Quadratnotation

G
Gast295732
Guest
Wie Übertrage ich diese Stück aus der Quadratnotation in die fünfliniennotation?
Neuma.JPG


Iustorum animae in manu Dei sunt:

et non tanget illos tormentum malitiae.

Visi sunt oculis insipientium mori:

illi autem sunt in pace.

https://gregorien.info/chant/id/4715/0/de
 
Eigenschaft
 
Erst mal willkommen im Forum!

Orientierung gibt der Notenschlüssel, der ganz am Anfang des Systems steht und der wie ein etwas zu fett geratenes "C" aussieht. Auf der Linie, die er einrahmt, steht das C, von da auch kannst du dann einfach die anderen Töne abzählen.
Um es ohne eine Horde Hilfslinien in ein 5-Liniensystem mit einem Violinschlüssel zu übertragen, kannst du das hier durch den C-Schlüssel definierte C als C2 notieren.
Als Noten nimmt man Viertelnoten-Köpfe ohne Hals. Die Rhythmik wird mitunter durch unterschiedlich enge und weite Abstände der Notenköpfe angedeutet.
 
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Hallo bluesky21,

das ist natürlich ein großes Thema, das sich schwerlich in einem Forum komplett behandeln lässt.
Im Graduale Romanum beispielsweise gibt es eine lange Einführung - das Original ist allerdings in lateinischer Sprache. Aber es sind auch deutsche oder englische Übersetzungen verfügbar.

@LoboMix hat ja schon wichtige Einstiegs-Informationen geliefert.
Ich möchte mal versuchen (!), im Rahmen der Möglichkeiten ein wenig mehr ins Detail zu gehen. Mal sehen, ob mir das halbwegs gelingt.

Schlüssel​

Der erwähnte C-Schlüssel ist streng genommen ein Do-Schlüssel, wobei das "do" im Sinne der Solmisation verstanden werden kann, das heißt, er kennzeichnet (modern ausgedrückt) den Grundton einer Dur-Tonleiter.
Damals war es üblich, Tonleitern eher "rückwärts", d. h. absteigend, zu denken.
Um den ersten Ton zu finden, kann man in Deinem Beispiel von der durch den Schlüssel markierten Linie eine Dur-Tonleiter abwärts singen, bis man zum ersten Ton kommt.
Für die Übertragung in moderne Notenschrift heißt das, dass do nicht unbedingt ein c sein muss, man könnte auch ein a wählen und alles mit A-Dur-Vorzeichen notieren (3 Kreuze).

Der Schlüssel wird so gewählt, dass der Ambitus (genutzter Tonumfang) möglichst bequem ins 4-Linien-System passt, ohne Hilfslinien zu benötigen. Der Do-Schlüssel steht deshalb, je nach Bedarf, auf der 2., 3. oder 4. Notenlinie.


Tonhöhen​

Ein wichtiger Aspekt der Quadratnotation war damals, dass sich nun Tonhöhen und Intervalle eindeutig darstellen ließen. Die in Deinem Beispiel eingetragenen älteren Neumen gaben eher einen tendenziellen Melodieverlauf vor.

Die häufigste Notenkopf-Form ist das Punctum
1645784538433.png

Es kann sowohl betont als auch unbetont sein.
Die Virga
1645784576643.png
hingegen ist eigentlich immer betont. Sie hat ein "Schwänzchen" nach unten.

Wenn auf eine Silbe mehrere Noten gesungen werden, gibt es hierfür oft Ligaturen, die zwei oder mehrere Notenköpfe verbinden:
Bei einem Pes
1645784853245.png
wird die untere Note zuerst gesungen, bei einer Clivis
1645784899903.png
wird die obere Note zuerst gesungen.
Am "Schwänzchen" erkennt man die Virga in diesen Ligaturen und das bedeutet, dass in den beiden Beispielen jeweils die höhere Note betonter als die tiefere Note gesungen wird.

Es gibt allerdings (bei "rum" und "in" in Deinem Beispiel auch solche Zweierverbindungen nach unten
1645785058006.png
oder oben
1645785122834.png
, die etwas "verschliffen" gesungen werden.

