Spieltechnik contra Gerätetechnik

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Angesichts der immer komplexer werdenden Synthesizer, Workstations und DAWs sollte man sich fragen, ob es überhaupt noch vereinbar ist, diese Geräte und Software in Gänze zu beherrschen, um eigene Sounds oder Songs zu kreieren, und gleichzeitig sein - hoffentlich - tägliches Übungspensum am - ebenfalls hoffentlich - Klavier zu absolvieren.

Dazu ein paar Perspektiven:

Bei einer Podiumsdiskussion wurde Dave Smith des Öfteren gefragt, warum er diese oder jene Funktion nicht in seinem neuen "Prophet" implementiert hätte. Seine Antworten lassen sich folgendermaßen subsummieren:
Ja, das sind alles nette und vielleicht auch wünschenswerte Funktionen, aber die wichtigste Arbeit eines Entwicklers besteht im Ansetzen des Rotstifts. Die Arbeit besteht permanent im Abwägen zwischen Umfang der Möglichkeiten und Güte der Übersichtlichkeit.
Letzteres ist meines Erachtens bei vielen neuen Geräten und neuer Software eindeutig aus dem Ruder gelaufen. Eine zukünftige Beschränkung auf die wesentlicheren Funktionen und Beigaben wäre daher angebracht. Denn was bewirkt eine Parameterüberfülle in der Regel?
Antwort: Eine Vielzahl an Funktionen, die vom durchschnittlichen Keyboarder wahrscheinlich niemals genutzt werden und daher nur eine in der Tat überflüssige Aufblähung des Parameterdschungels bewirken. Wenn z.B. der ansonsten hoch geschätzte Nick Batt von "Sonicstate" bei einem Synthie bemängelt, dass sich die eingebauten Effekte nicht für eine Modulation nutzen ließen, dann plädiert er damit für eben diesen Parameterdschungel. Und wenn man sich dann seine mangelnden spieltechnischen Fähigkeiten anschaut, weiß man, wie er seine Zeit einteilt - mit Üben jedenfalls nicht.

Anderer Aspekt:
Bei einem Konzert überzeugte mich der Keyboarder Jasper van´t Hof mit einem sehr überzeugenden Solo, das er mit einem schönen Mundharmonika-Sound spielte. Tatsächlich aber war der Sound an sich gar nicht besonders gut - er spielte ihn auf einem Uralt-Sampler "Ensoniq Mirage", der für die typischen Keyboard-Techniknerds eher in ein Museum als auf eine Bühne gehört. Aber das, was den Sound so überzeugend machte, war das exzellente Spiel, bzw. die exzellente Spieltechnik und van´t Hofs Kenntnis der spieltechnischen Charakteristika einer Mundharmonika. (Wie häufig muss man sich dagegen Keyboarder anhören, die Soundimitationen/-samples von sogenannten Naturinstrumenten so spielen, als seien dieses typische Keyboardsounds. Aber wenn man schon einen (z.B.) Mundharmonikasound authentisch klingen lassen möchte, darf man natürlich nicht seine typischen Keyboardlicks dafür benutzen. Man sollte wissen, wie ein Naturinstrument typischerweise gespielt wird und dieses auf die Tasten umsetzen - falls es überhaupt geht. Aber das bedarf eben eines spieltechnischen Lernens und Einarbeitens ...)
Mit anderen Worten:
Es muss kein "Moog One", "Jupiter 8" oder "Oasys" sein. Wenn die Spieltechnik stimmt und man zugleich über genügend Spielkreativität verfügt, kann man sich problemlos preislich 2 Regale tiefer bedienen und einen spieltechnisch eher bescheidenen Besitzer eines "Jupiter 8" tatsächlich bescheiden aussehen lassen.
Und um diesen Teilaspekt noch auf die Spitze zu treiben:
Ein Nutzer eines Forums, der auch in diesem angemeldet ist, meinte allen Ernstes, dass er nie üben würde, denn das würde nur dem Feeling schaden. Nun ja, was soll man dazu sagen?
Viele von uns werden es kennen: Es treffen sich mehrere Musiker - entweder in einer Band oder zu einer Telefonmugge oder im Studio - und über was reden sie? Nicht über Spieltechnik, Arrangements oder Kompositionen, die sie gerade geschrieben haben. Nein, es wird in der Regel über neue Anlagenteile geredet. Und viele von ihnen denken, dass sie damit ganz automatisch einen besseren musikalischen Output kreieren, bzw. dass sie damit bessere Musiker geworden wären - was natürlich Unfug ist. Aber zugegeben - regelmäßiges Üben ist halt nicht so sexy und ergibt auch keinen staunenswerten Gesprächsbeitrag wie ein neuer "Moog One".

Weiterer Aspekt:
Warum würden die Keyboard-Ikonen der 70-er Jahre auch heute noch einen Spitzenplatz unter den Keyboardern einnehmen, während die Gitarristen aus dieser Zeit spieltechnisch völlig überholt wurden (Jazz-Gitarristen einmal ausgenommen)?
Während sich die Keyboarder ab etwa den 90-er Jahren mit Sequencern, Software und Synthie-Monstern und deren Sound-Design beschäftigten, blieben die Gitarristen bei ihrem im wahrsten Sinn des Wortes überschaubaren Instrument, übten und entwickelten sich enorm weiter. Und so nimmt es kein Wunder, dass Keyboards in den aktuellen Pop- und Rockbands nur in Ausnahmefällen eine prominente Rolle einnehmen. Teppich-Legen, Gimmicks-Einstreuen oder Soundeffekte-Hinzufügen, das ist die gebräuchlichste Weise, wie Keyboarder heute eingesetzt werden und bei vielen muss man leider sagen: Zum Glück, denn zu viel mehr sind sie auch nicht in der Lage. Und wenn sie denn überfordert sind, dann programmieren sie ihre Keyboard-Parts zu Hause auf ihrer Workstation, verordnen dem Drummer einen Clicktrack und begründen es damit, dass sie nur so den Originalsound von der Platte eins zu eins wiedergeben könnten. So geschehen auf der Tour einer deutschen Pop-Sängerin. Während also die Kollegen an den Drums und den Saiten jeden Abend in realiter spielten, feuerte der Keyboarder Sequencen ab und betrieb ansonsten das, was ein Pantomime auch hätte schaffen können. Eine solche Berufsauffassung müsste man eigentlich als rufschädigend brandmarken.

