Komprimierung heisst "kleiner machen" -> Zip für Daten, mp3 für Musik. Komprimieren oder Kompression in der Musik heisst konkreter: "Die Dynamik kleiner machen". Mit einer Datenreduktion oder gar Verlust hat dies aber nchts zu tun, wie sicherlich allen klar ist. Ein in der Dynamik komprimierter Track lässt sich nämlich (theoretisch) durchaus mathematisch wieder vollständig rekonstruieren- ein Datenverlust liegt nicht vor. Um Einwänden vorzubeugen: Mit einem Expander (alleine) geht das nicht.
Doch nun zu dem Röhrenkompressor, den Du im Sinne hast:
Es gibt diverse Algorithmen zur Kompression. Einige bilden das Verhalten elektrischer Schaltkreise nach, die ein gewissen Gain-Regelverhalten besitzen, andere scheren die Lautstärke an einer starren Kennlinie und wieder andere machen das unter Nutzung von "musikalischen Annahmen". Auch ich probiere mich an einem solchen System. Multibandkompressoren z.B. "sehen" sich die aktuelle Lautstärke in einzelen Frequenzbändern an, ändern diese unabhängig von einander und aendern damit den Klang. So werden wenig vorhandene Höhen angehoben und bereits stark vorhandene eher gemildert.
Röhrenkompressoren benutzen nun einfach das natürliche Verhalten dieses Bauelementes, zunehmend höhere Pegel schlechter zu verstärken und je nach Typ ein frequenzabhängiges Oberwellenverhalten einzuprägen, z.B. wirkt bei zunehmenden Pegeln oft eine Art Multibandkompression und bei niedrigen Pegeln ein Art Exciter. Man muss sich nun vor Augen führen, daß dies traditionell bedingt ist. Man bauchte irgendwann mal einen "Lautstärkeanpasser" und da kam die Röhre ganz recht, weil sie ja schon in den Verstärkern drinsteckte. Die Verzerrungen nahm man eben hin, denn genau genommen, ist die unsaubere Übetragung unschön und ungewollt.
Nun wirken aber zwei Effekte: Einmal hat man sich daran gewöhnt, d.h. man wird ein wenig auf den Kang geprägt und zudem klingen leicht verzerrte Klänge mitunter durchaus interessant. Weiter haben die Erbauer der Röhren gelernt, jene falschen Klangveränderungen, die als angenehm empfunden werden, optimal herauszukitzeln. Dazu werden die Röhren u.a. gezielt in bestimmte Betriebsbedingungen gebracht, um z.B. Punkte hoher Kompression, oder einsetzender leichter Verzerrungen zu nutzen.
Wohlgemerkt, es handelt sich also insgesamt um dynamische, nichtlineare Verzerrungen, die faktisch eine Mischung aus frequenzabhängiger Dynamikkompression (also einem reinen Kompressor) und einem Verzerrer (sozusagen einem statischen Exciter) darstellen. Da diese Effekte miteinander gekoppelt sind, ist das Übertragungsverhalten von Röhren auch nicht so ohne Weiteres zu beschreiben- auch wenn dies in manchen Büchern anders steht. Eine ganz bestimte Röhre ist nur durch präzise Messungen im Detail zu beschreiben uind aus prktischen Gründen nicht voll simulierbar. Der Punkt ist hierbei eben der, daß die "optimale Musikröhre" sich genau dadurch auszeichnet, daß sie "fast" mathematisch exakt ist und das, worin sie eben nicht exakt ist, genau den besonderen Klang ausmacht. Das was nicht von der "Geradeaus-Mathematik erfasst wird" macht den Klang.
Nun gibt es aber trotzdem mathematische Modelle, welche die Röhren beschreiben und diese sind IMHO oft sogar viel besser geeignet, Musik zu bearbeiten, denn man kann diese besser kontrolieren. Bei der fertigen Röhre habe ich das, was ich eben habe, wie beim fertigen Apfel vom Baum. Man könnte sich statt eines Apfels ein optimalere Frucht zur Nährstoffversorgung vorstellen. Wenn man nämlich die einzelnen Funktionen der Röhre voneinander trennt, hat man deulich mehr Kontrolle über den Klang. Aber das ist meine Haltung.
Die Frage die sich stellt, ist nun die, wieso ausgerechnet die Röhre zufällig eine für die Musikbearbeitung günstige Arbeitsweise hat. Ich erkläre es mir so, daß die für das Hören und Fühlen verantwortlichen biologischen Prozesse in ihrem innerne Zusammenwirken denen von Elektronik stark aehnelt. So sind sehr viele Prozesse und Funktionen mit "natürlichen Differentialgleichungen" zu beschreiben, die in Biologie und Technik identisch sind. Die Verstärkungseffekte einer Röhre beruhen u.a. auf beschleunigten Elektronen, die "nicht jeden Quatsch mitmachen" und deren Verlauf automatisch "rund" und stetig ist. Ein irgenwie geartetes Eingangssignal wird damit sozusagen sanft "geglättet" d.h. in seinem Oberwellengehalt naturalisiert. Da die Sinneshaare im Innenohr in ihrer Frequenzverantwortlichkeit und Dynamik auch logarithmischen Gesichtspunkten unterworfen sind, passt das eben gut zusammen.
Vielleicht sitzen in den Röhren aber auch kleine Mänchen, die schlechten Sound einfach nicht durchlassen. Wer weis das schon ....