All diese Notenköpfe werden bei der Übertragung in "moderne" Notation durch schwarze Notenköpfe ohne Hals dargestellt und die Ligaturen einfach durch "aneinandergeklebte" (oder mit Bindebögen versehene) Notenköpfe dargestellt, Feinheiten gehen dabei verloren, sind aber weniger wichtig, weil sich ohnehin alles am natürlichen Sprachfluss orientiert (siehe "Rhythmus").
Die moderne Schreibweise mit halslosen Viertelnotenköpfen nenn man überaus bildhaft Eierkohlennotation.

Rhythmus​

In der Gregorianik gab es noch kein Konzept von exakt vorgegebenen Notenlängen oder gar Takten.
Maßgeblich war allein (!) der natürliche Sprachfluss, d. h. der Text war ausschlaggebend für die rhythmische Gestaltung.
Kleine Hinweise wie den Augmentum-Punkt hinter einer Note
1645785569233.png
hat eine nicht zufällige Ähnlichkeit mit unserem heutigen Punkt hinter einer Note, der dessen Wert um die Hälfte verlängert. Das ist aber in der Quadratnotation eher schwammig und wird bei der Übertragung in "Eierkohlen" meines Wissens auch schlicht ignoriert.

Vor allem das Fehlen eines Notenlängen- und Taktkonzepts ist der Grund dafür, dass eben diese "Eierkohlennotation" genutzt wird, in der es auch keine Taktstriche und praktisch keine klaren Notenlängen gibt.
Scheinbare Taktstriche in der Quadratnotation sind keine Taktstriche, sondern eine Form von Gliederungszeichen oder Pausen.

Aussprache​

Das hat zwar nichts direkt mit Notenschrift zu tun, sollte aber vielleicht dennoch erwähnt werden.
Ein häufiger Fehler besteht darin, "Kyrie" mit ü auszusprechen, was definitiv falsch ist, denn dieses Wort wurde aus dem Griechischen übernommen und deshalb muss (!) das y als i (wenn auch als dunkles) ausgesprochen werden.
Ansonsten gilt die römische Aussprache des Lateinischen, in die sich viele italienische Einflüsse eingeschlichen haben: "Regina" soll also tatsächlich als "Redschina" ausgeprochen werden und das c ebenfalls wie im Italienischen ("paatsche" für "pace" und nicht etwa "pake" oder "patze").

Übertragung in Eierkohlen​

Der Anfang "Iustorum animae in manu Dei sunt" sieht, vom Neumengewirr befreit, so aus:

1645786118184.png


Wenn man das ganz schmucklos ein Eierkohlen überträgt, würde das in etwa so aussehen:

1645786233072.png



In allen Gotteslob-Ausgaben sind die liturgischen Gesänge in Eierkohlennotation zu finden.
Wenn Du noch ein älteres Magnificat (sozusagen Vorgänger der Gotteslobe) auftreiben kannst, wirst Du dort viele der Gesänge noch in Quadratnotation wiederfinden.
Ich glaube, dass man sehr viel daraus lernen kann, wenn man sich Beispiele anschaut, wie diese Gesänge in "moderne" Notation übertragen wurden.

Viele Grüße
Torsten
 
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Was ist die Name der mit einer Ziffer bezeichneten Ton- bzw. Neumengruppen?:unsure:
An dem mit einem *bezeichneten Stellen sind Differenzen zwischen der Neumen - und der Quadratnotation.
Was ist Unterschiede?:unsure:
 
@Be-3, klasse und ausführlich dargestellt! (Mir fehlte die Zeit, näher ins Detail zu gehen.)

Ein Frage habe ich aber, du schreibst:
Damals war es üblich, Tonleitern eher "rückwärts", d. h. absteigend, zu denken.
Meiner Kenntnis nach war es so im antiken Griechenland, auf das auch die Namen der modalen Skalen zurückgehen.
Soweit mir bekannt, gab es aber in der Epoche aus der diese Gregorianischen Choräle stammen schon die Vorstellung einer Tonleiter als aufsteigende Linie.
 