Noch ein Punkt:
Es sollte hoffentlich allen klar sein, dass der Löwenanteil der Keyboards von reinen Hobbymusikern gekauft wird - inclusive der sogenannten Semiprofis, was schon als Wortschöpfung reiner Unfug ist. Die Hersteller haben sich natürlich darauf eingestellt und so muss man einen Großteil der neuen Geräte entweder als Spielzeug betrachten - wie z.B. all die Miniatur-Geräte von Roland, Yamaha oder Korg - oder als alten Wein in neuen Schläuchen oder als Beschäftigungstherapie für Desktop-Täter im Feierabend-Modus.
Mit anderen Worten: Es muss schon lange nicht mehr das neueste Produkt sein, um gute Soundergebnisse zu erzielen. Die bahnbrechenden Entwicklungen, bei denen jede neue Gerätegeneration tatsächlich Neues bot, fanden in den 70-er und 80-er Jahren statt und wurden in den 90-er Jahren verfeinert. Natürlich müsste man in diesem Kontext die Computerisierung dieses Genres noch hinzufügen, aber ich kenne nur sehr wenige prof. Musiker, die live nicht nach wie vor auf Hardware setzen. Daher lasse ich diesen Aspekt hier und jetzt beiseite.
Ergo setzen Hersteller nicht mehr auf die Qualität der Neuartigkeit, sondern überwiegend auf besagte Inflation der Möglichkeiten. Wer sich z.B. die Modulationsmatrix des "Matrixbrute" anschaut, wird feststellen müssen, dass man diverse Wochen dafür brauchen würde, um die exorbitanten Möglichkeiten des Synthies nicht nur zu begreifen, sondern auch in die eigenen Klangerfahrungen einzureihen. Was ist also die Folge beim Anblick dieser Monstermatrix? Tester wie Nick Batt oder Marc Doty fühlen sich wie im Paradies, aber viele Musiker werden die Matrix wie ein abschreckendes Labyrinth eher meiden, weil es sie daran erinnert, was sie eigentlich noch zu tun hätten, um diesen Synthesizer in Gänze ausnutzen zu können.

Und noch ein Punkt:
Die zeitliche Überforderung der Musiker durch das Einarbeiten in immer komplexere Geräte und Software mit gleichzeitiger Auslastung durch das Üben und Proben inclusive der Vorbereitungen wird verdeutlicht dadurch, dass die meisten professionellen und erfolgreichen Keyboarder ihre Sounds designen lassen - häufig vom Werk, falls sie mit diesem als Endorser verbandelt sind. Manche lassen sich auch das gesamte Bühnensetup nach ihren Wünschen spielbereit konfigurieren. Damit wird klar, wo sie für sich den Schwerpunkt ihrer Zeiteinteilung setzen und der liegt eben nicht in den Tiefen der vielen Bedienungsanleitungen.

Versuch einer Zusammenfassung:
Ich habe 3 verschiedene Keyboard-Anlagen, eine große und eine kleine Live-Anlage sowie die in meinem Studio. Und überall stehen die gleichen Synthies, Sampler und Dergls. Und warum?
Weil ich keine Lust und keine Zeit habe, mich mit Bedieungsanleitungen herumzuschlagen. Denn es ist angesichts all der vielen Geräte unmöglich, eines davon nach einer längeren Phase der Nicht-Beschäftigung noch flüssig und unfallfrei zu bedienen.
Stattdessen bemühe ich mich täglich, mein Übungspensum durchzuziehen, um meine Spieltechnik möglichst zu verbessern oder zumindest auf einem guten Stand zu halten.
Daher: Ich möchte hiermit für einen völlig "ungeilen" Weg der Musikausübung plädieren, der aber nur auf den ersten Blick ungeil wrkt. Das tägliche Üben im sogenannten stillen Kämmerlein mag nicht sehr sexy sein. Wenn man dann aber die Resultate auf der Bühne präsentiert, kann es sehr, sehr sexy sein. Alles, was dem im Wege steht, wie z.B. die Neigung, sich permanent neue Geräte zu kaufen und die alten dafür abzutoßen, oder das Verlangen, hochkomplexe Soudmaschinen zu kaufen, all das sollte man möglichst vermeiden, um sich dem Kernpunkt der Musik zu widmen, nämlich dem Spielen.
Das heißt natürlich nicht, dass man dem Klang generell keine Aufmerksamkeit schenken sollte. Im Gegenteil. Aber der Klang ist eben nur eine von mehreren Komponenten des Musikmachens. Jeder muss für sich die Rangfolge dieser Komponenten bestimmen, aber es gibt dabei - wie bei einem Musikstudium - auch sogenannte Pflichtfächer, ohne die man nicht für sich in Anspruch nehmen kann, sich ernsthaft mit Musik zu beschäftigen. Und dazu gehört neben der Kenntnis der harmonischen Zusammenhänge vor allem die Spieltechnik.
 
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Genau, heute hat jedes Telefon 500 Seiten Bedienungsanleitung:evil:
Wenn ich die durchlese komme ich nicht mehr zum Telefonieren:D
Spielen können ist immer noch die bessere Alternative:cool:
 
Ich finde die Maschienen die alles können, und einem vieles abnehmen auch höchst interessant, gerade im Live-Einsatz. Aber ich fände es extrem langweilig sich hauptsächlich darauf zu verlassen. Ich wäre auf der Bühne gerne ein Spieler, und kein "Keyboard Programmierer/Informatiker", das würde mich einfach langweilen, gerade wenn ich in einer Band wäre wo sich der Drummer, Gitarrist, Bassist wirklich an ihren Instrumenten abrackern. Wenn ich nur daneben stehe und überwiegend irgendwelche Knöpfe und weniger Tasten bedienen müsste wäre ich damit nicht zufrieden.
Deswegen bin ich auch extrem bescheiden, ich möchte gerne aus wenigen Instrumenten das meiste rausholen, GAS ist mir eigentlich oft eher ein Dorn im Auge, und es wird nur erfüllt, wenn ich wirklich keine andere Wahl mehr habe. Ich versuche irgendwie mit möglichst spartanischer Ausrüstung möglichst gut zu sein (vielleicht bin ich auch etwas minimalistisch veranlagt haha).

