"Wachsen" und "Reparatur"

[Akkordeonengel]

Hallo,
um das Problematik zu erklären, muss ich zwei meiner Geschichten erwähnen.

Geschichte 1:
Vor vier Jahren habe ich darauf bestanden, dass mein Meister die Stimmplatten von Kontraoktave und Große Oktave auf den großen Bass-Stimmstocken neu wachsen. Mein Meister sagte mir, dass es sinnlos sei, aber als er sah, dass ich stur war, führte er meine Bitte aus. Er erfüllte es jedoch so, dass ich sehen konnte, dass ich falsch lag: Er beließ die Bass-Stimmplatten auf dem ursprünglichen gelben Wachs und fügte an der Oberfläche neues weißes Wachs hinzu. Auch mit den weißen "Wachs-Tränen" der Verzweiflung über mir. Ich habe die Lektion verstanden. Ich richtete die "Wachstränen" mit einem Lötkolben aus und lernte meine Lektion:


Geschichte 2:
Die kleine Kiste Lignatone Melodia 2 ist mein Projekt, ich repariere und warte sie selbst. Ich war neugierig, wie lange das rissige Wachs halten würde. Nach drei Jahren kam meine “Überholung“. Die von einem Laien ausgeführte “Überholung“ bestand in der Entfernung der obere Streifen von altem rotem Wachs über den Stimmplatten und dann neues Wachs aufgetragen wurde. Das Ergebnis ist dem Zweck des Instruments angemessen: für schwierige Bedingungen bestimmt und gleichzeitig ein Übungsinstrument für technische Gewohnheiten und Fertigkeiten des Stimmens und Reparierungen:


Ich stelle überrascht fest, dass heute es viele Gebrauchtsmarket-Akkordeons gibt nach einem solchen Eingriff, die angeblich als generalüberholt gekennzeichnet sind. Das stimmt jedoch nicht. Dies betrifft hauptsächlich Akkordeons ohne Cassotto mit vier oder fünf Chören. Der Stimmstock ist nämlich auf der Cassoto von der Seite zu sehen. Wenn das Cassotto nicht vorhanden ist, sehen wir alle Stimmstöcke nur von oben, also nur von solcher Seite, wo immer eine ausreichende Wachsschicht vorhanden ist. Wenn der Diskant-Halbkorpus komplett mit Stimmstöcken gefüllt ist, haben wir keine Möglichkeit, den Stimmplatten bis auf die untere Wachsschicht zu sehen. So müssen wir selbst beim Kauf eines Instruments von einer Privatperson, die uns Einblick in das Instrument gewährt, nichts bemerken.

Es muss nicht immer unbedingt eine böse Absicht sein. Vielleicht war es unnötiges Überwachsen. Vielleicht war es ein persönliches Projekt. Und vielleicht nur verzweifelt wenig Geld bei einer verzweifelt großen Lust zu spielen.
Wenn dies jedoch beabsichtigt ist, führt dies den Käufer in die Irre. Altes gerissenes Wachs unter einer falschen Schicht aus neuem Wachs zu haben, ist nichts, um die Stimmstabilität in der Zukunft zu gewährleisten:

Wie auch immer, in letzter Zeit sehe ich solche Reparaturen ziemlich oft in der online-Anzeigen (CZ, SK, PL, HU), deshalb hielt ich es für meine Pflicht, Sie alle zu informieren, damit Sie vorsichtig sein können.

Herzliche Grüße, Vladimir

 

[120]

Der alte Wachs sitzt oft direkt am Holz noch recht fest aber ist in seiner Struktur auch dann mehlich und hat keine Stabilität mehr in sich.
Mit dem Lötkolben geht da manchmal schon noch was und das sieht man natürlich. Drüberwachsen bringt vielleicht auch was aber das ist schlimmer als ehrlicher Murks. Wenn man neu wachst muß der alte Wachs ganz runter und alles was mehlig erscheint gründlich abgekratzt oder ähnlich werden um auf tragfähigen Grund zu kommen. Selbst wenn der alte Wachs entfernt wird aber nicht gründlich genug ist das Mist.

 

[maxito]

Wie auch immer, in letzter Zeit sehe ich solche Reparaturen ziemlich oft in der online-Anzeigen

Diese "Methode" ist in diversen Varianten gar nicht mal so selten.