Soweit mir bekannt, gab es aber in der Epoche aus der diese Gregorianischen Choräle stammen schon die Vorstellung einer Tonleiter als aufsteigende Linie.
Da hast Du sicher recht.
Mit "absteigend denken" meinte ich vor allem die Praxis, den ersten Ton zu finden, indem man vom Do-Schlüssel aus gedanklich über die Tonleiter zum ersten Ton zu gelangt. Da der erste Ton in der Regel unterhalb des Schlüssels steht, wird man sich allein deshalb eine absteigende Tonleiter vorstellen.

Was ist die Name der mit einer Ziffer bezeichneten Ton- bzw. Neumengruppen?:unsure:
Ich hatte bereits auf das Graduale Romanum verwiesen, in dessen Einleitung unter "DE NOTULARUM CANTUS FIGURIS ET USU" diese Fragen beantwortet werden.
Neben dem bereits erwähnten Punctum gibt es noch Cephalicus (nicht von mir namentlich genannt) und Epiphonus (kommt in Deinem Beispiel vor, hat aber keine Ziffer). Oder Clivis (strophicus) usw.

An dem mit einem *bezeichneten Stellen sind Differenzen zwischen der Neumen - und der Quadratnotation.
Was ist Unterschiede?:unsure:
Du hattest doch eigentlich nach der Übertragung von Quadratnotation in "modern" Notation gefragt???
Dann waren unsere Erklärungsversuche wohl für die Katz' und Du kennst diese Grundlagen schon lange, wenn Du Dich nun nach Feinheiten zwischen Neumen und Quadratnotation fragst?
Obwohl alleine Deine Bezeichnung "Stück" für diesen Zwischengesang (Graduale) nicht gerade auf tiefere Kenntnis der Materie hindeutet.

Tatsache ist, dass bei der Übertagung in Eierkohlennotation viele Feinheiten verlorengehen, aber auch, dass Neumen und Quadratnotation prinzipiell nicht deckungsgleich sind: Quadratnotation hat es vor allem zum ersten Mal erlaubt, konkrete (relative) Tonhöhen anzugeben.
Diese Gesänge wurden ja ursprünglich rein mündlich überliefert.
Neumen ("Fingerzeige") entstanden wohl aus den, wie man heute sagen würde, "Schlagmustern des Dirigenten".
Denn wenngleich sich Rhythmus, Betonung, Artikulation aus dem natürlichen Sprachfluss ergeben, musste man dennoch eine ganze Horde Männer dazu bringen, ein tatsächlich einheitliches Empfinden zu entwickeln.

Neumen taugen nur, wenn man die Melodie bereits kennt, enthalten aber bezüglich genauer Artikulation usw. mehr Informationen als die Quadrat- und erst recht die Eierkohlennotation.

Über Details der Neumen und somit den gesuchten "Differenzen" (gewissermaßen grundsätzlich unterschiedliche Herangehensweisen) vermag ich aber keine fundierte Auskunft zu geben.

Grundsätzliche Gegenfrage an @bluesky21
Was ist eigentlich Dein Kenntnisstand und Dein Bezug zu liturgischen Gesängen?
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir hier versuchen, völlig ins Blaue hinein Hilfestellung zu geben, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht.
Du gehst ja mit keiner Silbe auf unsere Antworten ein, vielleicht weißt Du das ja alles schon.

Ansonsten ist dieser Themenkomplex eine Wissenschaft für sich, die sich nicht mal so nebenbei in diesem Rahmen abhandeln lässt.

Da könnte man auch fragen: "Wie übertrage ich die Weisheitslehre des Ptah-Hotep aus dem Hieratischen in moderne deutsche Sprache?", wenn man nicht einmal Hieroglyphen lesen kann und von mittelägyptischer Grammatik keine Ahnung hat. :gruebel:
1645829233108.png

Ganz so "off topic" ist das nicht, denn auch bei "Sap. 3" aus dem Notenbeispiel geht es um eine Weisheitslehre, nämlich die des Salomo. :D

Viele Grüße
Torsten
 
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Unabhängig von der Frage des Threaderstellers vielen Dank für die tollen Antworten. Ich habe vor vielen Jahren an der Uni mal das Thema ansatzweise gestreift und fand es spannend, eure Antworten sollten irgendwo erhalten werden. :)
 

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