Aber viele Keyboarder scheinen wirklich komplett anders veranlagt zu sein. Das Schreien nach neuen Features kenne ich zb. aus keiner anderen Instrumentalistengattung in dem Umfang.
 
Na ja, es bedarf auch eines gewissen Werdeganges, einer sittlichen Reife und einiger Versuche um zu verstehen, das es im Endeffekt immer auf das Bauteil vor der Tastatur ankommt :evil: trotzdem ist immer wieder GAS da.
Auch steht zB der top40 Keyboarder unter Druck alles außer Bass, Gitarre und Schlagzeug zu liefern, da macht es die Technik halt einfacher, wenn man nur zwei Hände und Füße hat.
Und ja, die alte Weisheit gilt immer noch... Technik ersetzt nie Üben, sie hilft nur manchmal ein bisschen :D
 
Du schreibst wie ein konservativer klassischer Konzertpianist, der seit Jahrzehnten Klavier und nur Klavier spielt und jetzt zum ersten Mal von der Existenz von Synthesizern gehört hat – ohne bisher von der Existenz vollelektronischer Musik gehört zu haben. Und der die jetzt doof findet, weil die mehr können, als er jemals zu brauchen glaubt.

Ich will's mal so ausdrücken: Du bist einfach nicht die Zielgruppe von Synthesizern. Und die, die die Zielgruppe von Synthesizern sind, also von "richtigen" Synthesizern, die nicht nur dem Abfahren von Presets dienen – die brauchen tatsächlich derart aufwendige Instrumente. Aber nicht, um sich selbst cool vorzukommen und/oder von spielerischen Schwächen abzulenken. Viele von denen spielen nämlich annähernd oder überhaupt gar nichts selber per Hand.

Nein, sie haben einen sehr, sehr hohen Anspruch an ihren Sound. Dafür müssen die Geräte zum einen über bestimmte Fähigkeiten und Funktionen verfügen, und zum anderen braucht man auf alle Parameter dieser Fähigkeiten und Funktionen vollen Zugriff.

Solche Leute sind dann aber auch überwiegend keine Live-Keyboarder in einer Band – und solche Leute wirst du weit, weit überwiegend nicht im Musiker-Board finden, sondern eher im Nachbarforum™. Die Musik, die die machen, ist 100% rein vollelektronisch.

Und elektronische Musik ist immer etwas ganz, ganz anderes als jede andere Art von Musik. Auch vom Spielerischen her.

Beim Klavier ist es doch so, daß das Endergebnis zu 1% vom Grundklang des Instruments abhängt und zu 99% von den spielerischen Fertigkeiten des Pianisten. Außerdem obliegt es Solopianisten, bei jedem Stück jeweils das komplette Arrangement zu 100% händisch zu spielen – weil es gar nicht anders geht.

In der elektronischen Musik ist das anders. Selbst wenn sie per Hand gespielt wird, kann sie erstens nie komplett per Hand gespielt werden – weil elektronische Musik jeglicher Spielarten zu komplex ist, als daß ein Musiker sie zu 100% händisch spielen könnte. Klaviernoten haben ein System mit Violin- und Baßschlüssel. Elektronische Musik hätte ausnotiert auch schon mal fünf, zehn, zwanzig Systeme übereinander.

Zweitens passiert auch da nie in einem System so viel wie in dem einen System bei Klaviernoten. Will sagen, in der elektronischen Musik wird kein Synthesizerpart je durch das ganze Stück beidhändig vollgriffig unter Verwendung von zwei, drei Pedalen gespielt. Damit würde man sich das Stück nur zumatschen. Außerdem braucht man das gar nicht, denn elektronische Musik ist arrangiert wie für eine Band, also mit einer Vielzahl unterschiedlicher Klänge, statt für nur einen einzigen Klang aus nur einem einzigen Instrument.

Und drittens – jetzt kommen wir dazu, warum Synthesizer so komplex sein müssen – liegt die Gewichtung des Klangs bei elektronischer Musik nicht bei 1%, sondern bei 50% aufwärts. Es ist absolut essentiell wichtig, wie welcher Part klingt. Wenn man elektronische Musik originalgetreu nachspielen will, ist es folglich nicht nur essentiell wichtig, sie spielen zu können, sondern mindestens genauso wichtig, den Klang exakt nachbauen zu können. Der kommt bei den jeweiligen Originalversionen von technisch sehr komplexen Geräten. Folglich muß der Nachbau auf mindestens genauso komplexen Geräten erfolgen.

Für diejenigen, die sich nicht vorstellen können, wie es ist, wenn elektronische Musik gespielt wird, habe ich hier vier Beispielvideos. Die sollen nebenher demonstrieren, von was für Musik ich eigentlich schreibe.

Erstes Video: Der finnische Synthesizerfreak Kebu spielt ein Eigenarrangement von Giorgio Moroders 1979er Instrumental-Hit "Chase" aus dem Film Midnight Express.

Hier sehen wir:
  • Er spielt mitnichten alles selber per Hand. Das kann er auch gar nicht, weil das Stück schon von Moroder selbst zu komplex komponiert und arrangiert wurde. In Noten wären es mindestens sieben Systeme übereinander: Melodie 1 (Violinschlüssel), Melodie 2 (Violinschlüssel), Fläche (Violinschlüssel), Ostinato/Arpeggio 1 (Violinschlüssel), Ostinato 2 (Baßschlüssel), Baß (Baßschlüssel – hier wäre für traditionelle/klassische Musiker das 1/16-Delay ausnotiert, weil es in der klassischen bzw. Klaviermusik keine Delays gibt), Schlagzeug.
  • Wenn man das, was er spielen würde, ohne technische Hilfsmittel auf einem Klavier spielen würde, wäre es lächerlich einfach und lächerlich wenig. Wie in einem Orchester, einem Ensemble oder einer Band lebt das Stück vom Zusammenspiel mehrerer völlig verschiedener Parts. Demjenigen, der von der Klassik kommt, mag es seltsam vorkommen, aber: Das ist Musik, die im weitesten Sinne für Tasteninstrumente geschrieben, aber von der Art her für Streich-, Blas- und Schlaginstrumente komponiert wurde.
  • Vor allem aber: Mit bis zum Gehtnichtmehr in ihrem Funktionsumfang reduzierten Instrumenten hätte Kebu dieses Stück in diesem Sound und dieser Komplexität so nicht hinbekommen. Gäbe es auf dem Markt nur noch in deinem Sinne funktionsreduzierte Instrumente, hätte er weder Filterfahrten machen noch mit Sequenzen arbeiten können.
Wen das schon grundsätzlich stört, der sollte sich eine Zeitmaschine schnappen, zurückreisen in die frühen 50er Jahre, als Karlheinz Stockhausen anfing mit seinen Experimenten, und ihn dazu bringen, daß alle elektronische Musik immer nur für zweihändiges solistisches Spiel ohne technische Hilfsmittel auf möglichst simplen Instrumenten ausgelegt wird. Dann sollte derjenige aber auch die Gründungen von Kraftwerk, Tangerine Dream usw. verhindern.