Die Methode dieser "Schnellwachsmethoden", die ich schon öfter gesehen habe, ist dass das alte Wachs nur mit einem Schraubenzieher oder ähnlichem aus den Fugen gekratzt wird und stirnseitig abgeschabt wird ohne die Stimmplatte auszubauen. Dann wird mit neuem Wachs wieder ausgegossen.

Die Mehtode geht natürlich sehr viel schneller, als die ganzen Stimmplatten abnehmen, komplett reinigen und dann wieder neu einwachsen. Hat den Vorteil, dass man nicht neu ventilieren muss. Hat aber den Nachteil dass sich das frische Wachs mit den Resten des alten Wachses mischt und von daher natürlich keine so langlebige Methode ist, da die Lebensdauer natürlich dadurch geringer ist als wenn nur frisches Wachs draufkommt. Der Vorteil hier ist allerdings, dass die Ventile noch die gleichen sind und die Stimmplatten auch ihre Position nicht verändert haben - damit hat man keine große Änderung vom Spielverhalten.

Der große Nachteil dieser Methode ist neben der kürzeren Lebensdauer, dass man überall Wachsbrösel rumfliegen hat, die man nicht 100% absaugen abputzen oder abbürsten kann . Und somit steigt das Risiko, dass ab und zu dann mal ne Stimmzunge klemmt, weil halt mal wieder so ein Brösel sich eingeklemmt hat.

Die Methode ist nun nicht wirklich optimal , aber auch nicht wirklich schlecht... und sogar einigermaßen langlebig ( je nach Wachssorte). Und macht dann Sinn, wenn die Ventile noch richtig gut sitzen und sonst nicht gewechselt werden müssten. Allerdings ist es meist so, wenn das Wachs brüchtig wird, dass dann irgendwann auch die Ventile nicht mehr so solide sitzen und dann ist es meist der geringere Gesamtaufwand, wenn man alles abnimmt sauber auswäscht und komplett neu ventiliert und einwachst. - Aber wie gesagt - mitunter gibt es auch mal die Situation, dass das Wachs einfach deutlich früher schon zu reißen beginnt und die Ventile sitzen noch einwandfrei. Da kann man dann schon mal diese Methode in Erwägung ziehen.


Einfach auf altes rissiges Wachs neues Wachs drübergießen ist wirklich Quatsch. Das bringt wirklich nur optisch von außen ein schönes Ergebnis, aber von der Funktion bringt das gar nichts. Denn alle Stellen, wo das Wachs mit seiner Klebekraft benötigt wird, sind ja noch mit altem Wachs bedeckt ... und die Stellen sind dann auch hinterher noch genau so schlecht wie vorher.. Nur halt mit neuem Wachs zugedeckt dass man s nicht mehr sieht. Diese Methode würde ich unter der Rubrik "Augenwischerei" einstufen - also optisch ausgebessert, funktional ohne Wert.


Anders sieht es aus, wenn man neues Wachs auf das alte draufgießt und dann hinterher mit dem Lötkolben das Wachs nochmals komplett aufschmilzt. Dann hat man eine Mischung aus altem und neuem Wachs das durchaus wieder ordentlich hält.. nur halt von der Lebensdauer deutlich reduziert ist, weil ja bereits ein großer Prozentsatz des Wachses nicht mehr die Inhaltsstoffe hat, die für die Zähigkeit und Klebkraft sorgen... funktioniert ne zeitlang (durchaus ein paar Jahre!), ist aber deutlich kurzlebiger als die "Auskratzmethode".


Die sicherste, solideste und langlebigste Methode ist ganz klar: alles alte Wachs runter und die Stimmstöcke sauber machen, so gut es geht und alles komplett neu einwachsen. Allerdings muß hier dann halt auch zwangsläufig neu ventiliert werden, weil die Ventile das Waschen der Stimmplatten nicht überleben!

Es kommt ja durchaus auch immer wieder mal vor, das z.B, eine einzelne Stimmplatte mal rausgenommen gerichtet und dann wieder eingesetzt wird. Und dabei kann man gar nicht das alte Wachs komplett entfernen... weil ja rechts und links nach wie vor Stimmplatten sitzen. Bei solchen Aktionen kommt man also gar nicht drum rum eine der obigen "Ausbessermethoden" anzuwenden... nur halt nicht ganzheitlich, sondern nur lokal.