Nochmal Saiten aus dem Land der Mitte

[Flyboy]

Langsam trudeln bei mir verschiedene Saiten aus China ein. Da die Beschreibungen eher eine Ansammlung von Buzzwords sind und sowiso niemand Bronze von Phosphorbronze unterscheiden kann, hat das Öffnen der Päckchen immer etwas von einem Überaschungsei.
Diesmal sind es Saiten, die von vielen Händlern ab 90 Cent angeboten werden, aber niemand gibt eine Saitenstärke an. Dafür nennen manche die Länge, was wie sich herausstellt, nicht unwichtig ist.

Die Saiten sind zusammen paarweise verbunden eingeschweißt und lassen sich gut trennen. Auch auf der Verpackung findet sich kein Hinweis auf die Saitenstärke. Die Wicklung sieht nach Bronze aus, evtl. 75/25 wie bei Saiten eines anderen Herstellers angegeben. Entrollt kringeln sich die Saiten wie ein Korkenzieher, was nach meiner Vermutung auf eine zu feste Wicklung zurückzuführen ist. Positiv ausgedrückt sind die Saiten keinen Zentimeter zu lang und kein Blankdraht steht raus. Daher die Längenangaben, für ne Zwölfsaitige nicht zu gebrauchen ...



Wie schon erwartet, sind die Saiten recht dünn, vermutlich 10er. Also bekommt die Framus Amateur neue Saiten. Das Stimmen will zunächst nicht so recht klappen, die B- und die E-Saite laufen immer weg. Die B-Saite rutscht sogar von der Mechanik und lässt sich nur sehr trickreich wieder befestigen. Da hat man nicht an Chrom gespart. Nachden das Befestigungsproblem behoben ist halten die Saiten die Stimmung. Aber, wie bei mir üblich, einen Halbton tiefer gestimmt, klingen einige Saiten, besonders die tiefe E dumpf. Ich bin schon kurz davor die Saiten wieder runterzumachen, stimme dann aber nochmal auf E. Und siehe da, auf einmal klingen alle Saiten und haben ein langes Sustain. Meine Erklärung: Die Saiten wurden bei hohem Zug gewickelt und erst wenn dieser Zug erreicht ist, klemmen die Wickeldrähte nicht mehr.

Und was den Klang angeht, der gefällt mir richtig gut. Wie schon bei anderen Chinasaiten beschrieben, fehlt der anfänglich brilliante bis metallische Klang. Dafür klingen die Saiten in den Mitten voller und das passt hervorragend zur Amateur. Bei der klingt nämlich immer die Aluplatte unterm Steg durch und gibt ihr den typischen leicht metallischen Sound. Das ist mit diesen Saiten verschwunden und sie klingt voll und beim Picking recht ausdrucksstark. Der Klang hat auch einen leichten Glanz, den wohl die Bronze beisteuert. Während mir Bronze bei modernen Saiten oft zu schrill klingt, harmoniert sie hier gut mit dem Klang des verwendeten Stahls.

Das scheint die Art von Saiten zu sein, für die die Framus mal gebaut wurde. Diese Saiten sind nicht nur eine Reise nach China, sondern auch eine in die eigene Vergangenheit. Falls der Postbote nicht noch was besseres bringt, werden das die Standartsaiten für meine Kleinen von Framus und Hopf. Nicht weils billig ist, sondern weils am besten klingt. Die Mängel in der Verabeitung und im Handling nehme ich dafür gerne in Kauf.

Saiten die nach 60er oder 70er Jahren klingen, bekommen die Chinesen also mit Einschränkungen hin. Aber an modernen Saiten scheitern sie. Nach dem Test von 3 weiteren Saiten, darunter auch ein "Qualitätsprodukt" taucht immer wieder das gleiche Problem auf: selbst frisch aufgezogen, klingen besonders die Bassaiten in höheren Lagen dumpf. Schon Capo am 6.Bund klingt gruselig. Da verschiedene Wickeldrähte im Spiel waren, liegt es wohl am Stahl, hinter dem scheinbar doch ein gewisses Know How steckt.

Aber wegen der Entdeckung von verschiedenen Saiten mit Vintage-Sound hat sich dieser Ausflug für mich gelohnt. Die lassen alte Gitarren regelrecht auferstehen ...
Es muss nicht immer Monel sein ...

 

[Flyboy]

Die Saiten sind nun 8 Wochen auf der Framus und klingen trotz häufigen Spielens immer noch gut. Dass ich die Amateur so gerne und häufig spiele, liegt nicht nur am schönen und vollen Klang, sondern auch an der sehr komfortablen Bespielbarkeit. Die Saiten sind nämlich sehr elastisch und spielen sich schon fast wie Nylonsaiten. Nicht nur das Greifen geht fast ohne Kraft, auch beim Zupfen lassen sich die Saiten mühelos und differenziert anschlagen. Und obwohl die Saiten recht dünn sind, ist die Gitarre ausgesprochen laut. Wohl einfach deswegen, weil die elastischen Saiten beim Anschlag weiter schwingen und damit mehr Energie auf die Decke übertragen ... Eine durchaus unerwartete Erfahrung ...

Kurzum, ich bin begeistert. Im Forum wird ja immer wieder mal gefragt, was für Saiten auf eine Amateur gehören. Für mich steht fest, das sind die richtigen. Riskiert einfach mal 5 Euro für 5 Sätze und ein paar Wochen Wartezeit und testet die Dinger selber. Das Risiko ist ja überschaubar.
https://www.ebay.com/itm/5-Set-30-p...or-Wooden-Acoustic-Guitar-Brass/152632272704?

Noch ein anderer Typ von Saiten hat mein Wohlgefallen gefunden. Es sind die TX Saiten der Marke Orphee. Diese Saiten vereinigen eine gewisse Brilianz in den Diskantsaiten mit Bässen die, wie ich es ausddrücken würde, Fleisch auf den Rippen haben. Meine alte laminierte Koreanerin macht damit eine richtig gute Figur. Ich habe 11-52 aufgezogen, eine gute Abstimmung für diese Gitarre. Auch über den chinesischen "Element" Pickup klingen die Saiten gut. Diese Saiten mit eine Wicklung von 75/25 Bronze sind wohl nicht umsonst die meistverkauften aus dem Land der Mitte. Der beste Preis im Dreierpack liegt unter 1.20€ pro Satz.



Damit wäre mein Ausflug ins Reich fernöstlicher Gitarrensaiten zu Ende. Mein wichtigstes Fazit ist, dass es dort Saiten gibt, die mehr "Eigenklang" haben als Saiten westlicher Hersteller. Davon profitieren insbesondere einfache Gitarren und ältere Modelle. Auf modernen und hochwertigeren Gitarren wie meiner vollmassiven Kirkland TX80 kaschieren sie unter Umständen den Eigenklang der Gitarre und verschlechtern den Klang. Aber viele andere Gitarren blühen damit auf...