Zweites Video, falls das erste zu unübersichtlich war: ein Cover von Brad Fiedels Titelmusik des Films Terminator von 1984.

Hier wird nur das elektronische Schlagzeug maschinell erzeugt, alles andere ist Handspiel. Aber auch hier sieht man a) die Vielschichtigkeit elektronischer Musik im Vergleich mit Klaviermusik, b) die spielerische Einfachheit jedes Parts für sich genommen und c) die klanglich-technische Komplexität dieser einzelnen Parts, die entsprechend technisch aufwendige Instrumente zwingend voraussetzt.

Das dritte Video soll noch besser veranschaulichen, wie komplex elektronische Musik ist und wie vergleichsweise spielerisch simpel, aber klanglich komplex die einzelnen Parts sind. Hier covert eine Gruppe namens Synt5 den Dancefloor-Hit "Rhythm Is A Dancer" von Snap!, und zwar wieder bis auf die Drums komplett per Hand.

Fünf Mann an Synthesizern sind nötig, um die Nummer so nah am Originalarrangement wie möglich, aber komplett per Hand zu spielen. Jeder hat für sich am Instrument weniger zu tun als ein Konzertpianist, aber mit Einfachst-Equipment wäre der Song niemals so originalgetreu geraten.

An die, die jetzt sagen: "Ja, dann arrangiert man das eben um, damit das mit einfacherem Equipment umsetzbar ist": Arrangiert ihr auch Chopin-Etüden um, wenn ihr sie nicht spielen könnt, damit die umsetzbar werden? Nein, tut ihr nicht. Ihr repliziert 1:1 zu 100% das Originalarrangement von Fryderyk Chopin. Und genau das haben Synt5 auch gemacht – nur eben nicht mit Chopin, sondern mit Snap!.

So, das waren jetzt alle Amateure. Als viertes und letztes zeige ich euch einen Profi, der mit drei Mitstreitern sein Hit-Album von 1976 gute 30 Jahre später live nachspielt, und zwar kein Stück weniger komplex als seinerzeit im Studio.

Bis 1:52 entspricht es dem Stimmen eines Orchesters vor dem eigentlichen Konzert. Ab 5:36 beginnt das eigentliche Album.

Wer jetzt kommt mit: "Boah, diese Unmengen an Keyboards und die ganzen Knöppe überall, ey, viel zu kompliziert, das muß viel einfacher", kann gern versuchen, die Musik in diesem Video klanglich identisch (!) auf einem 500-€-Digitalpiano oder einem 150-€-Homekeyboard nachzuspielen. Wie ein Pianist komplett per Hand und ohne externe Effekte.

tl;dr: Für bestimmte Musik, besonders für elektronische, braucht es zwingend technisch sehr komplexe Instrumente, derweil es aufs Spielerische sehr viel weniger ankommt.

Vielleicht sind Synthesizer für Pianisten zu komplex. Es wäre aber trotzdem Blödsinn, ihre Herstellung zu verbieten und sie den Synthesizer-Nerds wegzunehmen, die sie zwingend brauchen, nur weil Pianisten damit nicht klarkommen. Das sind einfach zwei unterschiedliche Zielgruppen, die unterschiedliche Ansprüche an ihre Instrumente haben. Dabei darf niemals die eine Zielgruppe bestimmen, was die andere Zielgruppe gefälligst für Instrumente zu spielen hat.


Martman
 
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Und letztendlich gab und gibt es auch jede Menge Musiker, die sowohl spieltechnische Fähigkeiten als auch kreatives Sounddesign in Personalunion vereinen.
Ich persönlich finde es gut, wenn die Geräte immer mehr Funktionen fürs Geld bieten - wer es braucht, kann es dann auch nutzen und muss sich halt einarbeiten.
Wer nicht, der lässt es bleiben - so what?

Jeder, wie er mag & kann... :)
 
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Die Arbeit besteht permanent im Abwägen zwischen Umfang der Möglichkeiten und Güte der Übersichtlichkeit.
Das ist nach meiner Auffasung das wesentliche Merkmal jeder Gestaltungsaufgabe/ -tätigkeit. Egal ob ein Synthesizer, ein Möbelstück oder ein Gebäude entworfen wird. Mit Entscheidungen für etwas trifft man in der Regel auch Entscheidungen gegen etwas. Konzeptstarkte Geräte entstehen genau so. Und Konzeptstärke ist das wesentliche Merkmal, damit aus einem x-beliebigen Keyboard ein langlebiges Instrument wird.



Es sollte hoffentlich allen klar sein, dass der Löwenanteil der Keyboards von reinen Hobbymusikern gekauft wird - inclusive der sogenannten Semiprofis, was schon als Wortschöpfung reiner Unfug ist.
Zum Glück ist dem so! Erst dadurch entstehen für die Hersteller die wirtschaftlichen Möglichkeiten neue Dinge zu entwickeln.




Jeder muss für sich die Rangfolge dieser Komponenten bestimmen,
Du sagst es! Diesen Teil sehe ich genau so. Was einen Live Keyboarder ausmacht besteht aus beiden Teilen - Spielfertigkeit und Klang. Ein für meine Begriffe guter Keyboarder hat einen eigenständigen Sound und beherrscht die Spieltechnik mindestens auf einem Niveau, dass sich sein Sound entfalten kann.


