommen NICHT über Postdienste in den Laden.
Viele denken, sie bestellen über Amazon und bekommen das Buch schneller, das ist vollkommen falsch.
Abgesehen davon, dass ich dann ein u.U. wichtiges Buch sicher habe, wenn ich es abhole statt dass es im Treppenhaus von einem Zusteller abgelegt wird.
Aber wie gesagt, hier haben es die Buchhändler z.T. verpennt, mit ihrem spezifischen Vorteil zu werben. :rolleyes:

Auf diese Weise konnte ich Bücher zum englischen/amerikanischen Listenpreise bekommen, ohne Aufschlag
Fremdsprachige Literatur ist kein Thema, da wird dir jeder versierte Buchhändler sagen, dass du ruhig auch online bestellen kannst.
Die verdienen daran einfach kaum was, das war aber auch schon vor Amazon so.

Wenn es Versandwerkstätten gäbe, die z.B. eine Flöte für €200,- neu belegen, bzw. irgendwo im Ausland diese Arbeit zu diesem Preis erledigen lassen, dann sähe es für die Nischenbetriebe auch schnell sehr finster aus.
Das Internet globalisiert und rationalisiert am Ende alles - die Entwicklung ist ja noch nicht zu Ende.
Tja, was wäre eigentlich, wenn die Versandkosten plötzlich niemand mehr übernimmt weil zu teuer?
 
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