Du schreibst wie ein konservativer klassischer Konzertpianist
Aber das, was den Sound so überzeugend machte, war das exzellente Spiel, bzw. die exzellente Spieltechnik und van´t Hofs Kenntnis der spieltechnischen Charakteristika einer Mundharmonika.
Das ist ein Weg zum ausdrucksstarken Ergebnis. Du kannst einen schlechten Sound durch gute Spieltechnik in teilen kompensieren. Ein schlechter Sound bleibt letztlich ein schlechter Sound.

Noch eins zum Schluss:
Aktuelle Technik muss nicht unbedingt zu 'gutem' sprich ausdrucksstarkem oder eigenständigem Sound führen. Am Ende ist es ähnlich dem Photographieren: Das Bild macht der Photograph, nicht der Photoapparat.
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
aher: Ich möchte hiermit für einen völlig "ungeilen" Weg der Musikausübung plädieren, der aber nur auf den ersten Blick ungeil wrkt. Das tägliche Üben im sogenannten stillen Kämmerlein mag nicht sehr sexy sein. Wenn man dann aber die Resultate auf der Bühne präsentiert, kann es sehr, sehr sexy sein.

Da bin ich bei Dir!

Gilt für die Spieltechnik bezogen auf die "Schwarz-Weißen" Tasten ebenso wie für sonstige Spielhilfen (Pitchbend, Modulation, sonstige Knöpfe und Regler) und auch für das Bearbeiten und Erzeugen der Sounds.

Nur eine intensive Beschäftigung mit der Musik und dem musikalischen Ziel führt zum überzeugenden Ergebnis.
 
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Du schreibst wie ein konservativer klassischer Konzertpianist, der seit Jahrzehnten Klavier und nur Klavier spielt und jetzt zum ersten Mal von der Existenz von Synthesizern gehört hat – ohne bisher von der Existenz vollelektronischer Musik gehört zu haben. Und der die jetzt doof findet, weil die mehr können, als er jemals zu brauchen glaubt. ....

........
Vielleicht sind Synthesizer für Pianisten zu komplex. Es wäre aber trotzdem Blödsinn, ihre Herstellung zu verbieten und sie den Synthesizer-Nerds wegzunehmen, die sie zwingend brauchen, nur weil Pianisten damit nicht klarkommen. Das sind einfach zwei unterschiedliche Zielgruppen, die unterschiedliche Ansprüche an ihre Instrumente haben. Dabei darf niemals die eine Zielgruppe bestimmen, was die andere Zielgruppe gefälligst für Instrumente zu spielen hat.


Martman
 
Ich frage mich, warum einige Antworten sofort in persönliche Angriffe münden? Und warum sie dann noch mit Mutmaßungen operieren, obwohl diese völlig aus der Luft gegriffen sind?

Ich sprach mit meinem Beitrag Berufs- und Hobbymusiker gleichermaßen an - wenn auch hinter meiner zugegebenermaßen vorhandenen professioellen Brille.
Als erstes möchte ich gerne feststellen, dass Elektronische Musik nur einen kleinen Anteil der Musik generell darstellt. Aber deren Apologeten tun manchmal so, als wenn sie für alle Musiker und sämtliche Musik-Genres sprächen.
Weit gefehlt.
Ich habe neben meiner klassischen Laufbahn fast alle Band-Stilistiken gespielt, von Rock über Jazz und Crossover bis zur Galamugge, mit der ich mein Musikstudium finanziert habe. Elektronische Musik spielte dabei überhaupt keine Rolle. Im Gegenteil - wenn ein Solo angesagt war und man kurz vorher entsprechend angeschaut wurde, interessierten keine abgefahrenen Sounds oder Sequencer-Parts, es interessierte nur die unmittelbare Kreativität und das Spielvermögen. Mein damaliger Satzlehre-Prof. sagte übrigens fast wörtlich: Ich liebe Musik viel zu sehr, als dass ich sie Computern überlassen würde.

Zweitens: Die meisten Keyboards verfügen über Tasten, was ein zarter Hinwei darauf ist, dass man sie benutzen kann. Das Antriggern per Midi und Sequencer funktioniert natürlich auch, aber welche Hindernisse werden damit aufgebaut und welche Folgen hat das? Das übliche Resultat ist eine Computer-Ästhetik, d.h. ein Genre, das - wie gesagt - von einer absoluten Minderheit gespielt und gehört wird. Für die anderen Musiker sind die Tasten der Schlüssel zum Musik-Machen. Und bei den Tasten ist es nun einmal Fakt, dass derjenige alle Synthies & Dergls. spielen kann, der Klavier spielen kann, was umgekehrt überhaupt nicht der Fall ist. Und dass derjenige, der viel übt, auch viel kann, ist eine banale Binsenweisheit, auch wenn dieses in den Foren der Republik permanent abgestritten wird - was ich immer als Zeichen eines latent vorhandenen schlechten Gewissens betrachte. Mit dem Noten-Lesen verhält es sich ähnlich.

Zum dritten: Um was geht es denn generell? Und hier möchte ich meine klassisch-künstlerische Lebenslinie sprechen lassen - es geht um den persönlichen Ausdruck. Gut, Elektronische Musik besitzt auch einen eigenen, aber sehr eindimensionalen Ausdruck. Daher muss man sie wohl eher als Zeiterscheinung und ein spezielles Partikularinteresse betrachten. Demgegenüber stehen persönlich-künstlerische Ausdrucksweisen wie z.B. die von Joe Zawinul, Keith Emerson oder Herbie Hancock, die noch in Jahrzehnten eine Relevanz besitzen werden, weil sie sehr persönliche und damit quasi einmalige Stilistiken, bzw. Ausdrucksweisen hervorbrachten, die beim Hörer auf Resonanz stoßen und Musikern Anregungen geben. Und diese individuellen Ergebnisse sind nicht oder nur sekundär auf soundtechnische Kriterien zurückzuführen, sondern auf spieltechnisch-stilistische Besonderheiten.
Ich gebe gerne zu, dass mich Musik, die keine künstlerischen Ambitionen in sich hat, nicht interessiert. Dazu gehört neben Elektronischer Musik auch die gängige Popmusik. Aber ich gebe gerne zu, dass beide auch sozial-verbindende Funktionen haben, indem sie mit ihren einfachen Mitteln - also Melodik, Harmonik, Rhythmik etc. - für alle Schichten und Kulturkreise schnell verständlich und eingängig sind. Aber es wird häufig der Fehler gemacht, diese Einfachheit zum Maßstab für das eigene Können und Wissen zu machen. Denn dann befindet man sich als Musiker permanent am Anschlag seiner Möglichkeiten und besitzt einen dadurch sehr eingeschränkten Blick auf alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Brian Wilson schrieb "Good Vibrations", nachdem er sich mit Bach und Gospel auseinandergesetzt hat. Und McCartney schrieb "Blackbirds", nachdem er Bachs "Bourrée" nachzuspielen versuchte. Es sind beides zwar nur Popstücke, aber jedes einzelne weist durch Inspirationen und dadurch entstandenem Wissen eine über den Normal-Pop hinausgehende Qualität auf.

Und zum Schluss: Stell Dir vor, zwei Musiker beginnen zur gleichen Zeit zu arbeiten. Der eine kreiert einen völlig abgefahrenen Sound, während der andere in der gleichen Zeit eine wunderschöne Melodie komponiert. Wer von beiden hat in seiner Arbeit wohl mehr Ausdruck zustande gebracht und wer von beiden wird auf mehr Resonanz bei den Hörern stoßen?
 
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- gelöscht -
 
Aloha
Du vermischt hier mehrere Aspekte, wie ich finde. Grundsätzlich gebe ich Dir recht, das es sicherlich nicht schaden kann, wenn jemand sein Instrument beherscht. Und das kaum jemand die Möglichleiten seinens Instrumentes vollständig nutzt, bzw nutzen kann.
ABER: Aus der Anarchie entsteht auch neues. Häufig sind die notenfesten Pros (die wenige, die ich kenne) weit weniger kreativ, als die irren Hobbymusiker (die im Übrigen auch sehr viel Zeit mit "üben" verbringen, nur eben nicht im klassischen Sinne), die sich nicht scheuen auch mal ne Bohrmaschine ans Mischpult anzuschliessen. Musik ist halt heutzutage mehr als Harmonie, Melodie und Rythmus. Das ist für Musikhandwerker der alten Schule (wie ich einer bin) schwer zu akzeptieren.

Um auf Deine Abchlussfrage zu antworten: Kommt stark auf das Publikum an. Beides ist Musik, beides ist Kunst. Aber es gibt hüben wie drüben auch viel Müll (auf der elektronischen Seite aufgrund der niedrigen Einstiegsschwelle m.E. mehr). Selbst (und es schmerzt mich das zu sagen) ein DJ (im klassischen Sinne) ist ein Musiker, der hat gar keine "Instrumente".

Vielleicht stünde es Deinem Satzlehrer-Prof mal gut an, etwas über den Tellerrand zu schauen. Auch auf der andere Seite des Zauns ist Krativität und Spielbermögen möglich und nötig. Nur eben nicht in seinem Schrebergarten.
Ich persönlich finde klassisches Handwerk in der Musik auch supersexy. Ab es gibt eben auch mehr Ebenen, Kunst kommt nicht immer nur von handwerklichen Können.
Noch zum Schluss: Es ist wie in der Kunst. Ist ein Gemälde weniger Kunst, wenn am Computer erstellt worden ist und nicht mit Öl auf Leinwand?
 
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Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich selten einen Post von @Martman gelesen habe, dem ich so 100%ig zustimmen würde wie diesem. Ich kann hier auch keinen persönlichen Angriff gegen den Threadsteller erkennen, nur einige Mutmaßungen, wie dieser zu seiner Ansicht gekommen sein könnte... die vielleicht nicht stimmen, aber durchaus naheliegend waren.

Und zum Schluss: Stell Dir vor, zwei Musiker beginnen zur gleichen Zeit zu arbeiten. Der eine kreiert einen völlig abgefahrenen Sound, während der andere in der gleichen Zeit eine wunderschöne Melodie komponiert. Wer von beiden hat in seiner Arbeit wohl mehr Ausdruck zustande gebracht und wer von beiden wird auf mehr Resonanz bei den Hörern stoßen?
Das ist ein gutes Beispiel dafür, nach welchen Kriterien DU bewertest. Ich habe einige klassische Orchestermusiker in meinem Bekanntenkreis, die würden das vermutlich ähnlich sehen, aber ich halte es für vermessen, DEINE Kriterien/Ansichten als allgemeingültig bzw. wertvoller zu betrachten. Und wenn die von dir genannte Resonanz bei den Hörern das entscheidende Kriterium wäre, würde dann im Umkehrschluss doch auch Joe Zawinul das Qualitäts-Duell gegen Scooter verlieren?
 
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Auch wenn ich generell der Sache bereit bin zuzustimmen, dass die Geräte heutzutage mit Funktionen überladen werden und vom "eigentlichen Musizieren" ablenken können, muss ich doch bei ein paar Ausführungen widersprechen.

Ich gebe gerne zu, dass mich Musik, die keine künstlerischen Ambitionen in sich hat, nicht interessiert. Dazu gehört neben Elektronischer Musik auch die gängige Popmusik. Aber ich gebe gerne zu, dass beide auch sozial-verbindende Funktionen haben, indem sie mit ihren einfachen Mitteln - also Melodik, Harmonik, Rhythmik etc. - für alle Schichten und Kulturkreise schnell verständlich und eingängig sind. Aber es wird häufig der Fehler gemacht, diese Einfachheit zum Maßstab für das eigene Können und Wissen zu machen. Denn dann befindet man sich als Musiker permanent am Anschlag seiner Möglichkeiten und besitzt einen dadurch sehr eingeschränkten Blick auf alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Brian Wilson schrieb "Good Vibrations", nachdem er sich mit Bach und Gospel auseinandergesetzt hat. Und McCartney schrieb "Blackbirds", nachdem er Bachs "Bourrée" nachzuspielen versuchte. Es sind beides zwar nur Popstücke, aber jedes einzelne weist durch Inspirationen und dadurch entstandenem Wissen eine über den Normal-Pop hinausgehende Qualität auf.

Zum einen sagst du selbst, dass dich die hier als Beispiel dargestellte Musiksparte nicht interessiert - das schließt schonmal ein, dass du das Thema nicht objektiv betrachtest, sondern deine persönlichen Vorlieben hier eine Rolle spielen. Dazu sei gesagt, dass jede Musiksparte ihre Zielgruppe hat (oder mehrere), ansonsten würden wir von dieser Musik nicht all zu viel mitbekommen. Und für Künstler dieser Zielgruppe werden nunmal eben solche Geräte und Funktionen notwendig. Natürlich ist es für Nicht-Hörer schwer oder überhaupt nicht nachvollziehbar. Ich stehe auch nicht sonderlich auf Synthie oder Pop, dennoch sehe ich ein, dass für diese Musik gewisse Dinge notwendig sind, die ich für mein Klavier- oder Gitarrenspiel nicht brauche. Ob der Umfang an Funktionen der Geräte dann letztlich "zu groß" ist, kann ich aber definitiv nicht beurteilen, weil ich sie nicht nutze. Ich kann mir nur analog zu anderen Sparten mit stetig steigendem Funktionsumfang und Möglichkeiten nur grob vorstellen, dass es heutzutage generell eine Tendenz zur Überladung gibt - was ich generell kontraproduktiv finde, egal ob Musik oder andere Lebensbereiche. Fakt ist, es gibt eine Zielgruppe, die diese Funktionen nutzt - ob es der Ottonormalmusizierer braucht steht auf einem anderen Blatt. Dennoch würde ich nicht auf die Idee kommen, da etwas als unnötig zu bezeichnen oder den Leuten zu unterstellen, sie hätten kein Können. Es gehört eine Menge Wissen und Erfahrung und Können dazu, Sounds aus dem Nichts zu genereieren (jetzt hier auf die Synthie Beispiele bezogen) - aus Neugier habe ich das tatsächlich mal versucht, einfach nur so und habe Stunden und Stunden damit verbracht an etwas rumzuschrauben was nachher einfach total sch.. klang. Daher habe ich schon großen Respekt davor - auch oder insbesondere weil es nicht meine Musik ist - wenn Leute sowas auf die Beine stellen, dass auch noch gut klingt.
Und damit komme ich zum nächsten Punkt.
Es klingt so, als würdest du solche Musik oder Musiker als "kunstlos" bezeichnen. Und das ist ein ganz schwieriges Thema. Kunst ist generell sehr schwierig zu definieren (also nicht das Wort, sondern was es bedeutet), es gibt wenig Themen über die mehr gestritten wird. Kunst liegt im Auge / Ohr (Nase?) des Betrachters / Zuhörers (etc), wird salopp gesagt. Und es ist schwierig genau zu sagen was Kunst genau ausmacht. Ich bin aber definitiv der Meinung, dass die Arbeit am Synthie oder anderen Gräten "an denen man nur Knöpfchen drückt / dreht" genauso Kunst ist wie am Klavier, Gitarre oder sonstigem Instrument. Es ist eine andere Art der Klangerzeugung bzw. Generierung, aber letztlich wird auch hier etwas erschaffen und selbst wenn es nur ist, das aus bereits bestehendem abgeändert ist (was wieder zur Diskussion führen könnte, dass es bereits alle Musik schonmal gab). Und wie bereits erwähnt, ich habe selbst erfahren wie schwierig es ist, was es umso unverständlicher macht wie man hier von "einfacher Musik" oder "kunstlosigkeit" sprechen kann.

Und zum Schluss: Stell Dir vor, zwei Musiker beginnen zur gleichen Zeit zu arbeiten. Der eine kreiert einen völlig abgefahrenen Sound, während der andere in der gleichen Zeit eine wunderschöne Melodie komponiert. Wer von beiden hat in seiner Arbeit wohl mehr Ausdruck zustande gebracht und wer von beiden wird auf mehr Resonanz bei den Hörern stoßen?
Wie im Text oben bereits erwähnt, es kommt auf die Zielgruppe an. Und du wirst doch hoffentlich nicht abstreiten, dass es für den "abgefahrenen Sound" keine gibt, oder? Vielleicht versuchst du das mal objektiv zu sehen, mit etwas Abstand zu deinen eigenen Vorlieben, dann könnte dir klar werden, dass es durchaus auch dafür Resonanz gibt. Stell dir vor, dir als Pianist würde jemand weismachen wollen, dass die ganze Klassik an sich nicht wirklich Musik ist, weil nichts davon in den Charts ist - wer hat mehr Resonanz, Beethoven oder Eminem?
 
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Vielleicht versuchst du das mal objektiv zu sehen, mit etwas Abstand zu deinen eigenen Vorlieben, dann könnte dir klar werden, dass es durchaus auch dafür Resonanz gibt.
Es ist, so nehme ich das jedenfalls wahr, ein weit verbreitetes Phänomen, dass je professioneller jemand in seinem Bereich ist, desto mehr ist dieser häufig der Überzeugung, dass es (auf seinen beruflichen Bereich bezogen) keine Vorlieben gäbe sondern ausschließlich Qualitäten. Und er, als Profi, die Kenntnisse besitzt, diese Qualitäten beurteilen zu können und jemand, der nicht so erfahren in der Thematik ist, das eben nicht könne.
In meinem Metier (ich bin Architekt), ist das beispielsweise auch sehr, sehr verbreitet. Da gibt es bei vielen Kollegen keine Vorlieben und Geschmäcker sondern ausschließlich Qualitäten - so... oder gar nicht.
Ich erinnere mich da an ein ein spöttisches Bonmot aus einer Architekturzeitschrift (db wenn ich mich recht entsinne) über den damals neuen Schweizer Botschaftsbau in Berlin. Da hieß es sinngemäß "um die Qualität der strengen Architektur des Gebäudes wertschätzen zu können, müsse man mindestens 17 Semester Architektur studiert haben".
 
Wie bei allen Diskussionen im Board hat jeder ein bisschen Recht, aber keiner die ganze Wahrheit... Ich versuche solche Diskussionen eher offen zu verfolgen. Ich finde daher in jedem Beitrag Aussagen, die ich teilen würde, und solche, denen ich persönlich nicht zustimmen kann. Keinem Beitrag würde ich zu 100% zustimmen oder widersprechen.

Ich kann durchaus auch in Pop oder elektronischer Musik Sachen finden, die mich musikalisch oder emotional ansprechen. Ich bin aber selber eher so veranlagt, dass ich Musik von Hand machen können will. Ich habe gerade gestern erst meinen Minilogue XD wieder verkauft. Das Ding kann tolle Sound und Sequenzen erzeugen. Ich musste aber wieder feststellen, dass es nicht mein Ding ist, stundenlang an Sounds zu schrauben, die dann 1000 mal auf Knopfdruck reproduziert werden können. Dabei hatte ich extra schon einen Synth gewählt, der möglichst analog und einfach zu bedienen ist. Mein Anspruch wäre es eher, etwas so sicher von Hand spielen zu können, dass ich jedesmal meine aktuelle Stimmung oder Interpretation in die Umsetzung oder Variationen einfließen lassen kann. Dafür muss ich noch viel üben, daher musste der "Schrauberkram" weg...

Ich gönne es aber jedem, darin seine Erfüllung zu finden und dafür auch die seiner Meinung nach notwendigen Mittel einsetzen zu können. Ich halte es auch vermessen zu behaupten, dass jeder ausgebildete Pianist ein Synth spielen könnte, aber nicht umgekehrt. Ja, er kann diesen sicher spielen wie sein Klavier, aber nicht die Möglichkeiten der Synthese wirklich sofort nutzen...

Allen weiter viel Freude an ihrer Art der Musik...

Gruß,
glombi
 
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Ein bißchen habe ich auch das Gefühl, daß hier "elektronische Musik" wieder pauschal gleichgesetzt wird mit 100% rein maschinell erzeugtem EDM, im Volksmund unter "Techno" zusammengefaßt. Und das, obwohl ich mehrere Videos eingebettet habe, die genau das Gegenteil belegen sollen. Aber das macht es den Elektronikhassern einfacher, alle elektronische Musik abzuqualifizieren, indem sie über einen Kamm geschoren wird. Die Videos sieht man sich nicht nur gar nicht erst an, sondern man tut so, als existierten sie gar nicht.

So viel sei gesagt: Mindestens bis 1983 – aber auch darüber hinaus – wurde elektronische Musik durchaus per Hand auf schwarzen und weißen Tasten gespielt. Und das Spiel konnte durchaus sehr expressiv ausfallen. Ich sage nur Vangelis, der selbst heute noch, d. h. eigentlich gerade heute, auf seinem elektronischen Instrumentenpark um Größenordnungen expressiver spielen kann als jeder Pianist auf einem Konzertflügel.



Martman
 
Sorry Martman,

du grenzt genauso ab. Gute EDM vs. pauschal schlechter Techno. Es gibt auch guten Techno und ganz viel schxxx EDM.

Warum ist Vangelis expressiver als ein sehr guter Konzertpianist? Auch sehr gut vielleicht, und er hat andere Ausdrucksmöglichkeiten, aber besser ist auch hier wieder relativ.

Gruß,
glombi
 
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Ich sage nur Vangelis, der selbst heute noch, d. h. eigentlich gerade heute, auf seinem elektronischen Instrumentenpark um Größenordnungen expressiver spielen kann als jeder Pianist auf einem Konzertflügel.
Ist das eigentlich Absicht, daß Du so polarisierst?

Ich bin jedenfalls der Ansicht, daß Horowitz auf seinem Konzertflügel um Größenordnungen expressiver spielt als Vangelis es auf seinen elektronischen Instrumenten tut (der mir persönlich übrigens hier erheblich zu schwülstig spielt).



BTW: Ich bin Pianist und kein Elektronikhasser. Ich mache auch selbst elektronische Musik (rein digital, hat allerdings mit Beats und herkömmlicher Harmonik nichts am Hut).

Ich kann ja mal einen Ausschnitt hier reinstellen (es muß nicht jedem gefallen):




Also: Es gibt nicht nur Schwarz-Weiss, Pianisten vs. Elektroniker, sondern auch Menschen und Musiker, die musikalisch breiter aufgestellt sind und versuchen, über eigene Tellerränder interessiert hinauszuschauen.

Viele Grüße,
McCoy
 

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Sorry Martman,

du grenzt genauso ab. Gute EDM vs. pauschal schlechter Techno. Es gibt auch guten Techno und ganz viel schxxx EDM.
Du hast meinen Post nicht verstanden.

"EDM" sagen die, die Ahnung davon haben, zu derselben Musik, die die ahnungslose breite Masse als "Techno" bezeichnet. Das meint beides dasselbe. Nur sagen die einen eben pauschal zu allem Elektronischen mit Four-to-the-Floor-Beat "Techno", und die, die unterscheiden können zwischen einzelnen Genres wie eben Techno, aber auch verschiedenen Spielarten von House, Trance, Drum & Bass usw., fassen das zusammen als "EDM", weil sie wissen, daß das eben nicht alles Techno ist. Jetzt verstanden?

Und die (durchaus elektronischen) Klassiker von Vangelis, Jean-Michel Jarre, Kraftwerk, Tangerine Dream usw. usf. vor allem aus den 1970er Jahren haben mit EDM nichts zu tun, und ich habe auch nie behauptet, daß sie das täten.

Ist das eigentlich Absicht, daß Du so polarisierst?
Ich halte nur gegen.

Ich bin jedenfalls der Ansicht, daß Horowitz auf seinem Konzertflügel um Größenordnungen expressiver spielt als Vangelis es auf seinen elektronischen Instrumenten tut (der mir persönlich übrigens hier erheblich zu schwülstig spielt).
Horowitz: Anschlagdynamik, drei Pedale, ein Klangerzeuger.

Vangelis: Anschlagdynamik, polyphoner Aftertouch, mehr als ein Dutzend Pedale, die obendrein ihre zuletzt eingenommene Stellung halten können, und obendrein weitreichende Möglichkeiten, einzelne Klänge/Klangerzeuger während des Spiels mittels etwa zwei Dutzend Kabelfernsteuerungen zu- bzw. abzuschalten.

Aber das ist Geschmackssache.

Solange du nicht darauf beharrst, daß ein Konzertflügel eine größere und breitere klangliche Vielfalt produzieren kann als jeder Synthesizer (bis hin zu T.O.N.T.O.)...


Martman
 

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